Von Katzen, Karikaturen und Karotten – Erinnerungen an verschütteten Alltagsrassismus

In den 1980ern verbot mir meine Mutter Asterix-Comics, weil sie gewaltverherrlichend und rassistisch seien. Trotzig und heimlich zog ich das mir irgend zugekommene Heft zweimal aus der Mülltonne, um es im Versteck zu lesen. Später wurde meine Mutter begeisterter Asterix-Fan und hat uns alle Folgen gekauft. Es gab durchaus ein Bewusstsein für Rassismus. Nur brach dieses angesichts einer kulturellen Übermacht ein und unterwarf sich der Marktmacht oder dem Genuß anderer Qualitäten. Denn zweifellos ist Asterix rassistisch. Zwar wird eine allseitige, selbstironische Karikatur anderer Gesellschaften gezeichnet: Die Korsen als konservative Hitzköpfe, die Briten als verklemmte Fußballfanatiker, die Römer ohnehin als dekadente Doofköpfe, die Spanier als ewig singende und tanzende Gitanos/Calé. Die Selbstironie von Stereotypen endet aber dort, wo sie reine Fremdzuschreibung und Projektion auf historisch vollständig unterworfene Gruppen sind. Das betrifft neben der ikonischen, aber immerhin mit eigenem, kritischen Charakter versehenen Karikatur des schwarzen „Baba“ insbesondere die „Indianer“ in „Asterix – die große Überfahrt“, das als „Asterix in Amerika“ 1994 verfilmt wurde. Der Film ist ein unerträglicher Wust an rassistischen und sexistischen Stereotypen: eine europäisch-hübsche Pocahontas inmitten einer hakennasigen Umgebung aus schlacksigen Marterpfahl-Indianern, die von einem fiesen, noch hakennasigeren Schamanen befreit werden müssen. „Pocahontas“ Rolle besteht darin, hübsch zu sein und Obelix den Kopf zu verdrehen. Der unsägliche Film wird nach wie vor regelmäßig ausgestrahlt.
Ebenso unfassbar reaktionär sind die seriellen Indianer-Karikaturen in den Lucky Luke-Bänden. Permanent wird einem tollpatschigen Indianer dort beim Ululieren um den Marterpfahl die Feder vom Kopf geschossen, um ihn Mores zu lehren, nicht selten kommt die ganze Kavallerie, um Weiße aus der Hand von „Indianern“ zu befreien und es hilft auch nichts, dass hin und wieder Lucky Luke auch einmal Vertretern der First Nations hilft, denn dieses „Helfen“, das Unfähigkeit kommuniziert, kennt man zu gut.

Viel unscheinbarer, obwohl präsenter blieb der subtile Rassismus in der Alltagskultur. Warum etwa heißen Mohrrüben Möhren? Lange glaubte ich an die Legende, sie würden eben im Moor angebaut oder in Torf gelagert, um sie frisch zu halten. Der Wahrheit näher dürfte liegen, dass Karotten sehr rasch schwarz schimmeln, wenn man sie lagert oder anschneidet. Eine andere Erklärung ist, dass die schwarze „Mohrenblüte“ im Zentrum der Dolde der Pflanze den Namen gab. In jedem Fall wird eine reine Äußerlichkeit der Farbe mit einer Gruppe von Menschen identifiziert, die dadurch wiederum auf das Merkmal „schwarz“ reduziert wird.

Ebenso unvermeidbar wie das „Zigeunerschnitzel“ in den Gaststuben und Grillbuden findet sich der „Mohrenkopf-Weck“ in den Auslagen von Bäckereien auf dem Lande. Auch wenn hier die Hersteller sehr viel schneller umstellten und wie „Dickmanns“ die Gelegenheit nutzten, die Süßware nach der eigenen Marke zu benennen, vermag ich bis heute nicht, einen Schaumkuss als solchen zu sehen, ohne das Wort „Mohrenkopf“ zu denken.

Und ganz unverdächtig schleicht sich ein Kinderlied ein, sobald ich eine schwarze Katze sehe: „Unsre Katz‘ heißt Mohrle, hat ein schwarzes Ohrle, hat ein schwarzes Fell, und wenn es was zu schlecken gibt, dann ist sie gleich zur Stell.“ Das Lied findet sich bis heute in Kinderliedsammlungen und wird auch im öffentlichen Rundfunk noch eifrig gesungen.

Kulturrassismus beschämt, weil er sich an schöne Erfahrungen heftet, die der Aggression unverdächtig sind. Eine Süßspeise, ein Gemüse, ein lustiges Comic, ein Katzenbaby. Er beschämt, weil er sich in Kindern eingräbt und seine Wurzeln in Neuronenketten gräbt, tief in den Geist hineinschlägt, nicht vergessen werden kann. Er kann aber nur beschämen, wenn erkannt wird, was beim diskriminierten Gegenüber sich eingräbt: kein schönes, unschuldiges Kindheitserlebnis, sondern die Erfahrung, dass alles, was an mir wahrgenommen wird, die äußerste Schicht ist, die Hautfarbe. Das setzt mich mit Pflanzen, Tieren, Pilzen, Dingen gleich, obwohl doch sovieles so anders ist und nichts an mir an einen filzigen Pilz, an eine Ente oder an eine orange Rübe erinnert. Und diese Gleichsetzung erzeugt eine noch erschreckendere Gleichsetzung mit anderen Menschen, mit denen nur die Hautfarbe und auch die oft nur annähernd in Nuancen geteilt wird.

Es wird den Weißen nicht wehtun, Karotte statt „Möhre“ oder „Mohrrübe“ zu sagen, ein „Paprikaschnitzel“ oder einen „Schaumdings-Weck“ zu bestellen. Wichtiger ist aber, dass die Umbenennung Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht wehtun will, auch wenn selbst in der Umbenennung noch einige Jahrhunderte die Reaktion auf das rassistische erinnert wird.
Was die Comics und Filme angeht, so sind diese zwar wie alle Kultur mitsamt ihrer Kritik daran Müll. Eine maoistische Kulturrevolution allerdings, die alles über Bord wirft, vergisst die Mülltrennung. Ein Film wie „Asterix in Amerika“ sollte idealerweise nie wieder ausgestrahlt werden und nur noch zu wissenschaftlichen Zwecken in Erwachsenenbibliotheken zugänglich sein. Comics wie Asterix oder Lucky Luke können nach einer gründlichen Auswahl mit entsprechender Überarbeitung oder Anmerkung ja auch weiter Kindern zugänglich bleiben. Solange aber diese Auswahl nicht erfolgt, behauptet man nichts anderes als dass man nichts Anderes hat, dass wirklich alles an Kultur Müll ist, wenn sie ungeändert rassistisch sein muss, um überhaupt existieren zu können.

Mit Atomkraft zum Klimazid

Die Erklärung der COP28 zur Atomkraft ist ein weiterer Tiefpunkt menschlicher Zivilisation. Im Angesicht der vollständigen Auslöschung mariner Riffe und tropischer Regenwälder durch 2-Grad-Plus im Jahr 2050, sowie 3-4,5 Grad plus im Jahr 2100, mit einem Anstieg des Meeresspiegels um dann zwei Meter fällt den Verantwortlichen nichts Besseres ein, als die Leistung der Atomkraft bis 2050 „zu verdreifachen“.
Schon in der Einleitung erfolgt die erste Lüge: „keeping the 1.5-degree goal within reach“. Wer noch vom 1,5-Grad-Ziel redet, ist ahnungslos oder harter Klimaleugner. 1,5 Grad werden aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahr 2027 erreicht, also in drei Jahren. Der CO2-Ausstoß in diesem Jahr war ein neuer Rekordwert: 40,2 Milliarden Tonnen. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Wert in den kommenden Jahren sinken würde. Dieses CO2 wird erst in vielen Jahren in den oberen Schichten der Atmosphäre ankommen und dort Infrarotstrahlung auf die Erde zurückreflektieren. Auch wenn die Puffer in den Weltmeeren aufgebraucht sind, bleibt das System so träge, dass das Klima in 10 Jahren durch unsere Aktivitäten heute schon feststeht – und dass sich (bislang unwahrscheinliche) netto und global positive Änderungen allerfrühestens in 10 Jahren bemerkbar machen, vermutlich aber wesentlich später.


Atomkraft erzeugt derzeit ca. 10% des weltweiten Strombedarfs, und nur 2% des Primärenergiebedarfs. Diesen Anteil zu verdreifachen wird nichts am krachenden und gewollten Scheitern von 1,5- und 2-Grad-Limits ändern. Nachdem die EU auf Drängen Frankreichs unter dem Reaktionär Macron Nuklearenergie als „nachhaltig“ verklärte, folgen nun auch Teile der internationalen „Gemeinschaft“ diesem Ruf nach der vermutlich teuersten Art und Weise, Energie zu produzieren. Die Erklärung liefert ein paar „Bekenntnisse“ zur Bedeutung von sicheren Versorgungsketten ab, widmet einen Viertelsatz der bislang unabgegoltenen Entsorgung, schwafelt etwas von neuen Reaktoren und Sicherheit, während Pakistan und Nordkorea ungehindert Atomwaffen erlangen konnten und der Iran auf dem besten Weg dazu ist, 40% der Brennstäbe aus Russland kommen und die Kosten und Risiken in allen Nuklear-Staaten auf die Gesellschaft abgewälzt werden. Atomkraft ist in diesen Zuständen nichts als eine Taktik, die Diversifizierung der Energieversorgung zu blockieren und die Netze zu verstopfen und Energiesparmaßnahmen zu sabotieren. Um das gigantische Speicherproblem der auf Dauerlast laufenden Reaktoren zu lösen, wurde der Nachtstromtarif erfunden, Strom in ineffizienten Nachtspeicherheizungen verklappt und in Leuchtreklamenwüsten verschleudert. Atomkraft hat nicht im Geringsten mit dem Ausbau der Kohlekraftwerke konkurriert. An keiner Stelle war das Argument, ohne ein Atomkraftwerk müssten klimaschädliche Kohlekraftwerke gebaut werden. Atomkraft wurde in Frankreich, USA und GB primär gefördert, um Plutonium für Nuklearwaffen zu erbrüten und war ohne die Nuklearwaffenproduktion nicht denkbar.

Während die Atomkraftwerke in Frankreich in den Dürren der letzten Jahre noch nicht einmal „Zitterstrom“ lieferten, sondern wochenlang auch mal gar nichts, während der Sanierungsstau schon nicht planbar ist und der Neubau von gerade einmal zwei Atomkraftwerken in England und Finnland Jahrzehnte dauerte und alle Plankosten sprengte, hat die Photovoltaik alle paar Monate technologische Fortschritte verzeichnet. Photovoltaik-Techniker geben oft keine Kostenvoranschläge mehr, weil die Preise und Anlagentypen sich praktisch alle sechs Monate revolutionieren. Auf FFPV ist eine massive ökologische Aufwertung der Fläche bei möglich, so dass die Flächeneffizienz im Vergleich zu anderen Energieformen legendär ist. Bislang ist im Sommer eine Tagstromversorgung zu 100% aus Photovoltaik realisierbar, mit aktuell technisch möglichen Speicherbatterie-Anlagen auch bis weit in die Übergangszeit hinein. Freiflächen- Solarthermie ergänzt z.B. in Greifswald die Wärmeproduktion dort, wo nicht elektrifiziert werden kann. Die ergänzende Kombination mit Hackschnitzelverfeuerung ist allemal flächeneffizienter als die barbarisch ineffiziente Verstromung von Energiepflanzen in Biogasanlagen.

Der derzeitige Primärenergiebedarf wird sich aber kaum mit irgendeiner Energieform nachhaltig decken lassen. Auch wenn trotz Fachkräftemangels eine „Wärmewende“ gelingen sollte und die Umstellung des Erdölbasierten Verkehrssektors auf Strom irgend realisierbar würde, bliebe es eine freche Lüge, von „Netto-Null-Ausstoß“ zu sprechen, ohne eine Planwirtschaft und umfassende Umwälzungen von Wohnkultur und Konsum zu denken. Eine industrialisierte Gesellschaft mit Verdoppelungsraten ihrer Warenproduktion binnen 24-36 Jahren (bei 3% bzw 2% Wirtschaftswachstum) wird CO2 ausstoßen und Natur vernutzen und beides immer mehr. Alles Gerede von „Kreislaufwirtschaft“ ist Schönfärberei in einem kapitalistischen System, das von Planwirtschaft nicht einmal im Angesichts des Untergangs der Menschheit etwas wissen will.

Und dieser Untergang ist nicht sprichwörtlich, sondern real: Bangladesch und weite Teile Ozeaniens werden bei 2m Meeresspiegelanstieg praktisch verschwinden, die Niederlande und viele reiche Flachmeer-Anrainer (Nordsee, Ostsee, etc.) nur unter immensen Kosten für Pumpwerke, Schleusen, Deiche noch eine Zeitlang aushalten können. 3 oder 4 Grad im Jahr 2100 bedeuten einen Fall aller kritischer Kipppunkte und damit eine weitere Erhitzung in den folgenden Jahrhunderten.
Megafluten sind bei den Meerwassertemperaturen bei 2-Grad-Plus ebenso wahrscheinlich wie Megadürren und beide werden im dichten Wechsel erfolgen, Wälder unter Hitzestress absterben und Seen in Windeseile verdunsten lassen. Die Klimakatastrophe ist vom Mord an hunderten Millionen Menschen nicht zu trennen. Da die Folgen seit Jahrzehnten bestens bekannt sind und die Ursache einer wachstumsgetriebenen, sprich: kapitalistischen Gesellschaft selbst dem konservativen Club of Rome schon seit 60 Jahren bewusst gewesen sind, ist von einem bewussten, kriminellen Handeln unzähliger Beteiligter auszugehen. Es ist jedem mit Basisschulbildung offensichtlich, was Hitzewellen von 40 Grad bedeuten für proteinbasiertes Leben, das bei 40 Grad an denaturierten Proteinen verendet oder Organe durch Regulierung unter Dauerstress vernutzt. Wer bei 40 Grad Fieber ärztlichen Beistand sucht, hat ausreichend Bildungshorizont, um zu verstehen, was 40 Grad Hitzewellen für den Körper bedeuten. Es ist jedem klar, dass sich in Städten und Staaten mit regelmäßigen Hitzewellen von 50, 60 Grad nicht mehr leben lässt, dass also weite Teile der Tropen und Subtropen unbewohnbar werden und die Menschen dort zu Millionen umkommen werden. Auf diese Probleme mit einer Verdreifachung der Atomkraft zu antworten, ist nichts als ein weiteres Bekenntnis zum dreisten Mord an hunderten von Millionen von Opfern der Klimakatastrophe, es ist praktizierte Menschenfeindlichkeit.

Windkraftpotentiale neuer großer Anlagen liegen derzeit bei 16MW pro Offshore-Anlage und eine durchschnittliche Nennleistung ist bei den derzeitigen Anlagenhöhen von 200 Metern auch im Dauerbetrieb lieferbar. Onshore liegt die Leistung bei 3 MW. Atomkraftwerke liefern gerade einmal 500-1500GW je nach Größe. Das bedeutet, 100 der neuesten Offshore-Windräder oder 3-500 aktuell übliche Onshore-Windräder ersetzen ein Atomkraftwerk – zu einem Bruchteil des Preises und ohne Entsorgungskosten. Natürlich benötigen Windräder Schmiermittel, u.U. Heizsysteme um Vereisung zu verhindern und seltene Erden, um die Magneten bei den im Offshore-Betrieb anfallenden Temperaturen stabil zu halten. Aber was benötigt ein Atomkraftwerk nicht alles an Material für Verschleißteile, Hochleistungsstahl, Spezialwerkstoffe, Beton für Kühltürme, Reaktorblöcke, Abklingbecken…
In den Rechnungen der CO2-Bilanz ist nicht enthalten der Abbau, die Umwälzung von gigantischen Abraumhalden, die als Ewigkeitsaufgabe Schwermetalle und radioaktive Stoffe in die Umwelt entlassen. Es ist nicht enthalten die Aufarbeitung des Uranerzes bis zum Brennstab sowie die ungelöste Entsorgung. Das alles gibt es nicht zum CO2-Nulltarif.

Die Atomkraft wird personengleich von Klimaleugnern beworben, nicht weil sie tatsächlich CO2-neutral wäre, sondern weil sie den Prozess des Klimazids unter der Flagge der „Netto-CO-Neutralität“ weiterzuführen verspricht. Solange von CO2-Ausstoß an allen Teilen der Produktionskette weißgewaschene Atomkraftwerke für das Jahr 2045 geplant werden, können anderweitige Aktivitäten als überflüssig, oder eleganter: als „zu teuer“ geframed werden.

Was müsste tatsächlich erfolgen, um die Klimakatastrophe entscheidend abzubremsen und ungefähr im Jahr 2100 zu stoppen? In aller Kürze: eine demokratisch organisierte Planwirtschaft.

  1. Reduktion der Diversität der globalen Waren-Produktion auf das Notwendigste durch einen demokratischen Warenbeurteilungsprozess, in dem jeder Warentyp auf seine Notwendigkeit hin vorab geprüft wird und nicht durch die Manipulationen eines Marktes aufgeschwatzt wird.
  2. Reduktion der Masse der globalen Warenproduktion auf das Notwendigste durch einen demokratischen Verteilungsprozess, der eine Lieferökonomie nach Zuteilungsschlüsseln beinhaltet, dadurch Wegfall der autozentrierten und impulsgesteuerten Einkaufskultur und dadurch Entfall zahlloser Verpackungszwänge und Verbauungen.
  3. Verbesserung der Qualität der globalen Warenproduktion durch Wegfall von Obsoleszenz, Redundanz, verbesserte Reperaturfähigkeit und Langlebigkeit, entfallende Verschrottung aufgrund von Stilfragen, die als manipuliertes Bedürfnis erkannt werden.
  4. Änderung der Arbeitskultur durch Streichung jedweder überflüssigen Arbeit, dadurch massive Freisetzung von Arbeit, Wegfall des Prinzips allseitiger Konkurrenz, Linderung zahlloser Stressreaktionen und Ventilreaktionen (Urlaubseffizienz, Shopping, Leistungssport, etc.), Reduktion des Flächenverbrauchs für Büros und Fabriken, dadurch Möglichkeit der Rekultivierung von Land und Umnutzung von Gebäuden.
  5. Umstellung der Wohnkultur hin zu kollektiven Wohnformen, um Wärmeenergie in Gebäuden möglichst effizient zu nutzen: Anschluss von Einfamilienhäusern zu Reihenhäusern und Umbau zu mehrstöckigen Häuserblöcken im Plusenergieprinzip mit Dachgewächshäusern, Solarfronten und Verstromung und Verkompostierung der anfallenden Fäkalienmengen.
  6. Renaturierung freiwerdender Flächen, Wiedervernässung von Feuchtgebieten, Renaturierung von Flüssen, Wiederaufforstung von Berg- und Tropenwäldern, Karsten und versalzten Agrarflächen.
  7. Energiegewinnung durch PV, Wind, Erdwärme und Verstromung anfallender organischer Reststoffe.
  8. Nahrungsmittelproduktion nach Plan und Bestellung anstatt die Lebensmittel auf Marktrisiken hin in ein Wegwerfsystem bei Maximalversorgung in den reichen Staaten zu werfen.
  9. Dafür nun einmal notwendig: gesellschaftliche Kontrolle der Produktionsmittel.
  10. Dafür nun einmal notwendig, um den Rückfall einer Planwirtschaft in autoritäre, massenmörderische Sklaverei nach den realsozialistischen bis rotfaschistischen Experimenten zu verhindern: Demokratie bei garantierter Sicherheit vor Folter, Sklaverei, Zwangsarbeit und Todesstrafe, garantierter Wahrung von Rechten von Frauen, Minderheiten, Alten, Schwachen, Kindern. Historische sozialistische Planwirtschaften hatten drei Hauptprobleme: Esoterische Antiwissenschaft in der Lebensmittelproduktion (Lyssenko), Identifikation mit dem Wachstumszwang der kapitalistischen Staaten und dadurch massive Umweltschäden (Aralsee) sowie den Terror gegen die Arbeitenden insbesondere in der Landwirtschaft. Beides waren serielle, aber keine notwendigen Folgen einer Planwirtschaft.
  11. Daher beim gegenwärtigen Stand des gesellschaftlichen Bewusstseins vollständige Unwahrscheinlichkeit, der Klimakatastrophe auch nur irgend signifikant entgegenzuwirken.
  12. Daher die Notwendigkeit von progressiver Politik, Menschen auf die Katastrophen ehrlich vorzubereiten, den Untergang von Zivilisation als wahrscheinlichsten Fall des weiteren Geschichtsverlaufs zu planen und die Faschisierung, den durch die Abschottung der EU, Australiens und den USA im vollen Gang befindlichen aktiven Millionenmord an den Überlebenden des Klimazids aufzuhalten oder zumindest den vergeblichen Widerstand dagegen zu organisieren, wo es geht.
  13. Daher die Pflicht, den konservativen, liberalen, sozialdemokratischen und grünen Schönfärbereien und freudig dahingelächelten Lügen an jeder Stelle und aufs Grimmigste das verleugnete Wachstumsproblem vorzuhalten, um den unverschämtesten Ideologien den Dünger der Achtlosigkeit zu entziehen und die Beteiligung am ökonomisch organisierten Verbrechen gegen die Menschheit und die Möglichkeit von Zivilisation als solche zu benennen.

Schuldenbremsenbashing statt Reichensteuerdiskurs

Die Mobilisierung gegen die Schuldenbremse wird von Linken und Grünen angeführt. Man brauche „Investitionen“ in die Zukunft, und daher müsse man mehr Schulden aufnehmen dürfen. Sicher ist die Folge von 16 Jahren Misswirtschaft unter der CDU, dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und die immer noch nicht bewältigte Corona-Pandemie eine besondere Situation. Dennoch übertönt das Wettern auf die Schuldenbremse zwei Aspekte:
1. Die Streichpotentiale bei den fragwürdigen Teilen des Budgets, insbesondere die Subventionen für klimaschädliche Prozesse, Diesel, Energiepflanzen/E10, Dienstwagenprivileg, Autobahnen und vieles mehr.
2. Die ungenutzten Einnahmequellen des Budgets, und da primär die Weigerung, Reiche uns Superreiche angemessen zu besteuern.
Wer „Schuldenbremse“ sagt, schweigt von der „Vermögenssteuer“.

1% besitzen mehr als ein Drittel aller Vermögen und innerhalb dieses einen Prozents findet eine weitere exponentielle Stratifizierung statt, das oberste Tausendstel besitzt ca. 14-17%. In solchen Zuständen muss man keine Schulden aufnehmen, sondern Steuern für obszönen Reichtum und einen Maximallohn einführen. Dass sich die obersten 10% tatsächlich einreden, mehr zu leisten als der Rest, mehr Verantwortung zu tragen oder der Gesellschaft exakt so viel zu geben wie sie aus dieser herauspressen allein durch G-G´ist eigentlich eine besonders ausgesuchte Beleidigung, der sich nur durch eine Begrenzung von Einkommen und Besitz entgegentreten lässt. Was im Kartellrecht für Unternehmen gilt, muss auch für Individuen gelten. Niemand darf so viel Macht durch Reichtum erhalten.

Zur habituellen Gleichgewichtsstörung von Männern

Bei Höflichkeitsgesprächen lässt sich insbesondere bei jungen Männern gern ein Schwanken beobachten, das einem kuriosen Rhythmus aus Ausweichbewegungen und Zuwendungsgesten zu bestehen scheint. Wedeln mit bezigaretteten Händen oder Durchfahren der Haare ähneln Versuchen des Festhaltens in freiem Fall. Vernünftelndes Abwägen wird mit Kopfneigungen aller Art simuliert, doch letztlich bleibt der Eindruck einer tiefen Verunsicherung ob der Ambivalenz der Begegnung haften: als schiene sich das Individuum uneins, der Fluchttendenz in die Ferne nachzugeben oder der vor der Einsamkeit weg in eine unliebsame Konversation hinein, die meist nur aus starren Hülsen pathischer Kommunikation besteht: Wie gehts, Ja geht so, und bei dir, Alder, alles fit, Arbeit, was, ja scheiße halt, mussja, bis denne, Tschausn, machsgutbruder, Alleskla.

Die Befreiung von jedem Verdacht auf Homoerotik durch hölzern-knarzende Stocksteifigkeit steht in krassem Kontrast zur Behauptung von Dynamik in zunächst raumgreifenden, dann wieder auf Böden oder in die Ferne starrenden, schultern zusammenziehenden Gesten. Und erleichtert bewegen sich die Männer dann auseinander, man hat die peinliche Lage durch Konversation entschärft, schwankt von dannen, eventuell ein Hinken oder ein Schlotterknie oder eine leichte Trunkenheit, die eventuelle Fehler entschuldigen könnte, simulierend, oder mit schlacksigen Beinen etwas mehr Raum erobernd als der Weg zum gar nicht vorhandenen Ziel abverlangen würde.

Sicher ist bei Männern der Schwerpunkt biologisch höher, in Richtung des Brustkorbs gelagert, die Ziellosigkeit der Arme eventuell archaischer Bereitschaft zur Flucht geschuldet. Und doch ist die Neigung zum Schwanken auch so tief in Kultur verankert, dass sie sich noch in Gebetsritualen niederschlägt. Der islamische Fall in die Embryonalstellung und das Wiederaufstehen, der ekstatisch kreiselnde Tanz der Derwische, das „Schokln“ im Judaismus, einer Legende zufolge der tanzenden Flamme einer rituellen Kerze nachempfunden, und im Christentum der Kniefall, das Schaukeln des Turibulums, in afrikanischen Religionen die Trancetänze, die Maskentänze und die Perfektion der Synkope. Wo der Buddhismus die fixierte Position anzustreben scheint, wird doch auch stets gern etwas gebommelt, getrommelt, getrillert oder anderweitig Betriebsames verrichtet. Bewegung muss allenorts in verkrustete Verhältnisse, aber es gelingt nicht, weil es im Experimentierfeld der Kulturen stets im Falschen der Religion und Tradition bleibt, unklare Ziele hat, daneben trifft, nicht die Verhältnisse stürzt, in denen der Einzelne ein verächtliches Wesen, eine geknechtete Kreatur bleibt.

Mütter indes schaukeln ihre Babies und mit ihnen, unbezwingbare, selbsterklärende Vernunft und fester Boden, und es wäre so wahr wie auch viel zu einfach, die Wackeldackelhaftigkeit des Mannes als Regression in diese Position oder neidische Sehnsucht nach dieser Sinngebungsmaschine Mutterschaft zu erklären. Gewackelt wird bei Männern eher aus der Lust an der Vermeidung einer klaren Position zwischen Herrschaft und Unterwerfung heraus. Und vielleicht in einem Zwischenstadium, in dem kulturelle Regeln meist zu Recht ihre Gültigkeit verlieren und von einem Experimentierfeld an Selbsterfindung abgelöst werden, das sich dann massenkulturell wieder an Vorbildern orientiert. In den üblichen Begegnungen mit Handschlag irgendeiner Art, nervös-arbeitssamen Ziehen an Zigaretten oder Paffen an elektrischen Pfeifen, paaren sich internalisierte Arbeitsrhythmen mit der Angst, durch eine aufrechte Position Dominanz auszustrahlen, die wiederum als Aufforderung zur Gegendominanz gelten könnte. Das hat weniger mit äffischen, tierhaften, als Hackordnung zu häufig abgetanen Hierarchien zu tun, als mit der Demokratie. Wo in der bürgerlichen Produktionsweise jeder sein eigener Herr sein könnte, es unter der Herrschaft des automatischen Subjekts aber niemand wirklich ist, bleibt alles ein Ausloten des aktuellen Standes des Waffenstillstandes in allseitiger Konkurrenz. Prinzipiell zur Selbstbestimmung befähigt zu sein und doch täglich ein Sklave ohne Kenntnis seines Herrn und Zieles, im Bewusstsein der eigenen Beteiligung an der Selbstausbeutung, der Unfähigkeit, sich zu organisieren mit den Anderen, bei gleichzeitigem Zwang dazu, überfordert und treibt in jene fragile Männlichkeit, die sich an der Unterwerfung Anderer oder von Material und Dingen beweisen muss. Nur konsequent flüchten sich die Hikikomoris in die Isolation, Angst vor der eigenen Wut auf Alles, zivilisatorisches Gegenstück zum Amoklauf.

Nicht das fragile ist dabei kritikabel, nicht das Schwanken in Ambivalenz, sondern die Verdrängung dessen, die Behauptung der Absenz von Fragilität, die Illusion von Statik und Stabilität. Echte Männer lesen das, Survival in der kanadischen Hütte, wie man sich einen Langbogen baut, sei nicht nur frauensammelnder Alpha, sei frauenverschmähender Sigma, kaufe jetzt wieder einen Elektrogrill, kaufe nie diese Werkzeuge, hier siehst du wie man wirklich mit Klimaklebern umzuspringen hat, dort sind die Schwachen, die Unterlegen, das arbeitsscheue Pack, das du nicht bist, hier hast du den Kitsch, mit dem du menschliche Emotionen simulieren kannst, und so weiter flüstern die Shorts und Clips auf das Subjekt ein.

„Cope!“ wird zur Beleidigung par excellence. Wer immer sich beschwert, sich anderer Emotion verdächtig macht als den auf Schwache kanalisierten Aggress, solle klarkommen, copen. Was liegt näher, als der großen Verunsicherung Klarheit der Rollen entgegen zu setzen, die submissive Frau mit ihren Haushaltstricks wiederzubeleben und den bärtigen Vierschrötler mit seiner Werkbank, von verlorener „Gesundheit“ und „Normalität“ träumend. A man has to be ugly and fearsome. Und er hat zu schwanken, am Abgrund, an dem Menschheit steht, denn der dünne Firnis der Zivilisation trägt ihn nicht, gibt ihm keine Antwort, wie diese zum Nichtfrausein verdammte Existenz geht, in der die einen die Angleichung an den vormanipulierten weiblichen Charakter als Subversion bewerben, eine insgeheim misogyne Beleidigung und Verspottung derer, die ihn tragen, während die Anderen die Kastration der Schwachen anempfehlen; in der Menschsein unmöglich, krank unnormal zu sein scheint und es politisch allgemein Mode wird, als Kühltruhe seiner Emotionen umherzuwandeln, nur um die eigene Angst und Leere durch die Vernunft des Mitmachens zu bannen.

WOYZECK. Es geht hinter mir, unter mir Stampft auf den Boden. hohl, hörst du? Alles hohl da unten. Die Freimaurer!

ANDRES. Ich fürcht mich.

WOYZECK. S‘ ist so kurios still. Man möcht den Athem halten. Andres!

ANDRES. Was?

WOYZECK. Red was!


Die Zusammenarbeit mit der AFD

Vor jeden Wahlen betonen die sogenannten „demokratischen“ Parteien, dass sie mit „allen demokratischen Parteien“ zusammenarbeiten würden, also nicht mit der AFD. Nachdem die AFD dann satte Zugewinne einstreicht, überall auf 20-30% kommt und vor allem immer mehr bei Jugendlichen ankommt, merken dann die Wahlverlierer, dass man in Deutschland keine Wahl gewinnen kann, ohne gegen Geflüchtete und „Migration“ zu hetzen. Was machen also die gleichen Parteien, die vor den Wahlen schwören, dass sie nicht mit der AFD zusammenarbeiten würden? Sie schauen sich die Forderung der AFD an und sagen sich: Achso, das haben diese Protestwähler gewählt, dann machen wir das einfach, um die zurückzugewinnen. Dann brauchen wir jetzt sofort eben wirklich mehr Abschiebungen und weniger Immigration, scheißegal, was für Probleme es wirklich gibt, wen interessieren Klimakatastrophe, Renten, Löhne, Mieten, Reichtumsverteilung und schon spricht man auch im Radio freundlichst und gutgelaunt davon, dass ja Migration wirklich ein wahnsinniges Problem sei, das größte Problem, ein gewaltiges Problem.

Und also ist das erste, was die gescheiterte Innenministerin Faeser nach der Wahl macht, sich Maßnahmen auszudenken, mit denen Geflüchtete gequält werden können. So sollen nun Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden. Es werden also Familien und Traumatisierte in einem ständigen Schwebezustand belassen, in der ständigen Angst, dass um drei Uhr nachts die Polizei die Türe aufbricht. Die Abschiebehaft soll verlängert werden auf 28 Tage, einfach nur, um den Eindruck zu verstärken, dass Flucht ein Verbrechen ist und Geflüchtete in Gefängnisse gehören. Und bei Abschiebungen aus Gemeinschaftsunterkünften – sprich: Flüchtlingslagern – soll das gesamte Lager durchsucht werden dürfen. Das bedeutet, dass Polizisten, die vermutlich wie die Soldaten auch mehrheitlich AFD gewählt haben, in größeren Unterkünften jede zweite Nacht Kinder aus den Betten schubsen, weil sich dort ein Mensch aus dem sicheren Drittstaat Afghanistan oder Iran verstecken könnte. Und da jeder Grenzübertritt nach Deutschland eine Straftat ist, weil es keine legale Möglichkeit gibt, nach Deutschland zu fliehen, und das erste, was Geflüchtete machen müssen ist, sich einige hundert Euro Strafgebühr für den „illegalen Grenzübertritt“ von anderen Geflüchteten zusammenzuleihen, kann im Prinzip fortan auch jeder Geflüchtete als Straftäter abgeschoben werden.

Wer solche „demokratischen“ Parteien hat, braucht die AFD nicht mehr zu fürchten. Wäre die AFD keine demokratische Partei, man müsste sie verbieten. Dazu liegt alles vor, die Informationen sind gesammelt, aber man weiß genau: Das Problem sind nicht die 20% AFD-Wähler*innen, sondern die Leute in den eigenen Reihen, die genauso denken. Also verbieten die „demokratischen“ Parteien nicht die „undemokratische“ Partei AFD, sondern reden ihr das Wort, treten als „Wettbewerber“ in „Konkurrenz“ mit ihr, denn im Kern sind die „demokratischen“ Parteien nicht der wehrhaften Demokratie verpflichtet, sondern der Marktwirtschaft, in der der Kunde recht hat.

Derweil verpestet rechte Propaganda die sozialen Medien, weil dort reiche „Patreons“ ihre rechten Sprachrohre ausgefeilteste Clickbaits produzieren lassen. „Witzige“ Clips, in denen eine Frau aus den 50ern im Pettycoat der bärtigen Transvestitenfrau aus 2023 gegenübertritt und sich wundert, wie wichtig Pronomen sind. Oder irgendein „Kirchenketzer“, der Aiwangers Flugblatt als „morbiden Jungenstreich“ verharmlost und fragt „wo ist der Antisemitismus“. Oder die hunderte Videos, in denen Autos in Klimaproteste hineinfahren. Oder Jordan Peterson, wie er eine Feministin zerstört. Oder Jordan Peterson, wie er woke Kultur zerstört. Oder Jordan Peterson wie er den Sozialismus zerstört. Oder die Ayn-Rand-Stiftung. Oder die Epoch-Times, rechtsradikales Onlinemedium der Falun-Gong-Bewegung, das im trumpistischen Milieu führend wurde mit Klimaleugnung und Hetze gegen Geflüchtete. Oder der „Welt-Nachrichtendienst“, der es trotz allem blocken immer wieder in die tollen Angebote von Youtube schafft, die vor allem Datenkraken-Handyspiele, Grillfleisch und tonnenweise Wick Medinight unters Volk bringen sollen.

Es gibt keine Blase mehr. Die Algorithmen erkennen „links“ nicht, weil es sich nicht monetarisiert. Man erhält auf Youtube nicht immer linkere Videos, wenn man mal etwas über Che Guevara oder die Arbeiterkultur im 19. Jahrhundert angeklickt hat. Man erhält als Mensch mit politischem Interesse automatisch die „kontroversen“ Videos eingespielt, die Clicks und Kommentare einbringen, sprich: man wird mit rechtsradikaler, zynischer Gülle ertränkt, die man dann entweder unkommentiert stehen lassen kann oder denen man noch zusätzlich Clicks durch Kritik verschafft. Solange die Creators nicht für die Qualität ihres Contents, sondern für Clicks bezahlt werden, wird Youtube nach rechts drücken. Und solange die „demokratischen“ Parteien nicht das Gegenteil von dem machen, was die AFD fordert, werden die Leute AFD wählen, weil sich das direkt in Politik umsetzt, obwohl die AFD kurioserweise keinerlei Regierungsverantwortung hält.




Abschied von der Biodiversität und die Perspektiven einer Planwirtschaft in einer RCP 8,5-Welt

Das Ende der schönen Natur zu proklamieren, während doch alles in Saft zu strotzen scheint, macht sich der Arroganz verdächtig. Ein wissenschaftsfeindliches Kleinbürgertum, das religiöse Prophezeihungen und Vorhersagen aufgrund von extrapolierten Daten und von logischen Schlüssen nicht auseinanderhalten kann und will, schämt Wissenschaftler in einen Daten-Konservativismus hinein, der jeden Alarmismus vermeiden muss und will. So war es nicht überraschend, dass die Klimawissenschaften von der Prognose 1,5-Grad zwischen 2027 und 2035 überrascht waren – dass es also schneller geht als von den Modellen vorhergesagt. Das ist sehr einfach erklärbar aus der Multifaktorialität der Klimakatastrophe, die selbst die besten Computermodelle nicht simulieren können. Zwar werden diese getestet an Daten der Vergangenheit und dahingehend sind sie sehr präzise. Sie können aber nur mit bekannten Daten gefüttert werden. Alle bislang noch (teilweise) unbekannten, unerforschten Faktoren müssen zwangsläufig aus den Simulationen entfallen. Dazu zählen unter anderem der Permafrost, der Ozean insbesondere in der Tiefe, nicht in den CO2-Ausstoß eingerechnete Erdgaslecks oder andere Quellen für Treibhausgase und das Zurücksterben von Regenwäldern. Die vergangenen Klimaereignisse – Milankowitsch-Zyklen, Vulkanausbrüche, etc. – betrafen eine weitgehend intakte Natur ohne Raubbau an Schlüsseltierarten (z.B. Wale, Haie) und Rohstoffen. Niemals in der Erdgeschichte wurden gleichzeitig und systematisch sowohl der Ozean leergefischt als auch Torfregenwälder abgefackelt als auch Tundren abgeholzt als auch Moore vernichtet als auch ganze Süßwassermeere (Aralsee, Tschadsee) künstlich durch Entnahme trockengelegt. Das lässt sich nicht konservativ prognostizieren, hier müssen Zuschläge nach oben eingeplant werden, wie sie ja in den „Kipppunkten“ (tipping points) formuliert sind, die in Wahrheit viel zahlreicher sind, als dies vereinfacht dargestellt wird.

Das 1,5 Grad-„Ziel“, das immer schon die Katastrophe war, die heute herrscht, ist längst beerdigt. Die zwei Grad bis 2045 stehen ebenfalls fest. Die exponential ansteigende CO2-Kurve am Mauna Loa weist keinerlei Knick oder Abflauen auf. Diese Kurve ist das, was letztlich über gelungene Politik entscheidet. 8,5RCP (ca. +4 Grad 2100) sind trotz des Rückbaus von Kohlenutzung und des Booms von Photovoltaik und Windkraft eine reale Drohung, wenn nicht für 2100, so doch für die Generation danach, die an den progredierenden Wirkungen leiden wird.

Für die Artenvielfalt ist der Sprung von +2 auf +3 oder +4 von geringerer Bedeutung als der Sprung von 0 auf +2 Grad. Die kommenden drei Jahrzehnte werden von einem massiven Absterben von Korallenriffen geprägt sein und damit 40% des marinen Lebens, die verschwinden oder sich auf Relikte zurückziehen. Ganze Ozeane werden sich zeitweise, zunächst alle Jahrzehnte, dann ständig, in zu warme, sauerstoffarme Zonen verwandeln. Regenwälder trocknen bereits jetzt rapide aus, brennen und hinterlassen einen extrem nährstoffarmen Boden, der erodiert und sich ohne Zwischenstadien in Wüste verwandelt. Schmelzende Gletscher hinterlassen ausgetrocknete Landschaften in den Alpen und anderen Hochgebirgsregionen. Einige wenige euryöke R-Strategen werden sich ausbreiten und dominieren. Über Jahrmillionen diversifizierte Ökosysteme mit ihren hochangepassten, endemischen, stenöken k-Strategen werden verschwinden. Kälteliebende Arten werden sich auf die Bergregionen und Hochmoore zurückziehen und dann auch rasch erlöschen. Wir verlieren das, was wir natürliche Schönheit nennen und was in der Menschheitsgeschichte Kunst, Selbstreflexion an Natur überhaupt ermöglichte. Dieser Verlust ist Ergebnis der dahingehend bestens informierten Politik der letzten zwanzig Jahre und damit Resultat eines geplanten Verbrechens gegen die Menschheit.

Wie kann emanzipatorische, humanistische Politik aussehen, die Gesellschaft auf eine +3-Grad-Welt vorbereitet? Die Entscheidung ist nicht die zwischen einer deregulierten neoliberalen Marktwirtschaft und einer regulierten Marktwirtschaft (Sozialdemokratie). Beide haben ein Wachstum von mindestens 2%, besser 4% als erklärtes Ziel, und damit eine Verdoppelung der Warenströme mindestens alle 36 Jahre (bei 2%), bzw. alle 24 Jahre (bei 3%) – nur wollen die Sozialdemokratien die Arbeiter*innen etwas stärker an diesem Wachstum beteiligen als die neoliberalen Modelle. Daher prognostiziert die OECD auch entsprechende Verdoppelungsraten beim CO2-Ausstoß, bei der Plastikproduktion, beim Müllaufkommen, etc.


Die einzige, notwendige Alternative zur wachstumsbasierten, kapitalistischen Gesellschaft ist die Planwirtschaft. Diese wird zwangsläufig ab irgendeinem Punkt der Klimakatastrophe eintreten. Die größere Wahrscheinlichkeit weist auf eine bürgerlich-faschistische Kriegswirtschaft, die entstandene Mängel autoritär durch Unterdrückung von Revolten, weitreichenden Eingriffen des Staates in die Produktion, Umverteilung von Lebensmitteln und effektiven Massenmord an Geflüchteten löst, ohne die Reichtumsverteilung zugunsten der obersten 5 % anzutasten.
Eine progressive Planwirtschaft bedürfte einer demokratischen Basis und Kontrolle bei der Enteignung und Umverteilung von Reichtum, sowie bei der rationalen Diskussion um Einschränkungen von Überschussproduktion und Rückdrängen manipulierter Scheinbedürfnisse. Diese progressive Planwirtschaft ist derzeit absurd unwahrscheinlich einfach dadurch, dass sie keine einzige demokratische Partei überhaupt diskutiert, während die politischen Splittergruppen, in denen Planwirtschaft noch diskutiert werden kann, in aller Regel ideologisch versteinerte Relikte aus den sozialistischen Planwirtschaften rotfaschistischer Prägung, mit Führerkult, Militarisierung der Gesellschaft, starker Stellung der Geheimdienste, Unterdrückung der Redefreiheit und Anwendung von Folter und Todesstrafe sowie Sklaverei in Gefangenenlagern darstellen.

Eine emanzipatorische, auf humanistischen Prinzipien ruhende Planwirtschaft hat derzeit keine gesellschaftliche Basis in irgendeiner Sichtweite. Um diese Sichtweite überhaupt denkbar herzustellen, sind bereits Zeiträume erforderlich, die von der Dynamik der Klimakatastrophe überrollt werden – und darin noch nicht einmal die Drohung eines Atomkrieges berücksichtigen. Daher kann eine emanzipatorische Politik derzeit nur darin bestehen, die Realität einer mindestens 3-Grad-Welt im Jahr 2100 zur Grundlage zu machen und sich das Problem des dann herrschenden Mangels an Nahrung, Wasser und habitabler Zonen zu vergegenwärtigen. Wer immer noch behauptet, Kommunismus würde in den Luxus führen, ist schlichtweg Klimaleugner*in und hat grundlegende Probleme der Ausbeutung von Natur und Mensch nicht verstanden. Planwirtschaft könnte heute etwas Anderes sein als Elendsverwaltung – sie könnte global binnen zwei Jahrzehnten rationale kollektive Wohnformen in Plusenergie-Reihenhäusern und Archen aufbauen, Kreisläufe der Nutzung von Holz, Metallen, Fäkalien herstellen, die Produktion auf das Nötigste zusammenschrumpfen, freigesetzte Arbeitskraft in die Wiederaufforstung der Regenwälder und Bergwälder sowie die Wiedervernässung investieren, so dass ein klimatischer Effekt eintritt und die Klimakatastrophe bei ca. 2 Grad arretiert und danach zurückgedreht wird.
Aber Planwirtschaft ist nicht heute. Sie ist auch nicht morgen, sondern selbst im optimistischsten Szenario allenfalls 2100 überhaupt denkbar, nach nur zwei Generationen Aufbauarbeit gegen alle Widerstände und Widrigkeiten, zu denen algorithmisch rechtsgedrallte Onlinemedien ebenso wie faschistische, nuklear bewaffnete Diktaturen in Russland, Nordkorea und China sowie erstarkende faschistische Parteien im Westen gehören. Der Zivilisation als solcher sind nur marginale Chancen ins Stammbuch zu schreiben.



Die Ideologieproduktion zum neuen Cannabisgesetz

Der Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis liegt vor und produziert Ideologien.
Das Gesetz ist an wichtigen Stellen ein Fortschritt: Privater Konsum wird legal, niemand kann mehr wegen THC im Blut entlassen werden (z.B. Polizisten, Richter, Zollmitarbeiter, etc.). Die Beschaffung allerdings wird ein bürokratisches Monstrum, für das man sich „Cannabis-Clubs“ ausgedacht hat, die höchstens 500 Personen umfasssen dürfen, aber ein Maximum an Kontrollmaßnahmen leisten sollen.
Immerhin: Samenbesitz, -erwerb und der Handel über Grenzen hinweg werden mit §4 rückhaltlos legalisiert.

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Cannabis/Gesetzentwurf_Cannabis_Kabinett.pdf


Die größte Unklarheit besteht zwischen der Erlaubnis, drei weibliche Pflanzen zum Eigenanbau großziehen zu dürfen, jedoch nur 25 Gramm davon „besitzen“, also lagern zu dürfen. Gewächshauspflanzen können weit über 300 Gramm, in einigen Fällen auch über 1000 Gramm Ertrag bringen. Ein Ertrag von 80-100 Gramm pro Pflanze gilt als untere Grenze der Anbauwürdigkeit einer Sorte. Der Eigenanbau für den regelmäßigen Eigenkonsum wird so unter Kunstlicht gezwungen, um eine ganzjährige Versorgung durch Cannabonsai-Pflanzen zu ermöglichen. 1 Gramm pro Tag ist für Dauerkonsumenten normal. Das bedeutet, alle 25 Tage eine weitere Pflanze erntereif zu haben. Die Ernte kann aber nur nach der Blütenreife stattfinden.
Die drastische Beschränkung von Vorratshaltung und Anbau kann daher zu Mehrkonsum führen. Steht eine Ernte an, müssten rein rechtlich Restbestände rechtzeitig aufgeraucht werden – denn die Entsorgung ist nicht geregelt. Eine Abgabe an andere Personen ist nur im Rahmen der Clubs legal. Diese Clubs werden sich naturgemäß auch entlang politischer Verwerfungslinien bilden – schließlich will nicht jeder in einen Club christkonservativer Cannabiskonsument*innen eintreten.

Trotz der drastischen, rundweg enttäuschenden Einschränkungen wird die Scheinlegalisierung als Bedrohung diskutiert. Auffällig ist, dass sich auch die Befürworter*innen des Gesetzesvorschlags häufig auf die Gleichsetzung mit Alkohol zurückziehen. Ob Gehirnschädigungen bei Jugendlichen, psychische Erkrankungen, Unfälle oder Sucht: Der ritualisierte Satz in den Radios derzeit lautet: „Das gilt aber auch für Alkohol“.

Das ist eine schlechte Defensive. Alkohol hat eine vielfach größere psychische und physische Suchtwirkung und vielfach größere Hospitalisierungs- und Verkehrsunfallszahlen. Nach wie vor ist kein einziger direkter Todesfall durch Cannabiskonsum bekannt – wohl aber durch Spice und synthetische Cannabinoide, die als „Legal High“, Tees und Badesalz vertrieben werden und nichts mehr mit Cannabis oder THC gemein haben.

Cannabis hat nun einmal keine physische Suchtwirkung und nur eine milde psychische, die sich als Gewöhnung beschreiben lässt. Wer aufhören will, hört auf. Dauerkiffer können grantig und suchtig werden, wenn sie keinen Stoff bekommen – was aber auch für Kaffeetrinker gilt, denen der Morgenkaffe verweigert bleibt. Dennoch ist der Schritt in die Verwahrlosung durch Cannabis bislang von einem einzigen Faktor dominiert: Der Schritt in die Beschaffungskriminalität.
Wer Cannabis konsumiert, vernachlässt für gewöhnlich trotzdem nicht Körperpflege und Nahrungsaufnahme. Bei Alkoholiker*innen ist die körperliche Verwahrlosung die Regel. Alkohol schiebt sich in der Bedürfnishierarchie nach oben und zwingt Abhängige dazu, Nahrung, Waschen, etc. hintanzustellen. Dosissteigerung ist die Regel. Das starke Zittern hält bei starken Alkoholikern selbst noch nach dem Konsum von Alkoholmengen an, die eine normale Person volltrunken machen würden.

Bei Cannabis stellt sich auch bei Dauerkonsumenten eine Dosissteigerung nur in Grenzen ein. Auch Dauerkonsumenten werden es kaum je schaffen, mehr als 2 Gramm am Tag dauerhaft zu konsumieren.
Und selbst wenn Sorten wie Bruce Banner, Banana, Gorilla, Critical Kush theoretisch THC-Gehalte von 30% erreichen, entspricht das noch nicht einmal gutem Haschisch. Solche Sorten waren bislang teuer und der Illegalität geschuldet: Hochpotentes Cannabis lässt sich für gleiche Wirkung mit bis zu dreimal geringerem Gewicht schmuggeln und verkaufen, wurde aber gerichtlich häufig einem normal- und niedrigpotenten Cannabis gleichgestellt. Ein Großteil der Konsument*innen wird sich in einem transparenten Markt aus freien Stücken für schwächere, berechenbare Sorten entscheiden und sorgfältiger nach Geschmack aussuchen als nach THC-Gehalt.

Was die Schädigung von Gedächtnis und Gehirn von Jugendlichen angeht, haben Arbeit und ideologische Erziehung ungleich größere Auswirkungen. Auch starker Cannabiskonsum in der Jugend wird den später Erwachsenen weniger schwer zu schaffen machen als etwa der Bildungshintergrund der Eltern oder eine streng religiöse Erziehung, Zugang zu gutem Bildungsmaterial oder die Qualität von Lehrer*innen in der Schule, die der Hauptfaktor für Lernerfolge sind. Die meisten psychischen Schäden treten durch Mischkonsum ein: u.A. durch Alkohol, der von Dauerkiffern als Ersatzdroge verwendet wird, aber auch durch Pilze, unaufgeklärt eingenommene Pflanzendrogen (Engelsblüten, Muskatnuss, Fliegenpilz), Amphetamine oder Cocain. Dauerkiffer sind in der Regel zufrieden mit Cannabis, weil die Wirkung über Jahre hinweg relativ gleich bleibt.

Entgrenzungsängste sind unrealistisch, was Cannabis angeht. Angemessen sind sie bei Alkoholismus. Alkoholikern geht es schlecht, wenn sie nicht mindestens eine Flasche Schnaps am Tag konsumieren. Der Entzug kann Alkoholiker töten. Sie werden durch das Zittern bewegungsunfähig, können nicht mehr Treppen steigen oder Flaschen öffnen, können durch den Entzug Psychosen entwickeln.
Dauerkiffer hören von einem Tag auf den anderen auf zu kiffen, ohne körperliche oder psychische Probleme zu haben.
Nikotin- und Alkoholsucht bleiben jedoch ein Leben lang mit einer Rückfallgefahr behaftet. Wer Nikotin- oder Alkoholsüchtig war, wird immer unter Cravingattacken leiden. Dieses Craving wird von einer ganzen Industrie systematisch ausgebeutet. Gaststätten, Restaurants, Getränkehändler, Brauereien, Discos leben vom Alkoholkonsum. Supermärkte verkaufen nach wie vor Alkohol in Kleinstflaschen an der Kasse als Schnuckware – um Alkoholiker*innen rückfällig zu machen.
An der projektiven „Diskussion“ um die ohnehin schon halbgare „Legalisierung“ von Cannabis redet sich die Bevölkerung primär ihr Alkoholproblem schön.

Ebenso geht unter, dass der generelle Umgang mit Sucht grundsätzlich überholt werden muss und eine Entkriminalisierung von Drogen eine unmittelbare Verbesserung der Situation von Suchtkranken zur Folge hat. Drogenprostitution und Beschaffungskriminalität sind zwei der größten Faktoren, die Suchtkranke in Verelendung treiben. In der Diskussion des Cannabisgesetzes wird nach wie vor nicht annähernd hinreichend thematisiert, wie reaktionär Gesellschaft mit Sucht umgeht und wie kontraproduktiv Kriminalisierung für Suchtkranke ist. Die Legalisierung von Cannabis ist überfällig, weil die Droge um ein vielfaches harmloser und weniger gesundheitsschädlich ist als Alkohol und Nikotin.
Eine wirklich humanistische Drogenpolitik ginge aber nicht nur neoliberal vom egoistischen rekreationalen Konsuminteresse der Einzelnen aus, sondern von der Irrationalität der Kriminalisierung Suchtkranker, die zuallererst bei der Entkriminalisierung und kontrollierten medizinischen Abgabe harter Drogen ansetzen müsste. Drogen wie Amphetamine, Cocain oder Opiate und Opioide greifen tief ins hormonelle System ein und erzeugen eine Suchtwirkung, deren Entzug psychisch in vollständige Depression führt oder körperlich in Folter mit lebensbedrohenden Reaktionsbildungen beim kalten Entzug mündet. Hier muss eine humanistische Gesellschaft Möglichkeiten schaffen, das unmittelbare Craving von nun einmal Suchterkrankten legal zu stillen, um dann in einem zweiten Schritt medizinische Substitutionstherapie und langfristige Entzugskonzepte anzubieten.
In einem dritten Schritt würde ein aufgeklärter Umgang mit Drogen nicht nur eine Liberalisierung anstreben, sondern auch eine stärkere Kontrolle von legalen, akzeptierten Drogen. Die Opioidkrise, die in den USA seit den 1990ern andauert, wurde durch legale Medikamente ausgelöst: vor allem Fentanyl und Oxycontin. Die mafiöse Eroberung des US-amerikanischen Marktes für Oxycontin wurde durch die Serie „Dopesick“ thematisiert. Im Schatten der restriktiven Drogenpolitik profitierten wieder einmal legale Tabletten. Im Jahr 2021 starben in den USA 220 Menschen täglich an einer Überdosis. In Deutschland ist die Verschreibung des vergleichsweise schwachen Tramadols üblich. Zwar gilt dieses als gering suchterzeugend, kann aber bei bereits Suchterkrankten Rückfälle auslösen. Bei der Verschreibung von Opioiden gegen starke Schmerzen muss eine Abklärung von vorliegenden Suchterkrankungen stattfinden, um Rückfälle auszuschließen. Dazu bedarf es eines grundlegend anderen Verständnisses von Suchtkrankheit als das bürgerlich-reaktionäre, das Sucht primär auf Disziplinlosigkeit, Arbeitsscheu und eigenes Verschulden zurückführt und die Suchtkranken bekämpft.

Die vermurkste Legalisierung von Cannabis stellt leider ein Ablenkungsmanöver dar, das durch die in Regulierungswut transportierten Ideologien eine wirklich progressive Drogenpolitik sabotiert.

Empfehlung: „Nicht länger nichts!“ – Geschichte der Arbeiterbewegung in vier Teilen

Die Dokumentation „Nicht länger nichts!“ lässt sich auf arte herunterladen oder streamen. Zwei Aspekte sind besonders hervorzuheben: es kommen gebildete, reflektierende Arbeiter*innen ausführlich zu Wort. Ein Schlachtfabrikarbeiter, eine Fließbandarbeiterin, ein zum Historiker fortgebildeter ehemaliger Minenarbeiter brechen klassische Präsentationsformen von Arbeitenden. Wie gebildet Arbeitende waren, wird mit einer Studie aus dem 19. Jahrhundert untermauert, die Arbeitende ihren Lesestoff zwischen Darwin, Marx und Nietzsche angeben lässt. Die gescheiterten Revolutionen führten zur permanenten Selektion der gebildeten Arbeitenden durch Verbannung und Ermordung.
Bildungsgrade sind zwar bis heute einkommensabhängig, aber Bildung und Ausbildungsgrade gehen nicht ineinander auf, wie das Beispiel zahlloser eher wenig zu Reflexion und Denken begabter Professor*innen belegt. Auch geht extremer Reichtum nachweislich nicht mit Reflexionsvermögen, Intelligenz und Aufklärung einher, auch wenn die Superbourgeoisie von Jack Ma über Elon Musk bis Jeff Bezos sich selbst ihren Reichtum aus höherer Gewitztheit oder Leistungsfähigkeit erklärt.
Die Serie legt an Beispielen offen, wie roh und brutal Vertreter*innen der besitzenden Klasse die Ausbeutung planten, raffinierten und letztlich an die Arbeiter*innen manipulativ departementalisierten, bis diese sich ab dem Fordismus ohne äußeren Zwang und für den Konsum von objektiv nicht notwendigen Waren ausbeuteten. Die Beispiele sind zwar in gleicher Strategie wie bei Marx/Engels, aber eher in Erweiterung zu den dort bekannten vorgetragen.

Der zweite Aspekt ist der faire und ausführliche Blick auf den Luddismus. Die Maschinenstürmerei war innerhalb der Zwänge eine legitime und nachvollziehbare Praxis. In Ermangelung der organisatorischen und militärischen Macht zur Übernahme der Produktionsmittel schritten die durch Konkurrenz der Maschinen außer Brot gesetzte Arbeitenden zur Sabotage. Die Entwicklung der Produktionsmittel ging eben nicht strukturell mit einer Erleichterung der Arbeitenden einher, sondern mit höherem Risiko für Gesundheit und härterer Konkurrenz. In den Maschinen wurden die Arbeitenden tatsächlich zermalmt. Mit der Entwicklung von Bohrhämmern im Bergbau sank die Lebenserwartung zunächst, weil die grotesk lauten Geräte die Minenarbeiter noch rascher zerschmetterten und zerrüttelten als vormals die Arbeit mit Hämmern und händisch gedrehten Bohrstangen. Und heute besprühen Maschinen mit Lasertechnologie die Hände der Turnschuhkleber*innen rücksichtslos mit Lösungsmitteln, bis sich deren Haut ablöst und sie von den Dämpfen bewusstlos werden. Der Parteisozialismus verherrlichte den Fabrikarbeiter und damit die Maschinen, die den Arbeitenden den Fortschritt bringen sollten. Stalin machte aus dem Maschinenkult eine regelrechte Religion, deren heiligste Reliquie die immer größere, in den Dienst von Tunnelbau und Landschaftsgestaltung gesetzte Nuklearwaffe wurde. Mao ließ für den „Fortschritt“ einer simulierten Industrialisierung die Arbeitenden Kochtöpfe in Stahlöfen werfen, bis sie abends vor Muskelzittern ihre Suppe nicht mehr essen konnten. Die Maschinenstürmer waren rationaler als vieles, was die sozialistischen Eliten an Ideologien über Maschinen hervorbrachten.


Die Dokumentation hat vor allem drei Mängel: sie ist gerade in der Darstellung internationaler Arbeitskämpfe, z.B. in Südkorea, Japan, Südafrika, Peru viel zu kurz und damit ethnozentristisch. Sie vernachlässigt Marx/Engels auf geradezu kriminelle Weise. Und sie zeigt in ihrem Fazit des Endes einer Arbeitendenklasse zwar reflektierende, pessimistische moderne Arbeiter*innen, aber nicht den Gewerkschaftsalltag und die Struktur von Arbeitskämpfen heute.






Rough Music – Lina E. und der Vigilantismus gegen Nazis

Screenshot aus: Welt Nachrichtensender, 2.6.2023: https://www.youtube.com/watch?v=qitQUaecRd4.

Nach 30 Monate U-Haft erhielt Lina E. nun fünf Jahre Haft für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Der Haftbefehl wurde jedoch wegen guter Führung und langer U-Haft ausgesetzt, was auf Freigang auf Bewährung und unter Auflagen hinausläuft.
In Leipzig wurden nun auch in zweiter Instanz linke Demonstrationen gegen das Urteil verboten.
Und die Innenministerin Nancy Faeser tritt vor die Kamera und behauptet: „Wir gehen tatsächlich genauso entschieden gegen Linksextremismus wie gegen Rechtsextremismus vor.“
Die Gleichsetzung von Gewalt und Gegengewalt, die Vermischung und Verkehrung von Tätern und Opfern – das ist der Punkt, an dem das liberale Bürgertum dem Faschismus zuarbeitet.

Auch wenn die Einzelheiten des Urteils noch nicht bekannt sind, fällt an den dummdreisten Reaktionen darauf auf, dass sie einem Schritt in den Vigilantismus die Legitimität regelrecht aufzwingen. Gerade weil die Innenministerin nicht moralisch Recht und Unrecht unterscheiden kann, gerade weil die Behauptung der Gewaltfreiheit nicht im Sinne des Grundgesetzes und der durch Gewalt geborenen Demokratie ist, gerade weil das Gewaltmonopol durchaus Grundlage eines zivilisierten Miteinanders ist und gerade weil dieses Gewaltmonopol gegen Nazis nicht nur versagt, sondern von Nazis in Judikative und Exekutive durchseucht ist, ist eigentlich ein sozialwissenschaftliches Rätsel, dass so viele Antifaschist*innen nicht zum Vigilantismus schreiten. Das liegt meist daran, dass zum Einen die Angst vor einer Gegengewalt („Aufrüstungsspirale“) und einem Verlieren in den faschistisch dominierten Zonen groß ist und zum Zweiten, dass in der Linken strukturell das Gewalttabu viel stärker internalisiert wurde und jeder Bruch erheblicher Rechtfertigung bedarf.

Terry Pratchett hat eine schöne Metapher für den Vigilantismus geschaffen: Rough Music. Im vierten Band („I shall wear midnight“) der Reihe um Tiffany Aching („The wee free men“), einem der besten Werke englischsprachiger Literatur überhaupt, bringt er den Lynchmob in seiner ganzen Ambivalenz zum Klingen. Auch wenn er seine Hauptdarstellerin Tiffany Aching subversiv gegen den Lynchmob arbeiten lässt, und auch wenn er die rauen Musiker in ihrer hexenjägerischen Infamie zeichnet, blickt er dennoch wohlwollend auf das Prinzip, dass Leute kollektiv „genug haben“ und mit Waffen, die eigentlich keine Waffen sind, extremen Störungen des zivilisierten Miteinanders entgegentreten: gegen häusliche Gewalt, gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Rough Music ist die Revolte, die konformistisch, regressiv und reaktionär sein kann, aber in ihrem Prinzip eine Kulturleistung zur Emanzipation darstellt.
Ein ähnlich ambivalentes Bild des Vigilantismus entwirft Ray Abrahams in „Vigilant Citizens“. Zwar bedrohen vigilantistische Bewegungen das Gewaltmonopol und erzeugen humanitäre Krisen durch Folter und Hexenjagden, sehr häufig entstehen sie aber in Situationen eines schwachen Gewaltmonopols. Sie erodieren weniger, als dass sie Zeichen der Erosion sind: Wie die Steine, die unter dem dünnen zivilisatorischen Humus herausgewaschen werden. Zum Vorschein kommen der KuKluxKlan, rechte Todesschwadronen, Jugendbünde in Tansania, Gewerkschaften, Bürgerwehren gegen Kriminelle und Vergewaltiger – oder weitergedacht eben Sportantifas, die ihren Kietz verteidigen. Der Vigilantismus ist zwar anfällig für rechtsextreme Motive – Folter, öffentliche Erniedrigung, Todesstrafe. Er geht aber nicht darin auf.

Die Erosion oder wenigstens einen erkennbaren Rückstand des Gewaltmonopols im Kampf gegen den Faschismus einzugestehen wäre der erste Schritt ehrlicher Politik. Auch wenn man das Ausagieren von Sadismus in konkreter Gewalt des abschreckenden Zusammenschlagens von Nazis verabscheut, auch wenn der Linksextremismus von schrecklichen Ideologien befallen ist, so gehört doch zum Beweis der politischen Diskursfähigkeit dazu, in Actio und Reactio unterscheiden zu können. Wer heute Nazi wird, ist eine wandelnde Morddrohung, eine Traumamaschine für Opfer des Nationalsozialismus und Nachkommen von Opfern. Bereits der Anblick von offenen Sympathisant*innen des Rechtsterrorismus bedeutet Gewalt für die Opfer. Der Staat hat den Rechtsterrorismus aber nicht nur nicht bekämpft, sondern aufgebaut. Teilweise durch den Verfassungsschutz, teilweise durch Gerichtsurteile, teilweise durch Unterlassung und teilweise in völlig selbstverständlich empfundener Integration rechter Ideologien in den Staatsapparat. All das ist hinreichend und über Jahrzehnte hinweg wissenschaftlich und empirisch belegt: mit den Skandalen um den Verfassungsschutz, mit der NSU-Affäre, mit Nazi-Chatgruppen in Polizei und Bundeswehr, mit der Existenz von rechtsextremen Richtern, mit der schrittweise Umsetzung von rechtsradikalen Forderungen in Realpolitik durch CDU/CSU.
Wo mehrheitliche Wählerschaften Parteien wählen, die ihnen de facto den Genozid an den Außengrenzen der EU versprechen, was die Konsequenz der Politik von CDU/CSU, Freien Wählern, AFD und Teilen der FDP ist, da ist dem Faschismus inhaltlich keine Schranke gesetzt. Wer sagt, es solle Obergrenzen geben, sagt implizit, dass man alle Überzähligen zu Tode bringen wird – durch Drittstaaten, Söldner und natürliche Beschaffenheiten wie Wüsten, Meere, Flüsse, Berge, Winter. Dass diese Erosion von Zivilisation Erfolg hatte, ist Resultat des Terrors von Nazis in den 1980ern und 1990ern und einer großen Welle von Brandanschlägen und Attentaten im Jahr 2015.
Die stetigen Wahlergebnisse für die AFD und die Militanz des Rechtsextremismus vor allem in Bayern und Ostdeutschland zeigen, dass das Gewaltmonopol nicht wirkt oder nicht Willens ist. Das ist eine einfache Beobachtung. Wer das Defizit nicht erkennt und benennt, macht sich der Mittäterschaft schuldig.
Nancy Faeser setzt Linksextremismus und Rechtsextremismus gleich und behauptet in vollendeter Verkehrung der realen Verhältnisse, beide würden gleichermaßen bekämpft. So jemand sollte nicht Innenminister in einem Land sein, das den Nationalsozialismus hervorbrachte. Wer nach dem Nationalsozialismus Rechtsextremismus und Linksextremismus gleichsetzt, ist eine Gefahr für die Demokratie, weil er oder sie leugnet, dass die Demokratie in einem Akt der Gewalt gegen den Faschismus und in den Antifaschistischen Aktionsausschüssen geboren wurde, die in der Übergangszeit die Entnazifizierung organisierten. Wenn SPD-Politiker*innen vergessen, dass 1949 SPD-Politiker den Nazi Wolfgang Hedler aus dem Bundestag prügelten, denselben Wolfgang Hedler, den in die Bundesrepublik übergetretene Nazirichter vom Vorwurf der „Beleidigung des Andenkens Verstorbener“ freisprachen, wenn sie den Antifaschisten Willy Brand und den Nazi Kurt Georg Kiesinger nicht auseinanderhalten können, wenn sie ihre eigenen antifaschistischen Kampfbünde vergessen, die Gewalt gegen Faschisten aus blankem Überlebenswillen konspirativ planen und organisieren mussten, wenn sie das Prinzip der richtigen Gewalt gegen Nazis verleugnen, wenn sie nicht wahrhaben wollen, dass die einen nicht genug bekommen können von Gewalt, während die anderen einfach genug davon haben und deshalb zur Gegengewalt schreiten, produzieren sie einen Treibsand aus Kitsch und Lügen, in dem zuallererst die politische Mündigkeit ertrinkt.




„Dune – Der Wüstenplanet“ – Vom surrealistischen Kitsch zum reaktionären Machwerk



Die Geschichte vom Wüstenplanet Dune zieht ihre Popularität primär aus dem Bild eines Sandplaneten, dessen karger Boden auf wundersame Weise gigantische Wesen ernähren kann. Diese Sandwürmer sind zugleich kilometerlanger Phallus und alles verschlingende Vagina dentata. Wenig verwunderlich, dass sie – ähnlich der Alien-Figur H.R. Gigers – Generationen faszinieren. Kontrolle und Beherrschung dieser bedrohlichen Geschlechtsteile durch den konformistischen Rebell und künftigen Imperator Paul Atreides liefern den symbolischen Kern der Geschichte. Von sekundärer Bedeutung ist das Erlangen von Transzendenz durch eine Rauschdroge, die von den Würmern produziert wird. Der Rest der Geschichten besteht aus frei wütende Assoziationen über dämonisierte Elternfiguren mit den Hauptthemen Gift, Kontrolle und Verrat.

Konsequent war daher Jodorowskys Versuch, eine surrealistische Transkription zu finden. Nach seinem Scheitern konnte die erste Verfilmung durch David Lynch auch nur misslingen. Zwar bleibt Lynch dem surrealistischen Konzept treu, wo er das Symbolische mit Schleim, Eiter und Organität aufzufangen sucht und architektonisch mit einer Mischung aus Goth, Art Deco und Jugendstil-Design aufwartet. Vor allem im Porträt der Harkonnen erinnert er doch stark an ältere Comic-Bösewichte und rutscht unkontrolliert in die homophobe, im Blutritual auch antisemitische Groteske ab. Bei Lynch ist jedoch die chaotische und komplett übertriebene Ekelhaftigkeit der Harkonnen von der polierten Gelacktheit der Atreides nicht zu trennen, sie sind verdrängte Verwandtschaft eher als Gegner. Und Lynch hatte in seinen ekelhaften Figuren den Mut zur Konfrontation des Publikums mit ungewohnten, verdrängten Bildern, die das Publikum in Frage stellen und nicht seine Ressentiments bestätigen.

Die neue Dune-Verfilmung (2021) durch Dennis Villeneuve fällt hinter alles Bestehende weit zurück. Man hätte an den ersten, gescheiterten Versuch von Alejandro Jodorowsky und H.R. Giger anknüpfen können, oder Lynchs Version vorantreiben. Im neuen „Dune“ wurden aber surrealistische Momente rigoros stillgestellt und die kolonialen und rassisierten Erzählmomente nicht etwa aufgehoben, sondern verstärkt. Villeneuve muss Lynchs Version so sehr gehasst haben, dass er sie vollständig ignoriert. Anstelle einer modernisierten, aufgeklärten Interpretation steht nun ein verkrampfter Kriegsfilm, der die Vorlage tatsächlich ernsthaft auserzählen will: als „Star Wars für Erwachsene“, wie der Regisseur verlautbart. Die Möglichkeiten, die eine surrealistische und antikoloniale Neuverfilmung geboten hätte, wurden nicht nur nicht ausgeschöpft, sondern vollumfänglich verstoßen.

Die Erzählung von „Dune – der Wüstenplanet“ entsteht unweigerlich als Parabel zur geschichtlichen Eroberung des Erdöls. An der Oberfläche genutzt und geschützt von einer nur als „arabisch“ lesbaren indigenen Bevölkerung, den Fremen, lauert unter der Oberfläche die Rache der Natur in Form von Sandwürmern. Damit ist das Grundproblem des Kapitalismus abgesteckt: Enteignung, Gewalt und Raub im Zuge der „primitiven/ursprünglichen Akkumulation“ und Naturbeherrschung ohne Versöhnung. Dune tatsächlich als Kapitalismuskritik zu lesen, zeugt allerdings von tiefen Standards.

Antikolonialistisch war diese Erzählung jedenfalls nie. Lawrence von Arabien, Karl May und andere Produktionen verliehen der westlichen Hinwendung und Bewunderung für arabische „Wüstenmacht“ Ausdruck. Die Strategie des Westens war (vielleicht mit Ausnahme Algeriens) nicht, die arabische Welt zu brechen und zu durchherrschen, sondern die djihadistischen, nationalistischen und demokratischen Bewegungen zu fördern, ihnen eine Befreiung vom osmanischen Reich zu versprechen, und dann Herrschereliten wie die Sauds mit Macht im Tausch für Öl auszustatten. Orientalismus und Arabesken verbrämten und verniedlichten die politische Gewalt des entstandenen Reichtums und des religiösen Fanatismus.

Als Gegenmacht diente aber rasch nicht mehr das osmanische Reich, sondern kurzzeitig der italienische und deutsche Faschismus und dann wesentlich länger und intensiver die Sowjetunion, die Modell für die Harkonnen steht. Alle Seiten umwarben die „Wüstenmächte“ der arabischen Welt und alle tendierten dazu, im Zweifelsfall den jungen Staat Israel den arabischen Mächten auszuliefern. Die Kolonisierung der arabischen Welt ist anders als die des Trikonts von Identifikation mit Klischeebildern geprägt: Haremsdamen mit durchsichtigen Schleiern, wertvolle Gewürze, Aladins Wunderlampe, 1001 Nacht. Diese in der Vorlage schon vorgegebenen Bilder werden von Villeneuve ohne Skrupel bedient: am stärksten in der blauäugigen jungen Frau mit Schleier, die als erotisches Objekt die Träume von Paul Atreides durchwandelt.

Die Erzählung von „Dune“ insbesondere in seiner neuen Ausprägung bietet vor diesem politischen Hintergrund eine Projektionsfolie primär für den westlichen, rassistischen Blick. Spice „hellt“ den Blick auf, macht dunkle Augen „blau“ und letztere werden als Symbol von Weitsicht, Klarsicht und Weisheit eingeführt. Blaue Augen machen dergestalt die freiheitsliebenden „Fremen“ vor allem für ein weißes Publikum zum Identifikionsobjekt. Es hätte einer reflektierten postkolonialen Bearbeitung von Dune offen gestanden, dieses für die Erzählung irrelevante, aber zutiefst der Rassenlehre entspringende Motiv zu ändern.

Dune war bislang ein weißer Traum, der von weißen Darstellern gespielt wurde.  Daran ändert in der Neuverfilmung auch die nunmehr dunkle Hautfarbe einiger Statisten nichts. Der erste schwarze Mensch im Film ist ein Kundschafter, ein Dienstbote eines unsichtbaren Imperators ohne eigene Macht oder Charakter. Er bleibt im Stereotyp der schwarzen Hofdiener, die sich Fürstenhöfe hielten. Die zweite Figur ist die der nunmehr weiblichen „Ökologin“ Liet Kynes, die ebenfalls im Dienst des Imperators steht. Die Kombination von Schwarzsein und Ökologie entspringt der rassistischen Gleichsetzung von schwarzer Haut mit Natur. Auch diese Figur bleibt ein stereotypes Token. Sie stirbt wie für Hollywoodfilme üblich, sehr rasch und erhält keine Chance auf einen komplexeren Charakter.  
Die dritte, sprechende Figur mit schwarzer Hautfarbe ist Teil einer Fremen-Bande. Der „erfahrene Krieger“ fordert den weißen Held und Mahdi zum Kampf und verliert erwartbar. Dieser Schicksalskampf zwischen weißem Held und schwarzem Gegner ist ein austauschbares Element zahlloser kolonialer Erzählungen und nur weniges an Reflexion über rassistische Geschichte hätte genügt, um dieses Bild dem Publikum nicht aufzudrängen. In der filmischen Logik wird das Töten eines Menschen mit dunkler Hautfarbe notwendig, um sich als Mahdi zu beweisen. Aus einem weißen Film wurde ein Film, in dem Weiße Schwarze töten müssen, um heilig gesprochen zu werden.  

Auch die Identifikation mit den indigenen Fremen ist nur scheinbar anti- oder postkolonial. Sie bleiben Statisten mit einer Funktion: sich mit der weißen Erlöserfigur zu identifizieren. Das Haus Atreides verspricht den Fremen zunächst eine Entwicklungsherrschaft: Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Tausch gegen Sicherheit und Wohlstand. Das ist das exakte Selbstbild kolonialer Herrschaft, die sich ja nicht als die zynische Ausbeutung darstellte, die sie war, sondern als Befreiung der Kolonisierten von Sklaverei, Feudalismus und Seuchen. Das Gegenbild der Harkonnen als zynische Ausbeuter dient primär der Aufwertung – wie auch „Tim und Struppi am Kongo“ gegen weiße Räuber kämpfen, um sich von den Schwarzen auf den Thron heben und feiern zu lassen.

Dass die Bene Gesserit als Frauenorden mit Macht ausgestattet scheinen, arbeitet dem Missverständnis einer feministischen Erzählstruktur zu. Der Zweck des Frauenordens besteht aber darin, einen männlichen Messias zu ermöglichen, wie auch die weibliche Hauptfigur als Mutter ihren Lebenszweck auf den Machtgewinn ihres Sohnes ausrichtet. Ihre anfangs überlegene Intellektualität als lehrende Mutter wird auf dem Wüstenplanet sofort verkehrt: Sie wird übertrieben passiv, feminin, hilflos gezeichnet und muss sich von ihrem erstarkenden Sohn Basisbanalitäten wie den Sandmarsch oder das Anlegen des Fremen-Anzuges mansplainen lassen.

An toxischer Männlichkeit ist der neue Film überreich und hier wird der gigantische intellektuelle Unterschied zwischen Lynch und Villeneuve frappant. Im ersten Auftritt prüft der „Hubschrauberpilot“ Duncan Idaho die „Muckis“ von Paul Atreides, um ihn dann wie in tausenden bekannten toxisch männlichen Hollywoodwitzchen als Schwächling zu verhöhnen. Dieses Männlichkeitsideal wird bis zu seinem Tod durchgehalten und glorifiziert: Er ist ein Krieger ohne jedes Drama. Lynch war – trotz aller gebotenen Kritik an seiner Esoterik – Männlichkeit in all seinen Filmen verdächtig. Er konfrontiert sie bewusst mit ihren Urängsten, mit Kastration und Versinken in Schleim, Speichel und Wahnsinn. Villeneuve glorifiziert patriarchale Männlichkeit ohne eine einzige Frage an sie zu stellen.
Die Vorstellung, dass man in 8000 Jahren noch und wieder „Muckis“ sagen und prüfen würde, widerruft jede Idee von Fortschritt, und spricht zugleich Bände über die mangelnde Befähigung der Storyschreiber, eine künftige Gesellschaft zu denken. Diese Welt ist konservativ bis ins Mark gestaltet, als Abbild des WASP-Amerika, und das nicht als Dystopie, als Reaktion auf vergebliche Revolten, sondern so, als hätte es diese nie gegeben, als wären diese in 8000 Jahren nicht denkbar. Die Krieger sind Männer und Männer sind Krieger. Frauen sind Mütter und bestenfalls Hexen. Sie sind Statisten der Apotheose Pauls und der Film damit auf ein reines narzisstisches ödipales Drama reduziert, als Mutter-Kind-Dyade, in der der Sohn eine gewaltige, bezähnte Penisvagina reiten muss, um mit einer dämonischen Vaterfigur in Konflikt treten zu können und ihn, bzw. den idealisierten toten Vater abzulösen.  

Konservativismus spiegelt sich auch in der Ästhetik wieder. Die Berufung auf römische und griechische Mythologie wirkt ebenso altbacken wie die Kostüme, die von 8000 Jahren Fortschritt nichts spüren lassen. Alle Dune-Versionen hatten dieses Problem. Villeneuve kehrt zur orthodoxen Toga zurück, die Uniformen sind die von heutigen Armeen, immer noch schwelgt man in Stier- und Schwertkämpfen, rügt sich in War-Rooms, prahlt in Prätorianergardenromantik und dem Jargon von Marines. Man dient sich faschistischer Ästhetik an wie der Futurismus einst. Das taugt nicht einmal für eine Dystopie, sondern es wirkt einfach ebenso ranzig und angestaubt wie sämtliche Dialoge im Film.

Theatresk, holzig, bemüht und flach bleibt der Modus des Sprechens durchweg. Kein überraschender Satz wird hier gesprochen, kein Soziolekt, die Mimik bleibt unglaubwürdig und dem Klischee verpflichtet.
Jede Choreographie des Kampfes ist hundertmal in anderen Filmen zu sehen gewesen. Was Jackie Chan, zahllose Kung-Fu-Filme, die Matrix-Trilogie sowie neuere chinesische Filme im Gefolge von „Hero“ und „Tiger and Dragon“ jeweils an Originellem ausarbeiteten, wird hier nicht einmal im Ansatz erreicht. Den Kämpfen fehlt alle Dramaturgie, jede Poesie, bis hin zum letzten Schwertstreich ist alles wiederholter und erprobter Effekt.   

Was die Ästhetik der Ökologie von Dune angeht, hat es neben den obligatorischen Wüstenwürmern nur für eine Wüstenspringmaus gereicht, die mit ihren Ohren Wasser aus der Luft filtert. Man darf annehmen, dass der zweite Teil noch einige Wüstenbüsche und Bäume zeigt, womöglich noch eine Schlange. Ausformuliert wirkt lediglich die brutalistische, futuristische Architektur und als Einzelprojekt die den Libellen nachempfundenen Ornithopter.
Was Ambivalenz als Stilmittel angeht, gibt sich die Neuverfilmung keinerlei Mühe: Alles wird erklärt, nichts bleibt offen oder unklar. Die einen sind gut, die anderen böse. Der Verrat ist offensichtlich, der Fortgang unvermeidlich. Klischee folgt Klischee folgt Klischee.  

Erzeugte Lynch noch eine Sphäre des Verklemmten, des zutiefst falschen, widersinnigen in den Gesellschaften, die sich auf vielen symbolischen Ebenen bekriegen, will Villeneuve die Atreides zu Identifikationsfiguren in einem Kampf von Gut gegen Böse aufbauen und die Harkonnen als barbarisches Gegenprinzip. Reflektiert Lynch in seinen Harkonnen wenigstens noch den Abspaltungsprozess, wird er bei Villeneuve ganz unreflektiert unterstützt.

165 Millionen den Arbeiter*innen mittels Manipulation herausgepresster Mehrwert müssen sich moralisch ebenso rechtfertigen wie ein Staatshaushalt. Unterhaltsam sind die Raumschiffe, die wie in jedem neueren Film seit Space Balls und Independence Day monströs zu sein haben. Alles andere ist endlos recycelter Müll aus der Filmretorte. Villeneuve schafft keine Dystopie, er nutzt die spektakuläre Kulisse, um einen hollywoodkonformen Kriegsfilm nach Schema F herunterzuleiern.