Die Dokumentation „Nicht länger nichts!“ lässt sich auf arte herunterladen oder streamen. Zwei Aspekte sind besonders hervorzuheben: es kommen gebildete, reflektierende Arbeiter*innen ausführlich zu Wort. Ein Schlachtfabrikarbeiter, eine Fließbandarbeiterin, ein zum Historiker fortgebildeter ehemaliger Minenarbeiter brechen klassische Präsentationsformen von Arbeitenden. Wie gebildet Arbeitende waren, wird mit einer Studie aus dem 19. Jahrhundert untermauert, die Arbeitende ihren Lesestoff zwischen Darwin, Marx und Nietzsche angeben lässt. Die gescheiterten Revolutionen führten zur permanenten Selektion der gebildeten Arbeitenden durch Verbannung und Ermordung.
Bildungsgrade sind zwar bis heute einkommensabhängig, aber Bildung und Ausbildungsgrade gehen nicht ineinander auf, wie das Beispiel zahlloser eher wenig zu Reflexion und Denken begabter Professor*innen belegt. Auch geht extremer Reichtum nachweislich nicht mit Reflexionsvermögen, Intelligenz und Aufklärung einher, auch wenn die Superbourgeoisie von Jack Ma über Elon Musk bis Jeff Bezos sich selbst ihren Reichtum aus höherer Gewitztheit oder Leistungsfähigkeit erklärt.
Die Serie legt an Beispielen offen, wie roh und brutal Vertreter*innen der besitzenden Klasse die Ausbeutung planten, raffinierten und letztlich an die Arbeiter*innen manipulativ departementalisierten, bis diese sich ab dem Fordismus ohne äußeren Zwang und für den Konsum von objektiv nicht notwendigen Waren ausbeuteten. Die Beispiele sind zwar in gleicher Strategie wie bei Marx/Engels, aber eher in Erweiterung zu den dort bekannten vorgetragen.
Der zweite Aspekt ist der faire und ausführliche Blick auf den Luddismus. Die Maschinenstürmerei war innerhalb der Zwänge eine legitime und nachvollziehbare Praxis. In Ermangelung der organisatorischen und militärischen Macht zur Übernahme der Produktionsmittel schritten die durch Konkurrenz der Maschinen außer Brot gesetzte Arbeitenden zur Sabotage. Die Entwicklung der Produktionsmittel ging eben nicht strukturell mit einer Erleichterung der Arbeitenden einher, sondern mit höherem Risiko für Gesundheit und härterer Konkurrenz. In den Maschinen wurden die Arbeitenden tatsächlich zermalmt. Mit der Entwicklung von Bohrhämmern im Bergbau sank die Lebenserwartung zunächst, weil die grotesk lauten Geräte die Minenarbeiter noch rascher zerschmetterten und zerrüttelten als vormals die Arbeit mit Hämmern und händisch gedrehten Bohrstangen. Und heute besprühen Maschinen mit Lasertechnologie die Hände der Turnschuhkleber*innen rücksichtslos mit Lösungsmitteln, bis sich deren Haut ablöst und sie von den Dämpfen bewusstlos werden. Der Parteisozialismus verherrlichte den Fabrikarbeiter und damit die Maschinen, die den Arbeitenden den Fortschritt bringen sollten. Stalin machte aus dem Maschinenkult eine regelrechte Religion, deren heiligste Reliquie die immer größere, in den Dienst von Tunnelbau und Landschaftsgestaltung gesetzte Nuklearwaffe wurde. Mao ließ für den „Fortschritt“ einer simulierten Industrialisierung die Arbeitenden Kochtöpfe in Stahlöfen werfen, bis sie abends vor Muskelzittern ihre Suppe nicht mehr essen konnten. Die Maschinenstürmer waren rationaler als vieles, was die sozialistischen Eliten an Ideologien über Maschinen hervorbrachten.
Die Dokumentation hat vor allem drei Mängel: sie ist gerade in der Darstellung internationaler Arbeitskämpfe, z.B. in Südkorea, Japan, Südafrika, Peru viel zu kurz und damit ethnozentristisch. Sie vernachlässigt Marx/Engels auf geradezu kriminelle Weise. Und sie zeigt in ihrem Fazit des Endes einer Arbeitendenklasse zwar reflektierende, pessimistische moderne Arbeiter*innen, aber nicht den Gewerkschaftsalltag und die Struktur von Arbeitskämpfen heute.