Türkische Rochade

In manchen Tageszeitungen kehrt Skepsis ein. Selbst in der taz melden sich kritische Stimmen zur Flotilla-Rezeption zu Wort. Das allerdings kann niemanden hoffnungsvoll stimmen. So fordert die Türkei weiter eine Untersuchung der Vorgänge durch die UN. Man würde einer israelischen Untersuchung kein Vertrauen schenken.

Während die israelische Regierung ihre Lücke im Bereich Propaganda und Information eingesehen hat und gegensteuert, ist ihr eine israelische Studentenorganisation voraus: Sie kündigten an, ein eigenes Schiff in die Türkei zu schicken, um dort Kurden und Armenier zu unterstützen. Doch noch solche Retourkutschen sind noch verkehrt. Israel verfolgt keine Minderheiten – es repräsentiert die verfolgte Minderheit. Die Türkei, ein Staat mit einer Geschichte zwischen Militärdiktaturen, genozidalen Akten und einem akuten Islamismusproblem sollte sich selbst dafür zur Verantwortung ziehen, eine bekannte Gruppe bewaffnet auf einen Bündnispartner losgelassen zu haben. Die Sanktionen Israels gegen die Hamas-Regierung sind so diskutabel wie rechtens – die Flotilla verletzte die Souveränität Israels. Wie auch immer das Vorgehen ungeschickt oder schlecht geplant war – man wusste zumindest auf einer Seite, der der Flotilla, dass es Märtyrer geben würde. Dementsprechend feierte die Hamas einen Sieg und keine Niederlage angesichts der Toten. Und jede Forderung nach einer Beendigung der Sanktionen und nach einer UN-gestützen Untersuchung a lá Goldstones oral history macht sich zum Komplizen der Hamas. Wer irgend verantwortlich sich fühlte, würde zum Ende des Waffenschmuggels in den Gazastreifen aufrufen und nicht zu einem Ende der Sanktionen. Fatalerweise hat Israels Regierung sich dem  Ruf nach Letzterem gebeugt indem es die Liste zugelassener Waren erweiterte. So wird die Blockade der Hamas nur belohnt. Noch immer verrotten die „Hilfsgüter“ in einer israelischen Lagerhalle, weil die Hamas sie nicht entgegen nehmen will. Sie haben ihren Zweck erfüllt – sie sollten nicht helfen, sondern verletzen, angreifen, attackieren. Immer noch proklamiert die Hamas „Tod den Juden“ und erkennt Israel nicht an – eine Grundbedingung für jede Verhandlungen. Und noch immer weigert sich die Hamas, den seit vier Jahren in Geiselhaft befindlichen israelischen Soldaten Gilat Schalit auszutauschen. Ihm sei an dieser Stelle meine volle Solidarität ausgesprochen.

4 thoughts on “Türkische Rochade

  1. ?

    Unter den sich ständig steigernden Anzeichen/Zügen sei mal kurz herausgegriffen:

    März 2010
    Erdogan droht, 100000 Armenier zu deportieren:
    „Ich muss sie nicht in meinem Land behalten.“
    http://www.welt.de/politik/ausland/article6815281/Tuerkei-droht-100-000-Armeniern-mit-Deportation.html

    10.6.2010
    Türkei stimmt verschärften Sanktionen gegen das Iran-Regime im GEGENSATZ zu den NATO-Partnern nicht zu:
    http://www.nzz.ch/nachrichten/international/schaerfere_iran-sanktionen_1.6018618.html
    http://www.steinhoefel.de/blog/2010/06/die-turkei-muss-die-nato-verlassen.html

    Der Schriftsteller Leon de Winter charakterisierte bereits in einem Interview (3.6.2010) die Lage:
    „Die Regierung Erdogan will die Türkei in einen islamistischen Staat umwandeln.“
    „Die neue Stärke der Türkei ist ein Albtraum für die arabischen Länder, auch wenn sie das nicht offen sagen.“
    http://www.tagesanzeiger.ch/mobile/kultur/buecher/Bei-der-Abfahrt-des-Schiffes-wurde–gesungen-Tod-den-Juden/s/18368521/index.html

    …und fügt in einem weiteren Artikel (11.6.2010) hinzu:
    „Türkei und Iran haben sich verbündet, um den Nahen Osten zu beherrschen. Doch die Friedensaktivisten durchschauen diese Strategie nicht.“
    „Die dritte und vielleicht überraschendste Entwicklung nimmt derzeit in der Türkei ihren Lauf. Eine schleichende islamistische Revolution, sorgfältig vorbereitet von Islamisten in Designeranzügen, unternimmt den Versuch, die Errungenschaften der kemalistischen Revolution von 1922 rückgängig zu machen und sie durch eine Orthodoxie zu ersetzen. Die Islamisten der AKP versuchen, die alte Herrlichkeit des Ottomanenreiches wiederherzustellen.“
    „Die türkischen Islamisten legen, von palästinensischen Aktivisten und nützlichen Idioten aus dem Westen unterstützt, eine bemerkenswerte Geschicklichkeit an den Tag. Unter den bewundernden Blicken der türkischen Regierung werden sie Israel weiter provozieren. Ziel ist, eine Intervention der türkischen Marine zu erzwingen, gefolgt von der Armee. Das ist der ideale Weg, sämtliche Teile der türkischen Gesellschaft zu vereinen und das türkische Militär zu entsäkularisieren, die einzige bedeutende Kraft in der türkischen Gesellschaft, die die Träume der Islamisten platzen lassen könnte.“
    http://www.welt.de/kultur/article8004293/Der-Islam-und-die-nuetzlichen-Idioten.html

    Erdogan ist nicht die Türkei (auch wenn er das meint) und immerhin besteht noch eine gewisse (wenn auch nicht große) Hoffnung, daß die dortigen Radikalisierung abgewendet werden kann.

  2. Danke für die Links.

    So eindeutig würde ich es nicht fassen – der Islamismus der AKP ist m.E. nicht so monochrom wie angenommen und weist eine türkische Spezifik auf, die ihn vom iranischen unterscheidet.
    Allerdings stimme ich zu in der Betonung dessen, dass es Unfug ist, zu denken, in dem „modernen“ Staat Türkei könne etwas dem archaischen zugerechneten wie eine islamistische Revolution nicht stattfinden. Als wäre Säkularisierung etwas unwiderrufliches und als wäre der Iran vor der Revolution nicht auf einem ähnlich säkularisierten Stand gewesen wie die Türkei heute.
    Ich habe den Eindruck, dass in der Türkei erst in den letzten Jahren so etwas wie eine Abkehr vom stillen Bündnis mit Israel stattgefunden hat. Möglicherweise ist das auch dem geschuldet, dass Israel vermehrt den Genozid an den Armeniern benennt und auch die USA sich dem anschließen. Dazu kommen zahlreiche Einzelakte wie die antisemitischen Anschläge, die Aktivität einiger islamistischer Einpeitscher, dem Erstarken der iranischen Diktatur am Antisemitismus, die Zypernfrage und die Kurdistan-Konflikte… Das mangelnde Versprechen des Westens, die Türkei vor dem Islamismus aus dem Iran zu beschützen, bzw. auch die propagandistische Unfähigkeit, der islamistischen Propaganda etwas entgegenzusetzen, könnten dazu beigetragen haben.
    Das einzuschätzen überlasse ich aber Experten, ich kann so schlecht türkisch.

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