Die letzte Tapferkeit

Es verwundert immer noch mehr: Sarrazin musste Amt und Würden hinter sich lassen. Menschen, die intellektuell Lichtjahre hinter seinem verquasten Kork zurückbleiben, bleiben Parteivorsitzender, Ministerin, Parteisekretär. Seehofer, Gabriel und Schröder wuchteten sich zuletzt prominent und ungeniert ins Licht der Öffentlichkeit. Alle drei gerieren sich gerne als sozialer Flügel der jeweiligen Partei. Aus den in Wirklichkeit von den liberalen Grünen angefressenen Parteien SPD und CDU/CSU war wiederholt Angst vor einer „rechten“ Konkurrenz zu vernehmen.

Die in letzter Zeit häufiger geäußerte Drohung, die CDU würde keine Partei rechts von der CDU erlauben, gibt allen Grund zur Unruhe. Rechts und links sind untaugliche Spielmarken, die dringlichst durch ihr jeweils gemeintes – faschistisch, konservativ-demokratisch, liberal, kommunistisch, stalinistisch, sozialdemokratisch, etc.  – ersetzt werden sollten. Tatsächlich lässt sich in allen Parteien ein staatsmonopolistischer und ein liberaler, ein antisemitischer und ein proisraelischer, ein völkischer und ein weltbürgerlicher, ein faschistischer und ein demokratischer Flügel finden. Die Unreinheit der Begriffe links und rechts lässt jedoch gerade Rückschlüsse auf das zu, was die CDU als rechts von sich befindlich ansieht und aufzufangen plant: die nationalsozialistische Position. Diese ist es, die Seehofer einnimmt, wenn er im Jargon Goebbels zur „letzten Tapferkeit“ im Kampf gegen vermeintliche Müßiggänger aufruft, denen das Existenzgeld und wohl noch die letzte Garantie, die sie noch haben, die Nahrungsmittelgutscheine zu streichen sind –  die also im industriellen Stande der paradiesischen Überproduktion ausgehungert werden sollen. Der Schlag nach unten passt zum Schlag nach außen. Wenn er über unverträgliche Kulturkreise spricht, meint er nicht die Troglodyten in bayrischen Vororten, die immer noch gern ihren Kaiser oder den Adolf wieder hätten. Seehofer attackiert einen diffusen Raum, der nicht das Extrem des Fremden ist, sondern den Beginn des Fremden, das eigentlich Verwandte markiert – der Orient. Im Prinzip vollzieht er das, was Sarrazin vorgeworfen wird: Rassismus. Die Herkunft aus einem Kulturkreis ersetzt rhetorisch das Gen und aus dieser Herkunft soll die Ausgrenzung geschlossen werden. Schröder wiederum nutzt die Gunst der Stunde und plätschert gegen „Deutschenfeindlichkeit“ in Schulen – ein ähnlich strukturiertes Konstrukt wie die „Islamphobie“. Eine winzige Sparte des Mobbings in der Schule, das sich an Akzidentiellem aufreibt und strukturell eher homophob als rassistisch ist, wird zum neuen Popanz eines drohenden Untergang des Deutschtums.

Die Maßnahmen sehen sich jeweils gleich: staatliche Zwangsmaßnahmen am Rande des Totalitären  (Kindergartenpflicht – als würde dort Aufklärung garantiert), Abschiebung, Einwanderungsstop.

Dringend nötig ist es, gegen die medial zurechtkastrierten Drei-Sekunden-Kommentare der Opposition, die Fakten zu klären. Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten ist bei genauerer Betrachtung so gut wie unmöglich. Niemand kann aus dem sogenannten „arabischen Kulturkreis“ einfach so mit Sack und Pack einwandern und Deutscher werden. Flüchtlinge werden weitgehend durch die Dritt-Staaten-Regelung abgefangen. Eine Aufenthaltserlaubnis gilt ohnehin nur noch sechs Monate. Bleibt die Niederlassungserlaubnis. Die erhalten nur Menschen mit Arbeit, Wohnsitz, Deutschkenntnissen, Integrationstests und einem mehr als fünfjährigen Aufenthaltsowie einer langjährigen Beschäftigung in Deutschland. Was also von Seehofer eingefordert wird, ist ohnehin längst Gesetz: Es gibt keine effektive Einwanderung. Es gibt  lediglich ein marodes Asylrecht, das noch dazu durch Auslegungen untergraben wird. Und es gibt die für die Türkei nicht unbedingt randständige Möglichkeit, Menschen aus Nicht-EU-Staaten zu ehelichen und nach Prüfungen und Bewährungsauflagen dieser Person den deutschen Pass zu ermöglichen. Was für die Troglodyten aus Unterfranken noch lange nicht heißt, dass die Person nun Deutscher oder Deutsche sei.

Die Zahlen für Visa-Anträge konterkarieren Seehofer bereits im Ansatz. Von den erteilten Visa dürfte der allerkleinste Teil zu einer Niederlassungserlaubnis führen. Der Löwenanteil entfällt eher auf sehr wohlhabende Touristen und Geschäftsleute, die noch dazu mehrfach in den Zahlen auftauchen, wenn sie für Geschäftsreisen mehrere Visa benötigen.

Für Ankara hat sich die Zahl der jährlichen Visa seit 2000 konstant halbiert (von 73695 auf 38723) während die Ablehnungen bei um die 15 000 stagnieren. In Istanbul und Izmir gilt der gleiche Abfall. Ähnlich verhält es sich mit  Algier (10984 auf 5472 bei konstant um die 1500 Ablehnungen) und Tunis (18255 auf 7133).

Dubai hat zwar seit 2000 eine Verdoppelung von 21010 auf 41329 erfahren, seit 2007 stagnieren die Zahlen allerdings, gegenüber 2009 ist eine Abnahme zu verzeichnen. Das gleiche gilt für Abu Dhabi mit 6869 im Vergleich zu 12548.

Die insgesamt erteilte Visa-Zahl an allen Botschaften ist seit 2000 um etwa eine Million von 2607012 auf 1649392 gesunken, gegenüber einem leichten Anstieg der Ablehnungen von 167038 auf 177207.

(Quelle: Bundestag)

Ein Drittel weniger Menschen wollten überhaupt Deutschland besuchen, dem verbleibenden Rest steht man aber nicht weniger misstrauisch gegenüber. Und wer trotzdem noch in Deutschland verweilt, wird ausgeschafft: 2009 wurden 7289 Menschen aus Deutschland mit dem Flugzeug abgeschoben – auch in Diktaturen wie China, Irak,  Weissrussland, Vietnam oder Afghanistan. 536 weitere wurden über den Landweg und 5 mit dem Schiff weggeschafft. Sehr tapfer, das. (Quelle: Bundestag)

Das sind im Vergleich zu anderen, multiethnischen Staaten lächerliche Zahlen. In Ghana ist es selbstverständlich, dass 70 verschiedene Sprachen und Dialekte gesprochen werden und Nomaden im Norden wie auch Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten sich ansiedeln. Bei Fluchtbewegungen im Kongo-Krieg sind Hunderttausende auf der Flucht über die Grenzen in die Nachbarstaaten. Deutschland besitzt also die in Seehofer, Gabriel und Schröder kristallisierte Arroganz, zum einen nichts Effizientes gegen irgendeinen jüngeren Genozid oder Massenkrieg auf der Welt unternommen zu haben und zum Anderen sich taub und dumm zu stellen, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Es profitiert in unverschämter Weise von Diktaturen, etwa in Iran, und weist dann auch noch den Opfern dieser Dikaturen die Tür. Es diskutiert über die Schimäre „Einwanderung“ während noch nicht einmal ein Asylrecht errichtet und verteidigt wurde, das diesen Namen verdient. Seehofers Vorstoß zur letzten Tapferkeit ist nicht der letzte, den man erwarten darf. Solche sogenannten „Tabubrüche“ sind antidemokratisches Gift, das Fortbestehen des Nationalsozialismus in der Demokratie. Es wird bedrohlich bleiben, solange keine Opposition sich offen für ein Asylrecht im Wortsinne und eine Einwanderungsgesellschaft im weltbürgerlichen Sinne mit einer klaren Garantie der Auflösung des deutschen Volksfetischs hin zu einer weltbürgerlichen, demokratischen Gesellschaft einzusetzen wagt.

 

20 thoughts on “Die letzte Tapferkeit

  1. „(…)Es wird bedrohlich bleiben, solange keine Opposition sich offen für ein Asylrecht im Wortsinne und eine Einwanderungsgesellschaft im weltbürgerlichen Sinne mit einer klaren Garantie der Auflösung des deutschen Volksfetischs hin zu einer weltbürgerlichen, demokratischen Gesellschaft einzusetzen wagt.(…)“

    edle, konkret utopische aus- und einsichten…selbst wenn diese destillation gelänge, so bliebe nach dieser doch ein bitterer nachgeschmack übrig, ein deutscher nachgeschmack, der sich niemals von seinem geschmacks-boden zu trennen vermag. es sei denn, diese volksfetischfreie flüssigkeit destillierte die idee eines „projektes deutschland“, was auf absehbare zeit aber nicht der fall sein wird. so doch bleibt die hoffnung fürs erste auf einer opposition, die sich im o.g. sinn einzusetzen vermag. daran aber kann ich- allein mit dem blick auf hiesige diskurskultur(en) und ihrer gestalterInnen- nicht wirklich glauben, wenn ich nicht wüsste um die diskurse in den blog-welten, wie z.b. hier. bestens und auf weiteres gehör.

  2. Asylrecht – ja, unbedingt!
    Einwanderungsland – nur bedingt 😉
    Auflösung des deutschen Volksfetisch – wenn das so gemeint sein mag, wonach es klingt – Selbstauflösung – nö!

    Ich finde Deutschland schön, wohne gerne in deutschen Landen und das nicht nur der Landschaft wegen und möchte auch, dass das so bleibt – als und in eine/r deutlich demokratische/n Gesellschaft mit dem zarten Hang zum Weltbürgertum in Form von Kulturtagen, Büchermessen, Theaterfestivals, gutem Essen und vielen, vielen Büchern „globaler“ Autoren, ja, und der Freiheit zu reisen, natürlich und darüber zu berichten und und glauaben zu können und alles öffentlich (be)reden zu können, so wie mir der Schnabel gewachsen ist … am besten kann ich das auf Deutsch!

  3. @ Rika: Die meisten dieser Bücher gibt´s auch ohne `Schland. Romane mit stark nationalem Bezug (die nennt man hier „links“) gäbs weniger. Kein Grass kein Lenz kein Walser klingt für mich fast besser als „kein Gott kein Staat kein Vaterland“. Dass die inszenierte Mondänität eines (in Berlin, Hamburg, Frankfurt lokalisierten) ohne den Deutschen Staat nicht denkbar wäre, und man Deutschland deswegen nicht missen möchte ist angesichts der Alternativen beinahe zu verstehen. Aber aus Bequemlichkeit nicht weiter denken wollen als die Bremer Stadtmusikanten? Wer dem Staat (und gerade diesem) ernsthaft eine solche Qualität einräumt, bestimmt mit der Zeit gar über die Qualität (oder eben das Gegenteil) der Märchen, die es zu lesen gibt … 😉

  4. Ok, platt und kurz: Asylrecht: dann unbedingt. Und keine Unterscheidung zwischen „politischen“ und „ökonomischen“ Flüchtlingen. Aber: Einwanderungsland: Bedeutet immer: wer draueßn stirbt soll draußen sterben. Pfui.
    2.: Wenn deutsches Volk auflösen Selbstauflöung bedeutet. Hmm, dann scheiß ich auf (dein/ihr) Selbst. Oh wie schade. Volk braucht wirklich keiner, und auf der Skala der ekelhaftesten Völkischen Erungenschaften steht das deutsche Volk sowas von oben.
    All der Kram den du/Sie toll finden: Gut dann. Wir eben niemand Hamburgs und Berlins Szene abschaffen wollen. Nur ist das eben nur die erbärmliche Spitze Deutschlands (und Kehlmann wirklich deren kosmopolitischstes Exponat). Aber wofür brauchen „Büchermessen, Theaterfestivals, … Essen“ deutsches, und warum Volk? Vor allem, nachdem sogar ihnen hätte auffallen können, dass es in dem Artikel hier neben den hier ankommenden auch noch um die geht, die dabei draufgehen, oder es sonst nicht schaffen?
    Nun, sortiert habe ich nix, aber vielleicht einiges klarer gefasst. Die Bremer Stadtmusikanten sind deshalb eine sympathische, vielleicht die einzige sympathische deutsche Märchenfigur, weil sie auf ihre Herkunft scheißen. So einfach ist das.

  5. Was war nochmal mit Lenz?

    Wem es in Deutschland gut geht ohne zumindest heimlich zu kotzen muss schon einige Energie für Verdrängung aufbieten. Aus einem Loft in München mag die ganze Scheiße bunter glitzern als aus einem Plattenbau in Mönchengladbach, wem aber bei der Gesamtkonstitution deutscher Tendenzen nicht die Galle geht, der hat sich mächtig immunisiert gegen jene, die es täglich trifft. Das fängt an beim Abschreiben ganzer Kontinente für die Wahrnehmung (Sudan, Somalia, Kongo, Burma, Gambia, Laos, China, und und und). Dort finden mit der Beteiligung deutscher „Nichtbeteiligung“ genozidale Kriege, Massaker und Diktaturen statt, doch der Deutsche will sichs partout wohlsein lassen bei Wagner und Buchmesse. Er hat gelernt: Nie wieder Auschwitz – kam nicht so gut an, trotz der paar Nobelpreise für Vergangenheitsbewältigung. Damit ist der Fall für ihn erledigt, sollen andere ihre Fehler selber machen und aus ihnen lernen, ein jeder kehr vor seiner Tür.

  6. Würde sich an den Zuständen in Afrika – speziell in Somalia und im Kongo irgendetwas ändern, wenn Deutschland aufhörte Deutschland zu sein und sich in Zukunft als Koordinatensystem hinsichtlich seiner geografischen Lage und als „globaler Eintopf“ hinsichtlich der Herkunft seiner Bürger (ähämm, vermutlich ist das auch ein Ausdruck, den man dann nicht mehr benutzen sollte) – also der Herkunft seiner gerade Anwesenden definieren würde?
    @Cyrano,
    haben sie ein freiwilliges soziales Jahr in Asien oder Afrika oder wenigstens in einer Einrichtung für Benachteiligte in Deutschland absolviert, dass sie sich dermaßen über die Normalis unter den Deutschen erregen?
    Geben sie 10 % ihres Nettoeinkommens als freiwillige Spende an ihre Kirche, die damit Krankenhäuser in Uganda und Kinderheime in Bolivien finanziert?
    Essen sie nur einheimisches Gemüse, um die Ausbeutung der Leute in den überseeischen Agrargebieten zu verhindern?
    Verzichten sie auf Kaffee und Kakao, Cola und Popcorn, weil das alles mit Unterdrückung zu tun hat?
    Vermutlich essensie auch kein Fleisch, weil die Produktion von Fleisch den Ärmsten der Armen die Nahrungsgrundlage entzieht und sicher kleiden sie sich auch nur in Txtilien, die weder aus ausländischen Naturprokukten noch aus Synthetik (aus Erdöl) hergestellt werden, sie laufen in Schuhen herum, die nicht aus China oder Bangladesch stammen und am liebsten wäre es ihnen, wenn sie als mönchischer Asket durch dieses weltliche – vor allem deutsche – Jammertal zögen.

    Die ekelhaften Deutschen gehören zu den Hauptfinanzierer der UN und ihrer Abteilungen.
    Die ekelhaften Deutschen haben es immerhin – wenn auch nicht ganz freiwillig – geschafft, sich ihrer faschistischen Vergangenheit zu stellen, was man nun wirklich nicht von allen Faschisten dieser Welt sagen kann, am wenigsten von den Linksfaschisten, die gegenwärtig für sich reklamieren, der ethisch-moralische Nabel der Welt zu sein.

    Pfui Deibel, die Selbstgerechtigkeit in den Kommentaren schreit zum Himmel, es stinkt nach moralischem Weihrauch, dass es mir die Luft und die Lust zum Atmen nimmt.
    Armes Deutschland und arme Welt, wenn Typen wie sie und ihr die – vermutlich nicht demokratisch legitimierte – Macht bekommen.

  7. Ich kann aus Ihrem Beitrag nicht wirklich erkennen, ob Sie der Meinung sind, ein FSJ in Afrika oder anderswo sei Voraussetzung dafür, deutsche Zustände zu kritisieren, bzw. diese Angst vor Selbstauflösung lächerlich zu finden, oder ob sie glauben, dass so ein FSJ erklärt dass ich
    „Vermutlich … auch kein Fleisch [esse], weil die Produktion von Fleisch den Ärmsten der Armen die Nahrungsgrundlage entzieht und sicher kleiden sie sich auch nur in Txtilien, die weder aus ausländischen Naturprokukten noch aus Synthetik (aus Erdöl) hergestellt werden, sie laufen in Schuhen herum, die nicht aus China oder Bangladesch stammen und am liebsten wäre es ihnen, wenn sie als mönchischer Asket durch dieses weltliche – vor allem deutsche – Jammertal zögen“
    Ersteres mach wenig Sinn, Mangel erleben bedeutet weder zwangsläufig, dass man die Gründe des Mangels danach besser begreift, noch, dass man nun eine besondere Berechtigung zur Kritik hat, und zweiteres ist einfach falsch, weil ich mit diesem Hippiesken Antikapitalismus, der eigentlich nur Fortschritsfeindlichkeit ist wenig am Hut habe.
    Bestehen bleibt allerdings: Die meisten Vorzüge, die Sie nennen, Literatur, Wein, was weiß ich sind in keiner Weise notwendig mit „Deutschland“ verbunden, und werden auch nicht durch Einwanderung gefährdet. Bzw. wenn diese Dinge durch Einwanderung gefährdet wären so zeigte das allein, wie exklusiv diese Dinge eben sind, und dass auch das liberalste Verständnis von Nationalstaat autoritär wird, wenn Verteilungsfragen dringender werden. Und dass die „Ekelhaften Deutschen“ sich ihrer Faschistischen Vergangenheit „gestellt“ haben (die Vergangenheit bewältigt haben ist die gängige Vokabel) bezweifle ich noch nicht mal. Das war auch notwendig, damit im Namen des Holocaust der Balkan ethnisch geordnet werden kann, und damit die „Israelkritik“ nicht mehr so schrecklich antisemitisch klingt, nicht? Ihrer Gegenwart, über die weiter oben alles gesagt wurde, stellen die Deutschen sich dann halt in der Zukunft.
    Dass hier irgendwer die Machtfrage stellen will denken Sie sich übrigens aus. Vielleicht ein antikommunistische Reflex aus Zeiten, in denen Antikommunismus noch einen Gegner kannte? Ansonsten tuts gut, mal „Linksfaschist“ genannt zu werden. Das F-Wort sitzt locker zur Zeit. Von antiimp-Seiten kriegt man das auch öfter mal zu hören (dann ohne „Links“). Was solls… wer sich mit Mussolinis Werdegang beschäftigt hat wüsste, dass Linksfaschist beinahe ein Oxymoron ist… nein, nicht ganz ein Oxymoron, aber ich weiß wirklich nicht ob es einen Begriff gibt für ein Wort, dessen verschiedene Bedeutungen als Teilmenge ein Oxymoron enthalten.

  8. „Bzw. wenn diese Dinge durch Einwanderung gefährdet wären so zeigte das allein, wie exklusiv diese Dinge eben sind, und dass auch das liberalste Verständnis von Nationalstaat autoritär wird, wenn Verteilungsfragen dringender werden.“

    Naja, auf Fleisch verzichten, Öko-Kleidung tragen, etc. wäre doch gerade eine Möglichkeit, sich Verteilungsfragen zu widmen, weil deren Produktion eben wie Rika schreibt „den Ärmsten der Armen die Nahrungsgrundlage entzieht“

  9. @Cyrano

    Vielleicht haben Sie mich ja genauso wenig verstanden, wie es mir möglich ist, Sie zu verstehen.
    Ich habe in meinem ersten Kommentar nicht den gesamtenBeitrag „kritisiert“ – im Wesentlichen finde ich die Darlegung gut -, sondern der Schlusspassage – siehe Einwanderung, Asyl, Weltbürgertum meine, vielleicht zu emotional anmutende, Sicht entgegengestellt.

    In Ihrer ersten Erwiderung auf mich finde ich wenig Erhellendes zum Thema, dafür den Hinweis auf die Bequemlichkeit der denkfaulen, aber ansonsten wohl ganz netten Bremer Stadtmusikanten, verbunden mit dem unterschwelligen Vorwurf – so habe ich es jedenfalls verstanden – zu eben jenen denkfaulen „Arten“ zu gehören, der Ausdruck „Menschen“ ist in diesem Fall wohl nicht angebracht, da es sich bei den B.M. ausschließlich um Tiere handelt – oder sollte ihnen das entgangen sein?

    Ich bin vermutlich nicht in der Lage, ihnen intellektuell das Wasser zu reichen, was wohl auch an der Begrifflichkeit deutlich wird, mit der Sie, bzw. ich die Argumente ins Feld führen.
    Als jemand, der sich begeistert bei den Jusos und in linksgerichteten Studentenorganisationen eingebracht hat in den späten 60er und frühen 70er Jahren, habe ich mich intensiv mit dem Faschismus beschäftigt und mich dabei selbstredend auf der „richtigenSeite“ gefühlt.

    Gerade die Haltung der Linken zu Israel jedoch, hat aber wesentlich dazu beigetragen, eine zunehmend kritische Haltung „linken Positionen“ gegenüber einzunehmen.

    In der realen Stellungnahme zu dem Palästina-Israel-Komplex unterscheiden sich Linke in keiner Weise von Rechten – sieht man von der jeweiligen theoretischen Basis ab…. (als Beispiel steht mir die Teilnahme linker Bundestagsmitglieder bei der „Free-Gaza-Aktion“ lebhaft vor Augen, samt dem theoretisch überhöhten und vollkommen verquasten Gesabbel, mit dem sie ihre Teilnahme begründeten)… aber auch das können Sie vermutlich wissenschaftlich korrekt und mit intellektuellem Anspruch sehr viel besser ausdrücken als ich!

    Ansonsten bitte ich Sie, mich doch bitte beim Wort zu nehmen, Beispiel:
    „Die ekelhaften Deutschen haben es immerhin – wenn auch nicht ganz freiwillig – geschafft, sich ihrer faschistischen Vergangenheit zu stellen,“

    Sie meinen, mich korrigieren zu müssen und schreiben:

    „(die Vergangenheit bewältigt haben ist die gängige Vokabel)“

    Ich bin aber keineswegs der Meinung, dass die Deutschen ihre Vergangenheit bewältigt haben. Der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen, wie man dieser Tage anhand der Studie zur Beteiligung des AA während der Nazizeit gut ersehen kann. Ich bin sicher, dass es noch viele verborgene Bereiche gibt, in die Licht zu bringen, uns noch eine ganze Weile auf Trapp halten wird.

    In Bezug auf Israelkritik lade ich Sie ein, meine Beiträge zum Thema Israel in meinem Blog in Augenschein zu nehmen.
    Beim Anklicken meines Namens landen sie in meinem Blog

  10. Es stimmt schon: In Deutschland hat ein Aufarbeitungsprozess stattgefunden und findet statt, der in Umfang und Qualität durchaus bemerkenswert ist. Leider ist diese Aufarbeitung einem interessierten Publikum vorbehalten geblieben – jene, die nie aufarbeiten wollten, weisen um so zwanghaftere Reaktionsbildungen auf. Darüber hinaus gibt es die enervierenden Rückfälle von Seiten fast aller Politiker, eine Art Erkaltung, es werden Maßnahmen gedacht und gesprochen, die ohne den Verweis auf die Aufarbeitung nicht so gedacht oder gesprochen werden könnten. Das bedeutet, dass diese Aufarbeitung instrumentalisiert wird – ein unscharfer Begriff – um schlimmes vorzubereiten. Man hat sich mit den Nazis beschäftigt, gründlich davon distanziert und kann dann mit reinem Gewissen Vollbeschäftigung und Drückebergerstrafen einfordern. Man hat die Aufarbeitung an die Historiker deligiert und kann sich ungestört der Politik widmen.

    Das bedeutet, dass jede Aufarbeitung in Deutschland dialektisch gedacht werden muss.
    Vergleicht man Deutschland mit den südamerikanischen Diktaturen oder der Sowjetunion oder dem Antisemitismus der Ostblockstaaten oder der arabischen Welt, dann ist in diesem Vergleich die Aufarbeitung der Vergangenheit aus der wissenschaftlichen Perspektive durchaus beachtlich. Bewertet man Aufarbeitung der Vergangenheit aber an ihrer Unmöglichmachung der Wiederholung von Ähnlichem, so ist die Bilanz negativ. Die Kälte, die Adorno/Horkheimer für Auschwitz noch vor dem Hass verantwortlich machen, besteht fort und klirrt mitunter, dass es einem ganz anders werden möchte.

  11. @Rika

    Das in meinem ersten Beitrag wenig erhellendes zu Finden ist bestreite ich nicht. Der war tatsächlich als eher launische Antwort auf das verfasst, was ich im Angesicht des von Nichtidentisches geschriebenen als Verteidigung nicht minimaler und in Deutschland nur durch militärische Intervention, wie man heute sagt, Freiheitswerte, sondern einer doch stark idealisierten „Kultur“ aufgefasst habe. Das mag ein Kurzschluss gewesen sein, aber angesichts meines Erachtens doch eher trauriger (und meist eben doch eher kulturalistischer als zivilisatorischer) Kulturtage & Festivals usw. denke ich ein nicht ganz ungerechtfertigter. Aber ja, ich könnte dabei sehr wohl davon beeinflusst worden sein, was ich mir als Antwort auf den Ausgangsartikel erwartet habe.
    Die Notwendigkeit zwischen Asylrecht und Einwanderungsland zu trennen sehe ich weder aus liberaler, noch aus einer Perspektive, die im Kapitalismus moderner Prägung nicht der Weisheit letzten Schluss sieht. Der Satz „Auflösung des deutschen Volksfetisch – wenn das so gemeint sein mag, wonach es klingt – Selbstauflösung – nö!“ las sich für micht, was nach den weiteren Ausführungen jetzt fraglich erscheint wie: „Auflösung des deutschen Volksfetisch – wenn das (wie es klingt) Selbstauflösung sein soll – nö!“. Ich sehe aber dass Sie auch hätten meinen können: „Auflösung des deutschen Volksfetisch – wenn das so gemeint sein mag, wonach es klingt – ja, aber: Selbstauflösung – nö!“. Ich sehe eben den Zusammenhang zwischen Auflösung eines Volksfetisch und Selbstauflösung = Aufgabe der Individualität, überhaupt nicht.
    Dass ich sie dann in der Folge nicht beim Wort genommen habe, wenn sie schreiben „„Die ekelhaften Deutschen haben es immerhin – wenn auch nicht ganz freiwillig – geschafft, sich ihrer faschistischen Vergangenheit zu stellen“, kann wohl auch aus der ursprünglichen Ambivalenz resultieren. Aber dieses „sich stellen“ ist halt ähnlich schwammig wie das „bewältigen“. Diese „Sorge“ um Israel, die immerhin zum einzigen Einstimmigen Beschluss des Bundestags von dem ich bis heute weiß (zumindest zum Medienwirksamsten) führte (also die Verurteilung des Einsatz gegen die Flotilla), lässt mich zwar daran glauben, dass sich der Vergangenheit gestellt wurde, aber sicher nich daran, dass das unbedingt positiv besetzt sein muss. „Gerade wegen unserer Nationalsozialistischen Vergangenheit… bzw gerade wir als Deutsche“ so werden eben meistens die übelsten Politischen Statements gerade eingeleitet. Ich bitte also zu entschuldigen wenn ich bei verwandten Wendungen verwandte Gedanken vermute.

    Was Linke & Israel betrifft, sind wir wohl im Großen und Ganzen einer Meinung. Ich würde da noch ausdiffernzieren, im Antiimperialistischen Part der Linken gibt es große Gemeinsamkeiten mit der „Neuen Rechten“ nach Benoist nicht nur in den Äußerungen sondern durchaus auch in der Ideologie, aber da erzähle ich wohl nichts neues.

    Am Rande: die Stadtmusikanten habe ich durchaus nicht in die Runde geworfen, um Sie oder andere mit irgendwem Denkfaulem zu vergleichen. Nein, ich hielt die Musikanten tatsächlich für einen amüsanten und wertvollem Gegenpart zu all dem was die Deutsche Literatur (with a capital D) bi heute prägt: Diese obzessive Auseinandersetzung alternder Schnautzbartträger mit den verlorenen Wurzeln, die irgendwo in den Ostgebieten verwachsen sind. Grass ist natürlich der bedeutendste, auch modernere Autoren kommen davon nicht los (Arthur Becker), und Lenz „Heimatmuseum“ ist so ein Exponat, das mir auch nicht mehr aus dem Kop geht… Die Musikanten sagen dagegen: „Etwas besseres als den Tod finden wir immer“. Und die „Heimat“, die ihnen an den Kragen will ist ihnen irgendwann egal 🙂

    @scott pilgrim: Da wäre ich ja fast versucht, auf den GSP zu verweisen, so wenig ich auch sonst oft mit dem übereinstimmen mag. Dass Menschen verhungern liegt nicht an den Produkten, sondern an der Produktionsweise: http://gdhv.wordpress.com/2010/07/21/%E2%80%9Eder-kunde-ist-konig%E2%80%9C/
    (Und sicher nicht einfach an Fleisch und Un-Öko. Öko kann sogar sehr wohl zu mehr Ausschluss führen)
    Ansonsten wie in unserem Austausch bei Classless: Leid Mindern ja; Falschen Vorstellungen über die Bedingungen des Leids Vorschub leisten.

  12. Pingback: Jetzt erst Recht Gutmenschlichkeit! « FICKO

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