Boris Palmer und das N-Wort – eine differenzierte Verurteilung

Boris Palmer fiel auf der Konferenz „Migration steuern“ zweimal auf: Einmal vor der Veranstaltung, einmal auf der Bühne. Vor der Veranstaltung meinte er, man würde ihm den „Judenstern anheften“, wenn man ihn als Nazi bezeichne. Eine klassische Täter-Opfer-Verkehrung. Wer als Nazi bezeichnet wird, kann nicht nur gerichtlich wegen „Beleidigung“ dagegen vorgehen und hat häufig Erfolg, er kann auch z.B. Innenminister oder Abgeordneter bleiben oder eben Oberbürgermeister von Tübingen. In keinem Fall muss man befürchten, in ein KZ verbracht und zu Tode gehungert oder anderweitig ermordet zu werden.
Palmer hat sich hier auf Kosten von jüdischen Opfer als Opfer inszeniert und die antisemitische Verfolgung trivialisiert.

Auf der Veranstaltung verteidigte er sein „Recht“, das Wort „Neger“ im Zitat zu verwenden und in der Folge sprach er es fünfmal in kurzer Zeit aus. Seine Rechtfertigung: Es sei wichtig, ob man es „im Kontext“ verwende, also etwa in einer Diskussion darum, ob man „Südseekönig“ oder „Negerkönig“ schreibe. Er gesteht zu, dass das Wort einer Person gegenüber eine Beleidigung sei.

Die wissenschaftliche Zitation ist kein Recht, sondern eine Pflicht. Wer in historischen Quellen ein „N-Wort“ einfügt, verändert die Quelle. Das ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Wer sich mit Propaganda und zumal rassistischer Propaganda befasst, wird auf zahllose verletzende Begriffe und aggressive Sprache stoßen. Von „Kakerlaken“ und „Maggots“, über „Youn“, „Untermensch“ oder „chink“ hin zu „Judensau“ und „Judenschweine“. „Hohe Bäume“ war das Codewort für die Opfergruppe der Tutsi in Rwanda und würde heute ein Radiobeitrag dazu auffordern, die „hohen Bäume“ zu fällen, würde dies unmissverständlich als Aufforderung zum Genozid gelten. Für Opfer von Diskriminierung und Verfolgung kann die Nennung solcher Begriffe retraumatisierend wirken.

Propagandaforschung aber muss rassistische Sprache im Rohzustand zitieren, gerade weil sie verletzend ist, und ihre Charakteristik und Strategie im Detail erforschen. Hier können wir nicht oder nur in Ausnahmefällen auf die individuelle Traumatisierung Rücksicht nehmen, weil es einen erheblichen Unterschied macht, welches spezifische Wort verwendet wurde.

So existieren zwei Begriffe, die mit „N“ beginnen, nämlich der von Beginn an rassistische Begriff „Nigger“ und das zur gleichen Zeit als politisch korrekt eingeforderte Wort „Negro“ oder auf deutsch: „Neger“. In der Quellenarbeit und Quellendiskussion ist unabdingbar, diese Differenzierung im Zitat kenntlich zu machen. Ein Beispiel dafür ist Karl Marx, der sich sowohl politisch gegen die Sklaverei engagierte und in seinen Publikationen das von ihm in seiner Zeit als politisch korrekt erkannte Wort „Neger“ verwendete, dann aber in Briefen Lasalle als „jüdischen Nigger“ beschimpfte, sein ganzes Aussehen hätte „etwas niggerhaftes“. Er selbst wurde wiederum aufgrund seiner tiefschwarzen Haare als „Mohr“ bezeichnet. Alle diese Begriffe sind heute Beleidigungen und von der Hautfarbe ist prinzipiell als Merkmal abzusehen. Wo sie tatsächlich, z.B. in der Hautmedizin bei der Vorsorge gegen Hautkrebs oder Vitamin-D-Mangel, relevant ist, hat sich der Begriff „schwarz“ eingebürgert.

Auch innerhalb des schwarzen, amerikanischen Slangs wurde diese Unterscheidung getroffen, auch wenn der Begriff „Nigger“ dort als Selbstbezeichnung in vermeintlich emanzipatorischer Praxis verwendet wird. Wer sich die konkrete Verwendung ansieht, wird unschwer erkennen, dass es mit der „emanzipatorischen Aneignung“ nicht weit her ist, und dass seine Verwendung innerhalb schwarzen communities von kollektiver Abwertung und internalisiertem Rassismus durchdrungen ist. „Black“ ist auch dort zum akzeptierten Begriff geworden, wohl wissend, dass er nicht die reale Hautfarbe beschreibt, sondern politisch bleibt.

Boris Palmer ist aber gewiss kein Propagandaforscher. Er schrieb 2016 in einem Beitrag „Mohrenkopf“ ohne Anführungszeichen, weil er einforderte, dass die Süßspeise so heißen dürfen muss. Er zitiert auch Astrid Lindgren nicht, um die Umschreibung des Buchs zu fordern, die Herausnahme von Begriffen, sondern weil er möchte, dass da weiter Begriffe stehen, die bereits bei Astrid Lindgren in einem rassistischen Kontext stehen, den ich an anderer Stelle ausführlich erläutert habe. So ist die Imagination eines weißen Königs, der einer schwarzen Inselgesellschaft „Ordnung“ beibringt, rassistisch, ob er jetzt Südseekönig oder „Negerkönig“ genannt wird und ebenso verletzend ist Pippi Langstrumpfs Wunsch, von einem „eigenen“ schwarzen Diener von oben bis unten mit Schuhcreme eingerieben zu werden. Weder mit solchen Fantasien noch mit rassistischen Begriffen sollten schwarze Kinder beim Vorlesen vergnüglicher Abenteuer konfrontiert werden, und weiße Kinder sollten tunlichst nicht daran gewöhnt werden.

Kurz: Eine Zitation, die eindeutig der Abschaffung der alltäglichen Verwendung der Begriffe dient, ist nicht nur zulässig, sondern als wissenschaftliche vorgeschrieben. Wer wie Boris Palmer zitiert, um möglichst oft diese Begriffe „legal“ zu verwenden oder wer sich wie Boris Palmer für ihre Weiterverwendung im populären Diskurs einsetzt, ist eben Rassist. Er hat völlig recht, dass es auf den „Kontext“ ankommt. Sein „Kontext“ ist aber aufgrund seines bisherigen „Engagements“ ein rassistischer.

Umso bedenklicher ist, dass er von Prof. Dr. Susanne Schröter eingeladen wurde. Schröter hatte zuvor für die rechte Denkfabrik R21 bereits die Konferenz „Wokes Deutschland – Identitätspolitik als Bedrohung“ durchgeführt. Nicht nur war die Wahl der Sprecher*innen klar rechtslastig und nicht an wissenschaftlicher Qualifikation orientiert. Die Referentin Kristina Schröder verstieg sich dort zu der Behauptung: „Ich glaube, dass die woke Bewegung gerade die größte Gefahr für unsere Gesellschaft darstellt.“ Auch dies ist eine eklatante Täter-Opfer-Verkehrung, die den täglichen Terror durch Rechtsextremisten verharmlost. Das Engagement gegen „woke Sprechverbote“ musste von Menschen wie Palmer eindeutig als Aufforderung gelesen werden, auch mal zu schwätzen, wie einem der rassistische Schnabel gewachsen ist, mitsamt „Mohrenkopf“ und „Negerkönig“. Dass sich Schröter nun selbst als „woke“ präsentiert, indem sie sich von Palmer für dessen Auftritt distanziert, ist nicht nur unglaubwürdig, es hat vielmehr den Anschein, als wäre es vorab einstudiertes Programm.




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