Zu Thierry Chervels Essay „Je nach Schmerz“

Chervel hat seinen Artikel bestechend geschrieben und ich möchte ihn zunächst an einer Stelle erweitern. Chervels besonderer Verdienst ist es, die linke Position im Historikerstreit zu hinterfragen.
An Nolte mag man viel kritisieren, aber sein Impuls, das nächstliegende Vergleichsmaterial für den Holocaust in Asien zu suchen war richtig: Dschinghis Khans Ausmordungskampagnen, die Schädelpyramiden, seine Herrschaftspolitik, später die Eroberung Indiens durch Timur Lenk – wer sich damit befasst muss ein Verhältnis zum Vorgehen der Erschießungskommandos der SS-Einsatztruppen sehen. Das als „asiatisch“ zu generalisieren war rassistisch und Nolte wurde dem spezifischen Impuls des antisemitischen Hasses als kausalem Faktor nicht gerecht. Die linke Antwort darauf – „Singularität“ – war aber ebenso weit entfernt von der Ernsthaftigkeit der Kritischen Theorie, die in der Dialektik der Aufklärung den Holocaust gerade in eine Anthropologie der Gewalt einordnet, mit der pathischen Projektion und der Naturfeindschaft in Zivilisation als übergreifenden Kernelementen.

Thierrys Essay wird an anderer Stelle falsch. Er zeichnet eine flotte Diskursgeschichte der Relativierung, der Singularität, und konzediert den Mbembe-Unterstützern*innen damit noch das Recht auf eine Teilhabe an einem Opferdiskurs, wie verfremdet auch immer.

Es geht aber nun einmal beim Vergleich von Israel mit Apartheid und Holocaust nicht um die Dimensionen, sondern um Verkehrung. Es ist bösartige Täter-Opfer-Umkehr, und nicht Relativierung. Man muss es einfach immer wieder erklären: Mbembe ist ein Antisemit nicht weil er relativiert, sondern weil er aus Opfer Täter und aus Tätern Opfer macht. Die Sklaverei mit ihren zahllosen genozidalen Massakern, die Apartheid mit ihrem Herrenmenschentum, die stehen in irgendeiner Verwandtschaft mit dem Holocaust.
Israel nicht und an keiner Stelle. Dafür seine Gegner, die Nazis der Hamas, die Ku-Klux-Klan-Islamisten der Hisbollah, die iranischen Faschisten, von denen Mbembe nichts wissen will.

Noch einmal: Nicht Relativierung, und damit entlastende Generalisierung, sondern Täter-Opfer-Umkehr und damit aggressive Schuldprojektion ist die antisemitische Tat par excellence. Mbembe hat keine historische Schuld zu generalisieren, er will Israel, ein schwaches und verwundbares Opfer, verfolgen und dafür muss er Geschichte fälschen um diese Verfolgung als Verteidigung dastehen zu lassen. Das ist der Kernbestand des linken Antisemitismus, der erkannt hat, wie sehr Juden Opfer waren, der sich durch diese Schwäche unbewusst gereizt fühlt, diese weiter zu verfolgen, aber unter dem moralischen Druck der Progressivität eine irrsinnige Begründung dafür präsentieren muss: Dass nämlich Juden die eigentlichen Faschisten seien, und deshalb die Vernichtung des jüdischen Staates eigentlich Antifaschismus sei und in der Tradition anderer antifaschistischer Bewegungen stehe.
Daher ist auch nichts postkolonial an Mbembes Antisemitismus.

Mbembe versteckt in seiner antisemitischen Verkehrung eine rassistische. Er opfert dem Antisemitismus den Antikolonialismus mit seinem berechtigtem Beharren darauf, den Kolonisierten eine Geschichte zurück zu geben, Geschichte aus ihrer Perspektive zu schreiben.
In seinem Antisemitismus betätigt sich Mbembe rassistisch. Er verharmlost die Geschichte Südafrikas nicht nur, er verkehrt sie. Aus Apartheid-Tätern werden auf einmal so etwas wie die israelischen Opfer von Terrorismus. Aus dem ANC und den antirassistischen Widerstandsgruppen wird durch Mbembes, in den Kulturwissenschaften übrigens hegemonialem Vergleich, so etwas wie die Hamas und die Fatah und dadurch fälscht er in kolonialer Manier die Geschichte der schwarzen Befreiungsbewegung auf dem afrikanischen Kontinent.
Für den antisemitischen Impuls, Juden um jeden Preis zu verfolgen, opfern die daran beteiligten Kulturwissenschaften jegliche Integrität und damit stellen sie sich außerhalb eines jeden vernünftigen Diskurses um Relationen und Dimensionen und Faktoren.

https://www.perlentaucher.de/essay/die-debatte-um-achille-mbembe-postcolonial-studies-und-der-holocaust.html

„Erntehilfe“ – wenn die Bourgeoisie sich als Bettler verkleidet.

Im Deutschen entstanden zwei große Begriffe zur Verschleierung der Ausbeutung. Der erste ist die Verkehrung der Bedeutung von „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“. Der Ausgebeutete wird als „Nehmer“ verhöhnt.

Ein zweiter Begriff beruht auf einem Euphemismus: Die „Hilfe“. Bürgerliche Ideologie hat ein sehr spezielles Verhältnis zur Hilfe: Unternehmer*innen und andere Bourgeois imaginieren sich permanent als wohlwollende Patrone, die Arbeit „vergeben“ und durch ihre Fabriken „Gutes tun“ für die Ortschaften, die sie ausbeuten. Unternehmertum lebt von der Inszenierung solcher mafiöser Vateridentitäten, weil sie das schlechte Gewissen unterdrückt.

Für diese „Hilfe“ erwartet die Bourgeoisie freilich Gegenleistungen: willentliche und freudige nackte Ausbeutung für das Fortlaufen des Betriebes. Diese Ausbeutung nennt bürgerliche Ideologie dann ebenfalls „Hilfe“ und wo sie sie nicht erhält, verlegt sie sich aufs Betteln.

Erntezeiten in der Landwirtschaft sind von einer ganz spezifischen Urgenz geprägt: Ernte muss in einem kleinen Zeitfenster, manchmal binnen weniger Tage oder Stunden eingeholt werden. Das wohl bekannteste aller Volkslieder, der Kanon „Hejo, spann den Wagen an“ atmet diesen Druck der Regenwolken am Himmel, das Arbeiten unter der Angst, dass eine kurze Rast die Früchte eines ganzen Jahres harter Arbeit zerstören können.

In kleinbäuerlichen Betrieben war daher tatsächlich die gegenseitige Hilfe beim Ernten häufig: wer Arbeitskraft entbehren konnte, maximierte sein soziales Kapital. Wer viele Kinder hatte, konnte sie nun in Profit umsetzen. Nur, wer die Spitzenlasten der Ernte bedienen konnte, durfte auf Expansion hoffen.

Der Fron für einen Fürsten oder Großbauern allerdings war von Beginn an von oben organisierte Ausbeutung. Leibeigene und Sklaven wurden zu Erntearbeiten eingesetzt und entlang der Klimazonen und reifen Früchte auch verschickt, um sie so lang als möglich im profitablen Bereich zu halten. Mit der fortschreitenden Zentralisierung und Organisation von Landwirtschaft für die großen Städte entstanden Truppen doppelt freier Lohnarbeiter, sogenannter „harvest-gangs“. Karl Marx und Friedrich Engels beschrieben die hierarchische Struktur, die Ausbeutung insbesondere der Frauen und Kinder in diesen Gangs, vor allem aber die generelle Ausbeutung durch die Betriebe.
Im zweiten Weltkrieg griffen die Nazis auf die alte Praxis der Sklaverei zurück: Sie setzten osteuropäische Kriegsgefangene für die Ernte ein. Fast jeder landwirtschaftliche Betrieb wurde durch Zwangsarbeit gefördert.

Mit dem Begriff der „Erntehelfer“ für osteuropäische Arbeiter*innen wird in Deutschland nachträglich dieses Gewaltverhältnis kaschiert. Hilfe wird freiwillig geleistet und unentgeltlich. Mit dem fehlenden Entgelt hat die deutsche Landwirtschaft nach wie vor keine Probleme, die „Freiwilligkeit“ stellt ihr nach dem Untergang des Faschismus wieder der Markt in alter Tradition her.

Durch den Einsatz von Maschinerie gelang es, das Image der Erntehilfe als „Maschinenringe“ aufzubessern: Gigantische Mähdrescher ziehen durch die USA, immer an der Front der Klimazonen.

An der schmutzigen Ausbeutung in Gemüse und Obstbau änderten solche Megamaschinen nichts. Tomatensklaverei wird weithin schulterzuckend akzeptiert. Im Spargelbau hingegen überraschte die geringe Bezahlung für ein nicht einmal sehr wohlschmeckendes Luxusgut dann doch größere Bevölkerungsteile. Ihr edler Spargel das Produkt von Lohndrückerei?
Spargel war einst das erste frische Gemüse, das nach einem langen Winter mit Eingemachten wieder zur Verfügung stand. Er war von Beginn an ein Vergnügen der Aristokratie – anders als Lachs, Hummer oder Edelkrebs, die früher Armenspeise waren,
Spargel ist bis heute dekadenter Luxus. Die besten Böden, sowohl sandig als auch nährstoffreich, eben und wärmebegünstigt, werden zusätzlich mit Wärme, Folien und aller verfügbarer Technik aufgerüstet, um ein Produkt ohne Kalorien und Geschmack zu erzeugen. Diese Investition muss hereingeholt werden durch den massiven Einsatz von harvest-gangs, deren Arbeitskraft möglichst gering entlohnt wird. Soweit sind sich Investor, Verwalter und Kunde einig.

Mit Corona gerieten Saisonfruchtanbieter unter Druck: Nicht die Organisation der Werktätigen, sondern eine Krankheit verhinderte den möglichst rücksichtslosen Einsatz mobiler Arbeitstruppen. Daher rekurrierte die Spargelindustrie früh auf den Begriff „Hilfe“. Arme Bauern, die Hilfe brauchen – Studierende fielen auf diese Maskerade herein und meldeten sich freiwillig zur Selbstausbeutung an.

Sie sollten nicht lange gebraucht werden: der politische Druck ermöglichte bald wieder den Einsatz von osteuropäischen harvest-gangs, die man anders als Studierende so übel behandeln konnte, wie deren materielle Not es erlaubte. Der Entzug von Pässen, das völlig überzogene Berechnen von Unterkunft und Nahrung waren bekannte und nun umso drastischer angewandte Mittel, um die Mehrkosten durch die angeblich „strengen“ Sicherheitsmaßnahmen zu kompensieren.

Gegen die Krankheit, die angeblich die Betriebe in „Nöte“ brachte, hatte man aber in Wirklichkeit auf einmal nichts mehr. Bedenkenlos erzeugte man Situationen in denen sich hunderte von Arbeitenden anstecken mussten, für Löhne weit unter deutschem Mindestlohn. Dieselbe Krankheit, die den Einsatz von Erntearbeitenden zu Beginn verhinderte, griff nun unter den Erntearbeitenden um sich.

Die Fleischindustrie war der Komplize dieser Strategie. Anders als im Gemüsebau gibt es hier geringere saisonale Schwankungen. Weihnachtsgänse gibt es im Dezember, ansonsten folgt aber auf den Braten an Weihnachten das tägliche Fleisch auf dem Teller, mit immer raffinierterem Luxus für die Wochenenden, Sonntage, Ostern, Grillsaison: Dry aged beef, Wagyu-Burger, Tomahawk-Steaks – Fleisch ist omnipräsent und alles andere zur Beilage geschrumpft.

Natürlich legt die Fleischindustrie die Kosten für den billigen Luxus auf Natur und Mensch um. 70% Artenschwund in der Fläche bei Insekten und vielen anderen Tieren und Pflanzen konnte sie sich ungehindert erlauben. Erst als die Gülleflut dauerhaft an die Wasserwerte ging, schritt die Politik auf Druck der EU zaghaft ein.

In den Schlachthöfen hatte die Industrie dennoch den gleichen Druck wie die Spargelbauern. Ein Schwein, das sein Schlachtgewicht erreicht hat, frisst seinen immer stärker schrumpfenden Profit wieder auf, wenn es weiter gefüttert werden muss. Also muss geschlachtet werden. Die Arbeiter wurden wie im Spargelbau systematisch den Gefahren ausgesetzt, die die Industrie eigentlich als Krisenfaktor beklagte. Fleischfabriken wurden zu neuen Hotspots für die Ausbreitung von Covid-19.

Dass diese Betriebe in Gemüse- und Fleischindustrie ihre eigenen, angeblich so wichtigen „Helfer“ schonungslos der Ansteckung aussetzen, und somit ihre Krisen selbst erzeugen, hat seine Logik in der Echtzeit des Kapitalismus. Es interessiert einen Betrieb im Kapitalismus nicht, ob er in drei Jahren oder auch nur drei Monaten noch gut dasteht, wenn er in dieser Zeit Profite einfahren und die Konkurrenz zermatschen kann. Er schert sich nicht um seine Arbeitenden, weil er weiß, dass sich mit etwas politischer Manipulation und Krokodilstränen um den Standort weitere, unendliche Ströme von Arbeitswilligen anzapfen lassen, deren Freiwilligkeit und Fügsamkeit der Markt durchsetzt.

Daher ist der erste ideologiekritische Schritt, die notorische Klage der ausbeutenden Betriebe in ihrem Zynismus und Skrupellosigkeit zu entlarven und sich mit den Arbeitenden bedingungslos solidarisch zu zeigen.
Der Spargelkult und der Fleischkult, beide werden durch die Agrarlobbies kulturell hochgejazzt zu einem Grundbedürfnis, das die gewaltigen Opfer von Natur und Mensch rechtfertige. Die Wahrheit ist: Niemand braucht diesen Spargel und niemand braucht täglich Fleisch aus Massentierhaltung und Megaschlachtereien. Auch nicht die rumänischen Arbeitenden, die durch die Agrarpolitik der EU von ihren kleinen Selbstversorgerhöfen gepresst und in die harvest-gangs hineinmanipuliert werden. Ihnen „hilft“ man im Moment am besten, indem man weder Spargel noch Fleisch aus den Fleischfabriken kauft, in denen Arbeitende rücksichtslos der Massenansteckung mit dem Coronavirus ausgesetzt wurden, während die Bourgeoisie Videos über Langeweile und den Kaffeedurst beim Home-Office postet und sich mit Schokolade und Spargel „belohnt“ für die „Entbehrungen“ der Krise.

Intersex und Gender – eine Verwechslung

Aber heißt das schon, dass „Sex“ – also das biologische Geschlecht im Unterschied zur sozialen Geschlechterrolle „Gender“ – wirklich „real“ ist, wie viele daraus schließen? Nein. Denn erstens bedeuten diese Zahlen auch, dass in Deutschland immerhin schätzungsweise 1,4 Millionen Menschen leben, die nicht eindeutig einer der beiden Seiten zugeordnet werden können.

(Antje Schrupp, Zeit-Online)


Der Zeit-Artikel von Antje Schrupp verbreitet den inzwischen an den Universitäten weit verbreiteten Nonsens: aus dem biologischen Intersex abzuleiten, dass biologisches „sexus“ nicht real sei. Dabei hat das biologische Geschlecht gerade für Intersex äußerste Realität, nämlich als physische Präsenz biologischer Faktoren, z.B. xxy oder x0 oder andere.
Dann kommt Schrupp im Artikel dazu dass sex nicht gender sei – ist natürlich auch so, Binsenweisheit. Deshalb wehren sich auch manche Feminist*Innen dagegen, dass Kinder, die sich gern crossdressen oder nicht stereotyp verhalten in Richtung Operation gelenkt werden um sex und gender und Sexualität wieder auf Deckung zu bringen – in Iran ebenso wie in den USA. Der männliche Homosexuelle oder Transvestit wird zum Frausein gedrängt, Tomboys und weibliche Homosexuelle zum Mannsein, damit das heteronormative Weltbild intakt bleibt, nicht weil Transsexualität das authentische Triebschicksal wäre, was zugleich möglich ist.

Transvestismus und genderfluides Verhalten hat zunächst nicht unmittelbar mit biologischem sex zu tun, jedoch viel mit Kultur und noch mehr mit individuellen Triebschicksalen, die Kompromisse zwischen Wünschen und gesellschaftlich induzierten Ängsten darstellen. Die Trennung zwischen Sex und Gender ist gerade wegen des Drucks zu Vereindeutigungen so wichtig, die Letzteres aus ersterem ableiten wollen, nur um dann in einer gegenläufigen Bewegung die Menschen mit der biologischen Kondition Intersex wieder gesellschaftlicher Normierung zu unterwerfen.

Eine feministische Verteidigung von Genderfluidität muss mit der Verteidigung von biologischen Intersex, von Frauen gegen die Angriffe auf den Uterus oder das uneindeutige Geschlecht einhergehen. Und sie muss einhergehen mit der Verteidigung von jeweils unter Abspaltungen zu Identitäten geronnene Homo-, Bi- und Heterosexualität als jeweils im Zuge infantiler Erfahrungen und Traumata selbstgewähltes Triebschicksal. Und sie muss beinhalten die Verteidigung von Crossdressing und Genderfluidität als individuelle Triebschicksale oder auch ironische, bewusste, kurzlebige Spiele, die gerade nicht aus dem biologischen Sexus abgeleitet werden, die aber auch gerade deshalb nicht darauf angewiesen sind, die Materialität von Uterus, Penis oder Intersex in einer narzisstischen Volte zu leugnen.

Intersex ist nicht der Beweis, dass es kein Geschlecht gibt. Intersex ist Geschlecht, Materie, Biologie. Daher sind operative Zwangsnormierungen so infam und daher ist der reichlich späte Vorschlag der Justizministerin Christine Lambrecht zu begrüßen, diese Operationen im Kindesalter zu verbieten.

Intersex ist nicht gleich Transsexualität oder Transvestismus. Intersex ist erstmal überhaupt keine Sexualität im sexualpsychologischen Sinne, sondern Sexus aus dem alle möglichen Sexualitäten als Triebschicksale entstehen können. Alle haben ihr Recht, aber es ist nicht alles irgendwie ähnlich oder egal oder das Gleiche. Alles sind Phänomene und Begriffe für sich, die man geklärt haben sollte, naturwissenschaftlich, psychologisch, theoretisch, bevor man eine große Politik oder ein universitäres Dogma daraus formt.

Vogelschlag? Eine Verteidigung der Windkraft

Der Ausbau der Windkraft ist in Deutschland zum Stillstand gekommen. Bürgerinitiativen aus CDU und FDP haben erfolgreich lokale Windkraftprojekte gestoppt, Landesregierungen in NRW und Bayern Regelungen erlassen, die den Neubau von Windkraftanlagen praktisch unmöglich machen.

Immer wieder bringen gerade die technokratischen Parteien CDU und FDP das Argument des Vogelschutzes ins Spiel, um Windräder als „Vogelschredder“ zu denunzieren. Das ist nichts anderes als ein Mythos, der leider auch bei manchen professionellen Naturschützern gezogen hat.
Der NABU listet Haupt-Todesursachen für Vögel wie folgt auf:

https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/24661.html

Die Verluste in der gesamten Vogelwelt durch Windräder sind mit ca. 100,000 Vögeln pro Jahr marginal im Vergleich mit Hauskatzen, Stromleitungen und Jagd. Nicht eingerechnet wurden übrigens die Wilderei auf den Zugrouten, die gerade bei seltenen Vogelarten erhebliche Verluste erzeugt, oder auch Landwirtschaft, die ebenfalls zu den größten Verlustfaktoren durch Zerstörung von Bodenbruten zählt.
Zu den Maßnahmen, mit denen Schäden durch Windkraft leicht um ein Mehrfaches kompensiert werden können zählt eine Katzensteuer, wie vom NABU hier beschrieben:
https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/katzen/15537.html

Nun kann man argumentieren, dass durch die 100,000 durch Windkraft getöteten Vögel gerade Großvögel und Raubvögel besonders gefährdet seien. Groteske Rückgänge haben allerdings vor allem die Insektenfresser und Wiesenbrüter erlitten: Feldlerche, Kiebitz, Braunkehlchen, Rebhühner. Hauptursache: Landwirtschaft. Bei den großen Vögeln sieht das ganz anders aus.
Für den Schwarzstorch ist die Populationsentwicklung sehr positiv:
„2005 brüteten in Deutschland mindestens 500 bis 530 Paare,[1] während die Zahl der Brutpaare Anfang der 1970er Jahre noch unter 50 lag.“  https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzstorch#Bestand_und_Bedrohung

Eine Verzehnfachung bei gleichzeitigem Ausbau der Windkraft von 0 auf heutigen Stand.

Im gleichen Zeitraum erholten sich auch die Weißstorchbestände:
„In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurde mit 2949 Paaren ein Tiefststand erreicht. Zu Beginn des dritten Jahrtausends brüten in Deutschland wieder etwa 4500 Storchenpaare.“

Der Kranichbestand gilt als „stark zunehmend“ für Westeuropa, der Status der Art ist insgesamt ungefährdet.

Beim Uhu als Referenzart für betroffene Eulenvögel sind die Bestände ebenfalls stark zunehmend:
„Der Bestand des Uhus hat in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre aufgrund von Schutzmaßnahmen sowie durch Auswilderungsaktionen stark zugenommen.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Uhu#Bestand_und_Verbreitung

Auch beim Fischadler: positive Bestandsentwicklung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Fischadler#Bestand_und_Gef%C3%A4hrdung

Ebenso der Seeadler: starke Zunahme.
https://de.wikipedia.org/wiki/Seeadler_(Art)#Bestandsentwicklung_und_Gef%C3%A4hrdung

Beim Schreiadler als einer der wenigen großen Greifvögel haben wir eine negative Bestandsentwicklung in Deutschland einer insgesamt ungefährdeten Art, aber der Hauptgrund ist hier eindeutig Land- und Forstwirtschaft, sowie Jagd:
„Das Komitee gegen den Vogelmord e. V. geht davon aus, dass im Libanon jedes Jahr etwa 5000 Schreiadler durch Wilderer getötet werden.[
https://de.wikipedia.org/wiki/Schreiadler#Bestand_und_Gef%C3%A4hrdung

Als letzte Referenzart kann die Großtrappe gelten: Nach einer Zeit der frustrierenden Misserfolge hat eine Weiterentwicklung und Anpassung von Schutzmaßnahmen auch hier zu einer sehr positiven Bestandsentwicklung geführt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Ftrappe#Bestand_und_Bestandsentwicklung

Keine größere Vogelart kann daher als durch Windkraftanlagen in ihrer Existenz gefährdet gelten. Auch nicht der vielzitierte Rotmilan. Da Deutschland ca. 60% der weltweiten Bestände beherbergt, spricht man hier von „besonderer Verantwortung“. Und der Rotmilan ist durch sein Flugverhalten besonders anfällig für Windräder. Allerdings hat der Rotmilan heute trotz Windkraft in allen Staaten einschließlich Deutschland stabile oder zunehmende Populationen. In Großbritannien wurde er erfolgreich wiederangesiedelt.
Der starke Rückgang in den 1990ern wird vor allem auf Landwirtschaft und Schließung von Mülldeponien zurückgeführt. Die aasfressende Art wäre vermutlich von Natur aus seltener als heute, weil sie in der Kulturlandschaft mit Müllkippen, überfahrenen und durch Mahd getöteten Tieren gefördert wurde und wird.
Nun erschien just eine Studie, die von einer negativen Auswirkung von Windrädern auf Rotmilanbestände spricht. Der NABU fasst zusammen:
„In Landkreisen ohne Windräder nahm der Bestand zu, bei etwa 0,1 Windrädern pro Quadratkilometer waren die Bestände stabil, bei über 0,15 Anlagen auf gleicher Fläche war der Bestandstrend negativ. „

Da viele Kreise allein schon aufgrund der variierenden Windhöffigkeit und anderer einschränkender Faktorn ohne Windkraft bleiben werden, lässt sich hier recht gut sehen, dass wir auch beim intensiven Ausbau von Windkraft in einigen günstig gelegenen Kreisen insgesamt keine bedrohliche Bestandsentwicklung erwarten müssen, weil in den windkraftfreien Kreisen wie etwa in Baden-Württemberg positive Bestandsentwicklungen erfolgen, und das obwohl der gesamtökologische Zustand miserabel ist und von Insekten- und Vogelsterben begleitet ist.

Wenn man sich dann noch das Kartenmaterial aus der NABU-Studie ansieht, ergibt sich ein sehr unklares Bild.


Im Ausschnitt sieht man einen relativ geringen Rückgang in den Kreisen im Zentrum, während der Kreis mit dem stärksten Rückgang nur moderate Windraddichte aufweist. Natürlich kann man hier argumentieren, dass umherziehende Vögel dann durch Windräder im Nachbarkreis dezimiert werden, das müsste aber dann auch durchweg als Muster stattfinden.

Hier sieht man starke Rückgänge unten rechts in Gebieten mit sehr geringer Windraddichte.

Hier um Hamburg herum lässt sich überhaupt kein sinnhafter Zusammenhang zwischen Rückgängen und Windraddichte erstellen.

In der Gesamtstatistik findet sich natürlich ein Zusammenhang, weil Vogelschlag beim Milan mit ca. 500 aufgefundenen Opfern pro Jahr real ist und Bestände auch dezimieren kann, aber die Karten zeigen doch sehr deutlich, dass andere Faktoren viel entscheidender sind. 

Ein Rotmilan wird unter optimalen Bedingungen 30 Jahre alt und produziert ab dem dritten Lebensjahr jedes Jahr ca. drei Eier. Die Küken werden von Rabenvögeln und Habicht erbeutet, können aber auch durch Unwetter und Futtermangel sterben. Am Ende des ersten Lebensjahres leben von einem Geburtsjahrgang etwa 60–65 Prozent. Der Verlust durch Windräder lässt sich daher bei 10-13500 Individuen Gesamtbestand in Deutschland als kompensierbar bezeichnen und andere Todesursachen (Verkehr, Stromleitungen, Jagd) sind mit großer Sicherheit viel relevantere Todesursachen. Neuere Anlagen haben auch nachweislich weniger Vogelschlag, gerade diese werden aber verhindert. Windkraftanlagen können zudem auf der Betriebsfläche mit insektenreichen Magerrasen bestanden werden und so zur Artenvielfalt beitragen. Leider locken diese Flächen auch Rotmilane an, weshalb sie mit Gebüsch bepflanzt werden, in dem sich Mäuse besser verstecken können. In Meeren bilden sich um Offshore-Gestelle sogar Kaltwasserriffe, auch wenn Auswirkungen auf Walpopulationen durch Schall denkbar sind. 
Wirksame Maßnahmen für den Rotmilan liegen in der Landwirtschaft, im Eindämmen der Jagd insbesondere in den Winterquartieren und sollte man diese eine Art einmal explizit fördern müssen, kann man auch durch das Auslegen von Aas Bestände anfüttern oder diese auch wiederansiedeln.

Relevanter als Vogelschlag ist bei Windrädern der Fledermausschlag. Allerdings sind auch hier die stärksten Rückgänge auf den Verlust von Winterquartieren, (Höhlen, Scheunen, Gebäudedächer) Sommerquartieren (hohle Bäume) und Insekten zurückzuführen. Eine einzige Schleiereule kann zudem Fledermausbestände in einer Scheune dezimieren. Natur ist auf dezimierende Faktoren ausgelegt durch Reproduktionsraten. Alle heute gefährdeten Fledermausarten waren vor dem Ausbau der Windenergie gefährdet und können durch explizite Förderung in anderen Bereichen in der Fläche bewahrt werden. An Zugrouten von Fledermäusen werden Windräder auch systematisch auf Ein- und Ausflüge von Fledermäusen aus Winter- oder Sommerquartieren angepasst und saisonal abgeschaltet. Das ist mehr, als man von Autobahnen erwartet: Diese werden nicht für Amphibienwanderungen gesperrt.

Die Agitation gegen Windkraft durch die Neue Rechte

5,6 % des weltweiten Energiebedarfs wurde 2017 mit Windenergie gedeckt, 16,2 %in Deutschland. Das Potential für Deutschland wird von Quaschning auf 60 % des Strombedarfs geschätzt. Auch wenn es nur 30% sind, brauchen wir die Windenergie, um Kohle, Atom und nach Möglichkeit Öl und Erdgas als Energieträger zu ersetzen.
Zur rechten Agitation gegen Windkraft gehört die Rede von einer „Windkraft-Lobby“ und profitorientierten „Windkraftbaronen“. Obwohl Windkraft heute in den Gestehungskosten billiger als Kohle und Atom ist, erfolgt aber kein Neuausbau. Das allein spricht schon für die wahre „Macht“ der „Lobby“ – sie steht mit dem Rücken zur Wand.
Wo CDU-Gesetze gegen Windkraftanlagen nicht helfen, greift man zur Verschwörungstheorie: Bürgerinitiativen warnen vor „Infraschallversuchen“ die der Staat durch Windräder vornehmen würde. Hier hat sich eine völlig von Realitätsprüfung abgelöste Szene entwickelt, die Windräder nicht mehr interessensorientiert, sondern in Folge von tiefenpsychologischen Assoziationen wie „Größe“, Konkurrenz zu symbolischen Bauwerken wie Kirchen oder Kapellen auf Bergen oder völlig reduzierten Vorstellungen von „Landschaft“ bewertet. Der für die Artenvielfalt katastrophale Verlust von Struktur in den Naturräumen durch Verkehr, Bau und Landwirtschaft wurde hingegen von der gleichen Klientel ebenso wie der Flächenverbrauch durch Kohleabbau toleriert.
Die Agitation gegen Windkraft bedient sich einer berechtigten Skepsis aus dem Artenschutz, die allerdings einer Prüfung komplexer Ursachen nicht standhält. Diese Untersuchungen wurden von der Propaganda der neuen Rechten begeistert aufgegriffen, intensiv emotionalisiert, erweitert und professionalisiert, um zum einen gezielt den Ausbau einer Energieform zu stören, die heute schon rentabel, zukunftsfähig und machbar ist, zum anderen von viel bedeutenderen Problemen (Landwirtschaft, Kohle) abzulenken sollen und zum dritten sich als Vertreter angeblich unerhörter Bevölkerungsgruppen aufzuspielen um in diese dann das gesamte neurechte Weltbild einzuimpfen.

Jodi Dean – eine typische US-amerikanische linke Antisemitin

https://twitter.com/Jodi7768

Jodi Dean ist Professorin für Politikwissenschaften an der Hobart and William Smith Colleges in New York. Sie tritt auf Twitter mit dem Logo der Sowjetunion – Hammer und Sichel – auf und widmet sich klassisch linken Themen aus einer von Sowjetrussland noch immer faszinierten Perspektive. In einem neuen Text fordert sie eine Beteiligung von ProfessorInnen am Klassenkampf. Das beinhaltet für sie natürlich auch den Boykott Israels:

„Over the past few years a number of brilliant scholars have been hounded out of the academy because of their political convictions, their commitments to struggles for Palestinian rights and against white supremacy. „

https://www.chronicle.com/interactives/20191011-ComradelyProf?cid=wcontentgrid_hp_6

Man braucht nicht viele Klicks, um zu verstehen, was Jodi Dean unter den „Rechten der PalästinenserInnen“ versteht. In dem von ihr mitherausgegebenen Sammelband „Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) and Political Theory“ (2019) schreiben die Herausgeber im Vorwort:

“ The BDSmovement against Israel is one of the most widespread instances of solidaritypolitics in the world today. Although its aims are consistent with liberal aspirations,their accomplishment would mean nothing less than a revolutionary remaking of life in Palestine for all who live there, not to mention for Palestinians in thediaspora and Indigenous peoples throughout the world. Like Daulatzai and Rana’scall for a Muslim International, BDS challenges the seemingly settled conclusion inpolitical theory that revolution is neither responsible nor possible as a politicalpraxis. „

Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) and Political Theory
Contemporary Political Theory, 2019

The armed struggle builds the new Palestinian state. The general staff of the armed struggle is the state-in-waiting of the liberated nation.How does BDS re-configure strategy in relation to armed struggle? WhilePalestinians and Arabs have used forms of boycott against the Israeli state sincewell before BDS, these existed as tactics within other, larger strategies. But if BDSis itself a new strategy, and not just a shift in tactics, we wonder how it furthers therevolutionary Palestinian project.

Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) and Political Theory
Contemporary Political Theory, 2019

In ihrem eigenen Beitrag äußert sich Jodi Dean wie folgt:

“ BDS must be understood within broader internationalanti-imperialist and anti-racist political movements. It should be approached, then,in terms of solidarity with the Palestinian struggle for self-determination and, further, with all struggles against occupation, incarceration, dispossession, settler colonialism, and imperialism. The traditional emphasis on academic freedom assumes that what is at stake is having a discussion. The emphasis on solidarity assumes, instead, that what is at stake is having a future.

Moreover, within the North American context, at least, it isopposition to BDS that is the real threat to academic freedom. BDS supporters inacademia – students and scholars alike – encounter harassment and intimidationfrom organizations like the Canary Mission. They lose their jobs (Steven Salaita) and their platforms (Marc Lamont Hill) because of pressure from alumni donors and because of manufactured media outrage. They are barred from the academy inthe first place by anti-BDS legislation, on the books in 27 states.

Jodi Dean: BDS and international solidarity. In: BDS and Political Theory, 2019.

Wohlgemerkt: „manufactured media outrage“. Wer diesen Aufschrei der Medien „lenkt“, spezifiziert sie nicht, aber es ist klar, dass sie nicht akzeptieren kann, dass BDS kritisiert wird.

Die Glorifizierung der Vernichtung Israels, sei es durch die reaktionäre und durch und durch korrupte Terrororganisation Fatah, sei es durch die ebenso geprägte BDS-Bewegung mit ihrem durch und durch antisemitischen und gewaltverherrlichen Logo „Handala“, zieht sich durch den propagandistischen Band. Selbstverständlich hat sich selbst Boykottaufrufe gegen Israel mitunterschrieben:

„This true freedom, which can only be pursued through struggle incommon, through a radical solidarity, far exceeds academic freedom, which, fromthis perspective, looks like the horizon of a crabbed, narrow sort of ‘‘solidarity,’’ an in-group protecting its privileges. Instead of hemming ourselves in by keeping within the frame of academic freedom, I am arguing that we should strive instead to extend the sort of radical solidarity shown by these prisoners. At stake is not merely our ability to have a discussion amongst ourselves, but the meaning of that discussion, and the possibility of having a future in which the discussion is not merely among us.

Therefore, I call upon all political theorists, and all political scientists, to join the academic boycott of Israel, and to insist that our professional organizations do the same, and, in particular, I endorse the passage of the following resolution by the Foundations of Political Theory section of APSA: ‘‘Be it resolved that the Foundations of Political Theory section endorses and will honor the call of Palestinian civil society for a boycott of Israeli academic institutions.’’

Jodi Dean: BDS and international solidarity. In: BDS and Political Theory, 2019.

In einer typischen Täter-Opfer-Verkehrung beschreibt sie sich und Ihresgleichen als verfolgt, als „hounded out“. Während BDS Zustimmungsraten von bis zu 98% in manchen Fächern (Gender Studies und andere) erhält und in der Ethnologie immer noch 49,9% inklusive der Führungsspitze, während also ganze Fächer dafür sorgen, dass Studierende aus und in Israel keinen Zugang zu akademischen Journals, Stipendien und Stellen erhalten, klagt sie über eine Diskriminierung der „propalästinensischen Position“.


Dazu ist klarzustellen: Diese Diskriminierung der Boykottbewegung ist notwendig. Der Kampf gegen Antisemitismus ist ein Kampf um alles oder nichts. Wenn eine Seite den Boykott Israels fordert, so gibt es keine Verhandlungen, sondern nur einen Verdrängungskampf. Es ist ein unteilbarer Konflikt. In einer antragsbasierten Wissenschaft wird kein Zionist eine Stelle erhalten, wenn auch nur 10% BDS-Antisemiten in den Juries sitzen, die ihn für einen Feind der Revolution halten. Die einzig akzeptable Prozentzahl für Antisemiten in der Wissenschaft ist Null – und dieses leider sehr unrealistische Ziel diskriminiert AntisemitInnen, die das Existenzrecht Israels nicht nur leugnen, sondern wie Jodi Dean aktiv angreifen.


Die Deckerinnerung RAF – Wie man am Mord an Walter Lübcke das Fortleben des Naziterrorismus zu verdrängen sucht.



„Der Mordfall Lübcke erinnert an die RAF“ titelt die Leipziger Volkszeitung.
Der Untertitel:“ Sollte sich bewahrheiten, dass der Regierungspräsident von Kassel von einem Rechtsextremisten erschossen worden ist, hätten wir eine neue Lage. Es wäre ein kaltblütiger rechtsextremistischer Terrorakt.“

Das könnte man noch auf die Titelei schieben, aber auch der Text schließt nach einer Erinnerung an den NSU wieder mit der Klammer RAF:
„Eine Kugel auf einen wehrlosen Mann in dessen eigenem Haus – das erinnert an die Rote Armee Fraktion und dürfte auch die vom Bundesinnenministerium geführten Sicherheitsbehörden in einen anderen Aggregatzustand versetzen. Wenn sich der schreckliche Verdacht erhärtet. “

Falsch ist daran alles. Zunächst die Behauptung einer „neuen Lage“.
Bis 1990 wurden bei Pogromen und Bombenanschlägen mindestens 43 Menschen plus eine hohe Dunkelziffer durch Nazis getötet. Seit 1990 kamen laut Zeit-Online und Tagesspiegel 169, laut Antonio-Amadeu-Stiftung 188 plus 12 Verdachtsfälle (Antonio-Amadeu-Stiftung) hinzu. (Wikipedia)
Daniel Köhler kommt seit 1971 auf 12 Entführungen, 174 bewaffnete Überfälle, 123 Sprengstoffanschläge, 2.173 Brandanschläge und 229 Morde mit rechtsextremen Motiven in Deutschland. (Deutschlandfunk)
Die Opfer der Attentate fallen in drei Gruppen: Wehrlose Individuen aus Minderheiten (Ausländer, Juden, Homosexuelle und Obdachlose), in Ungnade gefallene andere Nazis (Aussteiger, Homosexuelle) und zufällige Passanten.

Falsch ist deshalb auch, dass der Mord an Lübcke, einem politisch insgesamt unbedeutenden Regierungspräsidenten des Regierungspräsidiums Kassel, an die RAF erinnern würde.
Die RAF hatte maximal 33 Personen ermordet oder getötet, einige der darin enthaltenen Attentate bleiben ungeklärt. Ihre Opfer sind US-Soldaten, Polizisten (insb. bei Festnahmeversuchen), Fahrer und andere Unbeteiligte, Großunternehmer, Altnazis. Mehrheitlich wurden Menschen getötet oder ermordet, die selbst eine Waffe trugen oder zur Elite gehörten.

Lübcke zog sich allein Hass von Rechts zu mit seiner Rede zur Eröffnung einer Erstaufnahmeunterkunft, in der er die Pflicht zur Hilfe verteidigte:
„Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“

Natürlich meinte er damit nicht seine Parteigenossen aus CDU/CSU, die dafür sorgten, dass nicht Deutsche, sondern Geflüchtete aus Afghanistan das Land verließen und zahllose Geflüchtete aus Nigeria, Mali, Burkina Faso, Eritrea, Sudan, Syrien, Irak und der zentralafrikanischen Republik Deutschland gar nicht erreichen konnten. Es reichte aber für einen Shitstorm von Nazis, die mit der Möglichkeit des Kosmopolitismus als Privileg eines deutschen Passes konfrontiert wurden.

Was die bisherigen Spuren offenbar nahe legen, ist das Fortleben von rechtsterroristischer Aktivität. Das ist auch kein Wunder, da Nazis ihrer Definition nach auf Terrorismus abzielen. Und da selbst der NSU für seine Morde belohnt wurde, weil die rechtsextremen Parteien europaweit auf dem Vormarsch sind, weil ihre politische Forderung nach der Abschottung Europas längst durch die Mehrheitsparteien umgesetzt wurde, verwundert es nicht, dass andere Nazis der Strategie des NSU folgen, der bereits selbst nur die Strategie von anderen Nazis verfolgte.

Ihre Erfolgschancen konnten Nazis stets am Jargon der Presse ablesen. Ein Beispiel: die Umbenennung einer Studie über den Extremismus der Mitte in „Asylstudie“ durch die Springer-Medien.
„Gabriel kritisiert Asyl-Studie von SPD-naher Stiftung sehr deutlich.“ (Welt)
„ZDF-Kleber entlarvt Asyl-Studie.“ (Bild)
Und natürlich greift die Junge Freiheit die Steilvorlage auf:
„Gabriel attackiert Asyl-Studie von SPD-naher Stiftung.“ (Junge Freiheit)

Das Negative, der Extremismus der Mitte, wurde durch eine Plombe ersetzt: Asyl. Eine Täter-Opfer-Umkehr in Reinform. All das Negative der Bereitschaft zum Tätertum in der Mitte, das die Studie kritisch offenlegt, heftet sich nun an das Positive und Angegriffene, nämlich Asyl. Deutsche CDU/CSU-Politik seit 1990 zielte darauf ab, das Recht auf Asyl zu vernichten. Diese stete Steigbügelhalterpolitik für die Neonazis auf der Straße ist wesentlich daran schuld, dass Nazis, die vorerst wahrscheinlichsten Täter im Mordfall Lübcke, das als Motivation nahmen, jemanden, der selbst als CDU-Mann noch das Recht auf Asyl verteidigte, zu vernichten. Sie können aller historischer Erfahrung nach erwarten, dafür belohnt zu werden. Vorerst damit, dass über die RAF anstatt über den NSU gesprochen wird. In eben der gleichen Manier hat die CDU/CSU selbst stets den Linksextremismus als Gegner überzeichnet, um darüber den Nazismus zu verniedlichen und zu vergessen. Dieser Vorgang hängt mit der Tat wesentlich zusammen und der Mörder kann sich darauf verlassen, dass sich daran nichts ändern wird, sondern dass stattdessen Angst die letzten kläglichen Reste von moralischem Empfinden und christlicher Ethik in der CDU/CSU abtöten wird. Die Springerpresse wird derweil den Mord an Lübcke aller historischen Erfahrung nach als „Asyl-Mord“ bezeichnen.


Liberaler Klimaschutz



„Als eine weitere Maßnahme gegen den Klimawandel sollte Deutschland regelmäßig Regenwald-Stücke in Lateinamerika, Afrika oder Asien kaufen und schützen. Wir geben hierzulande allein rund 28 Milliarden für die Förderung der erneuerbaren Energien aus. Dem Klima bringt dies jedoch nichts. Schon für einen Bruchteil dieser Summe könnte man eine große Menge Regenwald erwerben – ein sehr einfaches Rezept, mit dem Deutschland einen globalen Beitrag gegen den Klimawandel leisten könnte.“


Das fordert die FDP auf ihrer Website zum Klimaschutz unter dem Motto „global statt national handeln„.

So unverschämt muss man erst einmal sein. Als der FDP-Mann Dirk Niebel sich anschickte, im subsaharischen Afrika Entwicklung voranzutreiben, entstand ein von Europa kontrolliertes und finanziertes Grenzregime, das die Freizügigkeit innerhalb Afrikas drastisch einschränkt und Flüchtlinge bereits in Eritrea am fliehen hindert. (s. Jakob/Schlindwein: Diktatoren als Türsteher Europas)
Der Karthoum-Prozess versprach das Blaue vom Himmel, belebte aber vor allem die kolonialen Grenzen wieder. Nun droht Lindner damit, Afrika ein vergleichbares Wirtschaftswunder verpassen: Afrika werde „mit unserer Hilfe zum Kontinent des blauen Wachstums ohne Ressourcenverbrauch werden.“ (dpa)

Wie Afrika das „blaue Wachstum“ schaffen soll, zu dem Deutschland nicht im Geringsten in der Lage ist, darüber schweigt sich Lindner natürlich aus. Daher denken wir das einmal durch: Wenn die FDP Regenwald „retten“ will, und dafür 28 Milliarden Euro im Jahr zur Verfügung hat, ist folgendes Szenario erwartbar: An staatliche oder private Landeigner wird Geld zum Kauf von Regenwald überwiesen. Daran stoßen sich dann ganz bestimmte Parteien und Regierungen gesund, die Land, das mit einiger Sicherheit ohnehin bereits Schutzstatus hält, noch einmal an Deutschland „verkaufen“. Damit das von den ursprünglichen Landbesitzern wie Kleinbauern oder Indigenen „bedrohte“ Land dann nicht zufällig doch ausgebeutet wird, muss es von diesen Regierungen geschützt werden – der Schutz des Eigentums ist schließlich die wichtigste Staatsaufgabe im liberalen Weltbild. Daher fallen dann Kosten für den „Schutz“ an. Das Personal braucht effektive Rüstung aus Deutschland: Nachtsichtgeräte, Zielfernrohre, Schlagstöcke, Helme, Infrarotgerät, Hubschrauber, zufällig alles Dinge, die für die Grenzsicherung und zur Abwehr von Fluchtbewegungen, aber auch für die Niederschlagung von Streiks gebraucht werden. Schließlich gefährden auch Streiks das Wirtschaftswachstum und dazu hat FDP-Chef Lindner eine ganz eigene Meinung:


„Nur mit Investitionen in anderen Teilen der Welt lasse sich dasKlima effektiv schützen, erklärte Lindner. Eine Perspektive ohne Wachstum sehe er dagegen nicht. Wachstum liege in der Natur des Menschen. „Wachstum und damit den Gestaltungswillen zu strangulieren wäre antihumanistisch.“

https://www.welt.de/politik/deutschland/article181229064/Lindners-Klimaschutz-Vorschlag-Kein-Kolonialismus-Deutschland-sollte-Regenwald-in-Asien-kaufen.html

Denken wir das Ganze weiter, wird Deutschland also anstatt seine Braunkohle und Steinkohle und seinen Ressourcenverbrauch einzuschränken einfach immer mehr Regenwald kaufen. Eine Spitzenidee mit nur wenigen rechtlichen Problemen, die aber zum einen den Marktpreis für Regenwald rasch in die Höhe treiben wird, zum Anderen Privatpersonen und Unternehmen in ihrem Wachstum einschränkt, die bislang an der Abholzung des Regenwaldes profitiert haben. Also Bauern, die aus Südamerika Soja beziehen, Eigenheimbesitzer, die ihre Terrassen mit Tropenholz beplanken, Autobauer, die seltene Metalle aus dem Regenwald brauchen, Autofahrer, die mittels Marktpreis zumindest indirekt auf die Förderung von Öl aus Nigeria und Venezuela angewiesen sind. Schließlich entscheidet sich Deutschland im Angesicht der Krise, mit „seinem“ Regenwald eben doch so zu verfahren, wie es der Markt will: ihn auszubeuten.

2018 schlägt die FDP also vor, den Regenwald zu kaufen. Um 1988 herum kaufte ich zwei Micky-Maus-Hefte, um 20 m² Regenwald zu besitzen. Die Besitzurkunden sind irgendwann im Müll gelandet – vermutlich ebenso wie die 20m² Regenwald. Habe ich für 50 Pfennig 20 m² Regenwald gekauft? Oder für damals etwa fünf Mark zwei Micky-Maus-Hefte? Die Suche zu „Micky-Maus Regenwald“ oder „Mickey Mouse Rainforest“ ergibt nichts Brauchbares. Spulen wir noch einmal zwanzig Jahre vor:
2008 stand zur Debatte, ob Deutschland Ecuador entschädigt für Ölförderung im Regenwald. Wer das Ganze torpedierte, war ein FDP-Mann: Dirk Niebel. Genauer: Die gesamte FDP-Fraktion stellte sich quer mit dem Argument: „Präzedenzwirkung im Hinblick auf Kompensationsforderungen der erdölproduzierenden Länder in den Klimaverhandlungen.“

Kurz: Man befürchtete, dass andere Länder nun Geld fordern, dafür, dass sie auf Erdölförderung verzichten. Was motivierte die FDP weitere zehn Jahre später zu einem kompletten Umschwenken? Intern müssen große Schlachten geschlagen worden sein. Oder aber, es gab gar kein Umdenken und der Vorschlag dient ausschließlich dazu, die Abkehr von Braunkohle und Steinkohle zu sabotieren mit einer Schimäre, wie es eigentlich anders gehen könnte. Wenn es jedoch zusätzlich zum Kohleausstieg anders gehen soll, wird man mit Sicherheit nicht auf die Stimmen der FDP rechnen können.
Die FDP Münsterland verbreitet derweil Fake-News, wie in der liberalen „Profi“-Szene üblich:

„Im Ausschuss outeten sich SPD und Grüne: Sie wollen den Fleischkonsum drastisch reduzieren – das ist eine Politik vorbei am Verbraucher. Und klimaschädlich ist das auch. Denn in Brasilien wird der Anbau von Nahrungspflanzen u.a. auf Waldflächen verdrängt.“




Kinder, Klima, Klassenkampf

Verena Brunschweiger bringt den Antinatalismus, also die Philosophie, dass Existenz Leiden ist und der Mensch mit Kindern Leid erzeugt, auf deutsches Niveau: Sie kombiniert ihn mit Nützlichkeitsdenken und implizitem Rassismus.

Wenn Kinder an der Klimakatastrophe schuld sind und nicht die Erwachsenen, die sie hervorbringen, dann ist logisch, dass jene am meisten Schuld tragen, die viele Kinder bekommen. Brunschweiger hält zwar noch inne und benennt den Unterschied zwischen Kindern in Afrika und Kindern in Deutschland. Aber kinderreich sind auch in Deutschland vor allem die unteren Schichten und Minderheiten.
Also nicht die tendenziell kinderlosen AkademikerInnen, die mehrheitlich irrelevanten Unsinn zusammenforschen anstatt zur Aufklärung beizutragen. Auch nicht die tendenziell kinderlosen ManagerInnen, die den Raubbau an Natur organisieren und mit Spenden an reaktionäre Parteien für die ideologische Begleitung des Raubbaus sorgen. Auch nicht die RentnerInnen, die alleine auf 200 Quadratmetern leben und ihr Lebtag Parteien gewählt haben, die jede Anstrengung hin zu einer vernünftigen Gesellschaft in konservativem Sumpf erstickten. Und auch nicht die Lehrerinnen und Lehrer, die als bedeutende Mittelstandsschicht in größerem Ausmaß verantwortlich ist für ökologisch tote und überdimensionierte Neubaugebiete.

Die kinderreichen Familien würden sich, so Brunschweiger, die Kinder von Kinderlosen „finanzieren lassen“, als wäre es nicht umgekehrt. Menschen ohne Kinder würden bei der Stellenvergabe disrkiminiert – offenbar hat sie sich noch nie an einer Universität oder in der freien Wirtschaft beworben. Auch ansonsten leidet sie als Kinderlose schwer:

„Vor ein paar Jahren musste ich zum Beispiel aus meiner Wohnung ausziehen, weil die Familie über mir ständig Krach gemacht hat. Die Eltern hatten ihre drei Kinder, die in der Wohnung Fußball spielten und immer herumschrien, einfach nicht im Griff. Insofern möchte ich die Eltern, für die Ihr Kind der größte Schatz ist, der sich alles erlauben kann und schlicht unerzogen ist, einfach mal dazu einladen, sich stärker über ihre Pflichten als Eltern, nämlich einer angemessenen Erziehung, bewusst zu werden, damit am Ende ein sozialverträglicheres Miteinander herauskommt.“

Das ist nicht Feminismus, nicht Solidarität mit Frauen in Reproduktionsarbeit – das ist Verachtung dieser Frauen, zumal solcher, die zu liberaler Erziehung in der Lage sind. Im gleichen Tenor will sie von Fluggesellschaften für Kindergeschrei entschädigt werden.
Brunschweiger fördert mit diesem Ressentiment gegen das laute Kind einen gesellschaftlichen Druck auf Mütter, ihre Kinder mit Smartphones und Süßigkeiten still zu stellen. Das schreiende Kind gilt als Zeichen schlechter Erziehung. Dann wirft sie jenen Kindern vor, verwöhnt zu sein – dabei sind es die Erwachsenen, die Kinder nicht mehr aushalten können.

Brunschweigers zentrale Leistung dürfte sein, kinderlosen Menschen ein gutes Gewissen zu bereiten: Schließlich erzeuge ein Kind im Jahr soviel CO², dass ein Transatlantikflug dagegen Peanuts ist. So kann man aus den Shopping-Malls in New York die Großfamilien verachten und sich zum Klimaschützer erklären.

Bürgerlicher Reformismus trägt ihre Vorstellung, man könne die Gesellschaft rascher gesundschrumpfen als ihren Umbau in eine vernünftige zu gestalten, in der Menschen weder aus Not Kinder bekommen noch Kindern Not aufbürden. Brunschweiger rechnet einfach 42 Millionen Menschen als Überbevölkerung:

„Für Deutschland zum Beispiel wäre eine Bevölkerung von circa 38 Millionen optimal, was die Biokapazität bzw. den ökologischen Fußabdruck betrifft.“

So ein Gesundschrumpfen kann man sich nur vorstellen, wenn man davon ausgeht, dass Abschottung der derweil weiter wachsenden Gesellschaften weiter funktioniert. Selbstverständlich will sie vom Gesundschrumpfen nicht betroffen sein, sondern profitieren: mit 50,000 Euro, die sie wie andere kinderlose Frauen erhalten soll. Soviel zum bürgerlichen Egoismus: Stets geht es um den Gewinn an der Sache. Anstatt Mütter mit Kindern zu unterstützen, sollen also diejenigen ohne Kinder belohnt werden. Das macht aus einem Solidarprinzip ein reaktionäres Bestrafungs- und Belohnungssystem.

Kindergeld ist keine Mutterprämie, sondern geringwertiger Ausgleich für gesellschaftliche Reproduktionsarbeit. Der Staat überlässt prinzipiell die Entscheidung den Einzelnen, stellt auch keine wesentlichen Anreize, leistet aber auf jahrzehntelangen gewerkschaftlichen und feministischen Druck hin einige Ausgleichszahlungen, für die das Kindergeld steht. Das ist ein hochgradig defizitärer, aber gewerkschaftlich vermittelter Vorgang und damit grundverschieden von den Mutterprämien, die Viktor Orban auslobt, um eine rein „ungarische“ Bevölkerung zu mehren.

Brunschweigers Volte gegen die klimaschädlichen Kinder kommt nicht von ungefähr: Seit Wochen streiken Schülerinnen und Schüler gegen die Katastrophe, die ihnen aufgebürdet wird. Dass sie einen Klassenkampf führen, haben die Erwachsenen längst erkannt. Solidaritätsbekundungen bleiben beim betulichen Tätscheln, anstatt sich den Schülerinnen und Schülern zu einem Generalstreik anzuschließen. Hämisch erinnert man sie an die Schulpflicht – als würden AkademikerInnen und LehrerInnen ihre Pflicht erfüllen und den Kindern auf Grundlage besserer Erkenntnis die Arbeit der Reform abnehmen. Ebenso hämisch macht man sie auf den eigenen Konsum aufmerksam – als würden die Erwachsenen etwas an ihrem ändern. Und nicht minder hämisch ist daher Brunschweigers Klage über klimaschädliche Kinder, deren CO²-Ausstoß und ihre schlechte Erziehung. Sie passt in den Klassenkampf von oben, der heute einer der Älteren gegen die Kinder wird.

Quelle: Interview Brunberger im Fokus: https://www.focus.de/familie/kind/keine-kinder-wegen-der-umwelt-jetzt-legt-die-lehrerin-nach-mit-steilen-thesen_id_10421302.html?rnd=a8912c1ed39d9b69db2a646907926737


Oh Broder, where art thou?

Henryk M. Broder hat sich der Form nach als konsequenter Liberaler verhalten, als er vor der AFD sprach. In dem was er dort sagte, hat er sich aber wie längst gewohnt, als neurechter Agitator erwiesen. Gegen das berechnende Kalkül von „Welt“ und „Achgut“, die nun stolz den wahren, vermeintlich missverstandenen und vermeintlich liberalen Text von Broders Rede publizieren, gestehe ich jedem zu, der AFD die Leviten zu lesen und stelle aber fest, dass Broder genau das nicht getan hat. Seine recht harmlose Schelte von ohnehin unbelehrbaren Nazis in der AFD verpackte er in soviel Bestätigung des neurechten Weltbildes, dass die stürmische Umarmung von Alice Weidel nur konsequent war.

Broder liefert im ersten Teil der Rede, „zum Aufwärmen“, ein Projektionsziel, von dem er weiß, dass es dem neurechten Publikum passt, weil sie sich nicht wehren kann: Greta Thunberg. Und das schreibt er:

Neu ist nur, dass das Klima zum Fetisch der Aufgeklärten geworden ist, die weder an Jesus, noch an Moses oder Mohammed glauben. Dazu hat bereits der britische Schriftsteller Edgar Keith Chesterton, der Erfinder von Pater Brown, das Richtige gesagt: „Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht an nichts, sie glauben allen möglichen Unsinn.“
Der weltweite Hype um eine 16-jährige Schwedin, die sich für eine Wiedergängerin von Jeanne d’Arc hält, hat das in diesen Tagen wieder bewiesen.


Der menschengemachte Klimawandel als Unsinn, das ist nichts Neues auf AchGut. Neu ist, dass man eine Jugendliche braucht, um das eigene ideologische Elend zu projizieren. Broder behauptet, sie halte sich für eine Wiedergängerin von Jeanne d’Arc. Aber nicht sie selbst, sondern AchGut-Autoren wie Thomas Rietzschel bezeichnen Greta Thunberg mit erheblichem Lustgewinn als Jeanne d’Arc und drohen ihr mit dem Scheiterhaufen. Broder reicht das nicht, er möchte ihre Aktivität als „Kindesmissbrauch“ verfolgt sehen:

Ich bin für eine Verschärfung des Tatbestands „Kindesmissbrauch“, um auch solche Fälle verfolgen zu können, wie den der bereits erwähnten Greta aus Schweden, die von den Klimarettern zur Ikone ihrer Bewegung erkoren wurde.

Warum Broder vor der AFD hier eine 16-jährige erst als Gegnerin, dann als Opfer von Kindesmissbrauch inszeniert, ist aus propagandistischer Sicht logisch: Er objektiviert sie zunächst, um ihr für alte Männer und autoritär geprägte Frauen beängstigendes Selbstbewusstsein lächerlich zu machen, und dann die entstandene Aggression auf jene zu lenken, die Greta Thunberg angeblich „missbrauchen“ würden.

Natürlich führt der Anblick einer größeren Zahl aktivistischer, für ihre Interessen streikenden Kinder zu reflexhafter Abwehr, die sich in reaktionären Ressentiments artikuliert. Diese SchülerInnen erkennen schließlich den transgenerationalen Klassenkampf, den der Kapitalismus als Raubbau gegen die nachkommenden Generationen führt. Und da die AFD die Einheit von nationalistischer Restauration und kapitalistischer Expansion erzwingen will, ist sie auf die Imagination vermeintlicher fremder und personifizierter Krisenursachen (Geflüchtete) ebenso angewiesen wie auf die ökoromantische Leugnung von Schranken der Ausbeutung natürlicher Ressourcen.

Um bei der durchaus sinnigen Rede von Ersatzreligionen zu bleiben: Broders Achse des Guten wie auch die AFD und die ihr verwandte FDP sehen in Natur eine Art ewig gebende Göttin. Der Verweis auf die Endlichkeit und Schwäche und damit Profanität von Natur ist aus dieser Perspektive Gotteslästerung. Die Rede von Jeanne d’Arc und Scheiterhaufen ist damit gar nicht so unernst gemeint, wie es klingt. Die Anhänger der kruden Religion vom krisenfreien Kapitalismus ohne natürliche Schranken, der Nationalstaat und Expansion, autoritären Staat und Liberalismus versöhnt, diese Dogmatiker machen ihr in allen Foren virtuell die Hölle heiß, und auch Achgut lässt es sich nicht nehmen, sie als Kranke, Leidende, Schwache und Manipulierbare zu verhöhnen. Broder gab der AFD mehr, als er ihr nahm: die Bestätigung ihrer Ideologie, bei allfälligem Schimpfen auf extremistische Auswüchse.

Broder hatte seinen Höhenflug in einer Publikation: „Der ewige Antisemit“. Zwanzig Jahre vor dem Aufkommen von prozionistischen Blogs hat er eine tiefe, materialreiche Kritik an antiisraelischer Medienkultur abgeliefert. Bewundernswert waren manche seiner gar nicht so satirischen Reduktionen, mit denen er im deutschen Feullieton zu glänzen vermochte. Dass sich seine Ideen seit Längerem mit neurechten Ideologen überschneiden, ist mitnichten ein Anbiedern, wie es fälschlich unterstellt wird, es ist auch nicht Identifikation mit dem Aggressor, es ist einfach Verfall in eitlen Altherren-Gestus, ins Bescheidwissertum.


N-Wörter

Während eines Vortrags über Rassismus in Leipzig meldete sich eine Frau mit dunkler Hautfarbe und beschwert sich, dass ich das N-Wort so häufig verwenden würde. Ich solle das doch nicht tun, es würde ihr so wehtun.
Obwohl ich diesen Moment gut vorbereitet glaubte, versagen mir die Instrumente, die ich mir bereit gelegt zu haben glaubte. Ich erwiderte etwas forsch, dass es mir leidtue, ich zitierte eben und im Zitat hielte ich es für notwendig, die gewaltförmige Sprache nicht zu glossieren. Acht anwesende Menschen mit dunkler Hautfarbe verließen aus Protest geschlossen den Saal, gefolgt von einigen Weißen. Das betrachte ich auch als mein Scheitern, weil es nicht oder nicht nur kalkulierte Eskalation war. Da ich vorab vor „Störungen“ gewarnt wurde, habe ich den Modus der Abwehr im Nachhinein zu früh beschritten.

Eine angemessene Strategie wäre gewesen, die Person ernster zu nehmen und sie aufzufordern, darüber zu sprechen: etwa wie häufig ihr das Wort pejorativ im Alltag begegnet oder was sie selbst vorschlägt um mit Zitaten umzugehen. Und ihr dann zu versichern, dass ich das Wort nicht verwende, um sie zu ärgern, sondern um ein Publikum in ihrem Sinne gegen dessen künftige Verwendung im Alltag zu impfen.
Eine andere, konfrontative, Strategie wäre die Gegenfrage gewesen, warum ihr die Verwendung des Wortes „Neger“ im Zitat mehr Schmerzen bereitet als die davor erfolgte Darstellung der Ermordung und Versklavung von Millionen Menschen aus Afrika im Zuge der Sklaverei.

Sicher aber wäre es hilfreich gewesen, meine eigenen Regeln, nach denen ich das Wort verwende, ausführlicher zu erläutern, was ich hiermit nachhole und künftig vor den Vortrag schalte, um etwaige Missverständnisse zu vermeiden.

1. ich zitiere das ganze Wort (und sage nicht „N-Wort“), um den in der Literatur nicht unwesentlichen Unterschied zwischen den Begriffen „Neger“ und „Nigger“ deutlich zu machen. Wenn Marx etwa in öffentlichen Texten das seinerzeits und bis in die 1950-er Jahre politisch korrekte Wort „Neger“ (engl. „Negro“) verwendet, aber in Briefen über den „jüdischen Nigger Lasalle“ herzieht, dann reicht „N-Wort“ nicht hin, um den Unterschied (und den Absturz) sichtbar zu machen. Ebenso verhält es sich mit Literatur generell.

2. mit revisionistischen Versuchen, das Wort „Neger“ wieder zu etablieren oder sich für Zensuren durch die ostentative Verwendung etwa durch Tarnzitate zu rächen habe ich nichts gemein. Die affirmative Verwendung des Wortes „Neger“ zur Bezeichnung von Menschen mit dunkler Hautfarbe lehne ich ab und verwende, auch wenn ich den Begriff für schlecht halte, das gesellschaftlich akzeptierte Wort „Schwarze“ oder „Menschen mit dunkler Hautfarbe“ dort, wo Hautfarbe tatsächlich relevant ist.

3. In einem Vortrag über Rassismus geht es unter anderem gerade darum, das Wort „Neger“ in seiner Geschichtlichkeit etwa in Kinderbüchern darzustellen. Die Kritik daran muss die Verwendungen benennen – oder sie verharmlost und schönt. Ebenso verhält es sich mit dem humanistischen Realismus Mark Twains in „Huckleberry Finn“ und „Tom Sawyer“, der darauf angewiesen ist, das Wort „Nigger“ in der Alltagssprache abzubilden – alles Andere wäre eine Verharmlosung des literarisch dargestellten rassistischen Systems. Ein Gewaltverhältnis lässt sich nicht kritisieren, indem ein entscheidendes Moment darin, sprachliche Zurichtung, ex post verborgen wird. Über Antisemitismus aufzuklären, aber Zuschauer vor Goebbels Hetzreden, Bildern von antisemitischen Karikaturen oder von Leichenbergen zu schonen, ist ebensowenig möglich, wie über Rassismus aufzuklären ohne die Wörter „Neger“ und „Nigger“ zu zitieren.

4. Die Zensur des affirmativ verwendeten Wortes „Neger“ und entsprechender rassistischer Passagen aus Kinderbüchern kann ich nur begrüßen. Bei Bedarf historisch-kritische Editionen zu suchen kann Erwachsenen zugemutet werden. Kindern kann hingegen nicht von vornherein eine kritische Lektüre abverlangt werden. Vollends schief steht der scheinbar nach Authentizität verlangende Protest gegen die Zensur, weil umgearbeitete, kindgerechte oder um Gewalt und Sexualität verkürzte Versionen von Märchen und Erzählungen gang und gebe sind.