„…das Öl zu erhitzen.“ Antisemitismus unterm linken Tannenbaum.

„Den Kirchen­ober­häuptern in Jerusalem würde ich raten, die Verteidigungsanlagen zu befestigen und das Öl zu erhitzen. Die Barbaren kommen.“

Susanne Knaul übersetzte für die „tageszeitung“ den Text „Dialogisch bis fanatisch“ von Hagai Dagan, der in der Weihnachtsausgabe (24.-26.12.2021) christliche Palästinenser*innen dazu aufruft, „das Öl zu erhitzen“, um die jüdischen „Barbaren“ abzuwehren. Hagai Dagan ist erst seit 2021 Autor der taz, hat in Freiburg und Tel Aviv Philosophie und Theologie studiert und einige Romane mit mystischen Themen geschrieben.

Ist er in „Die Hoffnung der Narren“ noch um eine ausgewogene Kritik religiösen Fanatismus in Gaza und Israel bemüht, verlässt ihn dann im folgenden Text jede Fachkenntnis, wenn er eine bedingungslose Kooperation mit Iran einfordert:

„Es scheint, als führe Israel einen aussichtslosen Kampf, was Experten zu der Frage führt, ob es nicht sinnvoller ist, sich auf den Atomstaat Iran einzustellen, anstatt ihn weiter vergeblich verhindern zu versuchen. Was würde geschehen, wenn Israel den Ton ändert? Was, wenn Außenminister Jair Lapid erklärt, dass Israel einerseits sehr besorgt ist angesichts des iranischen Atomprogramms, gleichzeitig aber die Hand reicht und Versöhnungsverhandlungen ohne Vorbedingungen zur Disposition stellt.“

(„Einfach mal Frieden ausprobieren“, 20.11.21)

Israel kann angesichts der apokalyptischen, messianistischen Ideologie des islamischen Regimes in Iran keine nukleare Bedrohung akzeptieren, sei es durch schmutzige Bomben oder Mittelstreckenraketen. Jegliches Appeasement bedeutet die Aufgabe Israels als bedrohtes, aber insgesamt wehrhaftes, gesichertes Asyl. Dagan mag hier aus unbedachtem Reflex gegen die israelische Rechte argumentieren, aber er muss irgendwo dem parteiübergreifenden Konsens der Sicherheit Rechnung tragen, wenn er nicht in den lunatic fringe abdriften will.

Mit „Dialogisch bis fanatisch“ liefert Dagan nun zu Weihnachten eine üble, sadistische Fantasie. Er nimmt – ob zu Unrecht oder nicht – die Klage der Diözese von Jerusalem über verbale und tätliche Angriffe auf Christen zum Ausgangspunkt einer Kritik an der religiösen Rechten. Die Kirchen sehen darin einen „systematischen Versuch“, die Christen „aus Jerusalem und anderen Teilen des heiligen Landes“ zu vertreiben.
Das ist zunächst ein Verlust an Geschichtsbewusstsein. Schließlich wurde die jüdische Altstadt mit der Besetzung durch Jordanien einer ethnischen Säuberungskampagne ausgesetzt: 58 Synagogen wurden zerstört, Jüdinnen und Juden flohen oder wurden ermordet. Jerusalem war allen geschichtlichen Zeugnissen der letzten Jahrhunderten zufolge stets mehrheitlich von Jüdinnen und Juden bewohnt.
Und christliche Patriarchen und Protagonisten waren in der gesamten Region von der blutigen Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer über die „Damaskusaffäre“ bis hin zu neuerer Medienpropaganda intensiv an antisemitischen Kampagnen beteiligt, so dass man von einer Ökumene von islamischem und christlichem Antisemitismus sprechen kann, die unter anderem der Karikaturist Naji al Ali beispielhaft verkörperte: Jesus und die muslimischen Araber werden in seinen Karikaturen Seite an Seite als Opfer der Juden dargestellt.
Wenn heute Nachkommen von vertriebenen Jüdinnen und Juden zu Recht eine Restitution geraubter Immobilien in der jüdischen Altstadt einfordern, wird das derart reflexhaft als „Besetzung“ dargestellt, dass sich eventuell doch einmal berechtigte Kritik von antisemitischer Propaganda mit ihrem Herzstück der Täter-Opfer-Umkehrung kaum noch unterscheiden lässt.

Dagan jedoch überspringt die jüngere Geschichte der antisemitischen Gewalt und ethnischen Säuberung Jerusalems und leitet Restitutionsansprüche ausschließlich aus der jüdischen Theologie ab.

„Diese Texte füllen tausende Seiten, von der Bibel bis hin zu den Rabbinern, die die Banden anführen, die in Jerusalem heutzutage ihr Unwesen treiben. Solange die Juden im Exil lebten und auf das Wohlwollen anderer angewiesen waren, kam diesen Texten keine größere Bedeutung zu. Das änderte sich, als die Juden Herren ihrer selbst wurden. In Israel gibt es eine breite liberale, überwiegend weltliche Öffentlichkeit, die diese Phänomene verabscheut. […] Die Gewalt gegen Palästinenser und die gegen Priester in Jerusalem sind zwei Seiten derselben Medaille. Hier geht es um Menschen, die aufgewachsen sind mit einer giftigen Mischung aus Opferrolle und Gewalt gegen Angehörige anderer Religionen.“

„Dialogisch bis fanatisch„, Hagai Dagan, tageszeitung vom 24.-26.12.2021


Aus dem jüdischen Trauma wird hier eine Bedrohung für Andere, Juden aus „Opfern“ zu Schauspielern einer „Opferrolle“. Es ist diskutabel, ob in Israel nationalistischer Chauvinismus entstanden ist, der in Aggression umschlägt. Ihn ohne die permanente Bedrohung und den Terror der Gegenseite zu erzählen ist das eine, ihn außerhalb Israels trotz seiner global absolut marginalen Rolle für eine linke, deutsche Öffentlichkeit zur Gefahr hochzustilisieren, das andere.
Wo Dagan endgültig den Pfad der Diskursfähigkeit verlässt, ist, wenn er ein „Gemetzel“ fantasiert und dieses im gängigen antisemitischen Motiv „jüdischer Rachsucht“ auf biblische Traditionen zurückführt.

„Ihre Schlussfolgerung aus der jahrtausendelangen Judenverfolgung ist nicht, dass die Juden bessere Menschen sein sollen, sondern, dass sie „offene Rechnungen begleichen“ sollten. Sie lassen sich von den ­biblischen Helden wie Simon oder Pinchas inspirieren, die die Kanaaniter blutig nieder­metzelten.“

„Dialogisch bis fanatisch„, Hagai Dagan, tageszeitung vom 24.-26.12.2021

Spätestens im Schlusssatz hätte eine hinreichend an journalistische Ethik gebundene Redaktion einschreiten müssen. Wer solche Wortwahl an Weihnachten abdruckt, arbeitet in einer jahrhundertealten Tradition des christlichen Antisemitismus, der die Gläubigen an christlichen Feiertagen bis hin zum Pogrom aufreizte.

„Ich wünschte mir eine linke, weltliche und liberale Regierung, die gegen diese religiösen Fanatiker vorgeht. Die Trennung von Staat und Religion und die Beseitigung dieser Wespennester, aus denen diese Halunken hervorgehen. Aber ich mache mir keine Illusionen. Die Mehrheit der israelischen Gesellschaft akzeptiert diese Gewalt halbherzig oder wenigstens passiv. Grund dafür ist die langjährige national-religiöse Indoktrination der verschiedenen Regierungen. Den Kirchen­ober­häuptern in Jerusalem würde ich raten, die Verteidigungsanlagen zu befestigen und das Öl zu erhitzen. Die Barbaren kommen.“

„Dialogisch bis fanatisch„, Hagai Dagan, tageszeitung vom 24.-26.12.2021

Das Bild von jüdischen, gewalttätigen „Wespen“, „Halunken“ und „Barbaren“, und diese dann mit heißem Öl von „Kirchenoberhäuptern“ bekämpft sehen zu wollen – das ist eine Fantasie, die Meinungsäußerung überschreitet und im Stil der Kreuzfahrerei zur sadistischen Gewalt gegen Jüdinnen und Juden mobilisiert. Das mag in einer israelischen Öffentlichkeit als Polemik aus dem lunatic fringe der Linken gelten, in Deutschland an Weihnachten publiziert ist es schwerlich anders denn als Antisemitismus zu lesen.







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