Werwolfslyrik und ihre Profiteure

Natürlich ist das klemmige Gedicht eines auf seine alten Tage reaktivierten SSWerwolfs keine Zeile Literaturkritik wert. Josef Joffe nimmt es in „Der Antisemitismus will raus“ dennoch auf sich und seiner Analyse ist nichts hinzuzufügen. Was er unbesprochen lässt, ist das eigentlich Relevante an dem Zirkus: Dass eine renommierte Zeitung darauf angewiesen ist, so ein „Gedicht“ abzudrucken, den Nazi noch aufs Frontbild zu hieven und sich dann in der liberalen redaktionellen Distanz zu gefallen. Nicht nur Grass, eine ganze Zeitung poliert ihre Auflage mit der Proliferation von sekundärem Antisemitismus auf.

Allein eine Medienkritik kann das Resultat dieses Skandals sein. Grass‘ Meinung widerspricht nicht der Berichterstattung in den meisten großen Nachrichtenmedien. In der Sache teilen Millionen Deutsche seine Meinung, weil Antisemitismus sich dem vormanipulierten Bewusstsein bestens verkauft. Dass Kulturindustrie sich in ihren niedersten Manipulationen auf den „Dienst am Kunden“ beruft, beschrieb Adorno als die „Ideologie der Ideologie“. Die Süddeutsche steht zur Analyse an, nicht der bedienstete Kunde Grass. Welche Neurosen, welche pathische Erkaltung bringen einen Chefredakteur dazu, so ein Gedicht nicht nur zu drucken, sondern per Titelikone als „Aufschrei“ anzupreisen? Dieser „Aufschrei“, wie ihn schon Jostein Gaarder (1, 2, 3), Judith Butler und so viele andere Intellektuelle vor Grass vollzogen haben, ist das zirkuläre Produkt jahrzehntelanger Manipulation von Berichterstattungen über Israel. Interessant ist, das die Manipulierten Manipulateure ihre medialen Manipulateure nie der Manipulation beschuldigten – für diese nur halb berechtigte Schuldprojektion würde immerhin Einsicht in den eigenen Irrtum gehören. Noch nie aber hat eine prominente Person glaubhaft und öffentlich ein Ressentiment über Israel als Irrtum widerrufen. Daher ist Kritik an Grass‘ Gedicht völlig überflüssig und zieht den Verdacht auf sich, selbst Verkaufsstrategie zu sein, die noch aus dem Peinlichen Kapital schlagen will. Die Kündigung der Süddeutschen, so man sie hat, wäre die einzig angemessene Praxis.

Die Süddeutsche hat übrigens, wie man mir just mitteilte und wie sich bei Memoryloops nachhören lässt, 1947 einen zur Vernichtung von überlebenden Juden aufrufenden Leserbrief eines „Adolf Bleibtreus“ abgedruckt. Die Münchner Polizei schoß auf 750 demonstrierende Juden.

20 thoughts on “Werwolfslyrik und ihre Profiteure

  1. »Noch nie aber hat eine prominente Person glaubhaft und öffentlich ein Ressentiment über Israel als Irrtum widerrufen.«

    Spontan fällt mir Götz Aly ein, der sich nach der Mavi-Marmara-Enterung furchtbar entrüstet hatte und kurz darauf über sich selbst erschrak. Ist aber nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

  2. Man muss Grass‘ Gedicht nicht gut finden. Jedoch Joffes Kritik kann ich nicht gut finden. Sein Laienpsychologisches Gutachten ist eine Unverschämtheit.
    Warum sollte eine Zeitung so ein Gedicht nicht abdrucken dürfen? Darf man nur abdrucken, was israel mag? Oder ist eine Zeitung auch dazu da, kontroverse Diskussionen auszulösen?
    Sie haben ein seltsames Verständnis von Pressefreiheit.

  3. @bravo65: Das seltsame Verständnis von Pressefreiheit liegt in diesem Fall ganz bei ihnen. Es handelt sich dabei nämlich nicht um die Pflicht von Individuen, die Veröffentlichung jeden Schwachsinns zuzulassen, sondern um die Pflicht des Staates, sein Gewaltmonopol nicht zur Unterdrückung unerwünschter, d.h. in der Regel wohl staatsfeindlicher, Ansichten zu nutzen.

    Privatpersonen können gar nicht gegen die Pressefreiheit verstoßen bzw. Zensur ausüben, weil sie gar nicht die Macht haben, eine Veröffentlichung zu unterbinden bzw. zu bestrafen. Nirgendwo steht geschrieben, dass die Pressefreiheit Günther Grass dazu berechtigt, seine antisemitischen Phantasien in Riesenauflage gedruckt zu bekommen. Ein selbstkopiertes Flugblatt an der Pinnwand im Altersheim hätte es auch getan, zumal dies der literarischen Qualität entspricht. Wer meint, sie veröffentlichen zu müssen, sollte dementsprechend beurteilt werden.

    Es mag sie überraschen, aber auch Erlaubtes kann verurteilenswert sein. Wer unterstellt, Privatpersonen könnten gegen die Pressefreiheit verstoßen, gibt den Wunsch zu erkennen, die eigene Meinung möge mit der Macht des Staates ausgestattet sein. Die unbewusste Identifikation mit dem Staat wiederum wird in der gesellschaftskritischen Antisemitismustheorie als eine der Quellen des Antisemitismus angesehen.

    • @ Felix Riedel
      Sie hätten der SZ doch am liebsten verboten das Gedicht zu veröffentlichen. Sie rufen ja sogar dazu auf, Abos zu kündigen. Lassen Sie doch der Presse die Freiheit zu drucken, was sie für nötig hält.
      @ me
      haben sie bei Joffe Psychologie gelernt?

  4. Verstörend ist es, wie die Medien auf ein Antikriegsgedicht reagiert haben. Verstörend, dass viele dieser Kritik auch selbstegefällit folgen. Überall haben wir uns gegen den Krieg ausgesprochen, aber wenn Israel ihn will, dann haben wir zu schweigen. Verstörend ist unsere politische Unterwürfigkeit gegenüber unserem kollektiven Gewissen auch dann, wenn wir im Recht sind, auch dann, wenn wir genau solche Verbrechen verhindern wollen. Verstörend all das. Und ich weiß nicht mehr, ob ich hier richtig bin.

  5. Zum Glück gibt es noch unerschrockene Untergrundsender wie ARD und ZDF, die ihre mutigsten Schülerzeitungsredakteure im Schutz des frühen Morgens nach Lübeck entsandten und so dem verfemten Dichter die Möglichkeit gaben, seine zensierte Stimme über die lodernden Flammen seiner brennenden Bücher hinweg wenigstens denen vernehmbar zu machen, deren Ohren noch nicht gleichgeschaltet sind.

  6. @bravo: „Sie hätten der SZ doch am liebsten verboten das Gedicht zu veröffentlichen. Sie rufen ja sogar dazu auf, Abos zu kündigen. Lassen Sie doch der Presse die Freiheit zu drucken, was sie für nötig hält.“

    Wer verbietet denn hier etwas? Sogar sie dürfen hier, auf meinem Blog, ihren Wahn loswerden! Und sie erhalten hier sogar noch eine Antwort darauf! Ich könnte ihren Kommentar auch einfach zensieren, wenn es mir um Verbote ging. Leute wie sie und Grass bemitleiden sich selbst für Dinge, die sie am Liebsten anderen antun würden.
    Das gilt auch für diesen dystopiakasper oben:
    „Überall haben wir uns gegen den Krieg ausgesprochen, aber wenn Israel ihn will, dann haben wir zu schweigen“.

    Das ist Grass Botschaft, getreu nach Hitler:

    „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“

    DAS ist der sinngemäße Inhalt von Grass Gedicht und die Generation „wir werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ hat das sehr sehr gut gehört.

  7. @Jürgen Faas, ich stimme ihnen voll zu. Es ist wirklich manchmal sehr peinlich. Aber so ist Deutschland nun mal. Wie hat es ihre Mutter denn geschafft, aus dieser kulturell etablierten Reflexionslosigkeit raus zu kommen?

  8. „Dabei hat die deutsche Presse doch insgesamt schnell, im Großen und Ganzen sachlich und übrigens mit vielen Diffenziertheiten von der Henryk-M.-Broder-Keule bis zum feuilletonistischen Feinbesteck herausgearbeitet, was alles an diesem Gedicht hakt und klemmt.“

    Sagt Dirk Knipphals über die „Broderkeule“ und reproduziert im Folgenden einfach nur Broders Argumente als wären es nicht Broders sondern jene eines angeblichen feullietonisischen Feinbestecks, das man in der taz freilich schon immer missen durfte. Hier gibt man Grass im Inhalt recht, in der Sprache halt etwas over the top. Man hatte gegen Grass den Alibiantizionisten Brumlik in Stellung gebracht, der ein bisschen pflichtschuldigst herummurmelte. http://www.taz.de/Grass-und-die-Verschwoerung/!91091/

    In der gleichen Ausgabe bringt die taz neben ihrer allmonatlichen redaktionellen Schleichwerbungs-Beilage für Homöopathika und Anthroposophie „intime“ Einblicke in die Struktur der NSU, die eindeutigen Feinde von Rechts. Die aber den Grass- und taz-Konsens über Israel als ewigen Aggressor teilten.

  9. Und das findet sich unter Bewegung.taz.de:
    http://bewegung.taz.de/organisationen/hotspot/blogeintrag/das-%E2%80%9Cskandal-gedicht%E2%80%9D-inclusive-%E2%80%9Cpolitisch-korrektem-antisemitismus-bild-%E2%80%9D-g-grass-bei-uns-im-original

    „Oder nehmen wir doch mal die Rechte der arabischen Israelis, von den Palästinensern ganz zu schweigen, in den Blick – sind diese freier als Juden und Christen im Iran? Und zu den Sicherheitskräften: Foltert Israel nicht ganz offen in seinen Gulags für Palästinenser? Werden diese nicht genauso von Israelischen Terroristen (Baruch Goldstein et.al.) gemordet, wie Israelis von der Hamas?“

  10. ich möchte hier nicht sagen, ob ich das gedicht gut oder schlecht finde, nur kurz einige dinge anmerken.
    erstens, das in solchen und ähnlichen debatten meist das judentum, der zionismus und der staat israel einfach gleichgesetzt werden. das äußert sich ja auch darin, dass z.b viele juden, die außerhalb israels leben, bei jedem erneutem aufflammen des konflikts wieder neue wellen von antisemitismus erleben müssen, aber auch, dass menschen(wie es mir schon einmal passiert ist), die sich israel gegenüber kritisch äußern, als antisemiten bezeichnet werden.
    und das gegen besseres wissen, dass es unzählige juden -und auch zionisten- gibt, die israels politik kritisch gegenüberstehen.

    Außerdem mag ich es generell nicht, wenn man -wie auch im gedicht- immer von „staaten“ redet, die etwas „tun“, wenn es sich lediglich um die entscheidungen einzelner politiker handelt. das klingt dann meiner meinung nach wieder unglaublich verallgemeinernd.

  11. Pingback: Der Blechtrommler (i.e. Günter Grass) | Kühns Lindenblatt

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