Kuscheldöner im Kannibalenland

Kuscheldöner
Kuscheldöner

Zugegeben, der Kuscheldöner, den ich in Halle fotografieren durfte, ist in seiner braunen, spröden Sandsack-haftigkeit keine ernsthafte Konkurrenz für „Bernd das Brot“. Auch Gesichtsmortadella und Spongebob-Wassereis sind ihm in Sachen Usability einiges voraus, haben sie doch Essen und Identifikation selbst identifiziert und bedürfen nicht mehr des Umwegs über das Dritte. Für den Hang, die orale Aggression durch das Essen zu sublimieren, steht allerdings der personifizierte Döner Kebap ganz vorne Modell. Er wird nicht nur mit langen Messern kastriert und dann in heutzutage ungenießbar gewordenen Mayonaise-Saucen ersäuft, sondern wird vorher noch ausgiebig geröstet und tiefgefroren. Mit dieser Tortur identifiziert sich der Kuscheldöner vollkommen, ist trotzdem gut drauf und immer für einen Big Hug zu haben. Die Botschaft, das Essen habe es gern, wenn es zerschnitten, flambiert, verschlungen und wieder ausgeschieden wird, trifft sich ausgezeichnet mit Parolen, die den Büroalltag als Vergnügen feiern und Arbeit als das halbe Leben anpreisen. An der fetischisierten Nahrung wird das Bedürfnis nach Versöhnung mit dem einem selbst feindlichen Prinzip deutlich. Hat sich der barocke Früchteschnitzer noch die kunstvoll in Form gebrachte Natur unterworfen, identifiziert sich der Mensch, der sich der Nahrung gleich macht, indem er sie sich gleichmacht, mit dieser Unterwerfung. Zugleich soll die ganze Welt ein Kuscheltier werden – infantile Mimesis als Aufgabe jeder Konfliktbereitschaft. Douglas Adams macht das in seinem Anhalter-Zyklus zur Allegorie: Im Restaurant am Ende des Universums preisen sich sprechende Kühe dem Gast an. Die routiniert ans Absurde angeschmiegten, verrohten Charaktere Ford Prefect und Zaphod Beeblebrox fiecht das nicht an – nach ihrer Moral ist es erstrebenswert, dass der Unterworfene unterworfen sein will. Einzig Arthur Dent bestellt sich lieber einen Salat, weil ihm der Gedanke einer so vollendeten Zurichtung Abscheu bereitet. Die Reminiszenz an Odysseus ist überdeutlich – wie auch in dem Kinospektakel „The Simpsons“: Dort wird ein Schwein mit einer Kochmütze für die Werbung fotografiert – ähnlich den hierzulande üblichen grinsenden Schweinen, die als Metzgertafeln herhalten. Homer Simpsons nimmt als prototypischer Narr diese Identifizierung konsequent ernst und rettet das Schwein vor dem Schlachter mit den hinlänglich bekannten katastrophischen Konsequenzen. Die Aggression gegen das Objekt wird durch die Subjektivierung legitimiert – und so die erwünschte Triebabfuhr entscheidend begünstigt. In dieser Effektivität ist das besonders beim hinlänglich analysierten Totenschmaus sichtbar. Dort wirkt das kollektive Essen kathartisch auf die lähmende Ambivalenz, Lust und Kommunikation wird ohne den Toten weitergeführt. Und umgekehrt wird die Vermaschung, eine zwanghaft auf Harmonie und Konfliktvermeidung bedachte Familienumgebung, als Hauptursache von Anorexia Nervosa benannt: Die im Essen kristallisierte Aggression kann nicht zugelassen werden, weil das wie ein Dammbruch wirken würde.

Um das Ganze auf den dialektischen Punkt zu bringen – ich hätte mir den Kuscheldöner sofort gekauft, wenn ich genug Geld gehabt hätte.

Mehr dazu:

Psychoanalyse der Käsewerbung

„Die Simpsons als Film – zwischen Speerspitze der Aufklärung und Entertainment“

„Pro Ana – Eine Erweckungbewegung?“

13 thoughts on “Kuscheldöner im Kannibalenland

  1. Gut das Schweine nicht sprechen können sonst würde mir mein Schnitzel glatt im Halse stecken bleiben… es sei denn es ist böse… ich bin halt sensibel.

  2. Ich hänge gerade an dem Satz: Die Aggression gegen das Objekt wird durch die Subjektivierung legitimiert, denn die kann natürlich genau das Gegenteil bewirken: Denken wir an Haustiere, die von ihren Besitzern wie „Menschen“ behandelt werden, und die damit einen weit größeren Schutzraum genießen, als viele ihrer Artgenossen.

  3. Gibts auch Stulli zum Kuscheln? Fett mit Margarine und Fleischsalat belegt? Am besten in so groß, daß man die Sandwichhälften als Bett benutzen kann…

  4. @metepsilonema

    Das ist aber auch ein verkürzender Satz von mir. Gemeint war: Sobald mir das Mortadellagesicht als subjektiviertes Wurstobjekt entgegenlächelt, darf ich meine Aggression an ihm ausleben – wobei mitgedacht ist, dass nicht das Objekt Ziel der Aggression ist, sondern nur Transmitterfunktion besitzt für die oedipale und narzisstische Wut.

    Alternativ wäre eine Deutung, die auf die mimetischen Aspekte Wert legt: Das Kind soll mit der Verschlingung des Grinsewurstgesichts lernen, auch zu grinsen, wenn es verschlungen wird – nicht ohne die Dialektik, dass es auch lernen soll, brav und glücklich zu sein.

  5. Was mir noch nicht einleuchtet: Warum soll ausgerechnet ein lächelndes Wurstobjekt Transmitterfunktion für meine Wut besitzen? Warum nicht ein trauerndes? (Die Frage ist durchaus ernst gemeint, wobei ich gerne zugebe nichts von Psychoanalyse zu verstehen.)

    Wie entscheidet man eigentlich zwischen konkurrierenden Deutungen bzw. ob eine solche überhaupt zutreffend ist?

  6. Nicht das „wie“ ist entscheidend, das „ob“. Wenn du dich entscheidest, hast du die Ambivalenz schon beerdigt. Zumindest nach meinem Dafürhalten. Daneben gibt es aber auch eine gewisse Erfahrungsebene, die durchaus für oder gegen Entscheidungen spricht. Gar nicht selten trifft man auch auf die Anwendung der Logik.

    Warum also kein Trauerndes? Erklär du mir, warum es ein Trauerndes sein könnte. Dann würde mir die Widerlegung oder Zustimmung einfacher fallen.

  7. Ich würde Deiner Interpretation (Das lächelnde Wurstobjekt signalisiert, dass es verschlungen werden möchte) entgegenhalten, dass lächelnde „Objekte“ verniedlichend – denken wir z.B. an Stofftiere -, also genau gegenteilig wirken (Wer möchte schon an seinem Stoffhäschen knabbern, oder es als Boxbirne missbrauchen). Für das trauernde spräche – zumindest wenn man den „Wutaspekt“ betrachtet – die signalisierte Hilflosigkeit, die gerade dazu einlädt sich an dem Opfer zu vergreifen.

    Zum „wie“: Es ist schon ein Unterschied, ob man bei rein theoretischen Überlegungen bleibt (die immer Gefahr laufen irgendwann in Ideologie zu kippen), auch empirische erhobene Daten in seine Überlegungen einbezieht, oder Experimente macht.

  8. „Wer möchte schon an seinem Stoffhäschen knabbern, oder es als Boxbirne missbrauchen“ – ähm, Kinder? Und viele Kuscheltiere lächeln eher nicht, der klassische Teddy beispielsweise guckt eher traurig… Bei den Stofftieren geht es übrigens darum, dass das Kind sich mit den Stofftieren identifiziert und selbst die Elternrolle übernimmt: Wird das Stofftier fortgeschleudert, kann das ein Hinweis darauf sein, dass das Kind sich fortgeschleudert fühlt.

    Den Satz danach verstehe ich nicht ganz.

    Experiment würde ich im Falle der Sozialforschung tunlichst unterlassen. Entweder man studiert Kinder und beobachtet sie oder interagiert mit ihnen. Oder man lässt es besser. „Experiment“ halte ich da für einen ziemlich furchtbaren Ersatz für Erfahrung. Und innerhalb der solchen, bewusst oder unbewusst, bewegt sich immer auch die Deutung.

  9. Ich habe noch kein Kind gesehen, das sein Stofftier zum Abendessen verspeist hat…

    Ich meinte, dass signalisierte Hilflosigkeit u.ä. zum Aggressionsabbau einlädt (einladen kann); jemand der seine Wut kanalisieren will, wird sich nicht an Stärkeren „vergreifen“. Mit dem Schwächeren (Hilflosen), kann man „alles“ anstellen.

    Es gibt auch in der Soziologie (oder zumindest in soziologischem Kontext – so streng sind die disziplinären Grenzen ja nicht) durchaus zulässige Experimente. Und wenn das was Du unter Erfahrung verstehst, lernen durch Versuch und Irrtum impliziert, dann ist das etwas sehr ähnliches wie ein Experiment.

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