Empfehlung: „Nicht länger nichts!“ – Geschichte der Arbeiterbewegung in vier Teilen

Die Dokumentation „Nicht länger nichts!“ lässt sich auf arte herunterladen oder streamen. Zwei Aspekte sind besonders hervorzuheben: es kommen gebildete, reflektierende Arbeiter*innen ausführlich zu Wort. Ein Schlachtfabrikarbeiter, eine Fließbandarbeiterin, ein zum Historiker fortgebildeter ehemaliger Minenarbeiter brechen klassische Präsentationsformen von Arbeitenden. Wie gebildet Arbeitende waren, wird mit einer Studie aus dem 19. Jahrhundert untermauert, die Arbeitende ihren Lesestoff zwischen Darwin, Marx und Nietzsche angeben lässt. Die gescheiterten Revolutionen führten zur permanenten Selektion der gebildeten Arbeitenden durch Verbannung und Ermordung.
Bildungsgrade sind zwar bis heute einkommensabhängig, aber Bildung und Ausbildungsgrade gehen nicht ineinander auf, wie das Beispiel zahlloser eher wenig zu Reflexion und Denken begabter Professor*innen belegt. Auch geht extremer Reichtum nachweislich nicht mit Reflexionsvermögen, Intelligenz und Aufklärung einher, auch wenn die Superbourgeoisie von Jack Ma über Elon Musk bis Jeff Bezos sich selbst ihren Reichtum aus höherer Gewitztheit oder Leistungsfähigkeit erklärt.
Die Serie legt an Beispielen offen, wie roh und brutal Vertreter*innen der besitzenden Klasse die Ausbeutung planten, raffinierten und letztlich an die Arbeiter*innen manipulativ departementalisierten, bis diese sich ab dem Fordismus ohne äußeren Zwang und für den Konsum von objektiv nicht notwendigen Waren ausbeuteten. Die Beispiele sind zwar in gleicher Strategie wie bei Marx/Engels, aber eher in Erweiterung zu den dort bekannten vorgetragen.

Der zweite Aspekt ist der faire und ausführliche Blick auf den Luddismus. Die Maschinenstürmerei war innerhalb der Zwänge eine legitime und nachvollziehbare Praxis. In Ermangelung der organisatorischen und militärischen Macht zur Übernahme der Produktionsmittel schritten die durch Konkurrenz der Maschinen außer Brot gesetzte Arbeitenden zur Sabotage. Die Entwicklung der Produktionsmittel ging eben nicht strukturell mit einer Erleichterung der Arbeitenden einher, sondern mit höherem Risiko für Gesundheit und härterer Konkurrenz. In den Maschinen wurden die Arbeitenden tatsächlich zermalmt. Mit der Entwicklung von Bohrhämmern im Bergbau sank die Lebenserwartung zunächst, weil die grotesk lauten Geräte die Minenarbeiter noch rascher zerschmetterten und zerrüttelten als vormals die Arbeit mit Hämmern und händisch gedrehten Bohrstangen. Und heute besprühen Maschinen mit Lasertechnologie die Hände der Turnschuhkleber*innen rücksichtslos mit Lösungsmitteln, bis sich deren Haut ablöst und sie von den Dämpfen bewusstlos werden. Der Parteisozialismus verherrlichte den Fabrikarbeiter und damit die Maschinen, die den Arbeitenden den Fortschritt bringen sollten. Stalin machte aus dem Maschinenkult eine regelrechte Religion, deren heiligste Reliquie die immer größere, in den Dienst von Tunnelbau und Landschaftsgestaltung gesetzte Nuklearwaffe wurde. Mao ließ für den „Fortschritt“ einer simulierten Industrialisierung die Arbeitenden Kochtöpfe in Stahlöfen werfen, bis sie abends vor Muskelzittern ihre Suppe nicht mehr essen konnten. Die Maschinenstürmer waren rationaler als vieles, was die sozialistischen Eliten an Ideologien über Maschinen hervorbrachten.


Die Dokumentation hat vor allem drei Mängel: sie ist gerade in der Darstellung internationaler Arbeitskämpfe, z.B. in Südkorea, Japan, Südafrika, Peru viel zu kurz und damit ethnozentristisch. Sie vernachlässigt Marx/Engels auf geradezu kriminelle Weise. Und sie zeigt in ihrem Fazit des Endes einer Arbeitendenklasse zwar reflektierende, pessimistische moderne Arbeiter*innen, aber nicht den Gewerkschaftsalltag und die Struktur von Arbeitskämpfen heute.






Die inszenierte Enttäuschung – zur medialen Berätselung der Strategie der Ukrainischen Armee

Jedes Interview zur Lage der Ukraine beginnt derzeit mit sichtbarer Enttäuschung: Warum die Ukraine so langsam vorankomme, wo jetzt die großen Geländegewinne blieben, die man so lange erwartet habe, wie es denn tatsächlich mit den Erfolgsaussichten stehe, ob nicht doch ein Stillstand der Front zu erwarten sei, ob sich die ganzen westlichen Waffen gelohnt hätten, und ob man nicht tatsächlich Verhandlungen anstreben könne. Diese Bestellmentalität geht zynisch an den Realitäten in der Ukraine vorbei und erzeugt einen erheblichen Erwartungsdruck, der Verluste produziert.

Eine professionelle Militärberichterstattung lässt sich derzeit nur über Youtube-Kanäle erhalten, auf Kosten einer Einladung zum Clickbait auch russischer Propagandakanäle und auf Kosten einer Schwarmanalyse, die letzten Endes der russischen Seite nutzt. Im Fokus der Militäranalysen steht stets die ukrainische Strategie, ihre Möglichkeiten, ihre Stoßrichtungen. Die Aufforderung der UA zur Nachrichtensperre wird selbst von ukrainischen Militärvloggern ignoriert. Deren Abwägung ist nicht allein von Klickökonomien getrieben: selbst die erfolgreichsten Kanäle erhalten kaum 100.000 Klicks, viele andere bewegen sich im Bereich unter 10.000 und damit unter der Ökonomisierungsgrenze. Nicht wenige sind von einem ehrlichen Versuch motiviert, die Moral der Truppen, der Geflüchteten, aber vor allem auch der Unterstützer*innen im Westen aufrecht zu erhalten. Daher werden Tagesrückblicke auf Grundlage der Deepstatemap primär auf Englisch und Deutsch produziert, während Telegramkanäle noch aktuellere Informationen in Landessprachen liefern. Berichte von ukrainischen Erfolgen sind unabdingbar zum Kontern russischer Propaganda und deren Strategie der Entwertung und Verhöhnung der Gegner.

Zur berechtigten Skepsis gegenüber ukrainischer Kriegspropaganda gehört, die Hürden der UA ernst zu nehmen als Resultat der Erfolge russischer Propaganda bis tief in die europäische Sozialdemokratie hinein. Nachdem man der UA nach Kriegsbeginn noch monatelang schwere Waffen vorenthalten hat, gelangen diese immer noch verzögert an die Front. Und zäh wurde und wird über die Lieferung von Kampfflugzeugen insbesondere vom Typ F-35 diskutiert, die nun im September ankommen sollen. Die UA kämpft trotz aller Waffenlieferungen als Einzelnation ein Kaltes-Kriegs-Szenario mit handicap, mit auf den Rücken gebundenen Händen. Ihr Vorteil von Partisan*innen in den besetzten Gebieten wird von der Präsenz prorussischer Spione auf gehaltenem Land und in den eigenen Institutionen nahezu aufgehoben.

Gemessen an diesen widrigen Bedingungen ist die UA überaus erfolgreich. Am 19.6. hat die UA mit Drohnenangriffen und im Grabenkrieg 1010 russische Soldaten getötet oder schwer verwundet, 8 Panzer, 15 gepanzerte Personentransporter, 23 Artilleriesysteme, 4 MLRS, 2 Luftabwehrsysteme, einen Hubschrauber, 10 Militärdrohnen, 3 Cruise MIssiles außer Gefecht gesetzt.

Jeden Tag kommen weitere Erfolge hinzu: Die Eroberung kleiner, strategischer Höhenzüge, das Öffnen russischer Verteidigungslinien. Und jeden Tag werden neue Zeugnisse über den Zustand der russischen Verteidiger aufgedeckt: Folter und Kastration an ukrainischen Kriegsgefangenen, Alkoholabusus an der Frontlinie, Cholera. Die russische Verteidigung wird vor allem durch drei Faktoren bestimmt: die Zahl der Soldaten, die Zahl der Artilleriesysteme und die Minenfelder. Gegenüber einer derart befestigten Verteidigung ist ein Combined Arms-Ansatz hin zu einem Durchbruch mit schwerem Gerät vorerst nur bedingt erfolgreich, zumal wenn die dafür essentielle Luftwaffe veraltet und dezimiert ist. Die NATO-Armeen haben den Guerillakrieg in Afghanistan trotz modernster Waffensysteme mit Satellitenunterstützung, Drohnen und Infrarotkameras nicht gewonnen und schließlich politisch verloren. Umgekehrt hat die russische Armee in Syrien die parallelen Aufstände von Demokraten und Djihadisten mit roher Gewalt und einem Fokus auf Luftwaffe und Artillerie binnen weniger Jahre unterdrücken können.

Zweifel an militärischen Erfolgen sind daher angemessen und eine Strategie, die allein auf waffentechnologische Überlegenheit setzt, muss sich immer noch rechtfertigen.
Die ukrainische Strategie ist aber nach wie vor kein Guerillakrieg und kann eine relativ klare Trennung in Zivilist*innen und Soldaten vornehmen. Das militärische Moment besteht nicht in der Befriedung eines Gebietes, sondern in einem Abnutzungskrieg aller gegnerischen Ressourcen. Dahingehend ist die UA extrem erfolgreich. Weit hinter der Front gelingen Schläge gegen russische Trainings- und Munitionslager, gegen die militärische Führung, gegen Treibstoffdepots und Infrastruktur. Die mit einer Rakete getöteten dreihundert russischen Soldaten reduzieren die mobilen Reserven, die der Schlüssel russischer Verteidigungsringe sind, sie dämpfen die Moral russischer Truppen und Söldner erheblich – während die russischen Schläge gegen ukrainische Krankenhäuser und Zivilist*innen die Ukraine nur stärker zusammenschweißen und die Kampfmoral erhöhen.

Das Starren europäischer „Experten“ auf die Frontlinie, das Bekritteln der ukrainischen Verluste an Material sind Ausläufer von Indifferenz, von fehlender Empathie mit dem disziplinierten und vorsichtigen Vorgehen der UA. Hinzu kommen offene propagandisische Störfeuer aus den afrikanischen Staaten und aus Indien. General Gagan D. Bakshi beispielsweise bietet Indien und damit sich als „einzigen neutralen“ Vermittler in einem angeblich für beide Seiten aussichtslosen Kriegsverlauf an. Seine Strategie ist das Vorspiegeln von Objektivität durch den Eindruck einer sachlichen Analyse, die allerdings systematisch ukrainische Erfolge wie auch russische Verluste kleinredet, um ein „Unentschieden“ heraufzubeschwören. Aber auch aus Deutschland kommen wieder die „skeptische Stimmen“ zu Wort, die vor einem „Unentschieden“ warnen und denselben Verhandlungstisch heraufbeschwören, den sowohl Putin als auch die ukrainische Seite rigoros ausschließen.

Der Zermürbungskrieg wird nicht durch Geländegewinne entschieden, sondern von der Kriegsmüdigkeit Russlands. Dazu genügt es, die Offensiven der russischen Armee weiter zu frustrieren und an der Frontlinie zu knabbern, bis diese zusammenbricht. Entlang der gesamten Front einen Angriffsdruck aufrechtzuerhalten ist absolut sinnvoll, um die Überlegenheit der westlichen Artilleriesysteme und Luftabwehrsysteme voll gegen russische Bewegungen zur Stützung der Frontlinie zu nutzen.
Die Perspektive eines jahrelang mit hohem Blutzoll durchgeführten mühsamen Eroberungskrieges, bei dem Graben für Graben von immer neu aufgestockten russischen Brigaden abgerungen werden muss, ist unrealistisch, weil sie die ökonomische und politische Situation in Russland und den Wirtschaftskrieg außer Acht lässt. Eine weitere Teilmobilisierung wäre bereits ein Eingeständnis einer Niederlage, die Kriegsmaschinerie an Panzern und Artillerie ist bereits erheblich dezimiert, die Reparaturfähigkeit und Ersatz durch die Sanktionen erschwert. Steigende Kriegskosten stehen einer Reduktion der Öleinnahmen um 40% im Februar 2023 und einer Blockade von 300 Milliarden Auslandsreserven in der EU entgegen. Das negative Wirtschaftswachstum von ca. -2% ist nur scheinbar wenig, wenn die gestiegenen Kosten für Material und Sold gegengerechnet werden. Jeder Kriegstag kostet Russland etwa eine Milliarde USD.

Anstatt die sehr gut und vielfältig beratene UA unterm Mikroskop zu sezieren und zu bekritteln, vernachlässigen europäische Medien mehrere Aufgaben: Primär die russische Strategie zu analysieren und der Ukraine durch kompetente Analyse russischer Schwachstellen zuzusarbeiten, anstatt auf die UA zu schauen wie auf ein mühsam trainiertes Sportlerkind; die Lieferung von Luftwaffensystemen zu forcieren, die der Schlüssel für erfolgreiche Combined-Arms-Strategien sind; und die russische Besetzung des AKW Saporischija zu beenden, um die Drohung Russlands mit dieser „schmutzigen Bombe“ entgültig aus dem Spiel zu nehmen. Gingen anlässlich der Katastrophe in Fukushima noch zehntausende in Deutschland auf die Straße, wird eine Sprengung mehrerer AKW-Blöcke in der Ukraine offenbar achselzuckend akzeptiert. Politische Druckmittel wären auf ökonomischer Ebene weiterhin vorhanden: Ein vollständiger Boykott russischer Waren, die Einstufung eines solchen Angriffs als nukleare Kriegsführung mit entsprechender Antwort. Die Nonchalance, mit der Europa die russische Drohung mit einem solchen genozidalen, radioaktiven Angriffs toleriert, ist frappierend und beängstigend – sie fügt sich ein in ein Europa, das besinnungslos den drei bis fünf Grad Klimaerhitzung in die Arme steuert.

Die UA wird aller Wahrscheinlichkeit nach ihre militärtechnologische Überlegenheit erst mit der Ankunft der Luftwaffe voll ausspielen können. Es existiert kein Planspiel für eine Konfrontation mit Russland, in der die Luftwaffe nicht die Hauptlast trägt. Alle NATO-Interventionen basierten auf dem primären Ausspielen der luftwaffentechnologischen Überlegenheit: Ob in Jugoslawien, Afghanistan oder Libyen. Die Lieferung von Panzern ohne wenigstens eine Parität der Luftwaffe herzustellen, ist weitgehend sinnlos und geht am Grundverständnis der Notwendigkeit von Combined-Arms-Strategien vorbei. Die Ersatzstrategie ist der Verzicht auf Panzer und der Einsatz von MRAPs (minenresistente Personentransportfahrzeuge), agilen Schützenpanzern und Minenräumer in Kombination mit reichweitenstarker Artillerie. Die ukrainische Infanterie trägt daher die Hauptlast der westlichen Trägheit, die durch die Verniedlichung des russischen Angriffs zum teilbaren Landkonflikt und durch Unverständnis von Militärstrategien, für russische Waffen wie thermobarische Waffen und Folter entstanden ist.

Solidarität mit der Ukraine bedeutet, eine vollumfängliche Bewaffnung entsprechend der Szenarien des Kalten Krieges zu leisten und die Diskussion um die Notwendigkeit weiterer Waffensysteme einzustellen. Hinzu kommt, das Zusammenspiel von Propaganda und Gesellschaftsstruktur in Russland zu beleuchten. Das ukrainische Gesetz gegen Oligarchen erfährt aus Europa nicht Kritik, weil Korruptionsbekämpfung in korrupten Staaten immer zur Repression gegen politische Gegner verwendet werden kann – sondern weil die Einstufung als Oligarch auch das neoliberal-neokonservative Verständnis von wohlverdientem extremem Reichtum und rechtschaffenen Multimillionären kränkt. Anstatt die Ukraine für das Gesetz zu kritisieren, hat Europa Konzepte aufzulegen, wie künftig zunächst in den europäischen Staaten endlich ein destruktives Wirken von Extremreichen effektiv verhindern. Nur dann kann das russische Zusammenspiel von neostalinistischer Kriegsbegeisterung, neoliberaler Bereicherungstaktik von Krisen- und Kriegsgewinnlern und faschistischer Propaganda mit antisemitischen Zügen als die globale Bedrohung begriffen und bekämpft werden, die es ist.




Das Beaver-Dam-Sabotage-Movement – ein naturfeindliches Youtube-Phänomen

Millionen Aufrufe generieren Videos von forschen Männern, die Biberdämme einreißen. In Hochwasserhosen oder Gummistiefeln, mit Baggern oder Gabeln tragen sie Stück für Stück Holz vom Bau ab, bis der Bach wieder frei fließt. Manche sind neutral untertitelt, andere machen aus ihrer Abneigung gegen Biber keinen Hehl: „Beavers set me up!“ oder „Beavers should be more on the menue!“. Typische Kommentare sind „Great Job!“ und „Why don’t you use dynamite!“


Fox River Bushcraft (3340) und Gene Plumley (1370) gehören zu den eher kleineren Kanälen, während msTech86 mit 20300 Abonnenten, Terell Spivey mit 26.100 und Kenislovas mit 50300 Abonnenten bereits deutlich größere Dimensionen erreichen. Im Umfeld der Beaverdam-Removal-Videos finden sich auch Beaver-hunting-videos, in denen Amateure und professionelle Jäger sich beim Abdrücken von Bibern filmen.
Das Kuriose ist, dass sich unter den Filmen eine endlose Liste an Kommentaren findet, die das beklatschen und bejubeln. Kritische Kommentare werden mindestens im Verhältnis 10:1 überstimmt.
Europa beherbergt nach einem Tiefpunkt von 1200 Tieren in etwa acht Reliktpopulationen in ganz Eurasien heute wieder 1,2 Millionen Tiere. In ganzen Regionen gilt die Art Castor fiber noch immer als ausgerottet und Biberdämme gelten als Attraktion und besondere Sehenswürdigkeit.
Anders in Nordamerika. Dort gab es vor der Ankunft der Europäer etwa 60-400 Millionen Biber der genetisch abzugrenzenden Art Castor canadensis, die auch in Finnland und Asien eingeführt wurde und parallel zu Castor fiber Populationen bildete. Bis kurz nach der letzten Eiszeit existierten noch die bärengroßen Riesenbiber Castoroides. Heute existieren noch etwa 15 Millionen Tiere der Art castor canadensis.
Biberdämme werden teilweise über Generationen aufgebaut und gewartet, bis sie beachtliche Größen erreichen. Die Tiere passen die Höhe der Dämme an den Wasserstand an und regulieren aktiv den Wasserabfluss. Dadurch verbessern sie die Wasserretentionsfähigkeit des gesamten Bachlaufs erheblich. Lediglich Sturzfluten können die Dämme wegreißen und für erhebliche Flutwellen sorgen.
In den fast stehenden Gewässern hinter Biberdämmen vermehren sich Amphibien und Fische, Libellen und andere Wasserinsekten. Langfristig entstehen Schilfgürtel, in denen Wasservögel brüten. Die gefällten und teilweise halbgefällten Bäume liefern Totholz für Insekten. Der Stockausschlag von Weiden garantiert eine nachhaltige Nahrungsgrundlage für die Biber, die sich von Rinde, Trieben und Blättern, aber auch von Kräutern ernähren. Der Umkreis, in dem sie Bäume fällen, ist begrenzt. Allerdings plündern Biber gern auch Rüben- und Rapsfelder. An Steilufern entstehen „Biberrutschen“, die für Eisvögel interessant werden. Aus ökologischer Sicht ist der Biber einer der besten Landschaftsarchitekten und ein Großteil der wasserbasierten Artenvielfalt ist nicht nur an den Biber angepasst, sondern sogar auf ihn angewiesen.
Reale Konflikte entstehen dort, wo Obstbäume gefällt werden, wo Klärwerke, Straßen, Gleise, Brücken geflutet oder Deiche untergraben werden. In sehr seltenen Fällen ist eine Gefährdung von Orchideenstandorten durch Überflutung denkbar. Bibermanagement ist daher notwendig, und dazu gehört selten auch, einen Damm zu öffnen, Biber umzusiedeln oder zu vergrämen.
Das Publikum der Biberdammentfernungsvideos ist allerdings von Hass und Hohn für die Tiere geprägt. Sie werden als Schädlinge („varmint“, „vermin“, „parasites“) bezeichnet. Der Biberdamm repräsentiert ihnen den Triebstau, das Fließen des Flusses die Ejakulation, die braunen Biber selbst werden mit dem Fäzes gleichgesetzt. Der Biberhass kann als typisches Beispiel für eine zivilisatorische Kanalisierung sexueller Energie gelten, die aus Halbbildung geboren ist. Der Anspruch, die umgebende Natur zu kontrollieren und zu beherrschen wird durch die Präsenz eines eigenwilligen, in großem Stil wirksamen Tieres gekränkt. Mit der technologisch eher stupiden Arbeit der Öffnung von Biberdämmen kann durch einfachste Mittel ein Schwall von Selbstwirksamkeit erfahren werden, der auf das Publikum abfärbt.
Da die Zerstörung von Biberdämmen die Tiere Stress aussetzt und Prädatoren ausliefert, sind die Videos als Tierquälerei anzusehen. Zahllose an stehendes Wasser angepasste Tiere werden abgeschwemmt oder verenden im trockengelegten Land. Davon unberührt schwelgen Kommentare im „ASMR“-Moment, das Wasser wieder plätschern zu hören.


Die Entfernung des Damms gilt als Akt der Befreiung. Rationalisierungen werden stets nachgeliefert, die Videos erklären meist weder Zweck noch Inhalt der Arbeiten. Es handelt sich nicht um Bibermanagement im Sinne eines vermittelnden Naturschutzes, sondern um stupide Landschaftsgärtnerei im Auftrag von Kommunen oder Privatpersonen. Erst aus der Defensive heraus werden Argumente geliefert wie die Gewährleistung der Dränierung, die Wiedergewinnung von Ackerland, oder die beliebteste Rationalisierung überhaupt: „I just do my job, fuck you very much!“

Biberdammentfernungsvideos bewerben eine extrem zerstörerische und nur in Ausnahmefällen rational begründbare Tätigkeit als „fun“ und, heute eventuell noch wichtiger, „relaxation“: „calming to watch!“

Solche zelebrierte, als Naturliebe maskierte Naturfeindschaft verhärtet sich gegen jedes Argument. Sie ist Resultat konservativer, aber auch sozialdemokratisch-technokratischer Aufklärungsrückstände. Wo man nicht einmal eine der wichtigsten Tierarten der Welt verstanden hat, herrscht naturkundlicher Analphabetismus und dieses Nichtwissen öffnet Portale für die pathischen Projektionen auf unverstandene Natur.

Kommentare aus:
https://www.youtube.com/watch?v=UIVhMi5M_VM (Polen)


Siehe auch:
https://nichtidentisches.wordpress.com/2011/02/15/hommage-an-den-maulwurf/



Rough Music – Lina E. und der Vigilantismus gegen Nazis

Screenshot aus: Welt Nachrichtensender, 2.6.2023: https://www.youtube.com/watch?v=qitQUaecRd4.

Nach 30 Monate U-Haft erhielt Lina E. nun fünf Jahre Haft für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Der Haftbefehl wurde jedoch wegen guter Führung und langer U-Haft ausgesetzt, was auf Freigang auf Bewährung und unter Auflagen hinausläuft.
In Leipzig wurden nun auch in zweiter Instanz linke Demonstrationen gegen das Urteil verboten.
Und die Innenministerin Nancy Faeser tritt vor die Kamera und behauptet: „Wir gehen tatsächlich genauso entschieden gegen Linksextremismus wie gegen Rechtsextremismus vor.“
Die Gleichsetzung von Gewalt und Gegengewalt, die Vermischung und Verkehrung von Tätern und Opfern – das ist der Punkt, an dem das liberale Bürgertum dem Faschismus zuarbeitet.

Auch wenn die Einzelheiten des Urteils noch nicht bekannt sind, fällt an den dummdreisten Reaktionen darauf auf, dass sie einem Schritt in den Vigilantismus die Legitimität regelrecht aufzwingen. Gerade weil die Innenministerin nicht moralisch Recht und Unrecht unterscheiden kann, gerade weil die Behauptung der Gewaltfreiheit nicht im Sinne des Grundgesetzes und der durch Gewalt geborenen Demokratie ist, gerade weil das Gewaltmonopol durchaus Grundlage eines zivilisierten Miteinanders ist und gerade weil dieses Gewaltmonopol gegen Nazis nicht nur versagt, sondern von Nazis in Judikative und Exekutive durchseucht ist, ist eigentlich ein sozialwissenschaftliches Rätsel, dass so viele Antifaschist*innen nicht zum Vigilantismus schreiten. Das liegt meist daran, dass zum Einen die Angst vor einer Gegengewalt („Aufrüstungsspirale“) und einem Verlieren in den faschistisch dominierten Zonen groß ist und zum Zweiten, dass in der Linken strukturell das Gewalttabu viel stärker internalisiert wurde und jeder Bruch erheblicher Rechtfertigung bedarf.

Terry Pratchett hat eine schöne Metapher für den Vigilantismus geschaffen: Rough Music. Im vierten Band („I shall wear midnight“) der Reihe um Tiffany Aching („The wee free men“), einem der besten Werke englischsprachiger Literatur überhaupt, bringt er den Lynchmob in seiner ganzen Ambivalenz zum Klingen. Auch wenn er seine Hauptdarstellerin Tiffany Aching subversiv gegen den Lynchmob arbeiten lässt, und auch wenn er die rauen Musiker in ihrer hexenjägerischen Infamie zeichnet, blickt er dennoch wohlwollend auf das Prinzip, dass Leute kollektiv „genug haben“ und mit Waffen, die eigentlich keine Waffen sind, extremen Störungen des zivilisierten Miteinanders entgegentreten: gegen häusliche Gewalt, gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Rough Music ist die Revolte, die konformistisch, regressiv und reaktionär sein kann, aber in ihrem Prinzip eine Kulturleistung zur Emanzipation darstellt.
Ein ähnlich ambivalentes Bild des Vigilantismus entwirft Ray Abrahams in „Vigilant Citizens“. Zwar bedrohen vigilantistische Bewegungen das Gewaltmonopol und erzeugen humanitäre Krisen durch Folter und Hexenjagden, sehr häufig entstehen sie aber in Situationen eines schwachen Gewaltmonopols. Sie erodieren weniger, als dass sie Zeichen der Erosion sind: Wie die Steine, die unter dem dünnen zivilisatorischen Humus herausgewaschen werden. Zum Vorschein kommen der KuKluxKlan, rechte Todesschwadronen, Jugendbünde in Tansania, Gewerkschaften, Bürgerwehren gegen Kriminelle und Vergewaltiger – oder weitergedacht eben Sportantifas, die ihren Kietz verteidigen. Der Vigilantismus ist zwar anfällig für rechtsextreme Motive – Folter, öffentliche Erniedrigung, Todesstrafe. Er geht aber nicht darin auf.

Die Erosion oder wenigstens einen erkennbaren Rückstand des Gewaltmonopols im Kampf gegen den Faschismus einzugestehen wäre der erste Schritt ehrlicher Politik. Auch wenn man das Ausagieren von Sadismus in konkreter Gewalt des abschreckenden Zusammenschlagens von Nazis verabscheut, auch wenn der Linksextremismus von schrecklichen Ideologien befallen ist, so gehört doch zum Beweis der politischen Diskursfähigkeit dazu, in Actio und Reactio unterscheiden zu können. Wer heute Nazi wird, ist eine wandelnde Morddrohung, eine Traumamaschine für Opfer des Nationalsozialismus und Nachkommen von Opfern. Bereits der Anblick von offenen Sympathisant*innen des Rechtsterrorismus bedeutet Gewalt für die Opfer. Der Staat hat den Rechtsterrorismus aber nicht nur nicht bekämpft, sondern aufgebaut. Teilweise durch den Verfassungsschutz, teilweise durch Gerichtsurteile, teilweise durch Unterlassung und teilweise in völlig selbstverständlich empfundener Integration rechter Ideologien in den Staatsapparat. All das ist hinreichend und über Jahrzehnte hinweg wissenschaftlich und empirisch belegt: mit den Skandalen um den Verfassungsschutz, mit der NSU-Affäre, mit Nazi-Chatgruppen in Polizei und Bundeswehr, mit der Existenz von rechtsextremen Richtern, mit der schrittweise Umsetzung von rechtsradikalen Forderungen in Realpolitik durch CDU/CSU.
Wo mehrheitliche Wählerschaften Parteien wählen, die ihnen de facto den Genozid an den Außengrenzen der EU versprechen, was die Konsequenz der Politik von CDU/CSU, Freien Wählern, AFD und Teilen der FDP ist, da ist dem Faschismus inhaltlich keine Schranke gesetzt. Wer sagt, es solle Obergrenzen geben, sagt implizit, dass man alle Überzähligen zu Tode bringen wird – durch Drittstaaten, Söldner und natürliche Beschaffenheiten wie Wüsten, Meere, Flüsse, Berge, Winter. Dass diese Erosion von Zivilisation Erfolg hatte, ist Resultat des Terrors von Nazis in den 1980ern und 1990ern und einer großen Welle von Brandanschlägen und Attentaten im Jahr 2015.
Die stetigen Wahlergebnisse für die AFD und die Militanz des Rechtsextremismus vor allem in Bayern und Ostdeutschland zeigen, dass das Gewaltmonopol nicht wirkt oder nicht Willens ist. Das ist eine einfache Beobachtung. Wer das Defizit nicht erkennt und benennt, macht sich der Mittäterschaft schuldig.
Nancy Faeser setzt Linksextremismus und Rechtsextremismus gleich und behauptet in vollendeter Verkehrung der realen Verhältnisse, beide würden gleichermaßen bekämpft. So jemand sollte nicht Innenminister in einem Land sein, das den Nationalsozialismus hervorbrachte. Wer nach dem Nationalsozialismus Rechtsextremismus und Linksextremismus gleichsetzt, ist eine Gefahr für die Demokratie, weil er oder sie leugnet, dass die Demokratie in einem Akt der Gewalt gegen den Faschismus und in den Antifaschistischen Aktionsausschüssen geboren wurde, die in der Übergangszeit die Entnazifizierung organisierten. Wenn SPD-Politiker*innen vergessen, dass 1949 SPD-Politiker den Nazi Wolfgang Hedler aus dem Bundestag prügelten, denselben Wolfgang Hedler, den in die Bundesrepublik übergetretene Nazirichter vom Vorwurf der „Beleidigung des Andenkens Verstorbener“ freisprachen, wenn sie den Antifaschisten Willy Brand und den Nazi Kurt Georg Kiesinger nicht auseinanderhalten können, wenn sie ihre eigenen antifaschistischen Kampfbünde vergessen, die Gewalt gegen Faschisten aus blankem Überlebenswillen konspirativ planen und organisieren mussten, wenn sie das Prinzip der richtigen Gewalt gegen Nazis verleugnen, wenn sie nicht wahrhaben wollen, dass die einen nicht genug bekommen können von Gewalt, während die anderen einfach genug davon haben und deshalb zur Gegengewalt schreiten, produzieren sie einen Treibsand aus Kitsch und Lügen, in dem zuallererst die politische Mündigkeit ertrinkt.




Der Krieg gegen die Grünen

Die rechtsextreme AFD steigt mit 17-18% in den Umfrageergebnissen zur drittstärksten Partei auf und wird in absehbarer Zeit in ostdeutschen Bundesländern als stärkste Partei Regierungen bilden können. Mit dem Schritt der CDU/CSU zurück in den offenen Rechtspopulismus lässt sich der rechte Block aus AFD, CDUCSU und FDP, regional auch Freie Wähler, nur noch als arbeitsteilige Maschine begreifen, deren Hauptmedien Bild, Welt und Focus darstellen. Diese Maschine hat als einzigen Gegner die Grünen gewählt, gegen die 90% ihrer Propaganda fabriziert werden. SPD und Linke sehen ihren Hauptkonkurrenten ebenfalls bei den Grünen und stimmen teilweise baugleich in die Kakophonie ein. Begleitet wird die Kampagne zur Schwächung der Grünen von einem journalistischen Totalversagen zwischen notorisch gutgelaunter Radiomoderation, hochdotierten Talkshows und Presse.
Diese Kampagne lässt sich nicht wieder abstellen oder einfangen, weil die Erosion an politischem Bewusstsein irreversibel ist.
Die Entkoppelung konservativer Propaganda von Wahrheit ist in Deutschland nicht neu. Jedoch waren Ökologie und andere Wissenschaften nie in derartiger Form und von einem derart breiten Parteienbündnis zum alleinigen Feind erklärt worden. Weil Wissenschaft Vernunft symbolisiert, und weil die Grünen als letzte Partei den Anspruch vertreten, wissenschaftsgeleitete Politik zu machen, stehen sie der gesellschaftlichen Regression in den klimapolitischen Todeskult bürgerlicher Gesellschaften im Weg.
Es wäre zu einfach, die Öl- und Gaslobby dafür verantwortlich zu machen, und es wäre falsch, das nicht zu tun. Der rechte Block steht für Korruption und ist abhängig von fossilem Kapital. Er ist aber nicht nur abhängig, sondern sexuell identifiziert mit den fossilen Energien, weil sie Regression und Golden Age Syndrome erlauben. Autos und Ölheizungen bedeuten einer alterndern Gesellschaft eine Möglichkeit, das Altern zu verdrängen. Fortschritt bedeutet den Tod. Aller technologischer Fortschritt war unterm konservativen Diktat nur ein Brummkreiseln um die Öllampe.
Und so wird dann von Habeck das „Lebenswerk“ von Rentnern zerstört, weil deren Lebenswerk offenbar aus einer 40 Jahre alten Ölheizung im Keller besteht.


Was aber treibt SPD, Linke und Gewerkschaften dazu, beim Kesseltreiben gegen die Grünen mitzumachen? An der grünen Politik selbst kann es nicht liegen. Sie ist wirtschaftsliberal, konservativ und an jeder Stelle rennt man noch den erbittertsten Feinden mit ausgestreckten Händen und hinterher bejubelten Kompromissen hinterher. Zwar ist sie die Partei, die Klimaschutz ernster nimmt, als andere Parteien, aber ihre politischen Forderungen sind weit entfernt von dem, was Klimaschutz bedeuten würde.
Die SPD sieht in den Grünen weniger inhaltlich als parteiökonomisch eine Konkurrenz, die ihr regelmäßig den Rang abzulaufen droht und in immer mehr SPD-Städten zur stärksten Kraft aufsteigt. Die Linke sieht in den Grünen hingegen inhaltlich eine Feindin, weil die Grünen das vertreten, was die Linke nie geschafft hat: Eine antifaschistische Politik und damit eine Politik, die den Pazifismus als Helfershelfer von Genoziden erkannt und demontiert hat. Die Linke ist zudem noch aus Sowjetzeiten von russischer Propaganda durchseucht und im Osten sieht sie noch signifikante Wählerpotentiale bei den letzten Kohlearbeiter*innen. Daher verbreitet sie zu Russland und Klimaschutz baugleiche Propaganda wie ihre russlandpolitische Schwesterpartei, die AFD. Parteiübergreifend trichtert man einer ohnehin egoistischen Gesellschaft ein, dass Klimaschutz „sozial verträglich“ sein müsse und allenfalls individuellen, freiwilligen Verzicht, nie aber Verbote oder Preisverschiebungen bedeuten soll. Es läuft in dieser Propaganda darauf hinaus, dass kein Klimaschutz notwendig ist und dass er allen zahlreichen geschmäcklerischen Pläsierchen von Currywurst zum Frühstück bis zum angenehm-archaischen Blubbern der Starkmotoren absolut untergeordnet bleiben soll. Mit der geschlossenen Wendung aller anderen Parteien gegen das Gesetz werden die Grünen zur Partei, die DAS Gesetz vertritt, oder in einem anderen Wort: das Verbot. Der Aufstand gegen das Verbot als Prinzip von Zivilisation nützt den Feinden der Zivilisation, die vor allem das zentralste aller Verbote aushöhlen wollen: Das Tötungsverbot. Zwangsläufig profitiert die AFD von der Propaganda der anderen Parteien, wo diese die künstliche Steigerung des ohnehin extremen Egoismus, den Abbau von Empathie insbesondere für regional oder zeitlich ferne Personen („Ausländer“ und Kinder anderer Menschen) zum Ziel hat und letztlich den an Natur und Drittstaaten deligierten Genozid an Geflüchteten bewirbt.
Solche Propaganda ist im Kern faschistische Propaganda. Sie zielt auf Vernunft ab, weil Vernunft Zweifel bedeutet und mit richtigem Schließen die manipulativen Fehlschlüsse aufdecken kann. Sie zielt auf Wissenschaft ab, weil Wissenschaft Bildung und Wahrheit repräsentiert und beide sind Hemmnisse für den Erfolg der Lügenkabinette, in denen die klimafeindlichen Mehrheitsparteien sich aufhalten. Sie zielt auf Empathie ab, weil Empathie Solidarität erzeugt und Solidarität nicht nur geschäftsschädigend ist, sondern auch ein Menschenbild beinhaltet, das grundverschieden ist vom konservativen Ideal der Einfamilienhausburg von konkurrierenden, allenfalls durch Kirchenchöre und Alkoholismus organisierten Individuen.

Hatte die Adenauerstiftung schon 1998 vor dem grünen „Vampir an der Zapfsäule“ gewarnt, so bewegt sich die antigrüne Propaganda zielsicher zum Antisemitismus, bei dem sich Elsässers Compact-Magazin schon längst bedient: Mit dem grünen Dolchstoß oder der grünen Geldmacherei, der grünen Verschwörung hinterm IPCC, den sexuell umgepolten und verführten Kindern, den entmännlichten Männern und den entweiblichten Frauen. In den Handwerkerforen wird bei jedwedem Problem von Fehlerstrom bis Stagnationswasser ein Rene oder Markus sich finden, der es auf die Grünen zurückführt. Und wenn die Grünen erst an allem schuld sind, ist der logische Schritt, dass sie auch an der Klimakatastrophe schuld sind. Daher wird das Fortschreiten der Klimakatastrophe auch nicht zu einem Erstarken der Grünen führen, sondern zu ihrer umso erbitterteren Bekämpfung.

Der antigrüne Krieg, den die Parteien mit ihren medialen Verstärkern ausgerufen haben, geht mit einer vollständigen Indifferenz gegenüber dem Erstarken der AFD und dem rechten Terrorismus einher, als gebe es ein akzeptables Maß an Rechtsradikalismus, das unbedenklich sei. Das zwangsläufige Ende einer solchen Politik ist die Aushöhlung der Demokratie und das Ende der Möglichkeit der Erziehung zur Mündigkeit.

Ukrainische Kriegspropaganda und ihre Rationalität

„Strike the occupier! Let’s win together! Our strength is in the truth!“

Ministry of Defence, Ukraine

Die Diskrepanz zwischen dem Optimismus der proukrainischen Militärkommentare und offiziellen Nachrichten von der Front und den Kartenwerken von UA-Maps scheint erschütternd. Auf Youtube, Twitter und Tiktok täuschen die Algorithmen vor dass die ukrainische Armee permanent russische Schützengräben räumt, mit Drohnen Granaten zielgenau in russische Panzer versenkt und selbst kaum Verluste hat. Es scheint auch offizielle Linie der ukrainischen Armee zu sein, keinerlei negative Meldungen und keine für die russische Armee nutzbaren Informationen zuzulassen. Reportagen aus den Schützengräben zeigen motivierte Soldat*innen, die ihren Gegnern zwar verletzlich, aber heroisch gegenüberstehen. Hier die kühl planenden Landesverteidiger mit klug angewendeten modernen Waffensystemen, dort die ausgehungerten, schlecht schießenden, aus den Gefängnissen geholten Söldner und Infanteristen mit uralten Waffen und Panzern aus dem zweiten Weltkrieg. Es ist, als wäre der Fog of War selbst getarnt worden als permanente Berichterstattung direkt von den Fronten: Über Bodycams, Dronen und Handykameras von Soldaten, deren Aufnahmen allerdings penibel selektiert werden.

Auf dem Kartenwerk, das aus Meldungen zusammengebastelt wird, wird jedoch die Intensität russischen Artilleriebeschusses, russischer Angriffe mit Infanterie und die Realität relativ statischer Frontlinien deutlich. 20.000 Stück Artilleriemunition pro Tag verschwendete die russische Armee auf den Beschuss im November, die Nachrichtenkartenseite https://liveuamap.com/ listet tägliche Angriffe durch Artilleriebeschuss entlang der gesamten Front auf. Auch wenn dieser Beschuss den NATO-Präzisionswaffen weit unterlegen ist, muss er doch einen hohen Blutzoll fordern und den psychischen Terror erhöhen. Vier Smertsch-Raketenwerfer können aus bis zu 120km Entfernung in wenigen Sekunden einen knappen Quadratkilometer eindecken. Von einer lernfähigen Armee eingesetzt könnte der noch fahrbereite russische Militärpark trotz erheblicher Verluste noch gigantische Schäden anrichten. Und auch die unintelligente, auf Terror und eugenisches Menschenopfer von Strafgefangenen und ethnischen Minderheiten setzende Strategie konnte bislang einen größeren Durchbruch verhindern und die Ukraine trotz anrollender Militärmaschinerie zum Aushalten zwingen.


Während die zivilen Opfer von russischem Raketenterror gemeldet werden, hält sich die Ukrainische Armee aus nachvollziehbaren Gründen bedeckt über militärische Opfer. Aus gigantischen Explosionen im ukrainischen Gebiet zu schließen, trafen russische Luftschläge vor einer Woche offenbar große Munitionsdepots. Russische Spionage in den ukrainischen Gebieten, Satelliten, sowie die Folter gefangener Soldaten sind erwartbare Faktoren, die die Treffsicherheit russischer Raketen erklären.
Kaum denkbar ist, dass die Ukrainische Armee den Beschuss durch Russland nur aushält, um in Ruhe den Gegenangriff aufzubauen. Realistischer ist die Annahme, dass die Kapazitäten zur Gegenwehr schlicht noch nicht vorhanden sind und dass die russischen Angriffe mit einigen kritischen Schlägen den Gegenangriff verzögern konnten.

Die Strategie der ukrainischen Propaganda, eigene Verluste zu beschweigen und die unter den ukrainischen Geflüchteten beobachtbare Disziplin beim Bewahren von Diskretion über das Frontgeschehen, sind rational. Die Brüchigkeit der Solidarität zentraler NATO-Staaten wie Deutschland ist in der Ukraine schmerzhaft bekannt. Anstatt das Land nach der Invasion der Krim und des Donbass 2014 auf einen weiteren Schlag vorzubereiten und angemessen aufzurüsten, führten acht Jahre lang verbummelte Diskussionen zu monatelanger Verzögerung von Waffenlieferungen. Wieder einmal, denn als der IS 2014 Sindschar eroberte und Massaker an den ezidischen Kurden organisierte, diskutierte ausgerechnet Deutschland monatelang darüber, ob man Menschen militärisch helfen darf, die genozidaler Gewalt ausgesetzt sind. Geliefert wurden am Ende ein paar ausgemusterte Militärfahrzeuge und Waffen – jedoch nicht an die Selbstverteidigungseinheiten oder an die YPG und PKK, die den esidischen Kurden als Einzige beistanden, sondern an die konkurrierenden Peschmerga. Dass Waffen „in falsche Hände“ geraten könnten, wurde im Falle des permanenten Terrors des türkischen NATO-Partners gegen esidisch-kurdische Selbstverteidigungsgruppen beflissentlich ignoriert.

Und 2022 wurde in Deutschland erneut monatelang diskutiert, ob man einem Land Waffen liefern kann, das von einem jüdischen, liberalen Präsidenten geführt wird und Opfer dreier Überfälle wurde: zunächst durch die stalinistischen Sowjets, dann durch die Nazis, dann durch das neozaristische Russland unter Putin.
Die harte Arbeit, die ukrainische Botschafter und die Regierung Selenskyj leisten mussten, um nach einem halben Jahr erste einigermaßen hinreichende Zusagen für die Lieferung schwerer moderner Waffensysteme zu erhalten, sowie die Weigerung der Schweiz, essentielle Panzermunition zu liefern, machten unmissverständlich klar, dass nicht wenige NATO-Länder einer russischen Verhandlungsofferte mit signifikanten Gebietsverlusten für die Ukraine nur zu gern gefolgt wären, allein um weiter in Trägheit schlummern zu dürfen. Es durfte für den Westen keine Zweifel an einem Sieg der Ukraine geben. Die Kriegspropaganda der Ukraine hat daher zunächst drei rationale Ziele: Die Moral der eigenen Truppen und Bevölkerung unter dem Terror gegen die Zivilbevölkerung und angesichts der zeitweise hohen Verluste aufrecht zu erhalten, der russischen Feindaufklärung so viele Informationen wie möglich vorzuenthalten und die NATO-Länder bei der Stange zu halten.

Nach den großen Geländegewinnen in der Gegenoffensive 2022 warteten nun alle Seiten auf eine Wiederholung des Erfolges. Dass dieser sich noch hinauszögert, ist zunächst durch Verluste erklärbar. Zwar gab es kaum Verluste an NATO-Waffensystemen, aber die Verluste an erfahrenen Soldaten vor allem in der Schlacht um Bachmut müssen erheblich gewesen sein. Bakhmut erhielt die Funktion, die russischen Truppen auszubluten. Der Preis dafür war jedoch zu hoch, um das als souveräne Strategie aus einer überlegenen Position heraus zu erklären. Die Notwendigkeit einer derartig hingezogenen Schwächung russischer Truppen verwies auf die eigene Schwäche und den Zwang zu einem solchen Vorgehen. Dass die ukrainische Armee mit der Eroberung der Höhenzüge nun einen Kessel herstellt, ist zwar ein erster Schritt, jedoch bleibt das Rückgrat der russischen Strategie der Artilleriebeschuss und der Raketenterror aus dem sicheren Hinterland des Krieges, während die teilweise von Lohnunternehmen ausgehobenen Schützengräben mit Rekruten aufgefüllt werden, die von der ukrainischen Armee unter hohem Aufwand von Munition nach dem immer gleichen Ablauf getötet werden: Drohnenaufklärung, Artilleriefeuer und Mörser (softening up), nach Möglichkeit Anrücken im Schutz von Schützenpanzern und Panzern, Vorrücken unter suppressive Fire und letztlich die vermutlich am wenigsten veränderte Technologie seit dem zweiten Weltkrieg, die in Gräben und Erdlöcher geworfene Handgranate.

Das zweite, rationale strategische Element einer Konzentration auf Bachmut ist offensichtlich: eine Verlegung russischer Truppen aus den Verteidigungslinien am Dnipro um Saporischschja zu erzwingen. Das dritte wurde von Militärkommentatoren häufig vernachlässigt: Russland den Propagandaerfolg zu verweigern. Die ukrainische Regierung weiß, wie essentiell Propaganda für das System Putin ist und da diese Propaganda sich auf Bachmut kaprizierte, musste die Ukraine dort reagieren, obwohl der militärische Wert der nunmehr ohnehin zerstörten Stadt zweifelhaft war.

Ein durchaus genialer Schachzug ist nun, der „Legion freies Russland“ und dem „Russischen Freiwilligenkorps“ in der ukrainischen Armee ausreichend Material für einen Aufstand auf russischem Gebiet in Belgorod zur Verfügung stellen. So wird die russische Strategie solcher „Aufstände“ russischer Staatsbürger ad absurdum geführt und die Russifizierungspolitik Russlands wird endlich gegen Russland selbst gewendet.

In den besetzten ukrainischen Gebieten wurde schließlich mit Dekret vom 23.4. die russische Staatsbürgerschaft zur Pflicht: Wer sie nicht annimmt, wird mit der Deportation als feindliches Element bedroht. Die Politik der Russifizierung, der zynischen Verschickung von Menschenmassen zur Herstellung von loyalen Mehrheiten wurde vom Zarismus in den Stalinismus übernommen und ist weiter prägendes Element der russischen Expansionspolitik. Sie ist auch der Grund, warum die baltischen Staaten und die Ukraine Strategien zur Klärung der Loyalität der dorthin verbrachten russischsprachigen Gesellschaftsteile entwerfen mussten. In Lettland wandte sich die Mehrheit der Bevölkerung gegen Russisch als zweite Amtssprache, in Estland blickt man misstrauisch auf die russisch dominierten Orte im Osten und überall werden sowjetische Kriegsdenkmäler mal aus nachvollziehbaren Motiven, mal aus Revisionismus geschliffen. Mit Antifaschismus hatte die Sowjetunion nichts mehr gemein, die Aufarbeitung des Holocaust wurde von ihr aktiv sabotiert und verhindert, und vor allem in Polen sogar offener Antisemitismus gegen „zionistische Elemente“ geschürt.

Die historische Erfahrung mit der Russifizierungspolitik in Estland, Lettland, Georgien, Donbass und Krim ist eindeutig: Russland hat und wird seine Staatsangehörigen mittels Sprachpolitik und Propaganda nutzen, um Einfluss auszuüben oder territoriale Ansprüche durchzusetzen. In Deutschland waren und sind russischsprachige Individuen und Vereine das Ziel einer aggressiven Propaganda, die sowjetische Propagandastrategien übernommen und weiterentwickelt hat. Das Bandwagon-Element von Propaganda erwies sich dabei als Rückgrat: Alle Russen müssen für Putin sein, oder zumindest gegen den homosexuellen, liberalen, verweichlichten, faschistischen, zionistischen Westen. Russifizierung als essentiellen Teil der russischen Kriegsökonomie zu unterhöhlen und zumindest potentiell in einem symbolischen Aufstand gegen Russland zu wenden ist eine gelungene und progressive Antwort auf die Russifizierungspolitik. Sie ist nicht nur ein Signal an Russlands Regierung und Opposition, sondern auch an die eigenen Gesellschaften: Es darf keine Vereinheitlichung des Gegners geben, es gibt eine russische Pluralität, es gibt eine russische Opposition gegen Putin und die russische Minderheit ist nicht nur bedrohlich, sondern eine Chance auf ein freies Russland.
Das Narrativ eines Zerfalls des durch Militarismus bis in die Kindergärten, Geschichtsmythen, Zentralisierung, Paranoia, Suprematismus und auf den Mord als Mittel der Politik trainierten und somit faschisierten Russlands erhält mit der Initiative in Belgorod einen Testballon, der die interne Schwäche Russlands sichtbar macht. Die Evakuierung russischer Bürger*innen von der entstandenen Front trägt dazu bei, die russische Kriegsmoral entscheidend zu unterminieren und Putins Paranoia zu steigern.

Wer ist da nun mit dem Material der ukrainischen Armee einmarschiert? Während die „Freedom for Russia Legion“ aus russischen Deserteuren und Kriegsgegnern zu bestehen vorgibt, deren weiß-blau-weiße Flagge sie trägt, ist die RVC rechtsextrem. Der Anführer der RVC, Denis Nikitin, kann als Nazi-Hooligan gelten, der seine Abneigung gegen den „zu liberalen“ jüdischen Senenskyj seiner Abneigung gegen Putin unterordnet.
Die ukrainische Gesellschaft indes hat einen im europäischen Vergleich eher niedrigen Anteil rechtsextremer Gruppen, die sich aber durch die Invasion mit bürgerlichen Nationalisten verbünden konnten und die – in die Armee integriert – weitgehend einer ans Völkerrecht gebundenen Kriegsdisziplin unterworfen bleiben. Der Krieg hat den internationalen Faschismus in zwei Lager geteilt. Die Neofaschisten traditioneller Prägung, sprich Nazis z.B. des Dritten Wegs, tendieren zur Unterstützung der Ukraine, insbesondere des Asov-Batallions und der Kraken-Einheit. Der größte Teil des politisch harten Kerns der dort organisierten Rechtsextremen dürfte allerdings inzwischen gefallen sein, die Einheiten unterlagen seit Beginn des Krieges im Donbass 2014 einer Umstrukturierung und einem weitgehenden Austausch der Kämpfer.
Die bürgerlich-konservativen Faschisten vom Stil der AFD, aber auch Banden wie die Night Wolves, rechtsextreme Söldner und russische, syrische und südamerikanische Nazis unterstützen Russland.
Während jedoch linke und anarchistische Gruppen für die Ukraine kämpfen, gibt es keine antifaschistischen Truppen auf Seiten Russlands.

Die traditionell von sowjetischer Propaganda infiltrierten Teile der traditionellen westlichen Linken nehmen nicht an den Kämpfen teil, reproduzieren aber die russische Propaganda mit ihrem Hauptelement der Rückprojektion: Aus der Ukraine werden angreifende Nazis im Dienst der NATO, aus den russischen Invasoren antifaschistische Verteidiger des großen, vaterländischen Krieges. Die in der Linken immer noch weit verbreiteten Verschwörungstheorien und Mythen über die Jugoslawienkriege belegten die Anfälligkeit der Linken für ein propagandistisches Reenactment der Täter-Opfer-Positionen des zweiten Weltkrieges und die Erleichterung von intellektueller Arbeit, die eine solche fälschende Wahrnehmung von Konflikten verschafft. Dazu zählen im globalen Kontext auch Länder wie Brasilien unter dem linken Antiimperialisten Lula oder Südafrikas ANC, der ebenfalls historische Gemengelagen mit aktuellen Konfliktlinien verwechselt und sich als Revanche für die Unterstützung der südafrikanischen antirassisischen Kämpfer durch die Sowjetunion eindeutig auf die Seite Russlands geschlagen hat. Gegen die vorgeschützte, zwischen zwei Übeln angeblich differenzierend abwägende, in Wahrheit russlandtreue linke Position, und gegen die unentschlossenen, abwartenden Staaten und Parteien muss die ukrainische Position den Kriegserfolg zumindest in der Propaganda vorantreiben, um keinen Zweifel am weiteren Kriegsverlauf zu lassen.







Zur Absetzung des Panels „Moderne Hexenjagden“ auf dem Freiburger Filmforum 2023

Auf dem Freiburger Filmforum 2023 sollte der Film „Ordalies“ aus Brazzaville gezeigt werden. Der sehenswerte Film folgt einer Gruppe von selbsternannten Friedensrichtern, die Hexereianklagen verhandeln, um diese friedlich zu verregeln.
Der Organisator des Panels lud mich ein, mit zwei weiteren Personen auf einem eigens für den Film geschaffenen Panel „Moderne Hexenjagden“ zu sprechen. Eingeladen wurde ebenfalls David Signer, der ein Buch über Hexereivorstellungen in Westafrika geschrieben hat. Auch wenn ich mit David Signer an wesentlichen Punkten nicht einig bin, konnte ich mir eine Diskussion vorstellen. Der Organisator versuchte in mehreren Anläufen, entweder Betroffene oder schwarze Aktivist*innen für das Panel zu gewinnen. Ich konnte ihm den Kontakt mit Leo Igwe, einem der renommiertesten Aktivisten für Hexenjagdopfer, vermitteln und er sagte eine Teilnahme per Online-Panel zu. Das Budget und der begrenzte Zeitumfang begrenzten die Zahl der Referent*innen.

Eine Woche vor der Veranstaltung wurde das Panel nach einer Diskussion im Team abgesagt. Die genauen Gründe sind mir nicht bekannt, es ist jedoch klar, dass das Thema Hexenjagden in Afrika ein Problem war und der Wunsch im Raum stand, das Thema nur von Menschen aus Afrika besprechen zu lassen. Im Gegensatz zum Statement, Leo Igwe sei ein akzeptabler Referent gegen den im Team nichts spreche, wurde auch er ausgeladen.

Ich wurde kurze Zeit später von der NZZ angesprochen, ob ich Fragen zum Vorgang beantworten könne. Die Neue Züricher Zeitung ist durchaus eine Qualitätszeitung, jedoch mit eindeutig rechtspopulistischer Agenda und klarer Ausrichtung auf ein rechtsliberales FDP-Publikum mit klaren Übergängen zur AFD. Es ist, kurzum, eine Zeitung, die ich boykottiere. Ich war jedoch damit konfrontiert, dass die Zeitung ohnehin den Vorgang ausschlachten kann und habe mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, wie folgt ausführlich zu antworten. Diese Antwort möchte ich öffentlich machen, um einer erwartbaren Verkürzung entgegenzutreten.

„Ich bedaure die kurzfristige Entscheidung des Teams des Freiburger Filmforums, da die Veranstaltung die Möglichkeit geboten hätte, ein globales Problem und dessen Opfer sichtbar zu machen und qualifiziert mit Fachleuten zu diskutieren. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass das Thema Hexenjagden einige Studierende erstmal überfordert. Es ist eine komplexe Aufgabe, das Phänomen in einer extrem konservativen, von rechter Propaganda durchseuchten Gesellschaft zu thematisieren. Hexereivorstellungen lassen sich nur mit erheblichem Lektüreaufwand und entsprechendem Rüstzeug aus empirischem Wissen, Psychoanalyse und Kritischer Theorie angemessen bearbeiten. Während meiner Forschung habe ich auch von bürgerlichen Professor*innen genug Ressentiments und Widerstände gegen das Thema erlebt. Daher hatte ich auch keine Chance, das Thema an Universitäten weiter zu beforschen. Das ist nichts Persönliches: Es gibt bundesweit keine einzige dauerhafte Stelle für moderne Hexenjagdforschung. Deshalb ist der Ausschluss auch nichts Neues für mich.
Das letzte, was die christkonservative Gesellschaft hören will, ist, dass kein intellektueller oder moralischer Unterschied besteht zwischen einem Jesus, der übers Wasser läuft und einer Hexe, die durch die Luft fliegt. Oder zwischen einer armen Gesellschaft, die Menschen als Hexen lyncht und einer immens reichen Gesellschaft, die Ertrinkende zurück ins Mittelmeer schubst.
Und auf Seiten des linken Kulturalismus vertritt man die Ansicht, dass sich die Religion der „Anderen“ nicht kritisieren lässt, solange vor der eigenen Tür genug Dreck liegt. Der entscheidende Unterschied zwischen linken und rechten Kulturalisten ist dabei, das es den linken wenigstens nicht um die bornierte Verteidigung der eigenen Religion und Kultur vor Kritik geht.  
Nicht zuletzt liefern die Institute der Ethnologie den Studierenden nicht das notwendige theoretische Rüstzeug, komplexe Konflikte in anderen Gesellschaften zu bearbeiten. Der Trend geht ganz im Sinne des Konservativismus zu konfliktfreien Gefälligkeitsthemen, die niemanden verschrecken: Esskultur, Tattoos, Filme oder Tourismus. Mit Praxis und Interventionen will man nichts zu tun haben. In diesem bräsigen Klima überreagieren manche Menschen dann eben aus Überforderung heraus oder sie sind noch etwas ungelenk in ihrer Kritik und treffen daneben. Die sind mir oft lieber als die Mitmacher und ich sehe es als „friendly fire“, wenn es mich trifft.
Die Leute im Team konnten sich offenbar aus der schlechten Erfahrung an Universitäten heraus gar nicht vorstellen, dass die drei Eingeladenen sachlich diskutieren und den Horizont der Anwesenden erweitern. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass man Erwartungen und Ängste vorab mit mir diskutiert. Es wäre sicher hilfreich gewesen, wenn man Experten und Aktivist*innen aus Indien oder Papua-Neuguinea mitsamt Übersetzern hätte hinzuziehen können. Es gab Versuche dazu und ich habe erfolgreich den Kontakt zu Dr. Leo Igwe aus Nigeria vermittelt. Für mehr fehlten der Moderation des Panels aber schlichtweg die Mittel und die Zeit.“

Boris Palmer und das N-Wort – eine differenzierte Verurteilung

Boris Palmer fiel auf der Konferenz „Migration steuern“ zweimal auf: Einmal vor der Veranstaltung, einmal auf der Bühne. Vor der Veranstaltung meinte er, man würde ihm den „Judenstern anheften“, wenn man ihn als Nazi bezeichne. Eine klassische Täter-Opfer-Verkehrung. Wer als Nazi bezeichnet wird, kann nicht nur gerichtlich wegen „Beleidigung“ dagegen vorgehen und hat häufig Erfolg, er kann auch z.B. Innenminister oder Abgeordneter bleiben oder eben Oberbürgermeister von Tübingen. In keinem Fall muss man befürchten, in ein KZ verbracht und zu Tode gehungert oder anderweitig ermordet zu werden.
Palmer hat sich hier auf Kosten von jüdischen Opfer als Opfer inszeniert und die antisemitische Verfolgung trivialisiert.

Auf der Veranstaltung verteidigte er sein „Recht“, das Wort „Neger“ im Zitat zu verwenden und in der Folge sprach er es fünfmal in kurzer Zeit aus. Seine Rechtfertigung: Es sei wichtig, ob man es „im Kontext“ verwende, also etwa in einer Diskussion darum, ob man „Südseekönig“ oder „Negerkönig“ schreibe. Er gesteht zu, dass das Wort einer Person gegenüber eine Beleidigung sei.

Die wissenschaftliche Zitation ist kein Recht, sondern eine Pflicht. Wer in historischen Quellen ein „N-Wort“ einfügt, verändert die Quelle. Das ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Wer sich mit Propaganda und zumal rassistischer Propaganda befasst, wird auf zahllose verletzende Begriffe und aggressive Sprache stoßen. Von „Kakerlaken“ und „Maggots“, über „Youn“, „Untermensch“ oder „chink“ hin zu „Judensau“ und „Judenschweine“. „Hohe Bäume“ war das Codewort für die Opfergruppe der Tutsi in Rwanda und würde heute ein Radiobeitrag dazu auffordern, die „hohen Bäume“ zu fällen, würde dies unmissverständlich als Aufforderung zum Genozid gelten. Für Opfer von Diskriminierung und Verfolgung kann die Nennung solcher Begriffe retraumatisierend wirken.

Propagandaforschung aber muss rassistische Sprache im Rohzustand zitieren, gerade weil sie verletzend ist, und ihre Charakteristik und Strategie im Detail erforschen. Hier können wir nicht oder nur in Ausnahmefällen auf die individuelle Traumatisierung Rücksicht nehmen, weil es einen erheblichen Unterschied macht, welches spezifische Wort verwendet wurde.

So existieren zwei Begriffe, die mit „N“ beginnen, nämlich der von Beginn an rassistische Begriff „Nigger“ und das zur gleichen Zeit als politisch korrekt eingeforderte Wort „Negro“ oder auf deutsch: „Neger“. In der Quellenarbeit und Quellendiskussion ist unabdingbar, diese Differenzierung im Zitat kenntlich zu machen. Ein Beispiel dafür ist Karl Marx, der sich sowohl politisch gegen die Sklaverei engagierte und in seinen Publikationen das von ihm in seiner Zeit als politisch korrekt erkannte Wort „Neger“ verwendete, dann aber in Briefen Lasalle als „jüdischen Nigger“ beschimpfte, sein ganzes Aussehen hätte „etwas niggerhaftes“. Er selbst wurde wiederum aufgrund seiner tiefschwarzen Haare als „Mohr“ bezeichnet. Alle diese Begriffe sind heute Beleidigungen und von der Hautfarbe ist prinzipiell als Merkmal abzusehen. Wo sie tatsächlich, z.B. in der Hautmedizin bei der Vorsorge gegen Hautkrebs oder Vitamin-D-Mangel, relevant ist, hat sich der Begriff „schwarz“ eingebürgert.

Auch innerhalb des schwarzen, amerikanischen Slangs wurde diese Unterscheidung getroffen, auch wenn der Begriff „Nigger“ dort als Selbstbezeichnung in vermeintlich emanzipatorischer Praxis verwendet wird. Wer sich die konkrete Verwendung ansieht, wird unschwer erkennen, dass es mit der „emanzipatorischen Aneignung“ nicht weit her ist, und dass seine Verwendung innerhalb schwarzen communities von kollektiver Abwertung und internalisiertem Rassismus durchdrungen ist. „Black“ ist auch dort zum akzeptierten Begriff geworden, wohl wissend, dass er nicht die reale Hautfarbe beschreibt, sondern politisch bleibt.

Boris Palmer ist aber gewiss kein Propagandaforscher. Er schrieb 2016 in einem Beitrag „Mohrenkopf“ ohne Anführungszeichen, weil er einforderte, dass die Süßspeise so heißen dürfen muss. Er zitiert auch Astrid Lindgren nicht, um die Umschreibung des Buchs zu fordern, die Herausnahme von Begriffen, sondern weil er möchte, dass da weiter Begriffe stehen, die bereits bei Astrid Lindgren in einem rassistischen Kontext stehen, den ich an anderer Stelle ausführlich erläutert habe. So ist die Imagination eines weißen Königs, der einer schwarzen Inselgesellschaft „Ordnung“ beibringt, rassistisch, ob er jetzt Südseekönig oder „Negerkönig“ genannt wird und ebenso verletzend ist Pippi Langstrumpfs Wunsch, von einem „eigenen“ schwarzen Diener von oben bis unten mit Schuhcreme eingerieben zu werden. Weder mit solchen Fantasien noch mit rassistischen Begriffen sollten schwarze Kinder beim Vorlesen vergnüglicher Abenteuer konfrontiert werden, und weiße Kinder sollten tunlichst nicht daran gewöhnt werden.

Kurz: Eine Zitation, die eindeutig der Abschaffung der alltäglichen Verwendung der Begriffe dient, ist nicht nur zulässig, sondern als wissenschaftliche vorgeschrieben. Wer wie Boris Palmer zitiert, um möglichst oft diese Begriffe „legal“ zu verwenden oder wer sich wie Boris Palmer für ihre Weiterverwendung im populären Diskurs einsetzt, ist eben Rassist. Er hat völlig recht, dass es auf den „Kontext“ ankommt. Sein „Kontext“ ist aber aufgrund seines bisherigen „Engagements“ ein rassistischer.

Umso bedenklicher ist, dass er von Prof. Dr. Susanne Schröter eingeladen wurde. Schröter hatte zuvor für die rechte Denkfabrik R21 bereits die Konferenz „Wokes Deutschland – Identitätspolitik als Bedrohung“ durchgeführt. Nicht nur war die Wahl der Sprecher*innen klar rechtslastig und nicht an wissenschaftlicher Qualifikation orientiert. Die Referentin Kristina Schröder verstieg sich dort zu der Behauptung: „Ich glaube, dass die woke Bewegung gerade die größte Gefahr für unsere Gesellschaft darstellt.“ Auch dies ist eine eklatante Täter-Opfer-Verkehrung, die den täglichen Terror durch Rechtsextremisten verharmlost. Das Engagement gegen „woke Sprechverbote“ musste von Menschen wie Palmer eindeutig als Aufforderung gelesen werden, auch mal zu schwätzen, wie einem der rassistische Schnabel gewachsen ist, mitsamt „Mohrenkopf“ und „Negerkönig“. Dass sich Schröter nun selbst als „woke“ präsentiert, indem sie sich von Palmer für dessen Auftritt distanziert, ist nicht nur unglaubwürdig, es hat vielmehr den Anschein, als wäre es vorab einstudiertes Programm.




Der islamische Geschichtsmythos – Antiisraelische Geschichtsklitterung in der taz

2019 stieg Susanne Knaul 2019 aus Altersgründen aus der Nahostkorrespondenz der tageszeitung aus und meldete sich seitdem immer seltener. Moshe Zuckermann hatte sich bereits 2015 zurückgezogen, und auch Micha Brumlick schreibt seit einiger Zeit keine „postzionistischen“ Stellungnahmen mehr. Es gab begründete Hoffnungen, dass die harte antiisraelische Propaganda abebben könnte, die die taz für viele Antifaschist*innen unlesbar machte.

Die Nachfolge von Susanne Knaul übernahm Judith Poppe. Sie schreibt seit 2015 für die taz und mittlerweile fast wöchentlich über Israel. Poppe bemüht sich auf den ersten Blick durchaus glaubwürdig, Differenzierung durch Porträts und Zitate zu erreichen. Allerdings nennt sie den arabisch-islamischen Geschichtsmythos nicht im Ansatz als Konfliktursache. Bei ihr setzt die Geschichte des Staates Israel immer wieder 1948 ein, als hätte es davor keinen Konflikt gegeben, keine Jüdinnen und Juden in Israel. Durch den Ausfall kritischer Fragen stützt sie immer wieder das arabische, antisemitische Narrativ.

Im Interview „Die Nakba ist lebendige Gegenwart“ mit Bashir Bashir lässt sie diesen unwidersprochen den arabischen Geschichtsmythos wiederholen: Der jüdisch-israelische „Siedlerkolonialismus“ sei ein assymetrischer Konflikt zwischen „Besatzern und Unterdrückten“. In Wirklichkeit ist die Assymetrie genau anders herum gelagert, weil die islamischen Staaten ein Vielfaches an Armeen, Ressourcen und ein vielhundertfaches an Landmasse verfügen und dabei die nichtjüdischen Araber*innen in Westjordanland und Gaza stets als Brückenkopf verstanden haben. Ebensowenig interessiert der Konflikt mit den hochgerüsteten Armeen der Hisbollah und der Hamas, deren Terror sich primär gegen die Zivilbevölkerung richtet und auf eine Vertreibung von Jüd*innen nach dem Vorbild von Gaza abzielt.

Die militärische Rationalität der Siedlungen wird vollständig unterschlagen. Die jüdischen Städte und Dörfer in Judäa und Samaria (Westbank/Westjordanland) sind primär Erben der zionistischen Wehrdörfer. Sie sichern heute den winzigen, extrem verwundbaren israelischen Staat gegen Raketenterror von den Höhen der Berglandes, vor Kampfjets und gegen Militärfahrzeuge im Jordantal. „Verteidigbare Grenzen“ und „Strategische Tiefe“ sind für die israelische Gesellschaft ein unverbrüchlicher Teil des Existenzrechts inmitten eines extrem volatilen, unberechenbaren Umfeldes zwischen einem autoritär regierten Ägypten mit starker Muslimbruderschaft im Westen, dem Islamischen Staat und Al-Qaida im Sinai und als Zellen in allen Nachbargesellschaften, einer krisenhaften islamistisch regierten Türkei am anderen Mittelmeerufer, der Hisbollah im Norden, Al-Qaida und Assad im Nordosten und der Fatah, dem Islamischen Jihad und der PFLP im Osten. Israel muss seine Verteidigung gegen genozidale Exkursionen islamistischer Abenteurer auch in die mittlere und ferne Zukunft planen.

Der islamische Mythos Bashirs radiert die jüdische Geschichte des Landes ebenso aus wie die antisemitische Geschichte der islamischen Gesellschaften.

„Die jüdische Frage ist ursprünglich keine palästinensische Frage, keine östliche oder muslimische. Die jüdischen Siedler*innen, die nach Palästina eingewandert sind, waren europäische Bürger*innen und Opfer des Rassismus. Das christliche Europa ist aufgrund seines Antisemitismus daran gescheitert, diese Bürger*innen zu integrieren und zu schützen.“

Seriöser, informierter Journalismus müsste diesen Mythos sofort hinterfragen, weil er eine Täter-Opfer-Verkehrung beinhaltet und den Konflikt im Interesse des islamischen Chauvinismus auf ein westlich-koloniales Problem reduziert. Etwa eine Million Jüdinnen und Juden wurde aus der islamischen Welt vertrieben. Sie bilden die Schicht der Mizrachim, der „arabischen“ Jüdinnen und Juden, die sich selten als solche bezeichnen, sondern häufiger als irakische, tunesische oder persische. Sie sind der Grund, warum es falsch ist, von einem „Konflikt zwischen Juden und Arabern“ zu sprechen. Es ist ein Konflikt zwischen nichtjüdischen Araber*innen (atheistische, christliche, islamische uswusf.) und Jüdinnen und Juden (atheistische, orthodoxe, säkulare, christliche, arabische, portugiesische, chinesische, äthiopische, amerikanische uswusf.).

Es ist der islamische Chauvinismus, der keine emanzipierten Juden dulden konnte, von Jüdinnen gar nicht zu reden. Der islamische Chauvinismus diskriminierte die jüdische Bevölkerung seit der Vernichtung der jüdischen Stämme durch Mohammed, die nach den Massakern im Koran mit einer „jüdischen Verschwörung“ gegen ihn legitimiert wird, und im Zuge der folgenden Eroberung der arabischen Halbinsel. Sie sollten Synagogen nicht renovieren, diese durften offiziell nicht höher als die Häuser der Muslime sein, sie mussten einen gelben Fleck tragen, nur auf Eseln reiten, durften keine Waffen tragen und mussten hohe Schutzsteuern zahlen, die schließlich noch im späten osmanischen Reich als Instrument verwendet wurden, um die jüdische Bevölkerung in Palästina zu vergraulen. Pogrome waren auch im Mittelalter bekannte Erscheinung in der islamischen Welt, und mit dem Aufstieg der Nazis nahmen sie an Zahl zu. 1941 ermordete ein antisemitischer Mob im Farhuk, dem großen Pogrom von Bagdad, bis zu 600 Jüdinnen und Juden. Hauptverantwortlich für die Ausschreitungen: der Mufti von Jerusalem.

Das Jordantal und die benachbarten Anhöhen waren über Jahrtausende kontinuierlich von Jüdinnen und Juden besiedelt. Aus dem, was heute „Westbank“ genannt wird, wurden Jüdinnen und Juden erst durch arabische Pogrome, z.B. aus Hebron 1929 vertrieben. Es war der islamische Antisemitismus, der einen jüdischen Staat mit einer islamischen Minderheit nicht akzeptieren konnte und seitdem jedes Friedensabkommen sabotierte. Das zu wissen und entsprechend Geschichtsmythen kritisch zu hinterfragen sollte Aufgabe einer informierten Nahostkorrespondenz sein.

In anderen Artikeln schaffte es Poppe nicht einmal, eine klare Ablehnung von antisemitischen Propagandabegriffen wie „Apartheid“ zu formulieren. Im Artikel „Streit um Israel“ wird die reale Apartheid in Südafrika mit ihrer strikten Trennung der Hautfarben in „Rassen“ und ihrer dezidiert rassistischen Ideologie auf Sicherheitspolitik und Diskriminierungserfahrungen reduziert und verharmlost.

„Ist das alles Apartheid? Die Debatte darum wird in westlichen Ländern und unter der jüdischen Bevölkerung Is­raels erhitzt geführt. Doch die meisten Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Dschisr az-Zarqa, Hebron und Jaffa interessiert vor allem eines: Dass ihre Situation, wie auch immer die internationale Gemeinschaft sie bezeichnen möge, in der Welt bekannt wird.“

So kann man sich enthalten und doch Stellung beziehen. In einem anderen Artikel, „Glaubwürdigkeit verspielt„, differenziert sie das dann so:

„Der Begriff Apartheid kann auf die Lebensbedingungen im Westjordanland angewandt werden, ohne dass es abwegig scheint: die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen leben dort seit 1967 unter israelischer Militärherrschaft. Jedoch zu behaupten, dass die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Israel unter einem Apartheidsregime leben, ist absurd – auch wenn auch sie ohne Frage unter Diskriminierung leiden.“

Apartheidvorwurf ja, aber nur in der Westbank – das ist die Botschaft Poppes. Die Militärherrschaft mag unangenehm sein, sie ist aber nicht das Produkt rassistischer Ideologie wie in Südafrika und dementsprechend sind Mischehen legal, Soldat*innen schützen auch nichtjüdische Araber*innen vor Terror und Ehrenmorden, und in der israelischen Armee dienen auch Muslime und Araber*innen. Es ist nicht nur verharmlosend, es ist eine Täter-Opfer-Verkehrung, hier einen jüdischen Apartheidstaat am Werk zu wähnen. Schließlich gibt es Konfliktparteien, die tatsächlich seit Jahrzehnten die Ausrottung der Gegenseite propagieren: Der Islamische Jihad, die Hamas, die Fatah und auch die PFLP, die sich mit Selbstmordattentaten ebenso brüstet wie mit Raketenterror gegen Schulkinder. Wenn ein Jude sich in autonome Teile der Westbank wagt, etwa um das Josefsgrab zu besuchen, riskiert er, gelyncht zu werden.

Poppes Narrative und ihre Weglassungen und Verkürzungen sind nicht außergewöhnlich, sondern nach wie vor Standard des deutschen Journalismus und der Universitäten. Die völkerrechtlich verbrieften Ansprüch Israels auf den Stand der Balfour-Deklaration auch nur hypothetisch zu vertreten, gilt als extremistisch, den uralten, im Koran verankerten islamischen Antisemitismus als hauptsächliche Konfliktursache zu benennen als anrüchig, wo die Importthese (vor der Damaskus-Affäre habe es keinen islamischen Antisemitismus gegeben) und die Golden-Age-Fantasie (der jüdischen Minderheit sei es unter islamischer Herrschaft immer gut gegangen) immer noch von Professor*innen vertreten werden – was in Sachen fachlicher Inkompetenz vergleichbar wäre mit der Behauptung eines Historikers, Hexenjagden hätten nur im Mittelalter stattgefunden oder Frankreich würde von Wikingern regiert.

Die taz bietet nach wie vor keine faktenbasierten Einblicke in die Realität des Konfliktes und seiner Ursachen. Dass sie damit nicht alleine ist, macht es nicht besser.