Daniel Bax und der Antisemitismus der „Eingeschüchterten“

Ausweitung der Tabuzone„, titelt Daniel Bax in der taz. Er sieht einen „enger werdenden Meinungskorridor“, und zitiert dann Beispiele. So etwa die US-amerikanische Intellektuelle Masha Gessen, die im international renommierten NewYorker über Gaza schreiben konnte: „The ghetto is being liquidated.“
Wer ihren Text liest, weiß, dass sie das nicht unüberlegt gesagt hat, dass sie genau weiß, was Singularität bedeutet, wie die Liquidierung der jüdischen Ghettos durch die Nazis stattfand, dass sie die Hamas als Tyrannen bezeichnet und den Überfall auf Israel verurteilt. Was in ihrem Text nicht vorkommt, sind die Worte „rockets“, „suicide bombing“, „tunnel“ und „Iran“.
Natürlich erscheint Gaza als Ghetto, wenn man davon ausgeht, dass Israel aus purem Amusement Sicherungsanlagen aufrecht erhält. Der Antisemitismus heute bedarf nicht einmal der Lügen, die er natürlich auch in Massen produziert, sondern was ihn am Laufen hält, sind die Weglassungen und Verkehrungen.
Linke Antisemitinnen haben keinen fundamental anderen Wertekanon: Jemand, der einfach so friedliche Kinder bombardiert, ist kein guter Mensch. Menschen sollten nicht hinter Mauern leben müssen. Darauf kann man sich bedenkenlos einigen. Der Antisemitismus aber bewirkt einen blinden Fleck, der partout und seriell und notorisch jene Umstände verdeckt, die dazu führen, dass Israel sich verteidigen muss.

Angriffe auf israelische Dörfer beispielsweise haben Tradition: Von Beginn an waren zionistische Siedlungen als Wehrdörfer konzipiert, weil ständige Angriffe, Sabotageakte und Überfälle die jüdischen Flüchtlinge terrorisierten. Mit der politischen und militärischen Emanzipation der jüdischen indigenen Minderheit in Israel entwickelte sich teilweise ein Vergeltungsprinzip, nach dem solche Attacken mit Gegenattacken beantwortet wurden. Das wird derzeit im Westjordanland wieder praktiziert mit der „price-tag“-Strategie. So wurde nach zwei Morden an insgesamt vier Menschen in der jüdischen Siedlung Eli das Dorf Al-Lubban von aufgebrachten Juden in Brand gesteckt. Propaganda berichtete fast ausschließlich über letzteren Vorfall und verkehrt dadurch Ursache und Wirkung. Die Ursache, dass Israel ab Beginn der 1990er einen Zaun um Gaza baute, waren ständige Infiltrationen von Terroristen aus Gaza.

Die Ursache, dass aus dem Zaun eine Mauer wurde, waren die 151 Selbstmordattentate, die einer Harvard-Studie zufolge 515 Israelis töteten und 3428 Menschen verwundeten. Zwischen 2000 und 2005 zählt die gleiche Studie 25.000 Terrorangriffe auf Israelis: Schüsse, versuchte Morde, Messerangriffe, Steinwürfe.

Die Ursache für die Seeblockade waren die 20.000 Raketen, die von Hamas, Fatah, PFLP, Hisbollah und PIJ auf Israel zwischen 2001 und 2014 abgefeuert wurden. Zehntausende weitere kamen seitdem hinzu.
Der Antisemitismus erklärt diese Angriffe, wo er sie nicht leugnen kann, zum Resultat von Unterdrückung. Je schlimmer die Angriffe, desto stärker muss die Ungerechtigkeit gewesen sein, die die Täter erlitten haben. Dieses Prinzip gilt stets nur für die palästinensische Seite, nie für die israelische. Dass Siedler in Israel die Nase voll haben von Mord und Morddrohungen, von Mauern und Zäunen um ihre Siedlungen, von der Angst um ihre trampenden Kinder, liest man im Allgemeinen nur in israelischen Medien.

Daher ist die „Tabuzone“, die Daniel Bax um seine Seelenverwandten Gessen, Butler, Mbembe und vor allem um sich „enger werden“ sieht, gar keine. Denn Daniel Bax darf noch dem letzten antisemitischen Unsinn, den diese Leute publizierten, in der taz zur „Kritik“ erklären, ohne dass ihm redaktionell jemand gut zuredet. Robert Habeck habe, so beklagt er, die Parole „From the river to the sea“ „gar eine Auslöschungsphantasie“ genannt. Während in Israel doch ebenfalls ein Israel vom Mittelmeer bis zum Jordan gewünscht werde. Bax gibt da vor, die Welt nicht mehr zu verstehen, „doppelte Standards“ seien das. Dabei weiß auch er genau, dass „from the river to the sea“ für einen überwiegenden Großteil der Muslime in Gaza und Judäa und Samaria die Ausmordung der Juden bedeutet. Hier wird kein Staat herbeigewünscht, sondern einer weggewünscht. Nach einem solchen Genozid würden sich die konkurrierenden islamistischen Rackets bekämpfen. Nur konsequent hat das Kulturbüro der Fatah zum 50sten Geburtstag der Organisation sich den Sieg als einen Schädelhaufen vorgestellt und nicht als blühende Landschaften.


In schroffem Gegensatz dazu wäre ein Israel vom Jordan bis zum Mittelmeer die Umsetzung der Balfour-Deklaration, die bereits eine Teilung des Mandatsgebiets in den arabischen Teil, heute Jordanien, und den jüdischen Teil, heute Israel, Gaza und Westbank, vorsah. Dieses Projekt wurde sabotiert, sechs Millionen Menschen wurden als Juden ermordet, eine Million jüdische Araber wurden aus den arabischen Staaten vertrieben. Immer wieder wurde Israel von den arabischen Staaten angegriffen. Heute ist die Bevölkerung gewachsen und Israel braucht mehr Land, als die Wüste und die Sümpfe, die die UN schließlich den Holocaust-Überlebenden zuteilte. Dieser Anspruch ist logisch, er folgt allgemein gültigen Prinzipien der Gerechtigkeit. Das kann Bax nicht verstehen, weil proisraelische Juden für ihn kein Recht auf einen Disput, auf Kritik haben. Der Antisemitismus ist für ihn eine „moralische Panik“, ein Begriff aus der Soziologie, der künstliche Ängste wie die Satanismusangst in den USA der 1990er meint.
Hier offenbart sich der Kern des antisemitischen blinden Flecks: die vollständige Erkaltung gegenüber Opfern des Antisemitismus. Empathie wird von diesen abgezogen und im Übermaß auf die Täter gehäuft. So schließt Bax: „Laut einer Allensbach-Umfrage aus dem vergangenen Jahr glauben nur noch 40 Prozent der Deutschen, ihre Meinung frei äußern zu können und gaben an, sich deshalb zurückzuhalten. Eine Ausnahme bilden nur Anhänger der Grünen und Akademiker. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zu den toxischen Antisemitismus-Debatten in diesem Land. Sie schüchtern viele Menschen ein.“

Das ist rechte Diskursverschiebung par excellence. Aus der Realität antisemitischer Übergriffe, aus antisemitischen Demonstrationen werden bei Bax eingeschüchterte Deutsche, aus der Kritik am Antisemitismus eine „toxische Antisemitismus-Debatte“. Und weil die Tabuzone so eng ist, hat ihm die taz dafür einen Debattenbeitrag eingeräumt, damit er es einmal sagen darf, was Butler, Mbembe, Gessen, Sachs, Klein, Chomsky, Finkelstein, Gaarder, die irische Lehrergewerkschaft, die britische Lehrergewerkschaft, die Students for Justice in Palestine, die BDS-Anhängerinnen, die American Anthropologist Association, das Max-Planck-Institut für Ethnologie, der ANC, der russische Außenminister, die arabische Liga, die UNRWA, was alle von Israel angeblich Eingeschüchterten sich nicht zu sagen trauen und es kurioserweise in allen Medien schreiben und sagen.



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