Missing Link between witchcraft-notions and anti-Semitism

Auf Ghanaweb.com wurden die Siedlungen für Hexenjagdflüchtlinge zur Diskussion gestellt. Unter den Kommentaren findet sich dann in diesem dankenswerterweise unzensierten Medium der obige Kommentar. Das ist die offenste Übernahme von antisemitischem Repertoire in Hexereivorstellungen, die mir bislang begegnet ist. Da mittlerweile die Siedlungen bekannt gemacht wurden, um auf die Probleme der Frauen aufmerksam zu machen, stellen solche Randgruppen eine nicht zu vernachlässigende Bedrohung für die knapp 4000 Hexenjagdflüchtlinge dar, die sich in Nordghana in den sieben von mir besuchten Schutzhaftsiedlungen mit Mühe und Not über Wasser halten.

Ghanaweb.com published an article about the settlements for witch-hunt victims. The comment above was postet and can be read thanks to the uncensored board. It is the most open adaption of anti-Semite aggression to witchcraft notions that I ever met. Due to the publication of the settlements locations for public knowledge about the issue these aggressive minorities could pose a threat for the 4000 victims of witch-hunts who already bear utmost hardship in the seven settlements for witch-hunt victims in northern Ghana.

Avatar

Henry Rouseau - Der Traum

Henry Rousseau - Der Traum

Ursprüngliche Akkumulation ist ein schmutziges Geschäft. Die Verleugnung über die „von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, schmutz- und bluttriefend[en]“ (Marx, Kapital I, 788) Fundamente kapitalvermittelter bürgerlicher Freiheit machten Marx und Engels zu einem Hauptanliegen in ihren Schriften. Die gewaltsame Verschiebung von Bauern in England wurde als Mordbrennerei zugunsten des europäischen Wollbooms organisiert, den Unwillen der Arbeitslosen domestizierte Edward VI. mit drakonischen Maßnahmen (Marx, Kapital I, 763).

Und so rational und unvermeidlich die effizientere Nutzung der nord- und südamerikanischen Weiten durch die einströmenden, landlosen europäischen Massen war, so pathologisch verlief die rassistisch unterfütterte Landnahme, die ein verhandelbares ökonomisches Konkurrenzverhältnis zwischen Jäger- und Sammlertum und moderner Agrikultur in eine hässliche Serie von durchaus gegenseitigen Massakern und Vernichtungskampagnen verwandelte. In Südamerika dauern diese Indianerkriege bis heute an.

Das Unbehagen über solche Prozesse spürt die bürgerliche Gesellschaft, weil sie ihr Selbstverständnis einer freien und gleichen, durch Konkurrenz stabilisierten Gesellschaft trübt. Sie hatte historisch kein Äquivalent anzubieten, das die Aufgabe des Jäger- und Sammlertums zugunsten der Arbeit in Minen unter Tage oder der Zerschindung von Menschen in Kautschukplantagen attraktiv erscheinen ließe – der Rassismus diente sich als Legitimation an, das Unmenschliche den zu Tieren und Dingen Erklärten antun zu können, weil die technologische Überlegenheit es erlaubte. Das technologisch-kulturelle Experiment „Avatar“ ist Ausdruck und Folge dieses schlechten Gewissens.

Avatar trifft eine im ganzen Manierismus noch deutliche Aussage über die (Un-)Verhandelbarkeit von Interessen in einem assymetrischen Konflikt zwischen einer hochgerüsteten Industrie-Gesellschaft und einer Jäger- und Sammlergesellschaft.

Der Kapitalzweck wird als abstraktes Prinzip benannt: die „Aktionäre“ und die historisch entstandenen Bedingungen auf dem Planeten Erde. Verleugnet wird nicht, dass dieses abstrakte Prinzip pathologische Charaktere hervorbringt und sich ihrer bedient. So stereotyp der narzisstische Wut ausstrahlende Machtmensch in seiner Kampfrüstung gezeichnet wird, so verharmlosend ist das Bild noch gegenüber jenen realen, historischen Indianerschlächtern und Sklavenhändlern. Stellt Star Wars noch interessante, mythologische Figuren des Bösen auf, wagt es Avatar den Stellvertreter des Kapitalinteresses als so belanglos, austauschbar und langweilig zu zeichnen, wie sie wirklich sind. Diese beiden Prinzipien, kultiviertes Desinteresse und individuelle, berechnend überschnappende Pathologie auf Seiten der Exekutive, sind die beiden Elemente, die mit dem enormen Potential der Produktionsverhältnisse ausgestattet mörderisch wurden und werden. Was diesem Verhältnis gegenübertritt, wird von ihm notwendig angesteckt, hat gar keine andere Wahl, als sich pathologisch daran aufzurichten, wenn es nicht in nicht minder pathologischer Agonie erstarren will.

Die beiden Rousseaus sind theoretische und ästhetische Grundlagen, von denen Avatar zehrt. Mit Jean-Jacques Rousseau lässt sich Avatar so kritisch wie affirmativ lesen, was den entsprechenden Experten überlassen bleibt, die den Wandel von amour soi zur amour propre, von Vergesellschaftung und Instinkten nachzeichnen können. Jenseits des Skeptizismus Rousseaus gegenüber einem Naturzustand zeichnet sich in Avatar Intelligenz innerhalb der naivisierten indigenen Welt durch Konfliktvermeidung aus, nicht durch Beherrschung. Der Urzustand wird als mit ins Äußerste räuberischer Natur versöhnter visualisiert und erotisiert – aggressive Komponenten können in ihrer Reduktion auf Nutzbarmachung geleugnet werden. Das furchtbarste Raubtier wird in dieser Idealisierung noch schön wie die Tiger und Panther des Meisters der Grüntöne, Henry Rousseau. Das Ganze wird zum Gegenstand in HD und 3D wie der Maler einst Hintergrund und Einzelheit gleichermaßen scharf zeichnete. Besonderes gibt es nur im Spiel mit anderem Besonderen, ein Vorrecht wird allein dem Ambiente zugestanden, in dem das Individuum sich trotz der Appliziertheit nur akzidentiell aufzuhalten scheint, aufgrund irgendeiner Erlaubnis, die aus undurchsichtigen Gründen und auf Abruf erteilt wurde.

Doch dieses Versöhnungsidyll ist so brüchig, dass nur der reine Stil des medialen Zaubers es verkitten kann. Das Traumhafte rechtfertigt die Ausnahme von der Realität und ist doch von dieser schon ins Korsett gedrängt. Die Phantasie lebt von einem phallischen Unterwerfungsakt, der keine rationale Idee von Gesellschaft voraussetzt, sondern nur ein spezielles Ökosystem. Weil die Ressource des Idylls eine biologische Vorraussetzung ist, bleibt als einzige Möglichkeit an diesem teilzuhaben die Verwandlung in einen anderen, weniger verwundbaren Körper – es gibt kein Rousseau’sches Sofa im Dschungel, die Raubtiere kennen Hunger, aber kein Erstaunen.

Die Unterwerfung der Tiere selbst ist als Abbild der derzeitigen Produktionsmittel gestaltet und so hochtechnologisch wie sexualisiert ausgestaltet – „herunterladen“ könne man letztlich die Informationen aus der Natur, die dem profanen Supercomputer, zu dem die vollends aufgeklärte Mythologie ihren Gott erklärt, gleichgemacht wird. „Verlinken“ eröffnet den Gesunden, Starken die Vernutzung der schicksalhaft bereitgestellten Ressourcen. Das erlaubt die Großartigkeitsphantasie, nach der ein bestimmter Humanoid die Krone der Schöpfung sein soll und es erlaubt zugleich die Verspiegelung dieser Großartigkeitsphantasie durch die Unterwerfung unter ein großes Kollektiv im echtesten Latour’schen Sinne.

Diese Janusköpfigkeit ist das Element eines anderen Phänomens, das im zwanzigsten Jahrhundert die ursprüngliche Akkumulation an blutiger Hässlichkeit noch überbot – der nationalistische Faschismus. Wie bei diesem bedarf es erst der externen Bedrohung und des mit narzisstischen Attributen überschütteten Führers, um Einheit unter den konkurrierenden „Stämmen“ zu erzeugen. So kalt der desinteressierte Kapitalverwalter die Ausbeutung der Ressourcen organisiert, so emotionslos geht der zum Anführer etablierte Außenseiter zur Verwaltung seiner propagandistisch aufgeputschten indigenen Truppen über, opfert sie in sinnlosen Gemetzeln. Der Gang durch die  ehrfürchtigen Reihen zum Endziel der Geliebten ist derselbe wie der an anderen Gräbern desinteressierte durch einen Friedhof. Der Blick des Führers hebt sich entrückt zu einem fernen Ziel, während alle ihn anstarren, für den sie doch nur dasselbe Mittel zum Zweck sind wie die unterworfenen Tiere. Dass weder Schauspielern noch Regisseur ein anderer Ausdruck einfallen wollte bezeugt die Wirkungsmächtigkeit der Pose und die Vernabelung mit einer alltäglichen, massenhaften Erfahrung: ignoriert zu werden obwohl man doch selbst alle Aufmerksamkeit widmet.

Die Verherrlichung des Lebens in der Natur auf Pandora ist eine der Jugend. Stärke und Schönheit machen den edlen Wilden aus, solange er nicht gerade Verräter und Dämonen zur Hinrichtung vorbereitet wie später die Inquisitoren und Revolutionäre. Im Alter ersetzt dann Autorität Sexualität. Da man sich als mit dem Tode versöhnt gibt, bedeuten Krankheit und Schwäche nur einen negativen Kontostand in einer Welt, in der man alle Energie von einer Art natürlichen Bank geborgt haben will und irgendwann seine Hypothek im verwirklichten Äquivalententausch einlösen muss.

Es gibt schlimmeres als den Tod. Soviel ist daran wahr, dass aller technischer Fortschritt nichts wert ist, solange das Leben kein wirkliches ist. Solange haben die Kolonialisten auch nichts weiter anzubieten als „alkoholfreies Bier und Jeans“ und nur die Abwertung als verlaust und stinkend kann das eigene Leben als besser erscheinen lassen. Was die Indigenen auf Pandora anbieten ist der gleiche Zauber in bunt. Hat die eine Seite dicke Hubschrauber, kann die andere mächtige Tierwesen auffahren. Wie auf der einen Seite jene mit dem prunkvollsten Kraftfahrzeug beeindrucken wollen, so erfüllt auf der anderen Seite der größte Flugsaurier den gleichen Zweck. Beim Anblick des unterworfenen gelblichen Raubtieres ist die Indianertochter flugs versöhnt und darf mitfliegen. So wird der Versuch, endlich emanzipierte Frauenfiguren in Filme einzuführen letztlich doch zunichte gemacht, nicht zuletzt dadurch, dass keine anderen emanzipierten Männerrollen zu vergeben waren als das Kind, dessen unschuldiges Spiel mit der Kastrationsdrohung beantwortet wird.

Das mag am ökofeministischen Einfluss liegen, der das Gaja-Ideologem aufbereitet. Natur kann nur als technisiertes Konzept bestehen. Diese Einheit von Humanoid und Natur sei „kein heidnischer Voodoo-Zauber“, sondern messbar, real. Die Abgrenzung erfolgt zu zwanghaft, um glaubhaft zu werden. Das gesamte Filmprodukt ist ein einziger Zauber, der sich in diesem Zitat vergewissern muss, dass seine Idee keine esoterische, magische sei.

Interessanterweise wird in dieses Pathos ein Thema eingeflochten, das eher ein seltenes im Film ist, das der Ethnologie. Deren zweckrationaler Einsatz des Verstehens muss scheitern, wo er nur als sparsamerer Weg zur Beherrschung gewählt wird. Soviel ist wahr an der Kritik. Der theorielose, spielerisch-naive Charakter entspricht dem derzeitig propagierten Ideal eines Feldforschers in einer sich gegen Theorie abdichtenden Ethnologie. „Going native“ ist die Folge, wo die eigene Gesellschaft als unbeherrschbar empfunden wird, die zugewiesene Rolle in der Fremde die in der eigenen Gesellschaft an Dienstgrad und Lustgewinn bei weitem übertrifft. Vom querschnittsgelähmten, befehlsgebundenen Marine zum kraftvollen, elastischen Anführer mit Kohlefaserverstärkten Knochen – es bedarf keines besseren Gesellschaftsmodells und erst recht nicht der Einsicht in dieses, um diesen Tausch attraktiv erscheinen zu lassen. Würde der Film also wirklich an seine vorgeschützte Gesellschaftskritik glauben, würde er nicht dieses Sonderangebot auf ein besseres Leben auffahren müssen.

Fortune telling

Wird 2010 ein schwarzes Loch aus der Schweiz die Erde verschlingen?

Natürlich nicht. Ein schwarzes Loch kann nur Massen anziehen, die geringer sind als es selbst. Ansonsten heftet es sich selbst einer größeren Masse an. Die Energie, die hypothetisch Masse im Teilchenbeschleuniger auf das Niveau eines schwarzen Lochs verdichten könnte rührt von der Geschwindigkeit, mit der zwei winzige Massen aufeinandergeschossen werden. Ein echtes schwarzes Loch aber zieht geringere Massen an, weil es selbst aus ultradichter Materie besteht. Es ist kein mystischer intergalaktischer Vampirstaubsauger mit unsichtbarem Beutel, sondern nur ein ziemlich dichter Stern, der keine Photonen mehr reflektiereren kann, weil seine Anziehungskraft selbst die Energie der schnellen Lichtteilchen  neutralisiert- soweit erkläre ich es mir aus Schulbuchwissen über Astronomie und Energieerhaltungssätze.

Zur Vorsorge kann man das winzige schwarze Loch auch zu den anderen in eine Käseglocke sperren. Da seine Anziehungskraft zu gering ist, um die Stabilität der Kristallstruktur der Glasmoleküle aufzubrechen, wird es darin einfach verschimmeln.

Die verbreitete Katastrophenphantasie soll nur davon ablenken, dass das wirklich schlimmste schon lange Realität ist und niemals enden könnte.

Die Entenmacher aus Peru – Hexereivorstellungen, Urban-Legends und Ritualmordlegenden

Man kann von JournalistInnen kaum erwarten, dass sie über ethnologisches Fachwissen verfügen. Dass sie ihre Quellen prüfen allerdings schon. „Fett-Mafia in Peru: Menschen getötet, Fett an Kosmetikindustrie verkauft!“ Der Bericht von BILD gewohnt faktisch, man glaubt den Aussagen eines Polizeioffiziers.“Grausige Mörder in Peru: Fett von Leichen verkauft!“ titelt es vom Vorarlberg, hier ist man allerdings schon professioneller und stellt die Geschichte in Zweifel. „Handel mit Menschenfett in Peru: Dutzende Menschen verschwunden!“ Die taz bringt die Schuld der Europäer ins Spiel, weil in ihrer narzisstischen Ideologie keine noch so perfide Verschwörung der Welt ohne die hervorragende Genialität und Letzschuld der Europäer bestehen kann.

Heute wurde bekannt, dass es sich bei dem Bericht um eine Ente handelt, die der dortige Polizeikommissar verbreitete, weil er damit Ermittlungsprobleme übertünchen wollte. EthnologInnen und SüdamerikanistInnen ist diese spezielle modernisierte Ritualmordlegende lange bekannt. Michael Taussig etwa erwähnt sie in seinem Buch über den Tiu-Kult der Bergarbeiter in Bolivien. Im Volksmund sind es Hexen oder andere spirituelle Übeltäter, die Blut oder Fett der Opfer aussaugen. Die erfahrenen Schrecken der Versklavung durch ganz reale Oligarchen rationalisierte den sehr speziellen Spiritualismus der Anden heraus und hinterließ einen international durchschlagskräftigen Mythos. Prinzipiell wäre eine solche Perfidie der mafiös orchestrierten Nachfragedeckung möglich und in Punkto Grausamkeit auch gar nichts besonderes in der Geschichte Südamerikas. Dass von hunderten von Varianten dieses Mythos gerade die eine ihren Weg in die internationale Presse fand und diese blamierte, ist wohl vermittelt durch die Autorität eines Polizisten und die tatsächliche Mordserie. Ungeklärt bleibt, wieso man afrikanischen urban legends nicht nachgeht, nach denen Kriminelle ihren Opfern das Blut aussaugen und dann an die Weißen verkaufen. Vielleicht weil sich diese Mythen dann doch wieder zu sehr mit der Realität vermischen, in denen Schwarzmärkte für menschliche Körperteile florieren, weil man sich von diesen magische Profitmaximierung verspricht. In Lagos oder Südafrika werden regelmäßig verstümmelte Leichen gefunden, denen man Genitalien, Blut oder Körperteile entfernte. Für Südafrika beläuft sich die Schätzung auf über hundert Ritualmorde pro Jahr. Diese Realität ist vermittelt mit dem sehr tiefen Glauben der Menschen an die magischen Kräfte solcher Rituale – Vorstellungswelten übersetzen sich in Taten, die jene Vorstellungswelten reproduzieren. Den Verzweifelten und den von Gier und Angst um ihren Erfolg Geplagten bietet sich das Menschenopfer als einziger Weg ins Glück an, wo man Reichen grundsätzlich jenes Verbrechen unterstellt. Reichtum ohne Menschenopfer ist kaum mehr vorstellbar und das evangelikale Christentum tut sein Bestes, diese Vorstellung von Wohlstand durch das universale (und damit ungleich sparsamere) Opfer eines Gottessohns zu stärken. Solche Magie entspricht im wesentlichen auch derjenigen, die meint, man könne Wohlstand produzieren, indem man Flüchtlinge im Mittelmeer ertränkt.

Nachtrag: Die taz gibt sich in der Richtigstellung souverän als habe sie das Märchen von Anfang an nicht geglaubt –  und als hätte es  in der taz keine reißerische Schlagzeile zum Thema gegeben.

Witchcraft, Displacement and Human Rights Network online

Ein neues Netzwerk versucht, innerhalb der UNHCR die Bestrebungen um ein Ende der Hexenverfolgungen in allen Teilen der Welt zu forcieren. Fast jeden Tag findet man hier neue Zeitungsmeldungen und lesenswerte wissenschaftliche Artikel zu Hexenverfolgungen. Dass von der UN allerdings im Allgemeinen nicht viel zu halten ist, sollte bekannt sein.

http://maheba.wordpress.com/

Rassenmutter und Rebellin – Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus – Rezension

Rassemutter und Rebellin – Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus. Felix Wiedemann, 2007. Würzburg: Königshausen & Neumann. 465 Seiten, 58 €.

Die Hexenverfolgungen der europäischen Frühmoderne wurden von ProtagonistInnen aus den verschiedensten Spektren vereinnahmt. Felix Wiedemann unternimmt in seiner überarbeiteten Dissertationsschrift den Versuch, die Bedeutung des Hexenthemas für die Ideologienbildung in der völkischen, esoterischen und der feministischen Szene zu klären.

Das voluminöse Werk weiß vor allem durch eine Fülle  und Vielfalt von Literaturangaben, Verweisen und Topoi zu überzeugen. Kaum ein Vertreter oder eine Vertreterin der völkischen Szene, der Esoterik oder des Ökofeminismus bleibt unerwähnt. So liest sich das Buch zugleich als überaus dichte Einführung in Geschichte und Ideologeme der überwiegend deutschen Ideologie seit dem 19. Jahrhundert und der postnazistischen esoterischen Strömungen. Zwischen den Zeilen wird dezent Wiedemanns antifaschistische Grundeinstellung deutlich, die zudem auf einer für den deutschsprachigen Raum noch seltenen Konzentration auf den nahezu allen Bewegungen inhärenten Antisemitismus aufruht.

Ausgangspunkt der Betrachtungen Wiedemanns ist eine Trennung von rationalistischen und romantischen Hexereidiskursen. Die rationalistischen Diskurse versuchen nach Wiedemann, über die Ablehnung der Hexenjagden als Aberglaube ihre eigene Position als rationale aufzuwerten. In diese Kategorie fallen Deutungsmuster, die in den Verfolgten Angehörige eines aufgewerteten Kollektivs sehen und die Hexenjagden als Einbruch christlichen Aberglaubens in ein vermeintlich aufgeklärtes oder mit Spiritualität versöhntes Heidentum. Der Kern des als Fremdkörper entworfenen „christlichen Aberglaubens“ wird bei den völkischen rationalistischen Diskursen, jedoch gerade auch in neueren feministischen Verlautbarungen zumeist auf das Judentum zurückgeführt, wie Wiedemann in zahlreichen Beispielen nachweist. Dieser in morbider Monotonie durch die jüngere Geschichte anzutreffende Rückschluss vom Topos des christlichen Aberglaubens und der christlichen Fremdherrschaft auf das antisemitische Ressentiment ist einer von Wiedemanns zentralen Befunden, auf den er immer wieder verweist.

Leider vermeidet Wiedemann  eine eindeutige und nachvollziehbare Differenzierung von rationalistischen Stimmen, die sich in integrer Absicht gegen zeitgenössischen Okkultismus und Hexereivorstellungen wandten und jenem eindeutig instrumentalisierenden und projizierenden völkischen Millieu, das er als rationalistisch kategorisiert. Er insistiert daher zuweilen etwas vorschnell auf einer grundlegenden Anfälligkeit der gegen das Christentum und gegen Hexenjagden gerichteten aufklärerischen Positionen für den Antisemitismus und den Umschlag ins Völkische.

Romantische Ideologeme integrieren die von Wiedemann als „rationalistisch“ umschriebenen Positionen zuweilen in ihrer antichristlichen Volte. Vorherrschend ist jedoch die Phantasie über eine reale Hexengemeinschaft, die als Hüter eines spirituellen, esoterischen Geheimwissens, oder im Falle völkischer Interpretationen auch als Vertreter einer eigenen, höherwertigen Rasse fungiert.

Beide Diskurse sind frei kombinierbar, ein Topos, den Wiedemann  in einer Fülle von  Zitaten nachweist, wenngleich er die Dialektik dieses Verhältnisses nur in Ansätzen erörtert. Klar wird jedoch anhand der zahlreichen Unterkapitel, die sich mit den verschiedenen Einzelpersonen befassen, dass einige wenige Autorinnen und Autoren durchgängig als Referenzen für die daraus gesponnene Hexenmythologie gelten können:

1. Jacob Grimm konstruiert in seinem Werk „Deutsche Mythologie“ die Figur der Hexe aus  vorgeblichen germanischen Mythologemen als weibliche Mittlerin und Ritualfrau.

2. Johann Jakob Bachofen, ein konservativer Evolutionist, konstatierte ein ursprüngliches Matriarchat, das durch eine schöpferische Phase des Patriarchats abgelöst worden sei. Diese Teleologie wird zunächst für antifeministische völkische Stimmen interessant, weil sie das europäische Patriarchat einem matriarchalisch geprägten Orient gegenüberstellt und so für antisemitische nationalsozialistische und völkische Männerbundideolgien anschlussfähig ist. Später dient Bachofens Matriarchatstheorie, wie Wiedemann herausstellt, den ÖkofeministInnen als eskapistische Hilfskonstruktion zur Überwindung einer als übermächtig und ewig empfundenen patriarchalen Gesellschaftsform.

3. Jules Michelet, laut Wiedemann ein Vertreter des französischen, romantischen Liberalismus, wird zum Erfinder des „Hebammenmythos“. Die natur- und sexualfeindliche Kirche habe Hebammen und Heilkundige verfolgt, und mit ihnen heidnische Bräuche der Naturverehrung auszurotten gesucht. Der Hebammenmythos avancierte zu einem der am weitesten verbreiteten gesellschaftlichen Irrtümer.

4. Carl Gustav Jung lieferte mit den Begriffen vom kollektiven Unbewussten und dem Archetypenmodell einem Heer von PsychologInnen, ÖkofeministInnen und VertreterInnen der Esoterik das Rüstzeug zur Vereinnahmung der Hexenverfolgungen. Von zentraler Bedeutung sind dafür laut Wiedemann die von Jung unter Rekurs auf das Hexenbild entworfenen Archetypen der „Anima“ und der „Großen Mutter“.

6. Margaret Murray wollte als Historikerin reale Fruchtbarkeitskulte entdeckt haben, die in ländlichen Gebieten besonders lange fortbestanden hätten und dort Grundlage für Feen- und Zwergenmythen gewesen seien. Die Hexenverfolgungen hätten sich gegen solche rituelle Gruppen gerichtet. Murrays Thesen boten mit Gerald Gardner den Grundstein für die Wicca-Bewegung.

7. Mircea Eliade erweiterte als Religionswissenschaftler den Schamanismusbegriff und brachte Ekstasetechniken mit den Hexenzirkeln zugeschriebenen Ritualen in Verbindung.

8. James Georg Frazer sah in Fruchtbarkeitskulten ein zentrales und verallgemeinerbare Moment von ritueller Praxis der vormodernen Gesellschaften.

Aus Versatzstücken dieser zumeist selbst schon hochgradig ideologisch aufgeladenen Quellen speisen sich die meisten von Wiedemann analysierten Versuche, die Vereinnahmung der Hexenjagden mit wissenschaftlichem Anstrich zu versehen. So konnten die eklektizistischen und eskapistischen Rückprojektionen als alternative Geschichtsschreibung kursieren.

Besonders frappant ist die anscheinend willkürliche Phantasieproduktion bei solchen Gegengeschichten im Bereich des Ökofeminismus der 1970-er bis heute. Mehrfach zitiert Wiedemann Beispiele selbst rennomierter Feministinnen wie Alice Schwarzer, die sich ungehemmt selbst als nachträgliche Opfer der Hexenverfolgungen präsentieren und eine ungebrochene Traditionslinie von der Folter in den Hexenprozessen zu der frauenfeindlichen Rechtssprechung der Moderne ziehen. Besonderen Rang hat dabei die Opferkonkurrenz zu den Opfern der Shoah. Im Zuge dessen wird der im 18. Jahrhundert von Gottfried Christian Voigt geschaffene Mythos von den 9 Millionen Opfern der Hexenjagden bedeutsam. Diese Zahl wurde von vielen FeministInnen verwendet, um sich als historisch bedeutsamste Opfergruppe zu gerieren. Besonders zynisch wird bei nicht wenigen von Wiedemann zitierten Autorinnen die Verantwortung sowohl für die Hexenjagden als teilweise auch für die Shoah selbst einem „jüdischen, jahwistisch-patriarchalen“ Prinzip zugesprochen. Darin sieht Wiedemann wesentliche Übereinstimmungen von ökofeministischen und völkischen Modellen. Die antisemitische Vorstellung vom jüdischen Gottesmord entspreche im spirituellen Feminismus der Vorstellung vom jüdischen „Göttinenmord“. Die Faszination für die angebliche rituelle Praxis der als Hexen Verfolgten sei ferner Ausdruck für die in der gesamten alternativen Linken bemerkbare Verschiebung von gesellschaftspolitischem Engagement hin zur authentischen Erfahrung. Wiedemann stellt ferner sehr überzeugend die antifeministischen und sehr konservativen Rollenzuschreibungen heraus, die in den vermeintlich feministischen Phantasien vermittelt werden, die auf die Hexe als Vertreterin von Weiblichkeit und Spiritualität rekurrieren.

Die neopaganistischen Kulte schließlich reihen sich in diese Identifizierung mit den Hexen als Opferkollektiv ein, um ihre eigene Identität aufzuwerten. Wiedemann äußert eine starke Skepsis gegenüber jüngsten Abgrenzungsversuche gegen völkische Ideologien in der neuheidnischen Szene, etwa aus dem „Rabenclan“. Er unterstellt diesen Tendenzen, dass die Ausschlussformeln gegen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus nur äußerliche Lehrsätze seien, die wie in der Linken noch lange nicht jene Codes und subtilen Ideologeme beseitigt, die zentrale Träger völkischer Ideologien waren und sind.

Es ist gerade auch diese Skepsis, die Wiedemanns Werk zu einer hervorragenden und profunden Quelle macht, an der wohl kaum jemand, der oder die sich mit der Hexenforschung befasst, vorübergehen kann. Gerade der Verweis auf den  in nicht geringe Teile der Hexenforschung eingedrungene Verbund von Antisemitismus und stereotyper wie simplifizierter Gegnerschaft zur Hexenverfolgung stellt einen unüberhörbaren Ruf nach einer gründlichen Reflexion über mitgeschlepptes Halbwissen und grobe Spinnereien in der wissenschaftlichen Hexenforschung dar.

Was Wiedemann allerdings völlig außer Acht lässt, ist der Verweis auf die Bedeutung moderner Hexenjagden etwa für neopaganistische Gruppierungen. Ebenso fehlt jede Erwähnung von Entsprechungen von Hexereivorstellungen und Antisemitismus.  Bisweilen lässt sich ein überhasteter Eklektizismus vermelden, der die Beziehung oder auch Nichtbeziehung zwischen vorgestellter Person und Hexenthema nicht überzeugend  genug ausleuchtet.

Ungeachtet dessen ist das Buch ein kaum zu überschätzender Meilenstein in der Aufarbeitung des Fortbestehens völkischer und antisemitischer Mythologiebildung am Hexenthema in der postnazistischen Gesellschaft.

Candidates say: work hard and fight

Gestern habe ich ausnahmsweise die Reden der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten in Ohio mitverfolgt. Obama beschwört die harte Arbeit, die von jedem getan werden müsse, McCain den Kampf. So unglaubhaft Obamas Rolle als Weihnachtsmann mit dem dicken Geschenkesack ist, so ätzend kommt McCains propagandistische Trickkiste daher: Umverteilung von Wohlstand bedeute, das Geld aus „euren Taschen zu nehmen und in andere Taschen zu leiten“. Mit der Nominierung von Sarah Palins zur Vizepräsidentin und den unappetitlichen Hetzkampagnen gegen Obama hat sich McCain ohnehin jeder Intellektualität entschlagen. Obama wiederum spielt auf dem gleichen Klavier nur das um weniges melodiösere Lied. Wo McCain Terrorist, Sozialist, Kommunist trötet, sagt Obama Bush, Bush, Bush. Interessant ist die Gestik der beiden. Obama wuchert mit dem Lehrerfinger und geizt ausnahmsweise bis zuletzt mit dem sexy Smiley, der ihn populär machte. McCain indes wischt zackig über die Papiere am Pult, winkt fleißig und nutzt die Faust. Geht es ums Programm, so sind beide bis auf wenige Punkte austauschbar. Arbeitsplätze für Amerikaner, Erneuerbare Energien fördern, Irakkrieg beenden. Obama fudert die Millionen  unbekannter Herkunft auf den Tisch, während McCain völlig im Vagen bleibt bei der Finanzierung. McCain will Atomkraftwerke als alternative Energie fördern und diese tollen „Anlagen“ bauen, die in LaHague, Sellafield und Tokaimura so tadellos laufen – da ist Obamas Modell doch ein wenig einsichtiger.

Was Iran angeht: Von der Seite hat bereits Bush gezeigt, dass Israel im Zweifelsfall ohne die USA agieren muss, sei der Präsident auch noch so konservativ. Insofern ist es außenpolitisch betrachtet relativ egal, wer da Präsident wird. Die prospektive israelische Präsidentin Tzipi Livni hat den Angriff bereits um etwa zwei Jahre verschoben, bis dahin kann Obama seine Lorbeeren einfahren, das Ende des bereits jetzt weitgehend gewonnenen Irakkrieges auf seine Rechnung buchen und sich voll und ganz auf Afghanistan konzentrieren – die Zeit spielt für sein Programm. Man sollte daher, wo man sich von der Kandidatenkür allzusehr blenden ließ, zum lästigen Tagewerk der zynischsten Missstände zurückkehren: Der Club of the Worst Conflicts mit Somalia, Pakistan, Simbabwe, Birma, Iran, Nordkorea und Sudan, die Faschisierung Europas und Russlands, und natürlich die vier Reiter der Apokalypse Misogynie, Homophobie, Rassismus und Antisemitismus.

Deutschland ethnologisch – Teil 1

Deutsche Städte haben einen je unterschiedlichen Zugang zum Umgang mit den Toten des zweiten Weltkrieges gefunden. Während die einen eher bescheidene Denkmäler mit Titeln wie „Nie wieder…“ oder „in Trauer um…“ wählten, zeigt sich in Dörfern wie Klepsau an der Jagst der Drang zum ewiggestrigen Protzen mit der nationalsozialistischen Gesinnung. Rings um die Kirche ziert jedes Haus ein Marienaltar, vor der Kirche prunkt symbiotisch ein Märtyrerdenkmal in Marmor und Blattgold. „Die dankbare Gemeinde“ verehrt unter dem eisernen Kreuz ihre „tapferen Helden“ für das Morden und Brandschatzen im Osten, das Gemetzel an den alliierten Streitkräften, die Vernichtung der europäischen Juden, an deren ehemalige Anwesenheit in ähnlichen Dörfern oft noch eine alte Synagoge oder ein alter jüdischer Friedhof erinnert. Der Nationalsozialismus ist mitnichten im Rückzug auf deklassierte Ostgebiete begriffen: In einer der reichsten Regionen der Welt, Baden-Württemberg, mit einer Arbeitslosigkeit von gerade einmal 6% und einer flächendeckenden Versorgung mit Gymnasien, Freibädern und Ärzten ist das Fortwesen nationalsozialistischer Gesinnung kaum aus vulgärmaterialistischer Expertise abzuleiten. So sind die Klepsauer Nazis weder besonders arm noch ungebildet, sie lernten Latein und wählen brav ihre CDU oder auch SPD. Sonntags gehen sie in die Kirche hinter dem Denkmal, um Nächstenliebe und Frieden zu erbitten. Es hat sich vielmehr über Jahrhunderte hinweg eine kulturell bedingte Immunität gegen kritischen Geist und Selbstreflexion eingeschlichen. Die dem so in die Hirne zementierten autoritären Charakter gut zu Gesicht stehende Identifikation mit den vermeintlichen Helden und Altvorderen findet in dieser Region ihr Pendant in der Götzenverehrung. Im benachbarten Krautheim befindet sich jenes Denkmal an den Ausspruch des Götz von Berlichingen, sein Duellant könne ihn „von hinden lecken“. Das sich in allen touristischen Schriften der Region in zahllosen vielsagenden Andeutungen und Pünktchen ergehende verklemmte Gekichere darüber trägt das Zeichen der mit äußersten Gewalt unterdrückten (Homo-) Erotik, die sich letztlich auf Heldenverehrung zurückzieht: diese toten Männer können ebenso gefahrlos geliebt werden, wie in den Klöstern die erotischen Marienbildchen. Den „Fremden“ verkauft man derweil von Rothenburg bis Schöntal ungenießbares Gebäck als regionale Spezialität, lockt sie mit Radwegen in Hinterhalte aus Höhenmetern, um ihnen drittklassige Sehenswürdigkeiten als kulturelle Leistung zu präsentieren oder ihnen den desolaten Zustand des Hausflusses im fernen Tal zu verheimlichen. Wehe den stets willkommenen Fremden jedoch, wenn St. Anna oder die Heilquelle vor Ort auf einmal nicht mehr hilft – dann packen dankbare Gemeinden eben jederzeit wieder tapfere Helden aus.