District 9 – Kritik vom Feinsten

Subversion ist innerhalb des Systems der Kulturindustrie nur als Konterbande möglich, wie auch Ideologie selbst als Schmuggelware gerade den realistischsten Dokumentationen aufsitzt. (Vgl. Adorno 1963, S. 60)

Neil Blomkamp und die nicht unleserliche Handschrift Peter Jacksons im Film  District 9 denunzieren im Stil des populär gewordenen Mockumentary-Genres den Realismus. Dieses Genre bleibt nicht Effekt, es wird dialektisch mit seinem Antagonismus, dem Hyperrealismus der Animationen vermittelt. Der Grad der tatsächlichen dokumentarischen Recherche enträt der bekannten Formel von Form und Inhalt, die man sich  scholastisch als siamesische Zwillinge vorzustellen beliebt. Der Wahrheitsgehalt der Bilder hängt nicht von der jeweiligen imitierten Form ab, sondern erschließt sich aus einem Übergewicht des mittels Erfahrung aufzuspürenden Inhalts. Die Darstellung der nigerianischen Bande ist sowohl eine dem Märchen entlehnte Figur der Räuber, die für die Vermittlung zwischen Zivilisation und Wildnis zuständig sind, als auch eine  glaubhafte Darstellung der Möglichkeiten. In anderen Filmen wird diese Karte für exotistisches Blendwerk gespielt. In District 9 wagt man es, über die Fiktionalisierung eine Kritik  zu leisten, die idiosynkratischeren Geistern rasch als rassistisch gilt. Die Kritik gilt der afrikanischen wie auch der kolonialistischen Epistemologie. Auf welchem Wege ist die Aneignung von Wissenschaft, von gänzlich äußerlichen Technologien denkbar? Für die bürgerlich-imperialistische Gesellschaft ist die expansive Kolonisation des Anderen der gangbarste Weg: Experimente mit zu Sachen gedachten Individuen, die Vivisektion, die Kolonisation und absolute Kontrolle der Körper – geschützt mit dem Argument, das Michel Foucault in einem seiner genialeren Momente als „Biomacht“ kritisierte (wenngleich nicht analysierte).

Die „nigerianische“ Lösung, das Aufessen der Machtsymbole, die Inkorporation ins Organische, ist zugleich die Misere des afrikanischen Kontinents: Die Abstraktion und Akkumulation von Wissen erscheint unmöglich, wo der gesamte wissenschaftliche Prozess räumlichen Disjunktionen unterliegt – er findet als ökonomisch vermittelter zu mehr als 90 % in Europa, Amerika, Asien und Israel statt. Mit den gigantischen Krisen, die Afrika seit der Entkolonisierung heimsuchten, entstand ein ausgeprägtes Analphabetentum, das ideologische Geflechte produzierte. Die Konfrontation mit arbeitsteilig und durch Schrifttum akkumuliertem Wissen, genauer gesagt, mit dessen dinglichen Effekten, den Waren, verläuft ambivalent als Bewunderung und Schrecken. Die Weißen würden ihre Hexereikraft für positive Dinge nutzen, etwa um Mobiltelefone herzustellen, lautet ein verbreitetes Ideologem. In der Verzweiflung über den verbauten Zugang zur Wissensgewinnung wird die Bricolage mächtig: Die Methode folgt der Intuition, die Form des Wissens – der Code und das Geheimnis – gilt schon als dessen Inhalt. Das aus der Psyche hervorsteigende Begehren, mit dieser technologischen Macht identisch sein zu wollen, wird als orales zur gleichsam schlüssigen Methode der Erforschung des Anderen. Das Verspeisen eines außerirdischen Armes würde dessen Macht übertragen. Das Denken wird als Sehen gedacht – Sehen in eine Welt, in der alle Informationen schon fertig abrufbar sind. So sind es die Seher und Orakel, die in District 9 ihre berechtigte Rolle als bedeutende Institution im südlichen Afrika haben. Ihre Hybris wird ebenso tief gestürzt wie jene der vom Individuum abstrahierenden Wissenschaftler. Darin liegt der unschätzbare subversive Wert von District 9. Er instrumentalisiert weder die exotistischen Bilder, noch übt er Aufklärungsverrat – er bleibt negativ. Zutiefst ernsthaft lässt er sich auf das weitläufige Phänomen der Muti-Morde in Südafrika und Nigeria (u.A.) ein, (vgl. Niehaus 2001) ohne die Parallelen zu kolonialistischen Körperausweidungen und Menschenversuchen aus den Augen zu verlieren. Die Rainbow-Nation, das Ideologem des multiethnischen Südafrikas, wird aufs gründlichste auf ihren Ist-Zustand hin demontiert. Dieses hat sich bereits während der ersten Wahlen in der „Black-to-Black-Violence“ zerfleischt. Hexenjagdopfer, Frauen, weiße Farmer sind weitere tägliche Opfer der unterirdischen Nachbeben einer grotesk fehlgeschlagenen Aufklärung. In den Pogromen gegen Einwanderer und Flüchtlinge vor allem aus Simbabwe kam nicht das erste Mal ein afrikanischer autoritärer Charakter zu sich, der auch nicht erst in den Townships genährt wurde. Diesen autoritären Charakter zeigt District 9 als beidseitiges, universales Phänomen. Ob nun der weiße Wikus sadistisch kichernd die Eier der Aliens sabotiert oder ob die Afrikaner auf der Straße ihrem  ganz bodenständigen Austreibungswunsch Luft machen – der ganze Brei sieht von allen Seiten gleich frustrierend aus. Von daher ist District 9 die Impfung gegen jene schwülstigen, romantisierenden Anti-Apartheid-Produktionen wie „Goodbye Bafana“ und gegen den Fussballtaumel der Weltmeisterschaft – nicht sehr entfernt ähnelt das Raumschiff übrigens einem Stadion. District 9 kritisiert das rassistische Potential noch einer komplett gemischten Gesellschaft, die in der Akkumulation von Verfolgungswissen fortgeschrittener und auf demokratische Bedingungen hin verfeinerter ist als die frühen rassistischen, diktatorischen Regimes. Mehr noch: In der Darstellung einer depravierten Klasse von Aliens verweigert er den Unterdrückten den ihnen so oft unterstellten Heroismus. Ihre potentiell gigantische Waffengewalt bleibt fruchtlos, weil kein revolutionärer Geist sich gebildet hat, der das notwendige Moment des Widerstandes gegen den Austreibungswunsch ist. Einzige sparsame und dadurch um so eindrücklichere eskapistische Momente bilden die distanzierte Liebe zur idealisierten und sexuell überlegenen Frau, die mimetische Anverwandlung ans Andere und die Emigration der beiden einzigen Intellektuellen.

Literatur:

Adorno, Theodor W. 1963: „Fernsehen und Bildung.“ In: Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt a.M., Suhrkamp Verlag.

Niehaus, Isak 2001: „Witchcraft, Power and Politics. Exploring the Occult in the South African Lowveld.“ London, Pluto Press.

Blomkamp, Neill 2009: „District 9.“

Blomkamp, Neill 2009: „Alive in Joburg.

2 thoughts on “District 9 – Kritik vom Feinsten

  1. „expansive Kolonisation“: Pleonasmus?
    „90 %“ -> „90 Prozent“, evtl. Quelle
    „afrikanischer autoritäre Charakter“ -> „afrikanischer autoritärer Charakter“
    „Good bye Bafana“ -> „Goodbye Bafana“
    „Fussball-Taumel“ -> „Fußballtaumel“

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