Nazis raus, Islamisten raus, Sexualstraftäter raus, Integrationsunwillige raus, Bundeswehr raus (aus Afghanistan): der normale Deutsche ist von einer Klotüre nicht zu unterscheiden, egal ob er Parteichef der SPD oder CDU, Linksparteilich eingestellt oder Nationalist oder gerne auch beides ist. Deutschland will partout nicht in der Moderne ankommen, es ist schon dem Namen nach kein Staat wie die USA sondern Land, Territorium, Boden, mit seiner völkischen Eigenschaft „Deutsch“ so fest verschweisst, dass daraus auch nie ein bloß geographisches wie Großbritannien zu werden vermag. Integration und Territorialität werden eins. Was auch immer diskutiert wird, es endet damit, dass jemand das Land oder die Partei oder die Stadt verlassen soll. Diese Obsession der Abspaltung verweist auf Abgründiges, zumindest aber auf den zwanghaften Wunsch, Probleme nicht durchdenken zu wollen. Und es zeugt von einer aggressiven Empathielosigkeit gegenüber Vorgängen, die „draußen“ stattfinden. Das Ausschaffen, Rausschmeißen, Exilieren wird zum Fetisch.
Die Ausschlussrufe gegen Sarrazin sahen schon dem Wunsch nach Abschiebung von Ausländern gleich. Ihnen war anzumerken, was da an Verdrängung wirkte: Es sollte ein Kopf rollen, der das Betriebsgeheimnis des Ganzen ausplauderte. Nicht wegen seinem Fauxpas über Gene von Basken und Juden wurde er geschasst. Sondern weil er der alten Tendenz der SPD, eine Partei rechts von der CDU zu gründen, den Schneid abkaufte und massivste Zustimmung erntete, ohne in offizielle Parteistrukturen eingebunden zu sein und ohne dabei der SPD zu nutzen. Er wurde nachgerade zum lästigen Konkurrenten für einen Gabriel, der sich nach der Exilierung bequem in seiner Rolle als vernünftelnder, unrassistischer Abschieber gefallen darf.
Der SPD-Kazike Gabriel hat geschafft, was Sarrazin nach eigenem Bekunden nicht wollte und doch schon vorbereitete: Aus einer schon im Ansatz verkorksten Integrationsdiskussion wurde endgültig die einzige in Deutschland mögliche Version dessen – Eine Abschiebedebatte.
Die Tabus haben sich längst in Füllhörner verkehrt: Meldet sich ein Reaktionär zu Wort, wird er über kurz oder lang nach dem offiziösen Sturm der Entrüstung seine Saat überreichlich ernten können. Mit Sarrazin und Gabriel verhält es sich noch paradoxer.
Sarrazin ist ein Rassist, denn er vertritt rassistische Grundannahmen – dennoch bereitete er keine rassistische Praxis vor und wird sich über seine deutschen Fans kaum freuen. Gabriel ist kein Rassist – und vertritt doch das rassistische Prinzip, nach dem Deutschland organisiert ist, exekutiert den Willen der NPD weitaus trefflicher als Sarrazin.
Die eigene überwertige Bindung an den Kiez, das Territorium, macht die Abschiebung, die Ausschaffung zur höchsten denkbaren Strafe. Die höchste denkbare Strafe aber ist die Todesstrafe. Und exakt die ist mit der Abschiebung gemeint. Wer draußen ist, ist tot, stellt keine Gefahr mehr dar oder interessiert nicht. Im Wunsch der Deutschen nach der Abschiebung artikuliert sich der nach der Todesstrafe. Daher glaubt man auf Seiten der Linken auch, indem man die Nazis nur lange genug von einem Flecken zum Anderen jage, sei das Problem gelöst und Nazis nicht mehr existent.
Wo Integration in einer Demokratie allein als solche zu denken wäre, laut seine konträren Interessen und Meinungen zu vertreten, und entsprechen des rationellen Gehalts gehört, ignoriert oder angefeindet zu werden, ist in Deutschland mit Integration von rechts wie von links die Friedhofsruhe, der Sperrbezirk gemeint. Vom Islamismus wissen die Deutschen deshalb nichts, weil sie ihn noch immer als invasiv wahrnehmen und das 21. Jahrhundert mit der Wiener Türkenbelagerung verwechseln.
Aber es sind nicht nur die Islamisten und Neonazis. Facebook-Gruppen, die zur Vernichtung von Juden, Kurden und Armeniern aufrufen, haben kaum Kopftuchfrauen als Anhänger – es sind dem gesamten Habitus zufolge moderne, westliche, integrierte, jungtürkische FaschistInnen mit deutschem Pass und mittelständischen Unternehmen. Den gleichen Irrtum begehen Linke, wenn sie ihre „Nazis-Raus“-Buttons anheften und stolz auf ihr Wissen um Codes von Jungnazis sind. Dümmlich warb die PDS einst „Nazis raus aus den Köpfen“ – eine eigene Schlußstrich-debatte, man wollte nicht an Nazis denken müssen, sie nicht mit SS-Runen auf dem kahlrasierten Schädel sehen müssen. Das Abspalten, das das Ausschaffen stets ist, ist die Weigerung des Denkens, das Eingeständnis der insgeheimen Übereinkunft mit Ideen, gegen deren betörende Gewalt man sich als so wehrlos erweist, dass man es wegmachen, fortbringen, abschieben, ausmerzen oder auch in einer nur um Geringes anderen Variante, um jeden Preis integrieren, will. Man soll nicht Juden-Gen sagen – aber in Köln gibt es am Dom eine antisemitische Dauerausstellung gegen Israel. Man soll nicht Negerkuss sagen – aber jeder Polizist bekommt eine Gehaltserhöhung, wenn er nur weiter brav Schwarze nach Afrika abschiebt. Man soll kein Islamist sein – aber mit Iran wird gehandelt und gedealt. Man soll nicht als Sarkozy Zigeuner nach Rumänien fliegen – aber sie als Merkel in den Kosovo abschieben geht wunderbar. Die Klotüren-Mentalität der Deutschen kann man nicht umsonst auf Klotüren lesen: der schmutzige Dreck soll mit der eigenen organischen Verfasstheit, dem System, nichts zu tun haben, wird als Fremdes ekelerfüllt und lustvoll weggespült.
Ob Gabriel et al. Rassisten etc. sind oder nicht, steht zur Klärung noch an. Abgesehen davon: Much appreciated… und ausgesprochen aufschlussreich. Gracias!
„Und es zeugt von einer aggressiven Empathielosigkeit gegenüber Vorgängen, die „draußen“ stattfinden.“
bei dieser Passage musste ich irgendwie an das hier denken:
„Die Debatte um Ursachen der Geschehnisse wurde schnell mit der Diskussion um das deutsche Asylrecht verknüpft. Nur wenig später und von einigen CDU-Politikern mit der Begründung, in Zukunft Attacken wie in Lichtenhagen verhindern zu wollen, wurde das Asylrecht so geändert, dass es für politische Flüchtlinge erschwert wurde, Asyl in Deutschland zu bekommen (Drittstaatenregelung).“
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Ausschreitungen_von_Rostock-Lichtenhagen
ich weiß allerdings nicht, ob man in dem Fall Wikipedia Glauben schenken kann…
Der Zusammenhang zwischen den Pogromen, dem Erstarken rechtsextremer Parteien Anfang der 90-er und den verschärften Asylgesetzgebungen und Abschiebestrategien – mithin das, was Deutschland derzeit zum Synonym für Widerwärtigkeit macht – ist hinreichend erwiesen und diskutiert.
Wodurch unterscheiden sich denn Asylgesetzgebung und Abschiebestrategien von denen anderer demokratischer Staaten?
Zum Beispiel erhielt eine Frau in den USA Asyl, nachdem sie in Deutschland abgewiesen wurde. In Ghana ist es fast eine Selbstverständlichkeit, dass Nomaden und Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten sich ansiedeln – das gilt für viele afrikanische Staaten. Die Stärke der Ökonomie kann also kaum ein Grund sein. In den USA wurden noch unter Bush mehrere hunderttausend Illegale legalisiert, ähnliche Anläufe gibt es immer wieder in Spanien und Frankreich.
Es geht auch aktuell nicht so sehr darum, wie sie sich unterscheiden, obwohl das auch wichtig ist, insbesondere auf die sehr deutsche Drittstaatenregelung, sondern wie derzeit die Flüchtlingsfrage in der Abschiebepraxis ausgehandelt wird. Dass also offensichtlich mit Folter, Hunger und Tod bedrohte Menschen abgeschoben werden – nach Afghanistan, nach Iran. Dass es ferner regelmäßig zu Abschiebungen von Jahrzehnte in Deutschland weilenden und geborenen Menschen kommt.
Ok, Drittstaatenregelung und Dubliner Abkommen habe ich gerade bei wikipedia nachgelesen. So bitter es für die Betroffenen ist, zeigt es ja, dass solche traurigen Sachen so oder ähnlich auch in anderen (demokratischen) Staaten vorkommen können. Sicherlich spielt das WIE eine große Rolle und das hattest du ja auch erwähnt. Welche Unterschiede gibt es nun aber in der besagten Abschiebepraxis, die „Deutschland derzeit zum Synonym für Widerwärtigkeit“ machen?
Ich denke es wird immer schwieriger, eine „deutsche“ Abschiebepraxis von der Praxis anderer Westeuropäischer Nationen zu unterscheiden. Ein Merkmal das allerdings ins Auge sticht ist aber die in anderen Staaten übliche Praxis der Legalisierung, die in Deutschland nur unter dem „integrativen“ Paradigma des Gesinnungstests gedacht werden kann, und sich dann doch meist an Leute richtet, die de Fakto sowieso legal hier sind. Andererseits folgten die Legalisierungsaktionen in Frankreich und Spanien aber eben auch öffentlichem Druck, der so in Deutschland nicht aufgebaut wird, die Widerwärtigkeit wäre dann vor allem in diesem einzigartigen Konsens zu lokalisieren, der eben schon die Asylgesetzgebung nach Rostock bestimmte.
Des weiteren hat natürlich kaum ein Staat so wenig von der Drittstaatenregelung wie Deutschland, unter dessen Federführung das ganze eine Europäische Regelung wurde. Denn vor allem die Einwanderer über die EU Ostgrenzen sind es, für die diese Regelung greift (zur Zeit auch noch für Sinti und Roma aus Bulgarien & Rumänien, die von hier mir viel weniger Tamtam abgeschoben werden als aus Frankreich), und diese Einwanderer wollen oft zuerst nach Dtl. Wenn du bemerkst, dass es schwer ist, deutsche Abschiebepraxis von der anderer Europäischer Staaten zu unterscheiden, Daniel, dann sagst du damit bestimmt nichts unwahres. Aber die Bedeutung der Deutschen Politik in den Entwicklungen, die zu dieser … ähm … Auslegung … des Asylrechts geführt haben, sollte nicht unterschätzt werden. Was Nichtidentisches bereits anmerkte (Abschiebungen in Iran, ankündigungen, alle Außer Christen auch wieder in den Irak abzuschieben, obwohl gleichzeitig die USA niedergemacht wird, weil der Irak ja nicht mehr sicher sei (wie unter Saddam)), lohnte sich auch zu vertiefen…
So, und all der inhaltliche Kram (man kann ja Nachfragen nicht ignorieren ;-)), vor allem, um das folgende Lob loszuwerden:
„der normale Deutsche ist von einer Klotüre nicht zu unterscheiden“
–> Das könnte neben Dylan Morans „Germany is a toilett“ vielleicht zu einer DER Äußerungen des noch jungen Jahrhunderts (Jahrtausends?) werden …
„(…) die Widerwärtigkeit wäre dann vor allem in diesem einzigartigen Konsens zu lokalisieren, der eben schon die Asylgesetzgebung nach Rostock bestimmte.“
Welchen Konsens meinst du?
@ Daniel: OK, es ist gut möglich, dass ich mit Konsens übertrieben habe, ABER: Fakt ist dass man nach Rostock in der Gesetzgebung dem Mob (d.h. den Leuten die auf der Straße präsent waren) gefolgt ist, und dass Abschiebung, bzw. überhaupt Flüchtlinhsschicksale in Deutschlad wenige Menschen interessieren, im Sinne der sogenannten „Islamkritik“ (der ich mich, sofern ernst gemeint, durchaus verbunden fühlen könnte), geht es nun wirklich stets um die Bringschuld der Immigranten. Das Einwanderung also rein ökonomisch zu betrachten sei, ist hier längst Konsens, und das (ÜBERRASCHUNG) ist eben sogar noch progressiver als der völkische Begriff davon, wer eigentlich hier her gehört, der sich an den Stammtischen gemacht wird… (jep, ich weiß das ist anecdotel evidence…)
Fakt ist: Unter den westeuropäischen Staaten ist Deutschland der einzige, wo ein Versuch die Abschiebepraxis zu kritisieren, nichtmal wahrgenommen wurde…
Ehrlich gesagt, halte ich es für eine böswillige Unterstellung, die Gesetzgebung habe damals einfach so Volkes Willen vollstreckt. Das passt zwar ganz gut zum vielbeschworenen und angeblichen rassistischen Konsens. Allerdings scheint mir im Rückblick selbst dieser zumindest fragwürdig.
Hier wie da, damals wie heute: die selbe Besitzstandswahrungsmentalität, zugegebenermaßen in ihrer widerwärtigen deutschen Form. Neu ist aber, dass selbst das liebgewonnene Feindbild „rassistischer Staat“ zu einem Besitzstand geworden ist, den man mit aller Macht verteidigen muss.
Nun, du hast eine eindeutige Koinzidenz von rechtem Auftrieb und der damaligen Debatte um Abschiebungen und Asylpolitik. In den 90-ern war die Angst vor „Asylbetrügern“ maßgeblich, dass auf staatlicher Ebene allgemeiner Regelungsbedarf im Zuge des Postsozialismus und EU-Erweiterung bestand, ist klar. Ebenso offensichtlich ist aber der Argumentationszusammenhang, mit dem die deutschen Regierungen ihre „Besitzstandswahrung“ durchsetzten. Das Argument war „Überfremdung“, „Durchrassung“ und nicht ökonomische Grenzen oder Disintegration oder Parallelgesellschaften. Die Diskussion drehte sich entscheidend um die Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland. Die völkische Linie dominierte, was sich in der Gesetzgebung widerspiegelt, die sich rein an der Herkunft und Bürokratie orientiert und nicht an humanitären Imperativen. Daher gab es Integrationsprogramme für Russlanddeutsche, die völkisch eingemeindet wurden, aber keine für Russen oder Roma.
Die kolonialistischen Staaten waren demgegenüber notwendig aufgeschlossener gegenüber einer Ablösung ihrer Gesellschaftsidee vom Boden. Frankreich ist auch Mayotte und Afrikaner und Algerier sind Franzosen – auch wenn es hier sehr mächtige rassistische Tendenzen gibt. In Großbritannien gibt es ebenfalls Rassismus, aber der institutionelle Rahmen bietet Schwarzen und Pakistanis eine Integration als Engländer. Der deutsche kann irgendwann Ausländer als integrierte denken, ihre Kinder werden aber immer nur Passdeutsche mit „Migrationshintergrund“ sein, die gefühlte deutsche Gesellschaft ist weiß und seßhaft auf Lebenszeit. Was sich dann in der Abschiebepraxis niederschlägt. Was demgegenüber die USA seit der Abschaffnug der Segregation an Fortschritt im öffentlichen Bewusstsein erreichten, muss ich ja nicht erläutern.
Dass Staaten definieren, wer Staatsangehöriger ist und wer nicht, damit freilich eine Menge Leute ausgegrenzt und zu Fremden erklärt werden, ist noch nicht rassistisch. Man muss es noch nicht mal als besonders fremdenfeindlich auffassen. Auch der Rekurs auf Abstammung ist nicht per se mit Rassismus verbunden. Leider ist es in, alles miteinander zu verwechseln bzw. gleichzusetzen.
Das Argument „Überfremdung“ kann sowohl mit einem rassistischen Subtext unterlegt sein, als auch aus „ökonomischen Grenzen“ abgeleitet werden. Wie gesagt, ist Fremdenfeindlichkeit nicht gleich Rassismus.
Dafür, dass das „Argument“ Durchrassung eine breite Akzeptanz gehabt haben soll, hätte ich gern einen Beleg.
Was die gefühlte deutsche Gesellschaft betrifft, kann man das heutzutage sehr wohl anders sehen. Natürlich nur, soweit man die Passdeutschen mit „Migrationshintergrund“ nicht schon von der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen hat.
Du vermischt zwei Fragen: Asylrecht und Einwanderung.
Das Asylrecht wird rassistisch durchgesetzt. Personen erhalten kein Asyl und sterben, weil man sie um jeden Preis weghaben will und das noch als nationales Interesse definiert. Hier diskutiere ich nicht über „ökonomische“ Popanzen – das Asylrecht hat als universales über ökonomischen Interessen zu stehen.
Einwanderung gibt es in Deutschland de facto nicht aus asiatischen oder afrikanischen Staaten. Selbst die Anwerbung von hochqualifizierten Indern scheiterte am nationalen Dünkel und Überfremdungsängsten.
Ökonomisch ist der Beweis klar: Deutschland kann aus Gründen der Geburtenrate ohne massive Zuwanderung ökonomisch nicht gegen Staaten wie Frankreich bestehen. Dennoch gibt es keine Debatte über eine Steigerung der Einwanderungsquote, sondern im Gegenteil ängstliches reservieren des status quo.
„Durchrasst“ wurde von Stoiber geprägt, der keinerlei Konsequenzen aus dieser Äußerung ziehen musste. Da selbst Hohmann nach antisemitischen Äußerungen von der CDU sanktioniert wurde, müssen im Falle Stoibers weite Teile der Gesellschaft hinter dieser Äußerung gestanden haben.
„Überfremdung“ ist nicht logisch abzuleiten, sondern aus den historischen Begebenheiten, und daher in Deutschland immer schon ein rassistischer Begriff.
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