Die Scheinsolidarität mit Israel ist verschwunden, der Antisemitismus regiert

Für einen kurzen Moment sah es nach dem 7. Oktober so aus, als wären über Nacht alle israelsolidarisch geworden. Selbst in der taz schrieben ein paar Tage lang nicht mehr nur Susanne Knaul und Judith Poppe ihre immergleichen „Berichte“, sondern viele bis dahin in der taz eher unbekannte Autor*innen verfassten erstaunlich aufrechte und intelligente Artikel zu Israel, zur Hamas, zum Antisemitismus. Die Namen sind wieder verschwunden, man hat sich wie bei vergangenen Militäroperationen in der Routine eingefunden, auf das Leid der Menschen in Gaza oder im Westjordanland zu fokussieren. Niemand interessiert der Antisemitismus noch, kein bildungspolitisches Konzept wurde entworfen, und auf den Tisch gebracht wurde lediglich die ewige stumpfe alldeutsche Lösung für alles: Abschiebungen.

Die Bundesinnenministerin Faeser meint, mit „Bekenntnissen“ gegen Antisemitismus wäre es getan und fordert dieses ausgerechnet von der Islamkonferenz, die dankbar Gelegenheit ergreift, über die Diskriminierung von Muslimen insbesondere durch „Generalverdacht“ zu sprechen und Radiominuten zu füllen mit den dann erforderlichen „Stimmungsbildern“ vor Ort, den individuellen „Eindrücken“ und „Erfahrungen“, die dann noch einmal auf Schnipsel reduziert werden – und schon redet man über antimuslimischen Rassismus statt über islamischen Antisemitismus.

Von solchen Bekenntnissen weiß man außerdem, dass sie das Papier nicht wert sind, von dem sie abgelesen werden. Währenddessen kommt Scholz mit der Ritualformel „Flächenbrand“, als wäre in Syrien, Jemen und Libyen plötzlich Frieden eingekehrt oder als wäre die Türkei nicht dabei, Afrin zu entkurdisieren oder als wäre Ägypten eine Demokratie geworden oder: als wäre das Hamas-Pogrom ein Naturereignis, ein Strohfeuer. Und die Außenministerin Baerbock kommt mit der Forderung nach der Zweistaatenlösung, als wäre es der Muslimbruderschaft und ihrem Ableger Hamas jemals um Land gegangen oder als wäre Gaza nicht das beste Beispiel für einen palästinensischen islamischen Staat, der verhindert werden muss oder als spräche nun irgendetwas für eine Zweistaatenlösung, die weder Hamas noch Fatah wollen, denn beide fordern „from the river to the sea“, die Fatah auf ihrem Emblem. Wo die Fatah regiert, lehnen nur 6% das genozidale Massaker vom 7.10. ab, in Gaza sind es immerhin schon 20%. Neben der Selbstbereicherung der Eliten durch Korruption ist „pay for slay“ das Primat der Politik. Und unter den wenigen Gegnern der Massaker sind noch viele, denen nur die Mittel zu extrem erscheinen, nicht das Ziel eines „Palestine from the River to the Sea“. Dieses „Palestine“ wird nicht durch positive Attribute gezeichnet, nicht durch das, was man dort aufbauen wird, was man dort an Versagungen erfüllen kann, sondern ausschließlich dadurch, dass dort keine Juden mehr leben und der Islam regiert. „From the river to the sea“ entwirft ein Massengrab als Sehnsuchtsort.

Die absolute Majorität in Westjordanland und Gaza lebt im palästinensischen Mythos, der eine von anderen Arabern verschiedene ethnische Identität erfunden hat, um sich als „indigene Bevölkerung“ gegen vermeintliche Kolonisatoren zu präsentieren. Die Unterscheidung von anderen Arabern ist nur über die identitätsstiftende Erfahrung möglich, ein „nationales Trauma“, das so wie behauptet nie stattgefunden hat und als Täter hat man einen ewigen Erzfeind erdacht, einen „imaginary foe“, der Zusammenhalt garantiert, wo erbitterte Konkurrenz und die Bereitschaft zum Terror gegen Angehörige anderer politischer Gruppen und insbesondere gegen Frauen herrscht.

Solange deutsche Medien den Mythos von der ethnischen Besonderheit und der behaupteten Autochthonie „der Palästinenser“ im Gegensatz zur geleugneten Autochthonie von Juden in Israel, sowie den Mythos von der Vertreibung aller Palästinenser als „Nakba“, als durch unsagbare Gewalt traumatisierende Katastrophe wiederholen, verschweigen sie, dass Juden über Jahrtausende in Israel lebten, mitunter durch ethnische Säuberungen zur absoluten Minderheit marginalisiert, dass Juden auch im Exil über zwei Jahrtausende hinweg ihren Anspruch auf Jerusalem nie aufgaben, dass das osmanische Reich hingegen Muslime aus dem Balkan, aus der Türkei und dem Kaukasus in der Region ansiedelte, um muslimische Majoritäten zu sichern, dass erst nach der zionistischen Siedlungstätigkeit im 19. Jahrhundert eine arabische Einwanderungswelle einsetzte, dass auch nach der Staatsgründung nur eine Minderheit der muslimischen Araber in Israel direkte Gewalt erfahren hat, dass die lokalen gewaltsamen Vertreibungen dann zum größten Teil in einem Überlebenskampf der Juden gegen den von arabischer Seite ausgerufenen Genozid militärischer Rationalität folgten, um neuralgische Schwachpunkte der Landesverteidigung unter Kontrolle zu halten, und dass der Großteil von der arabischen Seite zur Flucht aufgerufen wurde, wertvolle Besitztümer mitnehmen konnte und die Dörfer in der Gewissheit verließ, dass die arabischen Legionen mit britischer Hilfe die Juden rasch vernichten würde. Der Schlüssel als Symbol des „Rückkehrrechts“ gibt Auskunft über den Glauben an die rasche, triumphale Rückkehr. Die Juden, die aus der arabischen Welt flohen, nahmen keine Schlüssel mit, weil sie wussten, dass in diesen Gesellschaften kein Überleben mehr möglich sein würde und weil sie ihrer Häuser direkt beraubt wurden. Die Nakba ist eine arabische Katastrophe nicht, weil 600.000 Araber flohen oder vertrieben wurden, sondern weil die arabischen Armeen die Juden nicht vernichten konnten. Daher das Beharren auf dem unmöglichen Rückkehrrecht: Wenn der Krieg ins unendliche verschoben wird, gibt es keine endgültige Niederlage.

Den Mythos um das Rückkehrrecht aufzulösen, auf Regierungsebene mit historischen Fakten zu konfrontieren, ist undenkbar. Wer etwas gegen Antisemitismus unter Muslimen tun will, muss auch eine Kritik antisemitischer Mythen liefern. Andernfalls wird nur kommuniziert, dass alles, was die palästinensischen Araber den Juden vorwerfen zwar richtig sei, man es aber nicht sagen dürfe, weil das Antisemitismus sei. Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden. Die Kritik des Antisemitismus hat das Gerücht zu widerlegen. Wer kein Bewusstsein vom antiisraelischen und vom islamischen Antisemitismus hat, oder ein solches nicht öffentlich unter Beweis stellt, braucht sich auch nicht auf Kosten der Opfer mit Bekenntnispolitik zu profilieren.

Auch international sind die teilweise unglaubwürdigen Solidaritätsbekundungen rasch wieder abgeflaut. Die USA stellten einen Flugzeugträger ab, nur um dann die Strategie zu diktieren. Der Angriff war schlimm, aber muss sich Israel wirklich derart wehren? Kann man die Hamas nun nicht in Ruhe lassen, oder in anderen Worten „humanitäre Feuerpausen“ oder „Waffenstillstand“ einrichten? Und kann sich die IDF nicht Wohnblock für Wohnblock verlustreich vorkämpfen, anstatt ihre Luftüberlegenheit präzise auszuspielen? Ausgerechnet die USA wollen Israel erklären, wie man Djihadisten bekämpft. Dieselben USA, die einen zunächst bejubelten Befreiungsfeldzug in Irak vermasselten, aus Inkompetenz den Aufrüstungsraubzug des Islamischen Staates ermöglichten und Afghanistan den Taliban überließen, die mit ihrer Drohnenpolitik auf kostengünstigstes Konfliktmanagement setzten.

Es ist wahr, Zivilisten kommen in Gaza ums Leben – dass die IDF in Gaza Reservisten einsetzt, Menschen, die am Tag zuvor noch Zivilisten waren, die nur unter äußerem Zwang in Uniform gingen, ihr Leben riskieren, ihren Job aufgeben, ihr Studium unterbrechen, das geht in der Trennung in Zivilisten und Soldaten häufig ebenso unter, wie die Tatsache, dass auch die Angriffe der Hamas auf Soldaten antisemitisch und verwerflich sind. Im UN-Sicherheitsrat stimmte Biden dann einer Resolution zu, die keine Verurteilung der Massaker der Hamas enthielt und mehrtägige Feuerpausen forderte. Hier einen prolongierten Konflikt anzustreben, zeugt von der Ignoranz, mit der dem winzigen Land Israel Ratschläge erteilt werden, die es teuer zu stehen kommen.

Jeder Tag kostet die ohnehin fragile israelische Wirtschaft, von der wichtige Fachkräfte in den Kriegsdienst abgezogen wurden. Jeder Reservist und jede Reservistin muss und möchte so rasch als möglich wieder ihre zivilen Tätigkeiten aufnehmen. Jeder Tag, den die Hamas als Konfliktpartei aktiv bleibt, schwächt Israel im Krieg mit der Hisbollah. Eine Feuerpause hilft nicht den Menschen in Gaza, sondern nur der Hamas.

Das gleiche gilt für die Zufuhr von Wasser und Nahrung. Die Blockade wurde nicht ausgerufen, um die Zivilbevölkerung auszurotten, sondern mit einer erfüllbaren realistischen Forderung verknüpft: Rückgabe aller Geiseln. Was sonst bleibt Israel, um die Geiseln aus Folter und serieller Vergewaltigung herauszuholen? Gefangene Kämpfer der Hamas bestätigen in gefilmten Interviews, dass sie explizite Anweisungen zum Vergewaltigen auch von Kindern erhalten haben. Die Berichte über das Ausmaß der sexuellen Gewalt bis hin zur Nekrophilie werden von der Presse weitgehend ignoriert. Die israelische Regierung hat nur begrenzt Möglichkeiten, den Geiseln rasch aus dieser Situation zu helfen und eine davon ist, den Druck auf alle denkbare Weise zu erhöhen und den Verhandlungsspielraum der Hamas drastisch einzuschränken.

Der Zivilbevölkerung wurde in den zwei Wochen der Vorbereitung der Bodenoffensive ein humanitärer Korridor geöffnet und Zeit zur Flucht gegeben. Ein Europa, das aus irrationalen Gründen und ohne eigene Not für Geflüchtete Mauern, das Zerdursten oder Ertränken vorsieht, und dem Großteil der Überlebenden in Irak, Syrien und der Türkei auf Jahrzehnte hin nur Zeltstädte bietet, in denen sich Kinder suizidieren, weil sie die Zustände nicht ertragen, hat nicht im Ansatz das Recht, Israel für Notwehrmaßnahmen zu kritisieren. Und selbst dort, wo man sich auf moralischem Highground echte Sorgen um die Zivilbevölkerung in Gaza macht, ist zwischen Propaganda und Realität zu trennen, ist zu differenzieren und zu benennen. Mit den Ressourcen für den Tunnelbau, der von der überwältigenden Mehrheit begrüßt und gewählt wurde, hätten Zisternen mit Trinkwasserreserven für Jahrzehnte gebaut werden können. Die Hamas hat Trinkwasserrohre für Raketen verwendet und sogar aus dem Boden gerissen und durch Korruption dafür gesorgt, dass überhaupt Wasser aus Israel importiert werden muss. Wer hier nicht zuallererst die Hamas in die Pflicht nimmt, die Geiseln freizulassen, der Bevölkerung Zugang zu Wasser und Generatoren zu ermöglichen, strickt am palästinensischen Mythos mit. Ob die Berichte über Wassermangel wahr sind, lässt sich kaum beurteilen, aufgrund der langen Geschichte an wasserbezogenen Propagandemen und Lügen ist hier grundsätzlich Zweifel angebracht. Israel hat in den vergangenen Jahren einen Wasserüberschuss durch Meerwasserentsalzung erzeugt, exportiert die Technik, baut gigantische Pipelines, um Jerusalem und Umland zu versorgen, und verhandelt mit Jordanien über künftige Wasserlieferungen, die das Ökosystem des Jordans entscheidend entlasten sollen. Wie keine andere politische Institution in der Region hat der israelische Staat das Potential für eine nachhaltige Wasserversorgung der Region und dadurch eine Linderung des Drucks auf klimagestresste natürliche Ressourcen geschaffen. Amnesty international wie auch CNN und UN zeichnen das entstehende Gefälle im Wasserverbrauch jedoch einzig als Folge der Besatzung, Korruption wird meist nicht im Ansatz thematisiert. Grundsätzlich ist also die Frage geboten, warum das Wohl der Menschen in Gaza von den 10% Wasser abhängen soll, das aus Israel importiert wird. Die privaten solarbetriebenen Meerwasserentsalzungsanlagen und die Brunnen, die bislang fast 90% des Wassers liefen, sollten eigentlich weiter laufen, dass dieselbetriebene Meerwasserentsalzung nicht funktioniert, liegt primär am Diebstahl von Diesel durch die Hamas und Ägypten wird ohnehin notorisch aus der Verantwortung entlassen.

Von der Weltöffentlichkeit hat Israel nichts zu erwarten und entsprechend ignoriert die Regierung und die Militärführung auch „Ratschläge“, die selten gutgemeint sind. Und doch steht in der taz wieder einmal sinngemäß, dass sich in Gaza Rechtsradikale in der Regierung austoben und die Militäroffensive politisch bestimmt sei – als gäbe es keine objektiven Zwänge und Dillemata, keine parteiübergreifende Notstandsregierung, keinen nationalen Konsens in Israel über die Notwendigkeit der Operation.

Bernd Pickert spricht in der taz von der „mörderisch aufgestellten Falle“, in die Israel tappe, und die Biden besser als die israelische Regierung begreife. Israel verliere den Krieg der Bilder. Was aber viel wichtiger ist: Israel gewinnt den Krieg gegen die Hamas. Jeden Tag werden ihre Truppen weiter aufgerieben, mehrere Dutzend Tunnel aufgespürt und unbrauchbar gemacht. Die Hamas verliert gerade binnen weniger Wochen zwei Jahrzehnte der Ressourcen, die in Infrastruktur und das Training von Kämpfern gesteckt wurde. Hier droht kein verlustreicher, prolongierter Stadtguerillakrieg, weil der Gegner von Unterstützung abgeschnitten wurde, umstellt ist und die Konfliktzone wenige Quadratkilometer umfasst. Je rascher die Razzia zu Ende geht, desto rascher kann die Rückkehr der Zivilbevölkerung stattfinden, eine Infrastruktur für die Besatzung aufgestellt und danach der südliche Abschnitt Gazas militärisch aufgeklärt werden. Das mag viele Gefahren und Risiken mit sich bringen, aber eine bessere Option existiert schlicht nicht. Jedes Überlassen Gazas an die „internationale Gemeinschaft“ oder gar eine „Selbstverwaltung“ hätte die Rückkehr von Djihadisten, von iranischen und qatarischen Geldern, von Raketen und anderen Waffen zur Folge und damit eine ewige Wiederholung des Konfliktes wie nach vergangenen, zu kurz geführten Militäroperationen.

Und in der vorgeschützten Sorge um Israel, eine alte Routineübung des Antisemitismus, kann man natürlich verschweigen, warum Israel diesen Krieg um Bilder nie gewinnen konnte, welchen Anteil das eigene Medium an diesem Krieg der Bilder gegen Israel hat, und dass es keinen Ausweg aus dem antisemitischen Dilemma gibt, der die Antisemiten besänftigen würde.
Von Australien über Großbritannien bis in die USA gehen Linke, Rechte und Islamisten Seite an Seite auf die Straße und rufen ihr „free Palestine“. Greta Thunbergs Keffiyeh sorgt für Aufregung, während die meisten aus der Israelsolidarität wissen, wie weit verbreitet ihre Meinung gerade in den nördlichen Sozialdemokratien Norwegen, Schweden, UK und Irland ist, wie dünn der zivilisatorische Firnis auch über ihren konservativen Kritikern aufgetragen ist, denen es in ihrem Spott und Hohn im seltensten Fall um Israel geht. Viele israelsolidarische Linke wissen, wie man selbst links sozialisiert wurde und nur durch viele Zufälle, schwer erhältliche Bücher, geduldiges Zureden und schrittweise in die Solidarität mit Israel hinüberwechselte, die für viele den Schritt in die politische Isolation bedeutete und von vielen auch nie ganz verstanden wurde: Wie geht das nun mit der Solidarität konkret, Flagge zeigen oder nicht, Besatzung ja oder nein, Annexion des Westjordanlandes oder nicht, einfach zu allem enthalten oder jeweils mühselige Faktenchecks vornehmen? Geschichtliches Wissen zum Konflikt ist weder kanonisiert noch gut zugänglich an Bibliotheken, nach wie vor gelten die historischen Fakten als deviant, der palästinensische Mythos regiert aus allzu vielen Professuren heraus und noch mehr schweigen schlichtweg.

Für die breite Masse gilt: Man trägt vielleicht keine Palästinaflagge durch die Gegend, aber es reicht der Hamas wie auch Putin, wenn man sich neutral gibt und einen Waffenstillstand fordert. Und es reicht für ein sicheres Israel nicht, wenn man nur an seltenen Tagen einmal sich auf die Seite Israels und dessen Recht auf Selbstverteidigung stellt, sobald es aber dazu kommt, dagegen ist, wie der israelische Staat es ausübt. Die IDF macht in dieser Situation das einzig richtige: Vorrücken. Tunnel um Tunnel. Nach einer mehrere Tage dauernden Phase der überreizten, markigen Phrasen Netanyahus ist wieder Rationalität in die Stellungnahmen eingekehrt. War zunächst die durchaus fatale Medienstrategie, einfach alle zivilen Opfer der Hamas zu überantworten, hat man sich nun wieder zum Schutz der Zivilbevölkerung bekannt.

Israel befreit sich in Gaza nicht nur selbst aus dem Ghetto, in das es durch die Hamas verbannt wurde. Es befreit gerade tatsächlich Gaza von der Hamas. Die Armee kann nicht zulassen, dass hier erneut Keimzellen des Islamischen Jihad und der Hamas aufgebaut werden und das bedarf eines anhaltenden Policing, von dem alle profitieren werden, die unter der Korruption und der Gewalt der Hamas gelitten haben. Zwar zeigt die Geschichte, dass solche Besatzungen selbst dort, wo sie anfänglich bejubelt wurden, in Feindschaft umschlagen können. Geschichte zeigt aber gerade am Beispiel Deutschlands auch, dass der Antisemitismus, wo er staatstragend und genozidal wird, nur durch Militär und Besatzung erfolgreich beseitigt oder zumindest in die zeitweise Unterwerfung gezwungen werden kann.



Die Zusammenarbeit mit der AFD

Vor jeden Wahlen betonen die sogenannten „demokratischen“ Parteien, dass sie mit „allen demokratischen Parteien“ zusammenarbeiten würden, also nicht mit der AFD. Nachdem die AFD dann satte Zugewinne einstreicht, überall auf 20-30% kommt und vor allem immer mehr bei Jugendlichen ankommt, merken dann die Wahlverlierer, dass man in Deutschland keine Wahl gewinnen kann, ohne gegen Geflüchtete und „Migration“ zu hetzen. Was machen also die gleichen Parteien, die vor den Wahlen schwören, dass sie nicht mit der AFD zusammenarbeiten würden? Sie schauen sich die Forderung der AFD an und sagen sich: Achso, das haben diese Protestwähler gewählt, dann machen wir das einfach, um die zurückzugewinnen. Dann brauchen wir jetzt sofort eben wirklich mehr Abschiebungen und weniger Immigration, scheißegal, was für Probleme es wirklich gibt, wen interessieren Klimakatastrophe, Renten, Löhne, Mieten, Reichtumsverteilung und schon spricht man auch im Radio freundlichst und gutgelaunt davon, dass ja Migration wirklich ein wahnsinniges Problem sei, das größte Problem, ein gewaltiges Problem.

Und also ist das erste, was die gescheiterte Innenministerin Faeser nach der Wahl macht, sich Maßnahmen auszudenken, mit denen Geflüchtete gequält werden können. So sollen nun Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden. Es werden also Familien und Traumatisierte in einem ständigen Schwebezustand belassen, in der ständigen Angst, dass um drei Uhr nachts die Polizei die Türe aufbricht. Die Abschiebehaft soll verlängert werden auf 28 Tage, einfach nur, um den Eindruck zu verstärken, dass Flucht ein Verbrechen ist und Geflüchtete in Gefängnisse gehören. Und bei Abschiebungen aus Gemeinschaftsunterkünften – sprich: Flüchtlingslagern – soll das gesamte Lager durchsucht werden dürfen. Das bedeutet, dass Polizisten, die vermutlich wie die Soldaten auch mehrheitlich AFD gewählt haben, in größeren Unterkünften jede zweite Nacht Kinder aus den Betten schubsen, weil sich dort ein Mensch aus dem sicheren Drittstaat Afghanistan oder Iran verstecken könnte. Und da jeder Grenzübertritt nach Deutschland eine Straftat ist, weil es keine legale Möglichkeit gibt, nach Deutschland zu fliehen, und das erste, was Geflüchtete machen müssen ist, sich einige hundert Euro Strafgebühr für den „illegalen Grenzübertritt“ von anderen Geflüchteten zusammenzuleihen, kann im Prinzip fortan auch jeder Geflüchtete als Straftäter abgeschoben werden.

Wer solche „demokratischen“ Parteien hat, braucht die AFD nicht mehr zu fürchten. Wäre die AFD keine demokratische Partei, man müsste sie verbieten. Dazu liegt alles vor, die Informationen sind gesammelt, aber man weiß genau: Das Problem sind nicht die 20% AFD-Wähler*innen, sondern die Leute in den eigenen Reihen, die genauso denken. Also verbieten die „demokratischen“ Parteien nicht die „undemokratische“ Partei AFD, sondern reden ihr das Wort, treten als „Wettbewerber“ in „Konkurrenz“ mit ihr, denn im Kern sind die „demokratischen“ Parteien nicht der wehrhaften Demokratie verpflichtet, sondern der Marktwirtschaft, in der der Kunde recht hat.

Derweil verpestet rechte Propaganda die sozialen Medien, weil dort reiche „Patreons“ ihre rechten Sprachrohre ausgefeilteste Clickbaits produzieren lassen. „Witzige“ Clips, in denen eine Frau aus den 50ern im Pettycoat der bärtigen Transvestitenfrau aus 2023 gegenübertritt und sich wundert, wie wichtig Pronomen sind. Oder irgendein „Kirchenketzer“, der Aiwangers Flugblatt als „morbiden Jungenstreich“ verharmlost und fragt „wo ist der Antisemitismus“. Oder die hunderte Videos, in denen Autos in Klimaproteste hineinfahren. Oder Jordan Peterson, wie er eine Feministin zerstört. Oder Jordan Peterson, wie er woke Kultur zerstört. Oder Jordan Peterson wie er den Sozialismus zerstört. Oder die Ayn-Rand-Stiftung. Oder die Epoch-Times, rechtsradikales Onlinemedium der Falun-Gong-Bewegung, das im trumpistischen Milieu führend wurde mit Klimaleugnung und Hetze gegen Geflüchtete. Oder der „Welt-Nachrichtendienst“, der es trotz allem blocken immer wieder in die tollen Angebote von Youtube schafft, die vor allem Datenkraken-Handyspiele, Grillfleisch und tonnenweise Wick Medinight unters Volk bringen sollen.

Es gibt keine Blase mehr. Die Algorithmen erkennen „links“ nicht, weil es sich nicht monetarisiert. Man erhält auf Youtube nicht immer linkere Videos, wenn man mal etwas über Che Guevara oder die Arbeiterkultur im 19. Jahrhundert angeklickt hat. Man erhält als Mensch mit politischem Interesse automatisch die „kontroversen“ Videos eingespielt, die Clicks und Kommentare einbringen, sprich: man wird mit rechtsradikaler, zynischer Gülle ertränkt, die man dann entweder unkommentiert stehen lassen kann oder denen man noch zusätzlich Clicks durch Kritik verschafft. Solange die Creators nicht für die Qualität ihres Contents, sondern für Clicks bezahlt werden, wird Youtube nach rechts drücken. Und solange die „demokratischen“ Parteien nicht das Gegenteil von dem machen, was die AFD fordert, werden die Leute AFD wählen, weil sich das direkt in Politik umsetzt, obwohl die AFD kurioserweise keinerlei Regierungsverantwortung hält.




Das Bündnis Sahra Wagenknecht wird ebenso scheitern, wie die LINKE

Die Vergleiche zwischen Sahra Wagenknechts „sozial-nationaler“ neuer Partei und der AFD sind legitim, aber zu kurz gegriffen. Tatsächlich ist Wagenknechts Partei der CDU gar nicht fern. Sie hat kein Interesse an internationaler Solidarität, sie will eine Förderung des Wirtschaftsstandorts Deutschland, die will die mittelständischen Unternehmen bewahren, vor allem aber ist sie gegen die Grünen, und dass Klimapolitik so teuer ist und ja gar nichts nütze. Wirtschaftspolitik brauche einen „Neuanfang“, der „vernünftig“ sei und da nennt sie an erster Stelle nicht in der menschenfeindlichen Verwaltung der Armut sondern: die Energiepolitik. Der angeblich teure – tatsächlich im EU-Schnitt liegende Strompreis – sei schuld, dass die Armen Probleme haben. So lässt sich von Anti-Obdachlosenbänken, von Bettelverboten, von gescheiterter Drogenpolitik, von Zwangsarbeit und Jobcentern zu schweigen oder allenfalls drückt man Krokodilstränen ab.
Das alles ist mitsamt dem Habitus eher einer von Söders oder Merz‘ Reden abgeschrieben als von Höcke oder Weidel. „Unser Land“ solle auf einen „vernünftigen Kurs“ kommen und nicht „massive Teile unserer Industrie verlieren“. Distinktionsmerkmal und Zugpferd für Wagenknechts Partei ist die alte sowjetpazifistische „Raus aus der NATO“-Haltung, der russlandfreundliche Isolationismus, den auch die AFD predigt. Die Russlandtreue und Anfälligkeit für russische Propaganda jeder Art stellt auch den Hauptvektor der Spaltung innerhalb der Linken dar. Hier hat mit knappen Mehrheiten eine diffus ukrainesolidarische Haltung gewonnen. Dennoch ist die Bindung an die Propagandakanäle und -maschinen der ehemaligen Sowjetunion so tief verankert, dass die Partei nicht entlang dieser Verwerfungslinie in einen vernünftigen Teil und ein Sprachrohr Russlands zerfallen wird. In beiden Parteien werden genug Antisemit*innen und Russlandfans verbleiben, um sie für vernünftige Leute unwählbar zu machen. Der AFD kann Sahra Wagenknecht nur als Einzelperson Konkurrenz machen, personenzentrierte Parteien sind aber immer wieder gescheitert am Personalbedarf der vielschichtigen parlamentarischen Demokratie. Daher wird die AFD als Nachfolgeorganisation von REP, DVU, NPD, Identitären, Nationalen Autonomen und ihren jeweiligen jahrzehntealten Netzwerken im Osten allenfalls wenige, eventuell in ein oder zwei Wahlen auch entscheidende Prozente an das BSW abgeben. Danach wird das BSW wieder in der Versenkung verschwinden und die Linke, die nur mit Direktmandaten die Fraktionsstärke schaffte, wird weiter scheitern – nicht an der BSW, sondern an der Unfähigkeit, Antisemitismus, Pseudopazifismus, ritueller Antiökologie und Russlandtreue etwas entgegen zu setzen. Schade ist es lediglich um die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die zwar von Antizionist*innen immer wieder verwaltet wurde, aber immerhin eine der Säulen antifaschistischer und marxistischer Bildung an Universitäten war und ist.

Youssef Rakha – wenn die Hamas Krieg führt, blühen die Antisemiten auf

Vor Jahren hatte ich einmal den Auftrag, das Buch „Arab Porn“ für die Jungle World zu rezensieren. Leider habe ich damals zu wenig über den Autor gefunden. 2014 schrieb er:


“Genocide is a necessary condition if not of Zionism, then of the post-Zionist stance that best describes the current, neither-one-nor-two-state-solution status quo.”

Und er fügt hinsichtlich des Krieges der Hamas gegen Israel in einer Rundmail hinzu:


„But even so I would not have dreamed of what I’ve seen since October 7. I might have dreamed of the ghoulishness of the IDF: insatiable blood thirst, infanticide, impunity. I might have dreamed of the West turning a blind eye: hypocrisy and historical guilt as well as indifference to non-Western suffering. I might have dreamed of silence. But I couldn’t have dreamed of so many “free world” leaders not only giving the go-ahead, openly funding, arming and egging on genocide but also, while the killing unfolds in real time, expressing such post-truth solidarity with the killers. Even vetoing the attempt to give survivors occasional respite.“

„The only thing I really want to say is that Ursula von der Leyen is “Hamas”. Bibi, Biden, Sunak, fucking Zelensky—the governments of France and of Germany are all “Hamas”. If to the Western mind Hamas denotes savagery and lack of respect for human life, all those parties have demonstrated a truly, a literally incredible capacity for that.“

Die Hamas hat mit ihrem Pogrom auf solche Reaktionen gerechnet. Youssef Rakha versteht sich als säkular, ebenso wie die Ex-Porno-Actrice Mia Khalifa würde ihn in Gaza die Hinrichtung durch die Djihadidsten der Hamas erwarten. Die Identifikation findet ethnisiert über real leidende arabische Kinder statt und man wähnt sich trotz der kulturellen und geographischen Distanz als angegriffenes Kollektiv. So kann die Täter-Opfer-Verkehrung wirken und jede Empathie zu den jüdischen Opfern des Terrors abgetötet werden in einer Bricolage aus lustvoll geglaubten Propagandaschnipseln. Für solcherlei manipulierte und selbst manipulierende Menschen ist eine rationale Empfehlung an Juden, wie diese mit dem Terror umgehen sollen, undenkbar. Israel ist schuld durch seine Existenz und es soll nicht existieren, darauf laufen die Forderungen hinaus.

Die Groteskheit der Vorwürfe – ein Genozid – projiziert die eigene Lust am genozidalen Massaker, das die Hamas in Israel anrichtete. Diese Identifikation mit den Tätern und die folgende Projektion von Schuldanteilen auf die Opfer, die Juden, ist nicht mehr zu brechen, solange Berichterstattung die Formengleichheit aufzwingt und dadurch die Ursachengleichheit insinuiert.

Ein totes Kind ist ein totes Kind – in dieser Gleichung kann die Ursächlichkeit geleugnet werden und dadurch jede Verantwortung abgegeben. Dass das Krankenhaus in Gaza allen Indizien zufolge von einer fehlgeleiteten Rakete des islamischen Jihads getroffen wurde, ist dann unerheblich, weil die Ursächlichkeit ohnehin nicht einer rationalen Urteilsfindung unterliegt, sondern auf die Schuld „der Juden“ fixiert ist. In dieser Logik ist Israel auch dann schuld, wenn es eine Rakete des Islamischen Jihads war, denn der Islamische Jihad ist wie auch der ganze Konflikt die Schuld Israels. Und dessen Schuld besteht darin, existieren zu wollen.

Eine rationale Diskussion über die Reaktion der IDF ist demnach gar nicht zu erwarten. Dabei gäbe es auch einiges zu diskutieren.

Die IDF hat sich in den ersten Tagen offenbar von der im internationalen Vergleich einzigartigen „knock-on-roof“-Taktiken verabschiedet, gefährdete mit den sicherlich nicht mehr chirurgisch-präzise zu nennenden Luftschlägen auf Wohngebäude und andere Ziele unter anderem die israelischen Geiseln und priorisierte symbolische Elemente der „Strafe“ und der „Macht“. Mit einer fehlgeleiteten Kommunikation wurde tatsächlich nahegelegt, dass es für die Versorgung der aus Gaza Fliehdenden kein Konzept gebe, dass die IDF prioritär das Leben der Soldat*innen schützen müsse und dass sämtliche zivile Opfer künftig einfach der Verantwortung der Hamas unterlägen. Das war wenig durchdacht präsentiert und nicht professionell. Die israelische Notstandsregierung musste jedoch binnen wenigen Tagen den größten Militäreinsatz der israelischen Geschichte planen und in Gang setzen. Und die Entscheidung, Verhandlungen über Geiseln im Ansatz zu frustrieren und die Verhandlungsposition der Hamas durch Eliminierung ihrer Infrastruktur und Führungsebene zu schwächen, hatte eine gewisse Rationalität. Es durfte nach diesem Massaker in Gaza keine weitere Minute des antisemitischen Jubels geben, keine fröhlichen Feiertage im Waffenstillstand, der mit dem Sieg der Hamas bei der Freipressung aller Gefangenen geendet hätte. Das Zerbomben aller bekannten Hamas-Ziele war naheliegend und von einer – diskutablen – Rationalität geprägt.

Der weitere Arbeitsmodus ist noch völlig offen. Die IDF erwartet ein langer Straßen- und Tunnelkrieg, den sie womöglich nur um den Preis der Zerstörung der gesamten Stadt und nur auf Zeit gewinnen kann. Die Zivilbevölkerung zur Flucht zu bewegen und dann Straßenzug für Straßenzug abzusichern und erst dann kontrollierte und demilitarisierte Rückkehr zu erlauben, ist ein realistischer Anfang einer Strategie.

Wer aber nun, wie Rakha, angesichts der zivilen Opfer von „Genozid“ spricht, will die Dimensionen nicht nur verzerren, sondern verkehren. 3000 Todesopfer in Gaza – darunter eine große Zahl an Kämpfern an den Raketenabschussbasen und Tunneln – sind nach über 3000 Luftschlägen eigentlich eine sehr geringe Zahl und nicht im Ansatz mit einem intentionalen Töten von Zivilist*innen zu verbinden. Eine einzige Rakete kann, wie der Vorfall am Krankenhaus zeigte, über 300 Menschen töten – würde die IDF Gaza auslöschen wollen, sähe die Bilanz ganz anders aus.
Die Hamas hingegen zielt wie die anderen arabischen Terrorgruppen in Gaza und Westjordanland darauf ab, alle jüdischen Menschen zu ermorden. Wo Medien nicht diesen diametralen Gegensatz sichtbar machen, arbeiten sie der antisemitischen Wut der Rakhas und Khalifas zu.


Der russische Krieg gegen die russischen Soldaten

Die Hauptfrage des Krieges in der Ukraine war nie, warum die Ukrainische Armee weiterkämpft. Immer stärker rückt aber die Frage in den Vordergrund, warum die russischen Soldaten trotz ihrer katastrophalen Verluste weiterkämpfen und noch immer in sinnlose Offensiven in der Stadt Marinka und in Richtung Kupiansk stürmen. Mit erbeuteten Waschmaschinen lässt sich das längst nicht mehr erklären. Die Zahl der getöteten russischen Soldaten wird von der ukrainischen Armee auf 270.000 datiert, die der Verwundeten auf 800.000. Täglich neue Aufnahmen von Schlägen aus Raketen und Drohnen und die auf der Plattform www.oryxspioenkop.com gesammelten Nachweise aus Fotos mit Geodaten legen nahe, dass sich die von der Ukrainischen Armee gelieferten Angaben trotz einer für Propaganda naturgemäßen Übersteigerung wesentlich näher an der Realität bewegen, als die Zahlen der russischen Militärpropaganda.
70 Prozent der Verluste auf beiden Seiten gehen auf Artillerie zurück und das von der NATO fast vergessene Artillerieduell erfährt daher eine neue Rolle in der Kriegsführung und -planung. Dahingehend konnte die russische Militärdoktrin ihre artilleriezentrierte Rüstungsindustrie voll ausnutzen und aus ihren fast unerschöpflichen Lagern mehr als 20.000 unpräzise Geschosse pro Tag abfeuern, während die Ukrainische Armee wesentlich präzisere Maschinerie nutzen kann, aber die ständige Munitionsknappheit beklagt. Diese Knappheit macht damit allen NATO-Staaten zu schaffen. (https://www.youtube.com/watch?v=3gbc-v6TGfE, https://www.youtube.com/watch?v=wRtYyjvYTWk&t=71s) Zudem sind vor allem die Rohre der Waffensysteme nur auf einige hundert bis wenige tausend Feuervorgänge ausgelegt und werden von der ukrainischen Armee vollkommen vernutzt, weil sich ein Austausch in dieser Zahl nicht realisieren lässt.

Russland wiederum hat inzwischen nicht nur einen Großteil der nutzbaren Artilleriemunition verbraucht und Maschinerie verschlissen, es hat die Hälfte seiner Artillerie und Panzer verloren und seinen Kriegseinsatz auf 100 Milliarden pro Jahr erhöht, etwa ein Drittel des Staatshaushaltes von 340 Milliarden. (https://www.reuters.com/investigates/special-report/ukraine-crisis-intercepts/) Das wird Russland absehbar in den Staatsbankrott führen, in den Ruin der öffentlichen Infrastruktur, des Sozialwesens, des Medizin- und Bildungssystems. Das bedeutet, dass der imperialistische Faschismus Putin’scher Prägung Verbrechen gegen die russische Gesellschaft ebenso einplant wie seine notorischen Kriegsverbrechen in der Ukraine und nur mit einer langfristigen Verarmung der russischen Gesellschaft und Massenflucht zu rechnen ist.

Das Vabanque-Spiel um die rasche Eroberung und Annexion der Ukraine als russifizierter Vasallenstaat und umzuverteilende Beute für Oligarchen, Militärs und auch für die Petit-Bourgeoisie mit dem Wunsch nach einer geraubten Ferienwohnung auf der Krim, wurde bekanntermaßen von der ukrainischen Armee und Partisanen, darunter jene kampferprobten Elemente aus dem rechtsradikalen, neonationalistischen Lager (1, 2, 3) vereitelt. Dennoch konnte die russische Armee durch den Überfall genug Rohstoffquellen und Ackerland erobern, um auch die aktuellen Verluste noch als Investment für diese Beute rationalisieren zu können. Die vollständige Kontrolle über das Asowsche Meer und die Bedeutung der Marinebasis Sevastopol tragen zur Rationalisierung bei und lassen befürchten, dass das System Putin dafür noch wesentlich mehr Soldaten opfern wird.
Derweil legen Mitschnitte von Militärpersonal nahe, dass es noch einen zweiten, zynischeren Grund für den verschwenderischen Umgang mit Soldaten gibt: Eugenik. „Sie entsorgen uns einfach“, empört sich ein Soldat. Ein anderer sagt, im zukünftigen Russland werde offene Sklaverei herrschen. In der russischen Geschichte ist die Dezimierung der eigenen Gesellschaft durch Gefangenenlager und Kriege Teil der nationalen Kultur. Durch die Dezimierung kann ein Zuwachs an Wohlstand durch Umverteilung von Beute simuliert werden. Die entstehende Angst und Frustration sucht sich ihre Kanäle über häusliche Gewalt, Alkoholismus und in der Armee durch die Dedovshchina: Systematische Gewalt und extreme Ausbeutung entlang der Hackordnung.

Im russischen Suprematismus lebt zudem die Verachtung für ehemals kolonialisierte Gesellschaften fort. Die russische Armee opfert daher in der Ukraine primär die Angehörigen ethnischer Minderheiten und ködert mit Belohnungen vor allem die ärmsten Schichten der Gesellschaft. Etwa 40.000 Euro verspricht Putin der Familie eines getöteten Soldaten bislang. Allerdings wird diese Summe häufig nicht ausgezahlt, weil die realen Verluste verheimlicht werden. Das russische System ist den Oligarchen und den Befehlshabern der Armee verpflichtet, nicht jedoch den Armen. Daraus entsteht der eugenische Charakter der russischen Kriegsführung, ein Zug, der den meisten Armeen strukturell eigen ist, der im russischen Chauvinismus jedoch sehr ausgeprägt zutage tritt. Zuletzt wurde von einem russischen Kriegsgefangenen in Robotyne erneut von koordiniertem russischem Artilleriefeuer gegen sich zurückziehende russische Einheiten berichtet.
Den Soldaten bleibt das nicht verborgen und in der Geschichte sind unterschiedliche Reaktionen darauf verbürgt, von der Desertion bis hin zur Meuterei. Im Vietnamkrieg wurde das „Fragging“ unbeliebter Kommandeure in über 1000 Fällen dokumentiert. Unter russischen Soldaten äußert sich die Aggression gegen Vorgesetzte bislang eher autoaggressiv, als exzessiver Alkoholkonsum und Apathie.

Die russischen Soldaten, die verstanden haben, dass sie verachtet werden, melden sich über Chats und Telefonnummern bei der ukrainischen Armee, um ihr Überlaufen zu verhandeln. Im Falle eines Überlaufens können sie entweder Asyl beantragen oder ihren Austausch mit ukrainischen Kriegsgefangenen. Kriegsverbrechen gegen russische Kriegsgefangene, vor allem Exekution und Folter sind bislang in 50 Fällen dokumentiert, eine für solche Konflikte sehr niedrige Zahl, die für eine hohe Disziplin unter den ukrainischen Truppen spricht. Dem gegenüber stehen die massiven, systematischen und seriellen Kriegsverbrechen der russischen Armee.

Der Frontverlauf scheint nach wie vor nur geringfügig verändert, was die hohe Motivation ukrainischer Truppen erklärungsbedürftig machen würde. Jedoch waren die Schlachten um Robotyne, Staromajorske und Klischivka von einem Abnutzungskrieg tief in den besetzten Gebieten begleitet, bei dem rotierende Truppen, Munitionsdepots und jegliche Lastwagenlieferungen von der ukrainischen Artillerie, von Drohnen und Raketen systematisch zerstört wurden. Gleichzeitig hat man nun an mehreren zentralen Stellen mit Wärmebildkameras und Minenräumsystemen die extrem dichten Minenfelder überwunden. Die extrem verzögerte Lieferung von Kampfflugzeugen und das in NATO-Staaten bereits beobachtbare Training der Pilot*innen wird im ersten Quartal 2024 einsetzen und dadurch wesentlich tiefere Schläge der Luftwaffe ermöglichen. Daraus resultiert der Optimismus der ukrainischen Armee, noch im Herbst größere Geländegewinne in Richtung Tokmak, Melitopol, Berdiansk und Mariupol zu erzielen und dadurch die logistischen Versorgungsrouten zu kappen, sowie Bakhmut einzukesseln, und dann im Frühjahr und Sommer des kommenden Jahres mit voller Luftunterstützung den Keil zu öffnen und eventuell schon im Sommer auf der Krim zu landen und dort einen Brückenkopf auszubauen.

Selenskyjs Zustimmungsraten und die Stärke seiner integrativen Regierung mit einem jüdischen Präsidenten und nun einem muslimischen Krimtartaren als Verteidigungsminister sowie die Integration internationaler Freiwilligenkämpfer aus dem eher bürgerlichen Lager und die vollständige Orientierung an westlichen Demokratien machen eine mittelfristige Bedrohung der Ukraine durch interne neonazistische Gruppierungen eher unwahrscheinlich. Das strukturell gegen Minderheiten gerichtete Verteidigungsnarrativ der Neonazis ist nun mit einem realen mächtigen Gegner konfrontiert und muss mit dem bürgerlichen Nationalismus eher konkurrieren als dass es diesen auf sein Narrativ verpflichten kann. Der entstandene bürgerliche Nationalismus ist erwartbar eher integrativ und betont in Abgrenzung zu Russland liberale Werte wie Redefreiheit und Pressefreiheit. Die Geflüchteten werden mit ihren Erfahrungen tendenziell zur Liberalisierung der Gesellschaft beitragen. Dennoch bleibt die Ukraine als Hotspot für neonazistische Aktivitäten wie Rekrutierung, Wehrsport und Waffenhandel für ganz Europa ein Problem, wenngleich ein nachrangiges angesichts der viel größeren Faktoren für die beängstigend wachsenden Zustimmungsraten zu rechtsradikalen Parteien in fast allen europäischen Ländern.
Der Zerfall des russischen Wagner-PMC und anderer Söldnertruppen mit engen Bindungen an mafiöse Strukturen, rechtsradikale Parteien und Neonazis lässt einen Machtkampf zwischen russlandorientierten (1, 2) und ukraineorientierten Nazis eher wahrscheinlich werden. In Europa sollten zuallererst die Wahlergebnisse für die von Russland geförderten rechtsradikalen Parteien wie AFD, VOX, FdI, RN, FPÖ, Fidesz und Jobbik äußersten Grund zur Besorgnis geben. Auch hier werden Spaltungen zwischen den russlandskeptischen skandinavischen Rechtsradikalen und den russlandtreuen Parteien sichtbar – auch wenn diese kaum entscheidend sein werden, wo die gemeinsame Feindschaft gegen Nichtweiße und Nicht-Heterosexuelle dominiert. Der russische Faschismus mit seiner Militarisierung bis in die Kindergärten und seiner vollständigen Aufgabe internationaler Reputation bleibt für beide eher ein Vorbild als die ukrainische Demokratie.

Eine bislang unterschätzte Bedrohungssituation aus dem Krieg ist die Entwicklung des Krieges mit kleinen zivilen Drohnen zur Observation und zum Absetzen von kleinen Sprengsätzen und Minen. Diese Entwicklung wird assymetrische Konflikte und insbesondere den Djihadismus absehbar verändern.







Das kuriose Brillenhämatom des Andreas Jurca

Der AFD-Politiker Adreas Jurca hat ein Brillenhämatom und vorgeblich einen Bruch des Sprunggelenks. Er behauptet vor der Kamera, von „Migranten“ verprügelt worden zu sein, kann angeblich die Herkunft recht präzise einordnen, habe diese also gesehen. Ein Parteifreund sei dabei gewesen, wird aber in den Berichten nicht als Zeuge präsentiert.
Dieser mutmaßliche Angriff kommt wenige Tage nach einer medialen Show über eine Veröffentlichung der Adressen von AFD-Politiker*innen durch eine Frankfurter Antifa, wodurch es die AFD schaffte, die Solidarität bürgerlicher Parteien einzuwerben. Was läge näher, als diesen „Opferstatus“ der rechtsextremen Partei weiter zu vertiefen.

Wer aber mit Schlägereien und Prügeleien zu tun hatte, weiß, dass Schläge ins Gesicht meist mit der Faust oder der Handfläche oder -kante oder dem Ellenbogen oder Tritten erfolgen, von der Seite, auf Backen oder Lippen, Nase, Ohren oder Schläfen. Augen werden eher oberhalb und seitlich über der Braue verletzt, weil Ausweichreflexe für ein Ausweichen sorgen. Natürlich gibt es individuelle Schlag- und Kampftechniken. Es gibt aber auch Gesetzmäßigkeiten, die für alle gelten. Bei einem frontalen Faustschlag auf die Knochenbereiche ist die Verletzungsgefahr für die geballte Faust sehr hoch, Knochenbrüche beim Zuschlagenden wahrscheinlich. Am Gesicht des Geschlagenen kommt es zu Aufplatzungen, die häufig genäht werden müssen. Daher sollen Boxhandschuhe diese Schlagenergie von der Oberfläche in die Tiefe überführen, um ein K.O. zu erzeugen und nicht die blutigen Fleischwunden aus der Anfangszeit oder den Bareknuckle-Kellern des Boxens. Beim Boxen mit Handschuhen oder auf der Straße auch Schlagringen entstehen „cuts“ aufgrund der großen Aufprallfläche auf oder über der Braue.

Jurca hat in den frühesten Aufnahmen auf beiden Seiten quasi identische, etwa 1cm große Läsionen knapp unterhalb der unversehrten Braue und dementsprechend ein sehr regelmäßiges Brillenhämatom. Lippen und Backen sind unversehrt und letztere laufen erst auf späteren Aufnahmen mit dem absackenden Blut mit an.
Das bedeutet, der Täter hätte an der gleichen Stelle unterhalb der Braue extrem kontrolliert mit gleicher Energie zuschlagen müssen – und danach vom Opfer ablassen. Das ist in einer hektischen Kampfsituation mit Abwehrreaktionen und Ausweichreflexen extrem unwahrscheinlich, es würde eine vollständige Fixierung Jurcas und ein präzises Zielen des Täters voraussetzen. Die Aufprallfläche der Faust würde auch eine Läsion erzeugen, die deutlich größer ist und die Braue erfasst.
Auch der Bruch des Sprunggelenks ist ungewöhnlich. Beim Verprügeln kommen meist Tritte in den Bauch- und Thoraxraum hinzu, Rippenbrüche, Hämatome an Schienbeinen und Oberschenkeln. Bei einem Sprung auf das Sprunggelenk würden die Randbereiche und gegenüberliegende Hautpartienstark geschädigt werden. Jurca präsentiert ein Bein mit Abschürfungen am Schienbein und Schwellung am gegenüberliegenden Knie, aber ohne tritttypische Hämatome.

Ausschnitt aus: https://www.br.de/nachrichten/bayern/ermittlungen-nach-mutmasslichem-angriff-auf-afd-politiker,TmtG0XV

Ferner ist auffällig, wie sparsam Jurca die vorgebliche Tat schildert. Es scheint keine Deckerinnerungen zu geben, keine Details außer der „südländischen“ Herkunft der Täter. Keine Beschreibung von Schlägen oder Tritten, keine Schilderung von Emotionen, Ursprung oder Ziel seines Spaziergangs. Das weist tendenziell eher auf eine Fabrikation hin, bei der Widersprüche durch sparsame Angaben vermieden werden sollen. Opfer erzählen tendenziell anders.

So untypisch die Verletzungen für eine schlaginduzierte Verletzung sind, so typisch sind sie für einen Sturz: ein Abrutschen auf einer Treppe, der mutmaßliche (bei Kameraaufnahmen aber nicht eingegipste) Bruch des Sprunggelenks, Aufschürfen des Schienbeins und Aufprall des gegenüberliegenden Knies und dann Aufprall parallel unterhalb der Braue etwa auf einer Geländerstange oder Treppenstufe. Dass offenbar ein Tag bis zur medizinischen Behandlung abgewartet wurde, legt potentiell Alkoholeinfluss und eine Ausnüchterungsphase nahe.
Der Hergang wird gerichtsmedizinisch geklärt und in Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden. Eine Anklage wegen Irreführung und Falschaussage ist ein denkbares Ergebnis, eine Verurteilung ohne Zeugenaussagen und Bildmaterial allerdings schwierig.

Das Problem ist, dass faschistische Propaganda nicht auf Entlarvung ihrer Mythen reagiert. Das Authentische an faschistischer Propaganda ist eben nicht die Logik oder empirische Belegbarkeit eines Narrativs, sondern das Gefühl, das sie erzeugt. Die Empfänger erinnern sich nicht daran, vor einem halben Jahr belogen worden zu sein. Sie erinnern sich daran, reale Angst oder Wut gehabt zu haben. Dieses Gefühl ist „wahr“. Daher ist es auch völlig egal, was hinterher entlarvt wird.
Die faschistische Notstandspropaganda versetzt Menschen künstlich in einen Verteidigungsmodus, in dem sie rationale, zeitaufwändige Prüfungen kurzfristigem Massenverhalten opfern, das aus dem archaischen Inventar unseres evolutionsgeschichtlichen Verhaltens schöpft: Etwa das Zusammenrotten, das Brüllen, das Grimassieren, das aufspüren von Feinden in jedem Winkel.
Im Interesse bestehender Hierarchien werden reale Notstände (Klimakatastrophe, Ungleichverteilung von Reichtum, Misogynie) häufig geleugnet oder ein – aufgrund seiner realen Schwäche – angreifbarer „Täter“ identifiziert, an dem die Bekämpfung des vermeintlichen Notstandes gefahrlos praktiziert werden kann. Interessanterweise verrät faschistische Propaganda in ihren Opfermythen immer wieder, was sie in Wirklichkeit mit ihren eigenen Opfern zu tun gedenkt.
Ihren ersten Erfolg hat die AFD schon geschafft. Wieder einmal haben sich die Parteien von Gewalt distanziert. Das ist zunächst ebenso banal wie die ritualisierte und damit wertlose „Verurteilung“ von Terroranschlägen durch Politiker. In der Distanzierung steckt aber automatisch eine Diskursverschiebung. Statt über die rechtsextremen Umtriebe in der AFD und deren Gewalt wird über Gewalt durch Antifa und Migrant*innen diskutiert. Auch wenn das nur kurzfristig und ritualisiert stattfindet, spielt man der AFD damit in die Hände.



Der Krieg gegen die Grünen

Die rechtsextreme AFD steigt mit 17-18% in den Umfrageergebnissen zur drittstärksten Partei auf und wird in absehbarer Zeit in ostdeutschen Bundesländern als stärkste Partei Regierungen bilden können. Mit dem Schritt der CDU/CSU zurück in den offenen Rechtspopulismus lässt sich der rechte Block aus AFD, CDUCSU und FDP, regional auch Freie Wähler, nur noch als arbeitsteilige Maschine begreifen, deren Hauptmedien Bild, Welt und Focus darstellen. Diese Maschine hat als einzigen Gegner die Grünen gewählt, gegen die 90% ihrer Propaganda fabriziert werden. SPD und Linke sehen ihren Hauptkonkurrenten ebenfalls bei den Grünen und stimmen teilweise baugleich in die Kakophonie ein. Begleitet wird die Kampagne zur Schwächung der Grünen von einem journalistischen Totalversagen zwischen notorisch gutgelaunter Radiomoderation, hochdotierten Talkshows und Presse.
Diese Kampagne lässt sich nicht wieder abstellen oder einfangen, weil die Erosion an politischem Bewusstsein irreversibel ist.
Die Entkoppelung konservativer Propaganda von Wahrheit ist in Deutschland nicht neu. Jedoch waren Ökologie und andere Wissenschaften nie in derartiger Form und von einem derart breiten Parteienbündnis zum alleinigen Feind erklärt worden. Weil Wissenschaft Vernunft symbolisiert, und weil die Grünen als letzte Partei den Anspruch vertreten, wissenschaftsgeleitete Politik zu machen, stehen sie der gesellschaftlichen Regression in den klimapolitischen Todeskult bürgerlicher Gesellschaften im Weg.
Es wäre zu einfach, die Öl- und Gaslobby dafür verantwortlich zu machen, und es wäre falsch, das nicht zu tun. Der rechte Block steht für Korruption und ist abhängig von fossilem Kapital. Er ist aber nicht nur abhängig, sondern sexuell identifiziert mit den fossilen Energien, weil sie Regression und Golden Age Syndrome erlauben. Autos und Ölheizungen bedeuten einer alterndern Gesellschaft eine Möglichkeit, das Altern zu verdrängen. Fortschritt bedeutet den Tod. Aller technologischer Fortschritt war unterm konservativen Diktat nur ein Brummkreiseln um die Öllampe.
Und so wird dann von Habeck das „Lebenswerk“ von Rentnern zerstört, weil deren Lebenswerk offenbar aus einer 40 Jahre alten Ölheizung im Keller besteht.


Was aber treibt SPD, Linke und Gewerkschaften dazu, beim Kesseltreiben gegen die Grünen mitzumachen? An der grünen Politik selbst kann es nicht liegen. Sie ist wirtschaftsliberal, konservativ und an jeder Stelle rennt man noch den erbittertsten Feinden mit ausgestreckten Händen und hinterher bejubelten Kompromissen hinterher. Zwar ist sie die Partei, die Klimaschutz ernster nimmt, als andere Parteien, aber ihre politischen Forderungen sind weit entfernt von dem, was Klimaschutz bedeuten würde.
Die SPD sieht in den Grünen weniger inhaltlich als parteiökonomisch eine Konkurrenz, die ihr regelmäßig den Rang abzulaufen droht und in immer mehr SPD-Städten zur stärksten Kraft aufsteigt. Die Linke sieht in den Grünen hingegen inhaltlich eine Feindin, weil die Grünen das vertreten, was die Linke nie geschafft hat: Eine antifaschistische Politik und damit eine Politik, die den Pazifismus als Helfershelfer von Genoziden erkannt und demontiert hat. Die Linke ist zudem noch aus Sowjetzeiten von russischer Propaganda durchseucht und im Osten sieht sie noch signifikante Wählerpotentiale bei den letzten Kohlearbeiter*innen. Daher verbreitet sie zu Russland und Klimaschutz baugleiche Propaganda wie ihre russlandpolitische Schwesterpartei, die AFD. Parteiübergreifend trichtert man einer ohnehin egoistischen Gesellschaft ein, dass Klimaschutz „sozial verträglich“ sein müsse und allenfalls individuellen, freiwilligen Verzicht, nie aber Verbote oder Preisverschiebungen bedeuten soll. Es läuft in dieser Propaganda darauf hinaus, dass kein Klimaschutz notwendig ist und dass er allen zahlreichen geschmäcklerischen Pläsierchen von Currywurst zum Frühstück bis zum angenehm-archaischen Blubbern der Starkmotoren absolut untergeordnet bleiben soll. Mit der geschlossenen Wendung aller anderen Parteien gegen das Gesetz werden die Grünen zur Partei, die DAS Gesetz vertritt, oder in einem anderen Wort: das Verbot. Der Aufstand gegen das Verbot als Prinzip von Zivilisation nützt den Feinden der Zivilisation, die vor allem das zentralste aller Verbote aushöhlen wollen: Das Tötungsverbot. Zwangsläufig profitiert die AFD von der Propaganda der anderen Parteien, wo diese die künstliche Steigerung des ohnehin extremen Egoismus, den Abbau von Empathie insbesondere für regional oder zeitlich ferne Personen („Ausländer“ und Kinder anderer Menschen) zum Ziel hat und letztlich den an Natur und Drittstaaten deligierten Genozid an Geflüchteten bewirbt.
Solche Propaganda ist im Kern faschistische Propaganda. Sie zielt auf Vernunft ab, weil Vernunft Zweifel bedeutet und mit richtigem Schließen die manipulativen Fehlschlüsse aufdecken kann. Sie zielt auf Wissenschaft ab, weil Wissenschaft Bildung und Wahrheit repräsentiert und beide sind Hemmnisse für den Erfolg der Lügenkabinette, in denen die klimafeindlichen Mehrheitsparteien sich aufhalten. Sie zielt auf Empathie ab, weil Empathie Solidarität erzeugt und Solidarität nicht nur geschäftsschädigend ist, sondern auch ein Menschenbild beinhaltet, das grundverschieden ist vom konservativen Ideal der Einfamilienhausburg von konkurrierenden, allenfalls durch Kirchenchöre und Alkoholismus organisierten Individuen.

Hatte die Adenauerstiftung schon 1998 vor dem grünen „Vampir an der Zapfsäule“ gewarnt, so bewegt sich die antigrüne Propaganda zielsicher zum Antisemitismus, bei dem sich Elsässers Compact-Magazin schon längst bedient: Mit dem grünen Dolchstoß oder der grünen Geldmacherei, der grünen Verschwörung hinterm IPCC, den sexuell umgepolten und verführten Kindern, den entmännlichten Männern und den entweiblichten Frauen. In den Handwerkerforen wird bei jedwedem Problem von Fehlerstrom bis Stagnationswasser ein Rene oder Markus sich finden, der es auf die Grünen zurückführt. Und wenn die Grünen erst an allem schuld sind, ist der logische Schritt, dass sie auch an der Klimakatastrophe schuld sind. Daher wird das Fortschreiten der Klimakatastrophe auch nicht zu einem Erstarken der Grünen führen, sondern zu ihrer umso erbitterteren Bekämpfung.

Der antigrüne Krieg, den die Parteien mit ihren medialen Verstärkern ausgerufen haben, geht mit einer vollständigen Indifferenz gegenüber dem Erstarken der AFD und dem rechten Terrorismus einher, als gebe es ein akzeptables Maß an Rechtsradikalismus, das unbedenklich sei. Das zwangsläufige Ende einer solchen Politik ist die Aushöhlung der Demokratie und das Ende der Möglichkeit der Erziehung zur Mündigkeit.

Boris Palmer und das N-Wort – eine differenzierte Verurteilung

Boris Palmer fiel auf der Konferenz „Migration steuern“ zweimal auf: Einmal vor der Veranstaltung, einmal auf der Bühne. Vor der Veranstaltung meinte er, man würde ihm den „Judenstern anheften“, wenn man ihn als Nazi bezeichne. Eine klassische Täter-Opfer-Verkehrung. Wer als Nazi bezeichnet wird, kann nicht nur gerichtlich wegen „Beleidigung“ dagegen vorgehen und hat häufig Erfolg, er kann auch z.B. Innenminister oder Abgeordneter bleiben oder eben Oberbürgermeister von Tübingen. In keinem Fall muss man befürchten, in ein KZ verbracht und zu Tode gehungert oder anderweitig ermordet zu werden.
Palmer hat sich hier auf Kosten von jüdischen Opfer als Opfer inszeniert und die antisemitische Verfolgung trivialisiert.

Auf der Veranstaltung verteidigte er sein „Recht“, das Wort „Neger“ im Zitat zu verwenden und in der Folge sprach er es fünfmal in kurzer Zeit aus. Seine Rechtfertigung: Es sei wichtig, ob man es „im Kontext“ verwende, also etwa in einer Diskussion darum, ob man „Südseekönig“ oder „Negerkönig“ schreibe. Er gesteht zu, dass das Wort einer Person gegenüber eine Beleidigung sei.

Die wissenschaftliche Zitation ist kein Recht, sondern eine Pflicht. Wer in historischen Quellen ein „N-Wort“ einfügt, verändert die Quelle. Das ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Wer sich mit Propaganda und zumal rassistischer Propaganda befasst, wird auf zahllose verletzende Begriffe und aggressive Sprache stoßen. Von „Kakerlaken“ und „Maggots“, über „Youn“, „Untermensch“ oder „chink“ hin zu „Judensau“ und „Judenschweine“. „Hohe Bäume“ war das Codewort für die Opfergruppe der Tutsi in Rwanda und würde heute ein Radiobeitrag dazu auffordern, die „hohen Bäume“ zu fällen, würde dies unmissverständlich als Aufforderung zum Genozid gelten. Für Opfer von Diskriminierung und Verfolgung kann die Nennung solcher Begriffe retraumatisierend wirken.

Propagandaforschung aber muss rassistische Sprache im Rohzustand zitieren, gerade weil sie verletzend ist, und ihre Charakteristik und Strategie im Detail erforschen. Hier können wir nicht oder nur in Ausnahmefällen auf die individuelle Traumatisierung Rücksicht nehmen, weil es einen erheblichen Unterschied macht, welches spezifische Wort verwendet wurde.

So existieren zwei Begriffe, die mit „N“ beginnen, nämlich der von Beginn an rassistische Begriff „Nigger“ und das zur gleichen Zeit als politisch korrekt eingeforderte Wort „Negro“ oder auf deutsch: „Neger“. In der Quellenarbeit und Quellendiskussion ist unabdingbar, diese Differenzierung im Zitat kenntlich zu machen. Ein Beispiel dafür ist Karl Marx, der sich sowohl politisch gegen die Sklaverei engagierte und in seinen Publikationen das von ihm in seiner Zeit als politisch korrekt erkannte Wort „Neger“ verwendete, dann aber in Briefen Lasalle als „jüdischen Nigger“ beschimpfte, sein ganzes Aussehen hätte „etwas niggerhaftes“. Er selbst wurde wiederum aufgrund seiner tiefschwarzen Haare als „Mohr“ bezeichnet. Alle diese Begriffe sind heute Beleidigungen und von der Hautfarbe ist prinzipiell als Merkmal abzusehen. Wo sie tatsächlich, z.B. in der Hautmedizin bei der Vorsorge gegen Hautkrebs oder Vitamin-D-Mangel, relevant ist, hat sich der Begriff „schwarz“ eingebürgert.

Auch innerhalb des schwarzen, amerikanischen Slangs wurde diese Unterscheidung getroffen, auch wenn der Begriff „Nigger“ dort als Selbstbezeichnung in vermeintlich emanzipatorischer Praxis verwendet wird. Wer sich die konkrete Verwendung ansieht, wird unschwer erkennen, dass es mit der „emanzipatorischen Aneignung“ nicht weit her ist, und dass seine Verwendung innerhalb schwarzen communities von kollektiver Abwertung und internalisiertem Rassismus durchdrungen ist. „Black“ ist auch dort zum akzeptierten Begriff geworden, wohl wissend, dass er nicht die reale Hautfarbe beschreibt, sondern politisch bleibt.

Boris Palmer ist aber gewiss kein Propagandaforscher. Er schrieb 2016 in einem Beitrag „Mohrenkopf“ ohne Anführungszeichen, weil er einforderte, dass die Süßspeise so heißen dürfen muss. Er zitiert auch Astrid Lindgren nicht, um die Umschreibung des Buchs zu fordern, die Herausnahme von Begriffen, sondern weil er möchte, dass da weiter Begriffe stehen, die bereits bei Astrid Lindgren in einem rassistischen Kontext stehen, den ich an anderer Stelle ausführlich erläutert habe. So ist die Imagination eines weißen Königs, der einer schwarzen Inselgesellschaft „Ordnung“ beibringt, rassistisch, ob er jetzt Südseekönig oder „Negerkönig“ genannt wird und ebenso verletzend ist Pippi Langstrumpfs Wunsch, von einem „eigenen“ schwarzen Diener von oben bis unten mit Schuhcreme eingerieben zu werden. Weder mit solchen Fantasien noch mit rassistischen Begriffen sollten schwarze Kinder beim Vorlesen vergnüglicher Abenteuer konfrontiert werden, und weiße Kinder sollten tunlichst nicht daran gewöhnt werden.

Kurz: Eine Zitation, die eindeutig der Abschaffung der alltäglichen Verwendung der Begriffe dient, ist nicht nur zulässig, sondern als wissenschaftliche vorgeschrieben. Wer wie Boris Palmer zitiert, um möglichst oft diese Begriffe „legal“ zu verwenden oder wer sich wie Boris Palmer für ihre Weiterverwendung im populären Diskurs einsetzt, ist eben Rassist. Er hat völlig recht, dass es auf den „Kontext“ ankommt. Sein „Kontext“ ist aber aufgrund seines bisherigen „Engagements“ ein rassistischer.

Umso bedenklicher ist, dass er von Prof. Dr. Susanne Schröter eingeladen wurde. Schröter hatte zuvor für die rechte Denkfabrik R21 bereits die Konferenz „Wokes Deutschland – Identitätspolitik als Bedrohung“ durchgeführt. Nicht nur war die Wahl der Sprecher*innen klar rechtslastig und nicht an wissenschaftlicher Qualifikation orientiert. Die Referentin Kristina Schröder verstieg sich dort zu der Behauptung: „Ich glaube, dass die woke Bewegung gerade die größte Gefahr für unsere Gesellschaft darstellt.“ Auch dies ist eine eklatante Täter-Opfer-Verkehrung, die den täglichen Terror durch Rechtsextremisten verharmlost. Das Engagement gegen „woke Sprechverbote“ musste von Menschen wie Palmer eindeutig als Aufforderung gelesen werden, auch mal zu schwätzen, wie einem der rassistische Schnabel gewachsen ist, mitsamt „Mohrenkopf“ und „Negerkönig“. Dass sich Schröter nun selbst als „woke“ präsentiert, indem sie sich von Palmer für dessen Auftritt distanziert, ist nicht nur unglaubwürdig, es hat vielmehr den Anschein, als wäre es vorab einstudiertes Programm.




Der islamische Geschichtsmythos – Antiisraelische Geschichtsklitterung in der taz

2019 stieg Susanne Knaul 2019 aus Altersgründen aus der Nahostkorrespondenz der tageszeitung aus und meldete sich seitdem immer seltener. Moshe Zuckermann hatte sich bereits 2015 zurückgezogen, und auch Micha Brumlick schreibt seit einiger Zeit keine „postzionistischen“ Stellungnahmen mehr. Es gab begründete Hoffnungen, dass die harte antiisraelische Propaganda abebben könnte, die die taz für viele Antifaschist*innen unlesbar machte.

Die Nachfolge von Susanne Knaul übernahm Judith Poppe. Sie schreibt seit 2015 für die taz und mittlerweile fast wöchentlich über Israel. Poppe bemüht sich auf den ersten Blick durchaus glaubwürdig, Differenzierung durch Porträts und Zitate zu erreichen. Allerdings nennt sie den arabisch-islamischen Geschichtsmythos nicht im Ansatz als Konfliktursache. Bei ihr setzt die Geschichte des Staates Israel immer wieder 1948 ein, als hätte es davor keinen Konflikt gegeben, keine Jüdinnen und Juden in Israel. Durch den Ausfall kritischer Fragen stützt sie immer wieder das arabische, antisemitische Narrativ.

Im Interview „Die Nakba ist lebendige Gegenwart“ mit Bashir Bashir lässt sie diesen unwidersprochen den arabischen Geschichtsmythos wiederholen: Der jüdisch-israelische „Siedlerkolonialismus“ sei ein assymetrischer Konflikt zwischen „Besatzern und Unterdrückten“. In Wirklichkeit ist die Assymetrie genau anders herum gelagert, weil die islamischen Staaten ein Vielfaches an Armeen, Ressourcen und ein vielhundertfaches an Landmasse verfügen und dabei die nichtjüdischen Araber*innen in Westjordanland und Gaza stets als Brückenkopf verstanden haben. Ebensowenig interessiert der Konflikt mit den hochgerüsteten Armeen der Hisbollah und der Hamas, deren Terror sich primär gegen die Zivilbevölkerung richtet und auf eine Vertreibung von Jüd*innen nach dem Vorbild von Gaza abzielt.

Die militärische Rationalität der Siedlungen wird vollständig unterschlagen. Die jüdischen Städte und Dörfer in Judäa und Samaria (Westbank/Westjordanland) sind primär Erben der zionistischen Wehrdörfer. Sie sichern heute den winzigen, extrem verwundbaren israelischen Staat gegen Raketenterror von den Höhen der Berglandes, vor Kampfjets und gegen Militärfahrzeuge im Jordantal. „Verteidigbare Grenzen“ und „Strategische Tiefe“ sind für die israelische Gesellschaft ein unverbrüchlicher Teil des Existenzrechts inmitten eines extrem volatilen, unberechenbaren Umfeldes zwischen einem autoritär regierten Ägypten mit starker Muslimbruderschaft im Westen, dem Islamischen Staat und Al-Qaida im Sinai und als Zellen in allen Nachbargesellschaften, einer krisenhaften islamistisch regierten Türkei am anderen Mittelmeerufer, der Hisbollah im Norden, Al-Qaida und Assad im Nordosten und der Fatah, dem Islamischen Jihad und der PFLP im Osten. Israel muss seine Verteidigung gegen genozidale Exkursionen islamistischer Abenteurer auch in die mittlere und ferne Zukunft planen.

Der islamische Mythos Bashirs radiert die jüdische Geschichte des Landes ebenso aus wie die antisemitische Geschichte der islamischen Gesellschaften.

„Die jüdische Frage ist ursprünglich keine palästinensische Frage, keine östliche oder muslimische. Die jüdischen Siedler*innen, die nach Palästina eingewandert sind, waren europäische Bürger*innen und Opfer des Rassismus. Das christliche Europa ist aufgrund seines Antisemitismus daran gescheitert, diese Bürger*innen zu integrieren und zu schützen.“

Seriöser, informierter Journalismus müsste diesen Mythos sofort hinterfragen, weil er eine Täter-Opfer-Verkehrung beinhaltet und den Konflikt im Interesse des islamischen Chauvinismus auf ein westlich-koloniales Problem reduziert. Etwa eine Million Jüdinnen und Juden wurde aus der islamischen Welt vertrieben. Sie bilden die Schicht der Mizrachim, der „arabischen“ Jüdinnen und Juden, die sich selten als solche bezeichnen, sondern häufiger als irakische, tunesische oder persische. Sie sind der Grund, warum es falsch ist, von einem „Konflikt zwischen Juden und Arabern“ zu sprechen. Es ist ein Konflikt zwischen nichtjüdischen Araber*innen (atheistische, christliche, islamische uswusf.) und Jüdinnen und Juden (atheistische, orthodoxe, säkulare, christliche, arabische, portugiesische, chinesische, äthiopische, amerikanische uswusf.).

Es ist der islamische Chauvinismus, der keine emanzipierten Juden dulden konnte, von Jüdinnen gar nicht zu reden. Der islamische Chauvinismus diskriminierte die jüdische Bevölkerung seit der Vernichtung der jüdischen Stämme durch Mohammed, die nach den Massakern im Koran mit einer „jüdischen Verschwörung“ gegen ihn legitimiert wird, und im Zuge der folgenden Eroberung der arabischen Halbinsel. Sie sollten Synagogen nicht renovieren, diese durften offiziell nicht höher als die Häuser der Muslime sein, sie mussten einen gelben Fleck tragen, nur auf Eseln reiten, durften keine Waffen tragen und mussten hohe Schutzsteuern zahlen, die schließlich noch im späten osmanischen Reich als Instrument verwendet wurden, um die jüdische Bevölkerung in Palästina zu vergraulen. Pogrome waren auch im Mittelalter bekannte Erscheinung in der islamischen Welt, und mit dem Aufstieg der Nazis nahmen sie an Zahl zu. 1941 ermordete ein antisemitischer Mob im Farhuk, dem großen Pogrom von Bagdad, bis zu 600 Jüdinnen und Juden. Hauptverantwortlich für die Ausschreitungen: der Mufti von Jerusalem.

Das Jordantal und die benachbarten Anhöhen waren über Jahrtausende kontinuierlich von Jüdinnen und Juden besiedelt. Aus dem, was heute „Westbank“ genannt wird, wurden Jüdinnen und Juden erst durch arabische Pogrome, z.B. aus Hebron 1929 vertrieben. Es war der islamische Antisemitismus, der einen jüdischen Staat mit einer islamischen Minderheit nicht akzeptieren konnte und seitdem jedes Friedensabkommen sabotierte. Das zu wissen und entsprechend Geschichtsmythen kritisch zu hinterfragen sollte Aufgabe einer informierten Nahostkorrespondenz sein.

In anderen Artikeln schaffte es Poppe nicht einmal, eine klare Ablehnung von antisemitischen Propagandabegriffen wie „Apartheid“ zu formulieren. Im Artikel „Streit um Israel“ wird die reale Apartheid in Südafrika mit ihrer strikten Trennung der Hautfarben in „Rassen“ und ihrer dezidiert rassistischen Ideologie auf Sicherheitspolitik und Diskriminierungserfahrungen reduziert und verharmlost.

„Ist das alles Apartheid? Die Debatte darum wird in westlichen Ländern und unter der jüdischen Bevölkerung Is­raels erhitzt geführt. Doch die meisten Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Dschisr az-Zarqa, Hebron und Jaffa interessiert vor allem eines: Dass ihre Situation, wie auch immer die internationale Gemeinschaft sie bezeichnen möge, in der Welt bekannt wird.“

So kann man sich enthalten und doch Stellung beziehen. In einem anderen Artikel, „Glaubwürdigkeit verspielt„, differenziert sie das dann so:

„Der Begriff Apartheid kann auf die Lebensbedingungen im Westjordanland angewandt werden, ohne dass es abwegig scheint: die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen leben dort seit 1967 unter israelischer Militärherrschaft. Jedoch zu behaupten, dass die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Israel unter einem Apartheidsregime leben, ist absurd – auch wenn auch sie ohne Frage unter Diskriminierung leiden.“

Apartheidvorwurf ja, aber nur in der Westbank – das ist die Botschaft Poppes. Die Militärherrschaft mag unangenehm sein, sie ist aber nicht das Produkt rassistischer Ideologie wie in Südafrika und dementsprechend sind Mischehen legal, Soldat*innen schützen auch nichtjüdische Araber*innen vor Terror und Ehrenmorden, und in der israelischen Armee dienen auch Muslime und Araber*innen. Es ist nicht nur verharmlosend, es ist eine Täter-Opfer-Verkehrung, hier einen jüdischen Apartheidstaat am Werk zu wähnen. Schließlich gibt es Konfliktparteien, die tatsächlich seit Jahrzehnten die Ausrottung der Gegenseite propagieren: Der Islamische Jihad, die Hamas, die Fatah und auch die PFLP, die sich mit Selbstmordattentaten ebenso brüstet wie mit Raketenterror gegen Schulkinder. Wenn ein Jude sich in autonome Teile der Westbank wagt, etwa um das Josefsgrab zu besuchen, riskiert er, gelyncht zu werden.

Poppes Narrative und ihre Weglassungen und Verkürzungen sind nicht außergewöhnlich, sondern nach wie vor Standard des deutschen Journalismus und der Universitäten. Die völkerrechtlich verbrieften Ansprüch Israels auf den Stand der Balfour-Deklaration auch nur hypothetisch zu vertreten, gilt als extremistisch, den uralten, im Koran verankerten islamischen Antisemitismus als hauptsächliche Konfliktursache zu benennen als anrüchig, wo die Importthese (vor der Damaskus-Affäre habe es keinen islamischen Antisemitismus gegeben) und die Golden-Age-Fantasie (der jüdischen Minderheit sei es unter islamischer Herrschaft immer gut gegangen) immer noch von Professor*innen vertreten werden – was in Sachen fachlicher Inkompetenz vergleichbar wäre mit der Behauptung eines Historikers, Hexenjagden hätten nur im Mittelalter stattgefunden oder Frankreich würde von Wikingern regiert.

Die taz bietet nach wie vor keine faktenbasierten Einblicke in die Realität des Konfliktes und seiner Ursachen. Dass sie damit nicht alleine ist, macht es nicht besser.








Der identifikatorische Sog des Stalinismus

Als die Hongkong-Proteste 2020 gipfelten, ließ sich in Köln ein seltsames Schauspiel antreffen: Eine Gruppe von chinesischen „Aktivist*innen“ hatte ein Zelt aufgebaut und gab Brötchen und Tee aus, während an Reisende Flugblätter und CD’s zu den Protesten in Hongkong verteilt wurden. Was von außen aussah wie eine Solidaritätsaktion entpuppte sich bei Lektüre des Materials als eine Denunziation der Proteste als Terrorismus und wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von der chinesischen Botschaft finanziert. Als wäre das nicht genug, ertönten Schallmeien und ein Zug von etwa 100 Menschen allen Alters betrat den Bahnhofsplatz vor dem Dom, Plakate der sozialistischen „Helden“ von Lenin über Stalin bis Mao hochhaltend. In der Bahnhofsbuchhandlung wurde unterdessen die von Jörg Kronauer auf die prorussische Position getrimmte Zeitschrift „konkret“ neben dem ebenso russlandtreuen Magazin Compact verkauft.

Differenzen faschistischer und linker Propaganda

Über ein Jahrhundert hinweg konnten sowjetische und maoistische Propaganda Narrative erproben und testen. Die flexible Anwendbarkeit dieser Narrative macht viel des Wiederholungscharakters innerlinker Debatten und Konflikte aus. Linke Ideologie ist ein Problem nicht weil sie links ist und ihr Versprechen umzusetzen droht, sondern weil sie Propaganda aufsitzt und so ihr eigenes, selbsterklärtes Versprechen sabotiert. Wo der Faschismus den Sog zur kollektiven Identifikation mit dem Aggressor anfacht, verlegte sich die rote Propaganda darauf, die Identifikation konformistischer Rebellen mit Opfern zu manipulieren und kanalisieren. Das Ideal des Faschismus ist der „unschuldige Verfolger“, der den „imaginary foe“ bekämpft und den „Notstand“ anerkennt, unter dem die Sklaverei und Massenmord eingeführt werden „dürfen“ und „müssen“. Dafür inszeniert der Faschismus künstliche Krisen wie „Umvolkung“, „Reinheit des Blutes“, „Verlust der Männlichkeit“. Die „kommunistische“ Propaganda wählt hingegen meist einen realen Gegner und richtet sich an reale Opfer. Sie wurde und wird seriell Betrug an den Opfern, weil sie ein echtes und berechtigtes Interesse an einem Aufstand für ihre zynische Machtpolitik instrumentalisiert und langfristig die Idee eines Aufstandes verdirbt, korrumpiert und sabotiert.
Zerstört die faschistische Propaganda effektiv die empathische Solidarität, die sie in aggressive, mitleidslose Volksgemeinschaft verwandelt, so zerstört die „kommunistische“ Propaganda effektiv die Idee des Kommunismus als Sache von Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Sie ist im Wesentlichen keine Propaganda für die „dummen Kerls“, kein Agitprop mit Schalmeien zur Hebung der allgemeinen Stimmung, wie ihn die Sowjetunion und später Russland auch produzierte, sondern Pseudowissenschaft für gebildetere Menschen. Dabei arbeitet sie auf das punktuelle Unterlaufen von Vernunft hin. Es wird nicht, wie im Antisemitismus, ein vollständig wirres Wahnbild präsentiert, sondern ein bestimmtes Element in einem Set von raffiniert drapierten Fakten versteckt.

Das psychologische Angebot von Propaganda an die deutsche Linke ist Entlastung von Schuld. Für die Sowjetunion und heute Putin nützlich war der Pazifismus, der sich von Kriegsgelüsten freisprach, und diese auf das Verteidigungsbündis NATO projizierte und so von Sowjetrussland ablenkte.
Die Sehnsucht nach starken Kollektiven, Waffen, Sieg und Ruhm ist aber unter Linken und da vor allem bei den Männern tendenziell ebenso ansprechbar. Das weiß Putins Propagandapparat und daher war für Putin nichts einfacher, als die Kolonisierung der Ukraine als antifaschistischen Krieg in der Tradition des „Großen Vaterländischen Krieges“ zu präsentieren, bei dem man die richtige Seite zu wählen habe. Die realen faschistischen Tendenzen in der Ukraine wurden ins Riesenhafte gesteigert, kollektiviert, die eigenen faschistischen Tendenzen dahinter versteckt und die Aggression als Präventivkrieg verkleidet.

Weil aber nur die „dummen Kerls“ der AFD sich mit Putin als starkem Mann identifizieren, ist es für linke Narrative obligatorisch, Putin zwar zu kritisieren, die Kriegsschuld jedoch rigoros auf die NATO zu projizieren. Dieser linke Revisionismus erfuhr einen berechenbaren Höhepunkt mit den Feiern zum 8. Mai, dem sogenannten „Tag der Befreiung“. Warum ich das rituelle (Ab-)Feiern dieses Tages ablehne, habe ich auf diesem Blog in den Beiträgen „Antideutsche Regressionen“ und „Der Krieg schlummert nur“ begründet. Putins Ankündigung, ihn wie 1945 zu feiern und gleichzeitig mit einem Weltkrieg zu drohen, unterstreicht erneut die Bedeutung dieses Feiertags für den russischen Nationalismus.

Die Autorin der Novaya Gazeta, Julia Latynina, schrieb dazu den Artikel „Vom Kult des Sieges zum Kult des Krieges„, der in der deutschen tageszeitung beigelegt war. Die Autorin ist, wie ein anderer Artikel der tageszeitung kritisiert, rechtsliberale Klimaleugnerin, Antifeministin und sympathisiert kurioserweise mit Kadyrow. Im Artikel benennt sie zunächst korrekt die offensichtliche Mimese Putins an Stalin. Dann jedoch schreibt sie:

„Amerikanische Politiker, Zeitungen und Filme gaben sich alle Mühe, ihre Verbündeten in einem möglichst günstigen Licht erscheinen zu lassen und Hitler als einzigen Schuldigen am Krieg zu entlarven. Dabei wurde sogar vergessen, dass Stalin in den beiden ersten Jahren des Krieges ein Verbündeter Hitlers gewesen und dieser Krieg eine Woche nach der Unterzeichnung des Molotow-Ribbentrop-Paktes ausgebrochen war.

Die tatsächliche Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist, dass Stalin diesen Krieg geplant hatte, der die ganze Welt erfassen und erst enden sollte, wenn auch noch die letzte argentinische Sowjetrepublik ein Teil der UdSSR geworden sein würde. Er hatte diesen Krieg geplant – lange bevor Hitler an die Macht kam.“

Damit folgt sie offenbarg einer These Viktor Suvorovs, der mit seinem Buch „Icebreaker“ die „Offensivplankontroverse“ auslöste. Seiner These zufolge bereitete Stalin von langer Hand einen Angriff auf Deutschland vor. Auch wenn diese These vor allem in Russland und Osteuropa durchaus diskutiert und mehrheitlich dann verworfen wurde, bot sie einen Nährboden für rechten Revisionismus und seine Schuldentlastungsstrategie, die sich in der Verbrämung des Unternehmen Barbarossa als „Präventivschlag“ artikuliert. Latynina bedient diesen Revisionismus mit der Rhetorik vom zweiten „Schuldigen“. Kurioserweise folgt sie jedoch implizit auch den bei weiten nicht nur unter Linken verbreiteten Mythen über den Stalinismus als funktionierender Modernisierungsdiktatur, die das Sowjetreich „fit“ gegen Hitler gemacht hätte.

Der leninistische Mythos

Dass Rechtsradikale und Konservative im Revisionismus und der Überzeichnung der sowjetischen Terrorherrschaft und Bedrohung Schuldentlastung suchen, schafft nicht das Problem des Stalinismus aus der Welt. Die Sowjetunion war unter den Bolschewiki zu exakt dem Gefängnis geworden, das Rosa Luxemburg 1904 in der Zentralismusdebatte vorhersagte. Die konterrevolutionären Bewegungen wurden mit rotem Terrorismus und den im Spartakusbund heftig kritisierten „Geißelerschießungen“ bekämpft. Von der Gründungsphase der Sowjetunion an wurde die blutige Tradition des Zarismus mit seinen Gefängnislagern nicht ausgelöscht, sondern weiter kultiviert und fortgeführt. Es gab keinen Bruch mit politischer Gewalt, der Zarismus ging in die „jakobinisch-blanqistische“ Tradition über, die Luxemburg Lenin vorwarf. Die Bereitschaft, das Leben von Millionen zu dirigieren, organisieren und letztlich dann auch Millionen zugrunde zu richten, war fester Bestandteil des Leninismus.

Hier bietet ein linkes Narrativ Entlastung: Erst unter dem permanenten Druck der Konterrevolution, der „Weißen“, seien „die Roten“ zwangsweise autoritär geworden, der rote Terror bedauerlich, aber unvermeidlich und nach Todesopfern weniger mörderisch als der weiße Terror gewesen. Ebenso werden die wirtschaftlichen Folgen bagatellisiert und „in den historischen Kontext“ gestellt. Lenin wird vom Verrat am kommunistischen Glücks- und Freiheitsversprechen freigesprochen, um dem identitären Sog eines mächtigen, historisch realisierten kommunistischen Kollektivs nachzugeben. Es gab sie eben doch, die glorreiche kommunistische Revolution.
Putin reaktiviert diesen leninistischen Geschichtsrevisionismus der Linken: unter dem Druck der NATO mit ihren verbündeten „Kosaken“ und „Nazis“ müsse Russland harte Hand walten lassen. Er kann sich darauf verlassen, dass von zumindest signifikanten Teilen der Linken der Ukrainekrieg als Wiederholung des Bürgerkriegs in der Sowjetunion gelesen wird. Die NATO, ein desorganisiertes Verteidigungsbündnis ohne die rechtliche Möglichkeit, Land zu annektieren, und ohne die militärische Kompetenz, ein Land wie Afghanistan zu halten, erscheint als Wiederkehr westlicher Staaten, als Unterstützer der „Weißen“, als konterrevolutionärer Marodeur am neuen Russland.

Der stalinistische Mythos

Der stalinistische Geschichtsrevisionismus ist indes komplexer, weil Stalin unverblümter noch als Lenin den Staatsterrorismus kultivierte. Die Kollektivierung bedeutete längst nicht mehr Befreiung von Leibeigenen und Umverteilung von Land, sondern den Schritt in die offene Sklaverei des Gulag-Systems. Die Gewalt der „Großen Säuberung“ mit bis zu 1000 Morden täglich und die Moskauer Schauprozesse von 1936-1938 machten allen aufrechten Marxist*innen klar, dass sie in Sowjetrussland unter Stalin nur der Tod erwartete. Konsequent flohen alle Vertreter der Kritischen Theorie in die USA, sofern sie es schafften.

Der linke Revisionismus setzt hier darauf, die Gewalt nicht, wie es anstünde, in ein Verhältnis zu setzen, sondern unter Verweis auf den Holocaust und das Wüten der Wehrmacht insbesondere in Russland vollständig verschwinden zu lassen. Die Entwicklungen unter Stalin in den Blick zu nehmen, wird selbst als „revisionistisch“, als antikommunistisch denunziert – als wäre es historisch nicht zuallererst Angelegenheit der Linken gewesen, Stalin zu kritisieren. Es wird suggeriert, es gebe nur die Wahl zwischen der roten Armee und der Wehrmacht, eine Wahl, die nach dem Krieg besonders leicht fällt, weil sie nur aus Identifikation besteht.
In einem zweiten Schritt wird die Gewalt dort, wo sie sich nicht leugnen lässt, zur Entwicklungsdiktatur erklärt: Stalin habe ein Entwicklungsland zu einem Industrieland gemacht. Die wirtschaftliche Entwicklung gibt jedoch kein klares Bild her. Das Wirtschaftswachstum bleibt jedenfalls weit hinter vergleichbaren Staaten wie Japan zurück und ein Vorsprung des Stalinismus gegenüber einer Fortführung der NEP oder zaristischer Wirtschaftsweise lässt sich in Modellrechnungen nicht erkennen.

Sah Marx in der ursprünglichen Akkumulation die Gewalt des Feudalismus als Schlüsselmoment für die Schaffung eines mittellosen Industrieproletariats aus früheren Bauern, so wiederholte Stalin die feudale Gewalt, um Industriearbeiter vom Land in die Städte zu zwingen. Dabei war Zahllose Bauernaufstände waren die Folge. Die Verachtung für das Leben der Bäuer*innen war gerade in den Arbeiter- und Bauernstaaten, später im Maoismus besonders ausgeprägt. 1921 sagte Lenin auf dem X. Parteitag der KPdSU:


„Der Bauer muss ein wenig Hunger leiden, um dadurch die Fabriken und die Städte vor dem Verhungern zu bewahren. Im gesamtstaatlichen Maßstab ist das eine durchaus verständliche Sache; dass sie aber der zersplittert lebende verarmte Landwirt begreift – darauf rechnen wir nicht. Und wir wissen, dass man hier ohne Zwang nicht auskommen wird – ohne Zwang, auf den die verelendete Bauernschaft sehr heftig reagiert.“

2-5 Millionen Menschen starben 1921-24 in der Sowjetunion an Hunger. Dass die Ursachen mindestens zu einem großen Teil politische waren, gestand Lenin immerhin in der Änderung der Wirtschaftspolitik ein. Auch wenn die Industrialisierung und Elektrifizierung in der Sowjetunion wie auch global voranschritt, lässt sich in der konkreten Politik kein Merkmal einer Entwicklungsdiktatur finden – im Gegensatz dazu aber zahllose extrem kontraproduktive Maßnahmen. Kasachstan verlor in den großen Hungersnöten unter Stalin 1930-1934 ein Drittel seiner Bevölkerung, die Ukraine im Holodomor zwischen drei bis sieben Millionen Menschen. Hungersnöte zeichnen auch die Überlebenden teilweise lebenslang. Die den Hungernden für den Export geraubten Getreidemengen konnten nicht einmal den Anspruch erheben, zur Industrialisierung nennenswert beizutragen. Sie waren Ausdruck der Verrohung des stalinistischen Regimes und die Rationalisierung der Hungersnöte zu „notwendigen Kriegsvorbereitungen“ oder die Verharmlosung zu „multifaktoriellen Katastrophen“ heute trägt die gleichen Züge der Verrohung.

Es ist ex post nicht belegbar, dass die Sowjetunion ohne Stalin besser für den Krieg gegen Deutschland gerüstet gewesen wäre. Die Ermordung der gesamten militärischen Elite im Zuge des „Großen Terrors“ gilt jedoch gemeinhin als entscheidender Faktor für die militärische Schwäche der Sowjetunion, die gewaltigen Verluste und die rasche Eroberung Westrusslands durch die Wehrmacht. Der militärtechnologische Rückstand in den Bereichen der selbstladenden Gewehre und Maschinenpistolen wurde erst im Winterkrieg gegen Finnland und während der Konfrontationen mit der Wehrmacht erkannt und führte zur Entwicklung des erst Jahre nach dem Krieg fertig gestellten, glorifizierten AK-47.
Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und militärisch als irrational zu bewerten war auch die vom NKVD gemeinsam mit der Gestapo betriebene Zerschlagung des polnischen Widerstandes sowie die Unterdrückung von ethnischen Minderheiten durch eine demozidale (durch Morde auf Dezimierung bedachte oder diese durch Hunger und Elend in Kauf nehmende) Umsiedelungspolitik.

Stalins Angriffe trafen auch die Wissenschaften als Repräsentanten objektiver Kritik: Astronomie, Statistik, Geschichtswissenschaften wurden dezimiert, zensiert, eingeschüchtert. Kunst, Theater und Journalismus, durchaus für den Krieg relevante Institutionen, wurden durch den wahllosen Terror praktisch stillgelegt. Mit dem von Stalin begünstigten Trofim Denissowitsch Lyssenko erhielt zudem ein notorischer Antiwissenschaftler Zugriff auf die Landwirtschaft Russlands. Als er 1938 zum Präsidenten der Sowjetischen Akademie für Landwirtschaftswissenschaften ernannt wurde, bedeutete das das Ende der wissenschaftlichen Biologie in Russland. Wie sehr der Ausfall der Biologie und insbesondere der Genetik auf den Krieg Einfluss hatte, ist nicht bekannt. Seine in der Nachkriegszeit zur vollen Gewalt kommende Politik erzeugte jedoch Missernten nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in China, wo seine Ideen Einfluß hatten. Und nicht ganz zufällig erlebt Lyssenko im neuen Russland ein Revival, das sich aus der Stalinbegeisterung in Russland und dem Bedürfnis nach russischer „Exzellenz“ speist.

Roter Faschismus

Die militärische Schwäche und der terroristische, personenzentrierte Charakter der stalinistischen Diktatur war maßgeblich der Grund dafür, dass sich die Alliierten von einem Bündnis mit Stalin gegen Hitler wenig versprachen oder darin sogar ein Risiko sahen und daher Bedingungen stellten, die wiederum Stalin als vermessen erschienen. Dass die Alliierten jedoch ernsthaft ein Bündnis gegen Hitler anstrebten, wird an dem Entsetzen deutlich, das der im Geheimen ausgehandelte Ribbentrop-Molotov-Pakt zwischen Hitler und Stalin auslöste. Allen Beteiligten war klar, dass dieser Pakt den Krieg wahrscheinlicher machte und nicht verhinderte. Er ermöglichte Hitler den Zugriff auf die Produktivkraft der Beneluxstaaten und Frankreich, sowie Teile Polens und Osteuropas. Stalin erhielt im Gegenzug Zugriff auf die Produktivkräfte in den von der Sowjetunion annektierten Regionen. Dabei war ihm die Zerschlagung der nationalen Widerstandsbewegungen wichtiger als konkrete Kriegsvorbereitungen zu treffen und sich aus einer Position der Stärke heraus Bündnispartner zu schaffen. Stalin zerstörte vor 1941 noch den letzten Rest dessen, was der Leninismus von der Idee einer kommunistischen Sowjetunion übrig gelassen hatte. Sein Terror hatte kein andere Ratio als den eigenen Machterhalt und seinen sadistischen Lustgewinn am Massenmord und Deportationen. Unter Stalin wurde die Sowjetunion endgültig das, was die bürgerlichen Antikommunisten ihr vorwarfen und was der Faschist Benito Mussolini an Stalin freudig begrüßte: roter Faschismus.

Präsent waren alle Kernelemente des Faschismus: Führerkult, Nationalismus, Zensur, Sklaverei, Militarisierung der Gesellschaft, Mord als politisches Mittel, Glorifizierung des Todes. Noch während des Krieges kündigt sich der Antisemitismus Stalins an. Den 1944 verlautbarten Vorschlag des Jüdischen Antifaschistischen Komitees, auf der befreiten Krim einen jüdischen Staat zu errichten, entgegnet Stalin laut Chruschtschow:

„Sie versuchten, einen jüdischen Staat auf der Krim zu gründen, um die Krim von der Sowjetunion loszureissen und einen Vorposten des amerikanischen Imperialismus auf unserem Boden zu errichten, der eine unmittelbare Bedrohung der Sicherheit der Sowjetunion darstellen werde. In dieser Richtung ließ Stalin seiner Einbildungskraft wild die Zügel schiessen. Er war von manischer Rachsucht besessen.“

Dass die Sowjetunion von einer einmaligen historischen Chance auf eine freie, gerechte Gesellschaft zur terroristischen Gewaltherrschaft einer kleinen Parteielite wurde, begründet die bis heute fortwirkende Tragödie des Kommunismus.
Das zu konstatieren bedeutet nicht Schuldentlastung, sondern Frustration. Die Opfer des Nationalsozialismus hatten keinen verlässlichen Bündnispartner, sie mussten Israel gründen.
Nicht, dass Stalin einen Krieg gegen Deutschland vorbereitete, ist ihm zur Last zu legen, sondern dass er es nicht hinreichend tat. Stalins Rote Armee war ein Instrument des roten Faschismus, lieferte Widerstandskämpfer den Nazis aus und bekämpfte die Nazis erst dann, als Deutschland die Sowjetunion überfiel.

Weil der Zustand der sowjetischen Armee desaströs und die Verluste gigantisch waren, war Stalin daher auf die kriegsentscheidenden Lend-Lease-Militärhilfen aus den USA angewiesen. Trotz des Ribbentrop-Molotov-Paktes waren die Alliierten bereit, Russland mit massivem Einsatz von Militärmaterial zu unterstützen und praktisch die gesamte Kriegsökonomie bis hin zum Brot zu tragen.
Die USA haben angesichts der Bedrohung durch Deutschland in Kauf genommen, Stalins mörderisches System vor dem vollständigen Zusammenbruch zu retten und seine rote Armee auszustaffieren.

Was den Holocaust angeht: Ex post haben weder Alliierte noch Sowjetunion hinreichend zur Rettung der Jüdinnen und Juden und zur Verhinderung des von Hitler geplanten und mehrfach gegen alle Beteiligten begonnenen Krieges interveniert. Kollaborierte Stalin durch das Rippentrop-Molotov-Abkommen militärisch mit Hitler, so kollaborierten England und die USA sowie alle an der Konferenz von Evian beteiligten Mächte durch die Abweisung von jüdischen Geflüchteten, die in den Holocaust zurück geschickt wurden oder keinen Ausweg z.B. nach Israel erhielten.

Der Putinistismus und die Linke

Die heutigen Feiern zum 8. Mai in Russland zehren vor allem von Geschichtsmythen zum Stalinismus und Leninismus. Russland, die ewig von außen bedrohte Großmacht, die ruhmreich über ihre Feinde siegt. Hauptinstrument ist die Suggestion einer Wahlwiederholung: zwischen roter Armee und Hitler, zwischen Z-War und „NATO-Faschismus“. Putin benötigt dabei nicht einmal mehr den frenetischen Jubel, den Stalin einforderte. Für ihn genügt, wenn seine Unterstützer im Westen ihn in demokratischer Tradition zwar durchaus „kritisch sehen“, womöglich auch den Angriffskrieg verurteilen, aber dann die NATO und ukrainische Faschist*innen dafür verantwortlich machen. Er tritt nicht als Faschist auf, sondern als Antifaschist. Die rechten Parteien Europas stehen ohnehin hinter ihm, lediglich die härtesten Kerne der Neonazis, z.B. der „III. Weg“, haben sich auf die Seite der Ukraine gestellt. Putins Propaganda richtet sich daher explizit an Linke, hier versucht er zu überzeugen und sich zu rechtfertigen, zu spalten und zu verwirren.
In Teilen der Linken konnte die Identifikation mit der Roten Armee überleben, indem man zwar das eine oder andere als bedauernswert und Irrweg bezeichnet, aber insgesamt eine Wahl zwischen Hitler und Roter Armee aufgemacht wird, die sich historisch allein für vom Krieg betroffene Menschen in Osteuropa stellte.
Rechte revisionistische Tendenzen mit ihrem Hautpinteresse der Schuldabwehr werden instrumentell als Popanz einer quasi nicht mehr existenten Kriegsschulddebatte eingeführt, um sich eine echte Kritik des Stalinismus zu ersparen. Diese „echte Kritik“ will man in einem letzten Verteidigungsschritt noch an intensive Literatur auslagern. Man müsse den Stalinismus erst studieren und „verstehen“, um ihn kritisieren zu können.

Dabei sind die Verbrechen Stalins und mittelbar Lenins gegen die Menschlichkeit so offenbar, so offensichtlich, dass eine lebendige, somatische Moral im Sinne Adornos Moralphilosophie Anspruch erheben darf, sich zu distanzieren, in Ekel abzuwenden von den Inszenierungen und Rationalisierungen. Man tut so etwas nicht. Selbst wenn es den Kriegsvorbereitungen gegen die Nazis tatsächlich genützt hätte – was es nicht hat.

Ein Kommunismus, der nicht in Schrecken vor dem Leninismus und dem Stalinismus zurücktritt, ist keiner. Kommunismus, darauf ist zu beharren, bedeutet Freiheit UND Gerechtigkeit, bedeutet die Abschaffung von Folter und Todesstrafe, bedeutet, vor politischem Mord sicher zu sein und nicht, ihn zu exekutieren, zu glorifizieren und zu rationalisieren.