Rambology – mit John J. Rambo durch die Dialektik der Aufklärung


Ernst Barlach: „Der Rächer“

„Rambo, der; -s, -s [nach dem amerikanischen Filmhelden]: (ugs.) jmd. der sich rücksichtslos [u. mit Gewalt] durchsetzt; Kraftprotz.“ (Das große Fremdwörterbuch – Duden)

Die Umgangssprache hat den Begriff „Rambo“ okkupiert. Woher diese semantische Kaperfahrt ihren Freibrief bezieht, leitet sich eher aus einem sublimierten oder offenen Antiamerikanismus als aus einer qualifizierten analytischen Filmlektüre ab. Diese lässt allerdings auf sich warten. Außer einem aufschlussreichen Interview mit Christopher Vogler und den Audiokommentaren von David Morell und Silvester Stallone – sämtlich generöse Dreingaben der Rambo-Trilogy-DVD-Box – schweigt die Wissenschaft zum Phänomen Rambo, sofern sie sich nicht noch als Insinuant von Ressentiments gegen den Film betätigt. Man mokiert sich gerne darüber, wenn afrikanische Kindersoldaten oder Dschungelkämpfer sich „Commander Rambo“ nennen, ein ernsthaftes Interesse an der Vermittlung von intrapsychischen Konflikten in der postbürgerlichen Gesellschaft und dem fiktionalen Drama um den Kulturheros Rambo schlägt sich jedoch zumindest nicht in Publikationslisten oder Bibliothekskatalogen nieder.

Das oberflächliche Muster aller Filme ist sicherlich einfach: Der ausgestoßene Loner John Rambo wird durch dramatische Verstrickungen in Situationen gebracht, in der ihm Gewalt als einziger, legitimer Ausweg bleibt. Dadurch entsteht eine perpetuierte Verfolgungsjagd, bei der eine verfolgte Person letztlich zum siegreichen Verfolger wird oder zumindest die Verfolgung abwehrt. Würde man die Rambo-Filme auf dieses Muster reduzieren, träfen BARTHES Analysen der kleinbürgerlichen Kultur mit ihrem Abhub auf Erwartung, Suggestion und Initiation zu.

Es gehört zum kleinbürgerlichen Ritual […], daß man so lange warten läßt, bis sich die Spannung eingestellt hat, die so untrennbar gemischt ist mit Heilserwartung und Wut. (Barthes nach Schiwy 1973: 21)

Diese Erklärung in klassenkämpferischer und kulturkritischer Absicht wäre allzu plan. Für James Bond und zahllose andere zweitklassige Krimis, Gauner- und Detektivgeschichten mag solches oder ähnliches zutreffen. Die Rambo-Filmreihe ist allerdings zu komplex, als dass man sie auf Nervenkitzel und nur kulturindustriellen Unterhaltungswert reduzieren könnte. Sie ahmt nicht bürgerliche Kultur nach, sondern geht aus ihr hervor und entwickelt sie auf höchstem Niveau weiter – stets an den Grundfesten bürgerlicher Ideologie nagend, auf denen sie zugleich wie alle Kulturindustrie baut. Wesentlich mehr Aufschluss bietet es daher, wenn wir die „Dialektik der Aufklärung“ – ausnahmsweise weitgehend jenseits des Kulturindustriekapitels – mit der Rambo-Reihe synchronisieren. Erst dann wird die intellektuell inspirierte Tiefenwirkung der Rambo-Mythologie auf ein massenhaftes Publikum nachvollziehbar und die inhärente Zivilisationskritik ebenso wie der innerhalb kulturindustrieller Verhältnisse stets zum Verrat anstehende emanzipatorische Anspruch darin sichtbar. Von dieser These ausgehend starten wir, ADORNO und HORKHEIMER wie gleichermaßen deren Basis, MARX und FREUD im Hinterkopf behaltend, einen mitunter waghalsigen Streifzug durch die Filmreihe – wie John Rambo selbst riskieren wir dabei Verstand und Kragen, verfolgen, was uns verfolgt, kündigen im Kampfhubschrauber der Theorie die Sicherheit der wohligen positivistischen Trennung von Subjekt und Objekt auf.

John Rambo wird als gestrandetes Individuum eingeführt: Von allen solidarischen Bezügen durch Aggression, Krankheit und Konflikt abgeschnitten wandelt er als doppelt freier Trickster umher auf der Suche nach Sinn. Mit Insignien des Hippietums, langen Haaren und einer Amerikaflagge auf der Jacke, fällt er in das Ausschluss-Raster des Sheriffs Will Teasle, der seine Trauerarbeit rüde unterbricht. Ein zur Reproduktion oder vielleicht auch Regression gedachter Aufenthalt in der fiktiven amerikanischen (und real kanadischen) Kleinstadt Hope wird ihm verweigert, die Initiation in das Kollektiv bleibt aus.

Wer hungert und friert, gar wenn er einmal gute Aussichten hatte, ist gezeichnet. Er ist ein Outsider, und, von Kapitalverbrechen zuweilen abgesehen ist es die schwerste Schuld, Outsider zu sein. (Adorno/Horkheimer 1948 (1984): 135)

Als Outsider ist John Rambo wie Odysseus Prototyp des modernen Bürgers. (vgl. ibid: 42) Er riskiert auf der „long road“ („when you’r on your own“), sich selbst zu verlieren, um sich selbst zu behalten. Selbstbewusstsein bildet sich bei ihm erst in der Konfrontation mit mythischen Gewalten. (vgl. ibid: 44/46) Seine Lockungen sind die Sirenen der Geborgenheit im Kollektiv. Diesem Kollektiv verweigert er sich bis zuletzt. Um mit Adorno/Horkheimer zu sprechen:

„Wo aber eine Gefahr ist, wächst/ das Rettende auch:“ Das Wissen, in dem seine Identität besteht und das ihm zu überleben ermöglicht, hat seine Substanz an der Erfahrung des Vielfältigen, Ablenkenden, Auflösenden, und der wissend Überlebende ist zugleich der, welcher der Todesdrohung am verwegensten sich überlässt, an der er zum Leben hart und stark wird. […] Odysseus, wie die Helden aller eigentlichen Romane nach ihm, wirft sich weg gleichsam, um sich zu gewinnen; die Entfremdung von Natur, die er leistet, vollzieht sich in der Preisgabe an die Natur und ironisch triumphiert die Unerbittliche, der er befiehlt, indem er als Unerbittlicher nach Hause kommt, als Richter und Rächer der Erbe der Gewalten, denen er entrann. (ibid: 45f)

Rambo versagt sich solche triumphale Heimkehr und ist darin dem auf Synthese, Wiedererrichtung der patriarchalen Herrschaft zielenden Odysseus überlegen. Im ersten verbalen Schlagabtausch wird jedoch bereits die ähnlich verlaufende Bestimmung von Identitäten und festen Grenzen virulent: Die Scylla Will Teasle pocht auf seinen Herrschaftsanspruch, der mitnichten ein demokratischer ist: Er selbst sei das gleichsam göttliche Gesetz, das John Rambo den Aufenthalt verbiete. Rambo ist durch diese Diskriminierung höchst befremdet („Why are you pushing me?“) wie befremdend gleichermaßen – er leistet passiven Widerstand gegen den Willen der Götter und überschreitet den Rubikon von Hope.
Eine kulturelle Entität droht so durch den Einbruch des Unbekannten erschüttert zu werden – zugleich prallen zwei ungleichzeitige Überbauten aufeinander: Die Kultur der Kleinstadt mit ihrer konservativen Intransigenz und die Kultur der Fortschritt repräsentierenden Mentalität des zweifelnden und grübelnden Green Berets John Rambo, der den Wunsch nach Solidarität, Äquivalententausch, Wandel, Freiheit und Gleichheit internalisiert hat. Hier wird mitten im modernen Amerika die abgeschottete ständische Welt des Spätmittelalters gegen das aufkommende, mobile Bürgertum verteidigt und überdies ein Symptom ursprünglicher Akkumulation wiederholt: John Rambo wird des Delikts der Landstreicherei (vagrancy) angeklagt.

Dieses Paradoxon – ein gesellschaftliches Verhältnis, das einerseits des doppelt freien und damit mobilen Lohnarbeiters bedarf und ihn gewaltsam durchsetzt, und zugleich in Antiziganismus und Landstreichereigesetzen jene Vertreter der Mobilität schlechthin brutal auszurotten sucht, lässt sich kaum funktionalistisch auflösen. Vielmehr scheint der durch die Zirkulation des Kapitals erhöhte Druck zur Mobilität eine andere Mobilität zur Verdrängung auszuschreiben – und zwar jegliche, die nicht offensichtlich dem Kapitalzweck untergeordnet ist und an Ambivalenzen darin erinnert.
Der Versuch, diese in Rambo verkörperte Bedrohung der konservativen und verdrängenden Gesellschaft, den für jede Entwicklung dringend notwendigen clash of civilizations innerhalb der demokratischen Gesellschaft abzuwenden mündet letztlich erst recht in Zerstörung – wo vielleicht eine Schlägerei befürchtet wurde, explodiert nun eine Tankstelle und ein Waffenladen, ferner gehen diverse Glasscheiben und eine komplette Polizeistation zu Bruch.

Wir sehen damit in John Rambo die fatale Folge einer Verdrängung – die Wiederkehr des Verdrängten, der verleugneten, gewaltsamen Vorgeschichte in potenzierter Form. Für die Interpretation John Rambos als Zeichen des durch Kultur Verdrängten spricht ein weiteres typisches Motiv: die Assoziation von Konfliktpotential mit Geruch und Schmutz. Der erste vollständige Satz des Sherrifs Will Teasle ist eine Aufforderung an einen Dorfbewohner, sich zu waschen: „Take a bath this week!“ Hygienebestimmungen werden in Foucaultscher Manier mühsam durch Kontrolle aufrechterhalten und zum inhärenten Staatszweck. In der Polizeiwache befindet Will Teasle über John Rambo „He smells like an animal“. Daraus folgt die Aufforderung „Clean him up“. Die ganze Ambivalenz des Saubermachens bricht offen ans Tageslicht, als der Deputy Art Galt den Spruch zur ironischen Legitimierung seiner Übergriffigkeit umdeutet: Nach dem finalen Tritt auf den längst am Boden liegenden John Rambo entgegnet er dem protestierenden Kollegen sarkastisch: „Well, he said, clean him up. So clean him up“. Hören wir dazu ADORNO/HORKHEIMER:

Die Hassliebe gegen den Körper färbt alle neuere Kultur. Der Körper wird als Unterlegenes, Versklavtes noch einmal verhöhnt und gestoßen und zugleich als das Verbotene, Verdinglichte, Entfremdete begehrt. […] Der Zwang zu Grausamkeit und Destruktion entspringt aus organischer Verdrängung der Nähe zum Körper […] (ibid: 208)

Was die „Werwölfe“ der Herrschaft (ibid: 210) an ihr eigenes unwiderruflich aufgespaltenes Verhältnis vom Geist zur Leiche Körper erinnert, wird verfolgt, versklavt und vernichtet. Art Galt ist der versinnbildlichte Exekutor solcher Verhältnisse. Das „Saubermachen“ als analer Prozess der Hinführung zur Verkehrsfähigkeit wurde von den umfassend gebildeten Produzenten des Rambo-Epos bewusst mit extrem aggressiven Komponenten aufgeladen:
Der brutale Übergriff, das sadistische Abspritzen mit dem Feuerwehrschlauch und zuletzt die zur tödlichen Bedrohung geratende Rasur als Auslöser für den Ausbruch aus der Polizeiwache in die Wildnis. In „First Blood II“ kehrt das zwanghafte Verhältnis von Schmutz und Sauberkeit wieder: John Rambo wird zur Folter von einem vietnamnesischen Kommandant in eine Jauchegrube versenkt. Im Hochziehen des nackten Körpers aus der Kloake symbolisiert sich niedrige Geburt, das Entfernen der Blutegel mit dem Messer zum Abnabeln – der nackte Mensch John Rambo hängt schutzlos an einem Seil vor akkurat ausstaffiertem Militär. Wieder wird er für die weitere elektrische Folter „saubergemacht“ – unter dem Verweis des russischen Commanders auf die in Schmutz und Schlägen wohnende Unzivilisiertheit der vietnamnesischen Truppen. Für den russischen Folterknecht, ein gleichsam kyrillisches Zitat Art Galts, gilt die Arbeitsteilung zwischen Herrscher und sadistischem Folterknecht, die sich noch in der Anwendung der Foltergeräte niederschlägt. Obgleich ein Hühne, darf er, die vom Geist kontrollierte Maschine, John Rambo nur vermittelst einer von seinem sadistischen Geist kontrollierten elektrischen Maschine foltern. (vgl. ibid: 208) Wo die faschistischen Mörder wie in „Rambo 3“ und „John Rambo“ die Mordwerkzeuge wieder selbst in die Hand nehmen, exekutieren sie

…]nicht auf Grund ihrer überlegenen Kraft, sondern weil jener gigantische Apparat und seine wahren Machthaber, die es immer noch nicht tun, ihnen die Opfer der Staatsraison in die Keller der Hauptquartiere liefern. (ibid: 209)

Im von dementsprechend gesteigerten Folterszenen und Kellern geprägten Sequel „Rambo III“ flüchtet John Rambo durch die Kloake eines Forts, eine Wiederholung der sehr viel mehr aufs Individuum konzentrierten Version einer unterirdischen Flucht im ersten Teil. Im jüngst erschienenen letzten Teil „John Rambo“ jagt der Protagonist Schlangen und füttert sie mit eben jenen Ratten, die ihm im ersten Teil größtes unterirdisches Grauen bedeuteten. Mehr noch sind hier die menschenfressenden Schweine der burmesischen Anti-Circe ein Symbol des Ekels. Erst die Konfrontation, die tiefenpsychologische Auseinandersetzung mit diesem Ekel erlaubt in allen Teilen die machtvolle Wiedergeburt eines synthetisch Aggression und Rationalität, Menschlichkeit und Destruktivität, Geist und Körper vereinenden Menschen, der dadurch – weit entfernt von der populären Interpretation des Nietzscheanischen Übermenschen und seinem Antagonismus Jesus – die Züge eines Kriegsgottes erhält. Für die von diesem begünstigten Opfer ist er ein deus ex machina, für seine Gegner ein Dämon, ohne Identität und bedrohlich. Wie bei den Trickstermythen entsteht eine Ungleichzeitigkeit zwischen Kenntnis dieser Identität und den Ereignissen, die dieser Kenntnis davonjagen.

Die aus der Identitätsfrage entstehende Dramatik spinnt einen roten Faden, der durch alle Teile führt. In „First Blood“ verweigert der renitente John Rambo in der Polizeistation die Personalangaben und sträubt sich gegen die Abnahme der Fingerabdrücke. Instinktiv tarnt er sich als Nemo. Doch John Rambo steht sein Name auf den Leib geschrieben: Der coup, das archaische Abreißen der Soldatenmarke, lässt uns seinen noch ohne jede Bedeutung aufgeladenen Namen erfahren – er wird durch diesen Akt für gefallen erklärt, sein Körper vollständig unterworfen, was bleibt ist wahnhaft-rationaler Geist, der sich des Körpers erst wieder bemächtigen muss, um der übergriffigen Herrschaft zu entfliehen – Gewalt als Mittel zur ich-syntonen Autonomie, als Grundbedingung der Identität. Auf dem Motorrad entkommt er wie Odysseus dem Polyphem unter dessen Schafen – begleitet von Racheschwüren und Flüchen. Eindeutig absichtsvoll auf Brüche der Identität zielt die Passage, in der Rambos Narben beim Ausziehen auf der einen Seite für Verwunderung sorgen (“where the hell has he been into?“) und auf der anderen für Missachtung (“who gives a shit“).

Das bürgerliche Desinteresse an der gewaltsamen Vorgeschichte wird bestraft: Art Galt stürzt, nachdem er sich selbst vom Sicherheitsgurt löst, in den Tod. Bei der Polizeitruppe am Boden erregt der Befund über den militärischen Rang John Rambos nach dem Tod Art Galts Bewunderung und Bestürztheit. Ein Teil der Identität des Tricksters ist erkannt, jedoch ist bereits alles verloren. Darin liegt auch eine der vielen klassischen Tragödien verborgen, die Rambo in sich trägt: Parzival scheitert, weil er Amfortas nicht nach der Herkunft seiner Wunde fragt und so Höflichkeit und Mitleid gegeneinander aufwiegt. Die Wunde John Rambos bleibt verborgen, weil niemand ihn nach dem Ursprung seines Leidens, seiner offensichtlichen Folternarben fragt: „Who gives a shit!“ Letztlich ist er mehrfach gezwungen, seine zutiefst narzisstischen Wunden selbst zu nähen, auszubrennen oder die seelischen durch Flucht und endlose Trauerarbeit zu behandeln.
In „Rambo III“ ist die Frage der Identität eine, der sich zunächst Rambo selbst zu stellen hat. Er wird als „full-blooded Combat-Soldier“ angesprochen. Dieser Ansprache verweigert er sich – erst das Moment der Solidarität lässt ihn in die Kampfhandlungen eintreten. Dadurch verwirrt er in einem verselbstständigten, mechanisch ablaufenden Konflikt alle Seiten. Für den afghanischen Fremdenführer ist nicht klar, ob er ein „Soldier“ sei oder gar ein „Tourist“. Dem sowjetischen Offizier stellt sich die zentrale Frage, die ebenso gut unsere ist: „Who is this Rambo?“ gepaart mit der zynischen und zugleich von grauenerregtem Zweifel erfüllten Frage: „God?“
Die Fragen sind berechtigt und offenbaren zugleich eine Verinnerlichung von gesellschaftlichen Zwängen. Wer sich dem Wahnsinnigen wahnsinnig entgegenstellt, bricht mit der Rationalität des Systems, die schon im ersten Teil sich geltend machen wollte:

Das Wunder der Integration aber, der permanente Gnadenakt des Verfügenden, den Widerstandslosen aufzunehmen, der seine Renitenz herunterwürgt, meint den Faschismus. (ibid: 138)

Im ersten Teil endet John Rambo – seine Renitenz vorerst herunterwürgend – als Gefangener, begleitet von dem äußerst zwielichten Vertreter des Systems Colonel Samuel Trautmann, der dieses möglich machte. Niemand lügt übrigens mehr über John Rambo als dieser in Trailer-Werbesprüchen mit markigen Sprüchen dominierende Samuel Trautmann. Wo er behauptet, John Rambo sei eine Tötungsmaschine, ohne Schmerz, Furcht oder Ekel bricht der vorgebliche Cyborg, dem solche Frankenstein’sche Zurichtung angedacht war, am Ende in Weinkrämpfen zusammen.

Pygmalion John Rambo weigert sich im dritten Teil, dem Bild seines Meisters zu entsprechen. Und ebenfalls im dritten Teil setzt er dem befreiten Trautmann im masochistischen Scherz auseinander, dessen Lektion, wie man Schmerz nicht empfinde, habe nicht gewirkt. Der letzte Teil rationalisiert zunächst noch im Monolog des schmiedenden Kriegsgottes: „When you’re pushed, killing is as easy as breathing.“ Jedoch wird das rationale Abwägen, das Eigeninteresse der in zänkischer Einheit abhängigen Söldnergruppe, durch John Rambos Einsatz abgelöst. Das irrationale, christliche Opfer der Missionare wird bestraft – es hat die Aufopferung selbst narzisstisch besetzt. Das solidarische Risiko John Rambos rechnet dagegen mit der eigenen Erfahrung und dem Realitätsprinzip und vermag dadurch belohnt zu werden. Am Ende steht allerdings die Reflexion: „I’ve always killed for myself, too.“
Der eigene Anteil ist von der Notwendigkeit der äußeren Zwänge nicht zu trennen, die infernalische Grimasse des schließlich in Notwehr schädelzerschmetternden Missionars spricht davon Bände.

Darin liegt der Doppelcharakter der Rambo-Reihe, der einer des Zivilisationsprozesses ist: Dass Gewalt zur Durchsetzung der freien Gesellschaft notwendig war, entbindet nicht von der Pflicht zur Reflexion über diese Gewalt und rechtfertigt nicht die totale Herrschaft, wie sie die Sowjets in Afghanistan vertraten. Die vielbeschworene Identität in der Feindbestimmung, die John Rambo angeblich verbreiten würde, ist damit keine. Zu sehr sind die jeweiligen Antagonismen in sich Gebrochene, Getriebene, Gequälte. In dem Moment der Verdrängung der gewaltsamen Prozessualität jeglicher Vergesellschaftung überlagern sich Bedeutungsebenen bis hin zum Grundkonflikt zwischen Zivilisation, Aufklärung und Barbarei, der in der Rambo-Reihe stets als dialektischer begriffen wird. Der Jäger und Sammler John Rambo wird von der zivilisierten Kleinstadt Hope, in der man in Männergruppen und mit Flinten und Hunden jagt, lächerlich gemacht und zugleich als übermächtige Bedrohung empfunden: er jage mit seinem riesigen Messer wohl „Elephants“: Komplette Deplaziertheit in einer durchorganisierten Welt. Das Thema der Jagd wird ins Groteske entwickelt: Beiläufig assoziieren die Polizisten die Hatz auf John Rambo mit der Rotwild-Jagd von letztem Sommer. Aus der noch halb bewundernd unterstellten surrealistischen Elephantenjagd wurde eine selbstverständliche, realistische Menschenjagd: Der Deputy Art Galt feuert letztlich in homophober Abwehr voller Mordlust auf den wehrlos in die Falle gehetzten John Rambo. Nachdem ein letzter Kommunikationsversuch John Rambos („I didn’t do anything!“) scheitert, kehrt sich die Situation um: der Verfolgte wird zum Verfolger, wenngleich er nicht in der Mentalität seiner Verfolger aufgeht. Mitch bemerkt: „We’re not hunting him – He’s hunting us!“
Die Jagd mit Hubschraubern, dressierten Hunden und Schusswaffen auf den unbewaffneten John Rambo erhält ihr asymmetrisches Pendant in der Jagd des einzelnen Guerillaexperten auf die unkundige Polizeitruppe, die sich erst durch den Sturm ihres Hubschraubers und dann ihrer Hunde beraubt sieht. Systematisch wird die Truppe Mann für Mann in unterschiedliche Fallen gelockt, wo sie schwer verwundet werden. Am Ende des Abschnitts hält John Rambo dem Sheriff das Messer an die Kehle und droht ihm: „Don’t push it or I’ll give you a war you’ll never forget! Let go!“

Die Doppeldeutigkeit des “never forget” wird deutlicher, wenn man das Vergessen als falsche und wie oben angedeutet, für die bürgerliche Gesellschaft symptomatische Bewältigung der Vorgeschichte versteht. John Rambo ist nicht in der Lage, den Krieg zu vergessen. Dem Sheriff, der wie an einer Stelle zu sehen ist, im Koreakrieg ausgezeichnet wurde, wie auch Sam Trautmann wirft er damit implizit vor, die eigene Traumatisierung verdrängt zu haben: „Nothing is over!“ Anders als seine Gegner, bei denen Geist und Körper lose, unbedacht und unvermittelt agieren, hat John Rambo seine Aggressionen unter Kontrolle und weiß sie durchaus rational und intelligent einzusetzen: Geist wurde mit dem ihm unterworfenen Körper synchronisiert, wenngleich nicht versöhnt. Die erste Revanche John Rambos wird von Stallone mit dem Gothic-Genre assoziiert, etwa der Jagd auf Frankensteins Monster – ich würde anbetracht der drei weiteren Teile noch den Golem des Rabbi Löw zum Vergleich anführen, den „unfertigen„, schweigsamen Kämpfer gegen die Unwahrheit, dessen Inschrift auf der Stirn von „Wahrheit“ zu „Tod“ verändert werden kann, wie John Rambo sein Stirnband von rot nach schwarz wechselt.

Beide Bestandteile der Wendung vom Deus ex Machina sind in Rambo enthalten: Als „broken machine“ wird er in der folgenden Szene von Will Teasle bezeichnet. Die euphemistische Rede des Samuel Trautmann ist eine der ambivalentesten Szenen überhaupt in der Filmreihe. Er preist John Rambo zunächst wie eine Ware an, die er selbst gefertigt hat. Dieser erscheint dann als amoklaufender Golem ohne Befehl. Der Befehl ist jedoch schlichtweg zu tief eingeschrieben in John Rambo, als dass er je wieder gelöscht werden könnte. Und auch der Frankenstein-Mythos trifft zu: Das ungeliebte Monster, das von der Gesellschaft erschaffen wurde, wird wegen seiner Differenz von der Gesellschaft verfolgt. Das gequälte Menschliche, das John Rambo gerade bis in seine letzten gewalttätigen Aggressionen ausmacht, verkehrt sich gerade nicht in die simple Platitüde des zum Terrorismus getriebenen Deprivierten:
Der gequälte Mensch John Rambo vermag eine Rationalität in der Feindbestimmung aufrecht zu erhalten und sie nicht in Idiosynkrasie aufgehen zu lassen. Solches rationale Handeln lässt sich in Szenen erkennen, in denen John Rambo auf Gewalt verzichtet, etwa als er einen Jungen verschont, der ihn verraten wird, oder als er in der ersten Verfolgungsjagd bekundet: „I could have killed them all!“ es aber nicht getan hat. Zwischen der einer Militärbasis, Funkstation und Hubschraubern entgegen gesetzten Robinsonade vom wildbeuterischen Steinzeitmenschen, den John Rambo mit seiner Wildschweinkeule über der Schulter und dem Juteüberwurf abgibt und dem, was er verkörpert, liegen Welten.

Anders als seine Verfolger ist er in Kenntnis seiner zivilisatorischen Vorgeschichte in der Lage, sich den wandelbaren Produktionsverhältnissen anzupassen und sie für seine Zwecke optimal zu nutzen. In der gegebenen Situation erweist sich für ihn der Rückschritt zu Feuer und Lanze als sinnvoll. Gleichzeitig verzichtet er nicht auf das Funkgerät, das ihn sirenengleich mit den Namen seiner gefallenen Kameraden lockt. Als von der Zivilisation Verfolgter muss er mit seinen Mitteln darüber hinaus, sowohl, wie im zweiten Teil, Pfeil und Bogen nutzen, als auch, wie in allen Teilen, sich der gegnerischen Produktionsmittel bemächtigen und hochkomplexe Waffensysteme kapern. Diese Flexibilität zeichnet ihn als Besonderes im Zugeteilten, Eingeschliffenen, Arbeitsteiligen aus. Über allem steht stets der Geist. Aufgefordert, in „First Blood II“ das Waffenarsenal zu bewundern, konstatiert er abwehrend: „I thought, mind is the best weapon.“

Daher ist John Rambo – ganz abgesehen von seinen Sprachkenntnissen, interkulturellen und genderwissenschaftlichen Soft-skills und der Sanitäterausbildung – mitnichten die besinnungslose Kampf-Maschine, als die ihn seine fiktionalen wie realen Feinde und Freunde betrachten. Vielmehr zeigt er in aufklärerischer Absicht Maßstäbe auf, in denen Gewalt trotz aller Ambivalenzen und Lustgewinne nicht nur gerechtfertigt, sondern zwingend notwendig ist. Diese Maßstäbe sind innerhalb der Filmlogik kaum zu widerlegen, wenn man sich pazifistischer Wahlsprüche wie „Gewalt ist keine Lösung“ entledigt hat. Real wie virtuell ist Gewalt eben sehr wohl ein Ausweg aus bestimmten Situationen, in denen der verdrückte Sadismus einer unvollkommen aufgeklärten Gesellschaft in faschistoider Neidbeißerei und Verfolgung des Individuellen resultiert.

Diesen Grundsatz antifaschistischen Widerstandes löst die Rambo-Reihe überzeugend ein. Sie will nicht Richtiges im Falschen, sondern im Stande der Unfreiheit den hinlänglich bekannten und doch stets nur Glossenschmuck gebliebenen kategorischen Imperativ erfüllen. Sie leistet allerdings noch weitaus mehr. Sie stellt den eigenen Anteil, den eigenen Leidensgewinn am Widerstand zur Diskussion. Diesen eigenen Anteil leugnet John Rambo nicht, nachdem er sich dem wiederholten Widerstreit zwischen Pazifismus und Gewaltbereitschaft gestellt hat. In diesem zutiefst menschlichen Bemühen wird die negative Vergöttlichung, die John Rambos Feinde betreiben, allenfalls im Rahmen eines griechischen Gottesverständnisses verstehbar.
Der Kriegsgott John Rambo, wie er besonders im zumeist als „true fiction“ fehlinterpretierten zweiten Teil auftritt, ist ein zweifelnder, scheiternder Tricksterhalbgott mehr denn ein omnipotenter unsterblicher. Wie der Kulturheros Prometheus das Feuer unter die Menschen brachte, bringt John Rambo im vierten Teil mit der Explosion der gewaltigen Fliegerbombe zu den misshandelten und verfolgten Karen die Waffen, die sie benötigen, gerade um in einer fernen Zukunft ein friedliches Leben im Falschen führen zu können.

Darin reflektiert die Rambo-Reihe auf die gewaltsame Vorgeschichte der bürgerlichen Freiheit, die in blutigen Schlachten erkämpft werden musste und für die zahllose Intellektuelle mit ihrem Kopf bezahlten. An diese blutige Vorgeschichte dessen, was wir heute Frieden nennen, erinnert zu werden verletzt die Abwehr der bürgerlichen Ideologie, die ihren Frieden als zufällig eingetretenen und zugleich verdienten Naturzustand verbrämt. Deshalb sind es gerade die bürgerlichen Pazifisten, denen die Anti-Kriegsfilme „First Blood“ bis „John Rambo“ ein Gräuel sind – weil sie in der friedlichen Gesellschaft nicht den permanenten, schlechten Tausch von Freiheit gegen Frieden bemerken wollen und im Frieden nicht den anarchischen Krieg an den Peripherien der Zivilisation. John Rambo weiß um die Doppelgesichtigkeit des bürgerlichen Pazifismus im doppeldeutigen Satz aus der Höhle des ersten Teils: „There are no friendly civilians.“

Letztlich hat John Rambo allerdings keinen direkten Vorteil von der gewaltsam mit der bürgerlichen Ideologie und zugleich gegen diese erstrittenen Freiheit. In der soeben beschriebenen Abschlussszene steht John Rambo nicht inmitten des Geschehens, sondern über dem Schlachtfeld, alleine. Er partizipiert nicht am Kollektiv Die letzte Szene lässt den Menschen Rambo in seine Heimat zurückkehren, am Grab der Mutter innehalten und unter den Klängen des von Jerry Goldsmith ausgewählten Leitmotivs „It’s a long road – when you’re all alone“ eine endlos erscheinenden Straße zum Hof des Vaters entlanggehen.

So unversöhnt diese melancholische Hymne auf die scheiternde Monade in der bürgerlichen Gesellschaft ist, so glanzvoll gerät die Andeutung der Versöhnung, die aus allen so diversifizierten und doch ähnlichen Filmteilen eine sinnvolle Synthese zieht: Nicht Aufhebung der Widersprüche, sondern melancholische Dissonanz und Aufzeigen derselben – nicht Aufhebung der Trauer in Verdrängen und Vergessen, sondern geschichtliches Bewusstsein dessen, was jedes Individuum aufgibt und aufbietet, um Teil der Gesellschaft zu werden.

Der Narzissmus der Autonomie geht auf in dem Anerkennen der Abhängigkeit, der Genese aus gesellschaftlichen Zuständen, dem Anerkennen des eigenen Anteils daran und damit der Anforderung an das Individuum, auf diese Geschehnisse anders Einfluss zu nehmen, als sie bloß per schweigender Akklamation zu betonieren.

Aber, so werden Kritiker einwenden, ist die Filmreihe nicht geprägt von einer eklatanten patriotischen Aufopferung in Todesgefahr, die dem faschistischen Selbstopfer gleichkommt? Ständigen irrealen Risikospielen? Das Opfer, das John Rambo in der Folter leistet, ist tatsächlich eines ohne angemessenes Äquivalent, auch wenn er selbst sich das einreden möchte. Befragt, warum er den gefangen genommenen Trautmann unter so hohem Risiko befreien wolle, antwortet er: „He would do it for me“. Die Pause in der Szene lässt genug Zweifel an dieser Sicht übrig. „You watch my back, I watch yours“, dieses Verhältnis gegenseitiger Solidarität inmitten des Kriegstheaters, das Kollektive schmiedet, die kurzzeitig die allseitige Konkurrenz in der bürgerlichen Gesellschaft als solche zwischen Entitäten aufzuheben vorgeben, wurde John Rambos Ideal.
Dieses wird allerdings im ersten Teil bereits als ein gekränktes und darum nur gebrochen wiederholtes zurückgespiegelt: In den USA wird sein Opfer nicht nur nicht anerkannt, sondern auch noch geschmäht. Im zweiten Teil versucht er durch übermenschliche Anstrengung das Prinzip in die Tat umzusetzen und riskiert sein Leben für das der gefangenen Kameraden. Das hohle Pathos der Tapferkeitsorden und Ehrungen bröckelt unter dem instrumentellen Verhältnis, das der verräterische Vertreter des Allgemeininteresses gegen das Partikularinteresse einnimmt. Dieser Konflikt gipfelt in der Forderung John Rambos: „I want, what they want: our country to love us as much, as we love it!” Diese Reziprozität zwischen Gesellschaft und Individuum kann nicht stattfinden, und John Rambo weiß in seinem zornigen, sehr amerikanischen Appell recht gut um diese Uneingelöstheit.

Alle Entmythologisierung hat die Form der unaufhaltsamen Erfahrung von der Vergeblichkeit und Überflüssigkeit von Opfern. (ibid 50)

Weil das Opfer immer Betrug ist, tritt John Rambo die Flucht an: er zieht nach Thailand und lebt „day by day“. Individuierung gelingt ihm nicht innerhalb der Gesellschaft, sondern nur außerhalb. Mit der Entmythologisierung des militärischen Opfers findet sich die Rambo-Reihe insgesamt nicht ab. Sie bewahrt eine Dialektik bei, in der einerseits das Individuum stets das von der Gesellschaft betrogene bleibt, in der jedoch der Identifizierung mit diesem Prinzip ebenso gut der Weg verbaut wird in der Forderung nach der übermenschlichen Anstrengung und der Wirksamkeit des Opfers. Dieses wird allerdings nie eines für ein übergeordnetes Kollektiv sondern bleibt immer an konkrete irdische Individuen und Erfolge geknüpft. Somit bleibt der ungute Beigeschmack des „Then I’ll die“ im dritten Teil auch eine Absage an den zum Kontrast vorgeführten Djihadismus. Nicht für Gott, sondern für seine Freunde riskiert John Rambo Kopf und Kragen. Anders als die Islamisten, die sich schon tot glauben, ist er lebendig, hofft nicht auf Ausgleich in einem Jenseits. Erst in der völligen Auswegslosigkeit, der Aussicht auf erneute Gefangenschaft und Folter, zeigen Trautmann und John Rambo ein Moment der zynischen Rache des dem Tode Geweihten: Mit einem „Fuck’em“ wagen beide die vermeintlich letzte Schlacht.

Wenngleich John Rambo den Krieg zunächst als Residuum des Solidarbezuges evoziert, bietet er im weiteren Verlauf zugleich genug Gegenargumente gegen den Krieg an. In John Rambo streiten Pazifismus und Widerstand. Besonders deutlich wird die Kriegsmüdigkeit in „Rambo III“. John Rambo verweigert den Auftrag: „My war is over.“ Gefeiert wird in der Folge seine Nichtersetzbarkeit: Nur er ist in der Lage, den Zuständen entgegenzutreten. Das Publikum ist für solche Momente dankbar, gestaltet sich die Realität doch genau an diesem Widerspruch der Qualifizierung und der Ersetzbarkeit. Die dröhnende Stimme aus den Hubschraubern der Totalität fordert zum Aufgeben auf.
Irrwitzig und verrückt erscheint in der Folge das Opfer des Widerstandes, nicht das Prinzip, das kein anderes zur Befreiung zulässt. Was ADORNO/HORKHEIMER für Odysseus konstatieren, kann auch bei John Rambo gelten.

Wo er jedoch auf vorweltliche Mächte trifft, die weder domestiziert noch erschlafft sind, hat er es schwerer. Niemals kann er den physischen Kampf mit den exotisch fortexistierenden Gewalten selber aufnehmen. Er muß die Opferzeremoniale, in die er immer wieder gerät als gegeben anerkennen: zu brechen vermag er sie nicht. Stattdessen macht er sie formal zur Vorraussetzung der eigenen vernünftigen Entscheidung. […] Daß das alte Opfer selbst mittlerweile irrational ward, präsentiert sich der Dummheit des Schwächeren als Dummheit des Rituals. (ibid: 53)

Den eigenen Traum von der individuellen Freiheit zu opfern ist John Rambo nicht imstande. Er wagt die Verrücktheit, die Kräfteverhältnisse nicht mehr rational abzuwägen, sondern diese Rationalität selbst herauszufordern. Die Befriedigung, dass dieses Unterfangen gegen alle herrschende und kontrollierende Vernunft gelang, ist so gewaltig, dass sie an den unter übermächtigem Zwang fast erstickten Wunsch des Publikums anknüpfen kann und in diesem die Euphorie auslöst, die ehrliche Menschen bei der Filmlektüre umfangen muss.
Hier greifen ELEOS und PHOBOS beim idealtypischen Publikum wie einst im griechischen Theater. Entsprechend verhielt es sich: Bei den ersten Aufführungen johlten Zuschauer, standen auf und ahmten mimetisch die Bewegungen des Leinwandhelden nach, ein Verhalten, das heute durch stete Übung in klammheimlicher Dauermimesis zumindest im Kino fast undenkbar ist. Dennoch jubilierten auch bei „John Rambo“ die Zuschauer. Diese starke Identifikation mit dem Gejagten spricht dafür, dass diese virtuelle Jagd an ein reales Gefühl im Publikum anzubinden weiß – und sei es der Wunsch, dass in Gewalt ein Gutes möglich sein soll. In der kapitalistischen Realität stets vom Verwertungszweck und Äquivalententausch bis in den hintersten Winkel ihres Privatlebens verfolgte Individuen finden hier willkommene Identifikationsflächen.

Ich möchte durch diese insgesamt sehr optimistische Interpretation nicht den Film von seinen durchaus auch negativen Auswirkungen freisprechen. Das dem Film nachgeschaltete Rambo-Spielzeug ist eine Geschmacklosigkeit sondergleichen, Waffennarren sind erpicht auf die bereitwillig gelieferte Befriedigung ihres optischen Sammelinteresses, und die Vermarktung der Filme greift oft eben jene markigen Slogans auf, die im Gesamtkontext der Reihe nur als einseitige Verkehrungen erscheinen müssen. Ohne Zweifel sehen viele Fans sich durch den homoerotischen Narzissmus der autarken Figur Rambos bestätigt. Dieser Narzissmus tritt einerseits in der zwar häufig gebrochenen, jedoch auch oft zelebrierten Unschuld und Reinheit am äußeren Geschehen auf, aus viel tieferen Schichten kommt er allerdings in der Fähigkeit zur Selbstheilung ans Tageslicht:
John Rambo näht sich in „First Blood“ selbst eine Wunde, im zweiten Teil nabelt er sich selbst vom Flugzeug ab und in „Rambo III“ gibt es jene berühmte Szene, in der er sich mittels Schießpulver aus einer Patrone eine Splitterwunde ausbrennt. Diese körperlichen Wunden bedeuten zugleich narzisstische Wunden, die auf narzisstische Art und Weise geheilt werden – was in der Tat die einzige Möglichkeit dessen sein dürfte. Zugleich deuten alle Teile auch eine wirkliche Aufhebung dieses Narzissmus an: Der zusammengebrochene John Rambo zieht Trautmann zu sich herab um sich an seiner Brust auszuweinen. Das Bündnis mit der Vietnamesin Co Bao deutet einen kreativen Ausweg an, die gemeinsame Flucht nach Thailand. Im dritten Teil steht die Freundschaft und Kameradschaft im Mittelpunkt. Und der letzte Teil lässt John Rambo nach über 20 Jahren Filmgeschichte endlich heimkehren.

Von den Extremen des pathologischen Narzissmus – Altruismus und empathielose Ich-Bezogenheit – ist John Rambo weit entfernt – vielmehr ist er durch seine Besonderheit von der Gesellschaft gewaltsam auf sich selbst zurückgeworfen worden und wurde vom Besonderen zum Sonderling. Als marktgängige Produktion weist die Rambo-Reihe notwendig solche Stellen auf, die der frühbürgerlichen Kultur als Schwächen gelten und in denen die Kulturindustrie offen hervorbricht. Anders als diese in ihrer Reinform verweist die Rambo-Reihe auf reale, tabuisierte Probleme, auf Widersprüche in der Gesellschaft, zuvörderst ein falscher Pazifismus und das Fortleben des Faschismus in der Gesellschaft wie auch gegen sie. Darin insistiert Sylvester Stallone auf die tiefe Ernsthaftigkeit des Projekts, der die verkrampfte Feindschaft der Filmfigur John Rambo gegenüber sich nur als Begriffslosigkeit blamiert. Auf der Strecke bleibt in dieser Idiosynkrasie häufig nur der eigene Wille zum Widerstand, den John Rambo gegen das von Adorno/Horkheimer extrahierte Prinzip entfacht.

Das Existieren im Spätkapitalismus ist ein dauernder Initiationsritus. Jeder muß zeigen, dass er sich ohne Rest mit der Macht identifiziert, von der er geschlagen wird. (ibid: 138)

Literaturauswahl:

ADORNO, Theodor W. /HORKHEIMER Max 1984 (1947): Dialektik der Aufklärung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. 229 Seiten.

ADORNO, Theodor W. 2001 (1951): Minima Moralia. Philosophische Fragmente. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. 481 Seiten

ADORNO, Theodor W. 1979 (hg.): Soziologische Schriften I. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. 587 Seiten.

RIEDEL, Felix 2006: Rambo als Kulturkritik. http://myblog.de/nichtidentisches/art/3261680

SCHIWY, Günther 1973 Strukturalismus und Zeichensysteme. München: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung. 178 Seiten.

SPITULNIK, Debra 1993 Anthropology and Mass Media. http://www.media-anthropology.net/Spitulnik_MediaAnthro.pdf

STALLONE, Sylvester (et alii) o. A. Rambo Trilogy. Beinhaltet: First Blood. First Blood II. Rambo III. Uncut, FSK 18.

STALLONE, Sylvester (et alii) 2008 John Rambo. O.A. (Kinovisite)

Anmerkung 1: Wenngleich die Filmzitate nicht hundertprozentig wissenschaftlich mit Zeitangabe angeführt sind, so habe ich mich dennoch um korrekte Zitierung bemüht. Einige wenige, aber grundlegende Thesen decken sich mit Aussagen von Christopher Vogler im Interview zum Film. Diese bestätigten in der Regel meine eigenen vorab getroffenen und für wahrscheinlich jeden psychoanalytisch Gebildeten ersichtlichen Vorannahmen, weshalb ich ihn nicht zitiere, wenngleich ich in der Aussage mit ihm übereinstimme.

Anmerkung 2: Dieser Artikel stellt eine Überarbeitung und Erweiterung meines frühen Skriptes „Rambo als Kulturkritik“ von 2006 dar. Die Lektüre des Vorläufers ist nicht notwendig zum Verständnis, die wesentlichen Teile sind hier eingeflossen.

Anmerkung 3: Wer möchte, erhält diesen Beitrag als PDF per Mail zugeschickt. Anfragen wg. Veröffentlichung sind ausdrücklich erwünscht.

Anmerkung 4: Erstveröffentlicht wurde der Artikel auf meinem alten Blog. Telepolis und Spreeblick waren so nett, ihn zu verlinken.

11 thoughts on “Rambology – mit John J. Rambo durch die Dialektik der Aufklärung

  1. Pingback: onli blogging

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  3. Hi,

    wir würden diesen großartigen Text gerne leicht gekürzt in unserer nächsten 17grad-Radio-Sendung verwenden. Wäre das ok für Dich?

    Beste Grüße aus München,
    17grad

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