Das Survival-Genre hat eine eindeutige Zielgruppe: Weiße Männer. Die Spiele hybridisieren Ressourcenmanagement, Building Games wie Minecraft und Hack-and-Slay-Gore nach dem Vorbild von Dead Space. Die Story ist stets eine Robinsonade: aus irgendwelchen Gründen – meist ein Flugzeugabsturz – findet sich ein weißer Mann alleine in der Wildnis wieder und muss schrittweise lernen, eine feindliche Umwelt zu durchherrschen. Im Verkaufsrekordhalter „Sons of the Forest“ (SOTF) strandet man nach einem Helikopterabsturz auf einer Insel, beginnt wie in Minecraft zunächst mit dem Fällen von Bäumen, erntet Blaubeerbüsche und fängt Fische, um sich dann schrittweise eine Basis aufzubauen, von der aus die Umgebung weiter erkundet werden kann. Schon nach kurzer Zeit machen Geräusche aus dem Wald, groteske Skulpturen aus Schädeln und Körperteilen und urplötzlich auftauchende Gestalten deutlich, dass die Insel bewohnt ist. Nach einer Zeit des kritischen Beäugens wächst die Aggression auf den Eindringling und die Gegner greifen aus Hinterhalten an. Die für den Spielfortlauf erforderlichen Streifzüge über die Insel werden daher zu adrenalingeschwängerten Schleichpartien, zumal sich nur an Camps speichern lässt.
Das Spiel ist von extremer Gewalt geprägt, die wie vergleichbare Gore-Games eine ständige, durchaus kreative Forschungsarbeit an archaischen Symbolen von Angst, Abscheu und Ekel vornimmt. Dunkelheit macht einen zentralen Teil des Effekt-Ensembles aus: die gefährlichsten Orte der Insel liegen in Höhlen, um Angstlust durch klassische jump-out-of-the-dark-Trigger zu erzeugen. Aber primär arbeitet „The Forest“ und „Sons of the Forest“ mit Tabubrüchen. Gegner können mit Nahkampfwaffen zerhackt, ihre so erhaltenen Körperteile zu „effigies“, Standbildern, zusammengesetzt und diese dann sogar noch angezündet werden, um weitere, als Kannibalen bezeichnete Gegner abzuschrecken. Trägt man einen abgeschlagenen Kopf vor sich her, lassen sich einige niedrigrangige Kannibalen davon beeindrucken und in die Flucht schlagen. Ein weiterer, selbst für das Genre extravaganter Tabubruch des Spiels ist es, mutierte Babies scheinbar hilflos auf den unveränderbar weißen männlichen Spieler zukriechen zu lassen, bis sie sich mit einem Kreischen auf ihn schleudern und ihm so beträchtlichen Schaden zufügen, sofern sie nicht vorher aus der Distanz mit Speeren, Molotov-Cocktails oder Granaten getötet werden. Alle Gegner bleiben auch auf höheren Leveln in Gruppen tödlich und der Schwierigkeitsgrad durchaus konstant auf mittlerer Höhe.
SOTF treibt klassische Horrorelemente zur Karikatur: unter den späteren Spielgegnern befinden sich Mutanten, „Fingers“ genannt, die eine Vagina denticaudata auf Beinen darstellen, mit einer Reihe von Fingern als Zähnen. Sie spinnen ihre Opfer ein und versprühen spermaähnliche Spinnenfäden in der Sterbesequenz.
Weibliche Kannibalen treten in beiden Spielteilen wie ihre männlichen Pendants mit nacktem Oberkörper und Lendenschurz auf. Im ersten Spielteil tragen sie keine Waffen, greifen aber ebenso an und sind genauso tödlich wie ihre männlichen Pendants. Im zweiten Spielteil verhalten sie sich weitgehend passiv, greifen meist nicht von sich aus an und wenn ihre männlichen Pendants getötet werden, nähern sie sich den Leichen, knien nieder und trauern. Anstelle einer Sprache geben alle Gegner nur unartikulierte Laute von sich: Knurren, Kreischen, Krächzen. Diese gegnerischen „Kannibalen“ sind meist dunkler gezeichnet als die unveränderbar weiße, männliche Spielfigur. Trägt der Spieler rote Farbe (TF) oder trägt er eine goldene Maske (SOTF), beginnen die Kannibalen, ihn anzubeten. Im Prinzip hält das Spiel jedoch dazu an, ganze Camps auszurotten, um an die Rohstoffe Seil, Stoff und Munition zu gelangen und Höhleneingänge betreten zu können. Beginnt man sich selbst sofort an allen Flecken der Insel aufzuspürende Kernstücke der Zivilisation anzueignen – Fernglas, Schußwaffen, Winterjacke -, so bleiben die Gegner im traditionellen Ornat mit Knochenzierrat, Lendenschurz, Speeren und Keulen und können die modernen Gegenstände offenbar nicht nutzen.
Das gesamte Setting wiederholt den Triumph und die Angstlust der Kolonisierung, inszeniert als Heldenreise ins „Heart of Darkness“, einer mystischen Hybridisierung von technophiler Corporate Conspiracy und Dimensionsportal in die Hölle. Unberührter Natur stehen Mutation und entglittene Experimente der Naturbeherrschung für Kapitalzwecke gegenüber. Der Krieg gegen Mutanten ist hinlänglich akzeptiertes Element von Horror-Games und speist sich aus der zelebriert aufgearbeiteten, damit der Reflexion zugeführten Inzestscheu. Fragwürdig ist nicht die reflektierte, teilweise in Satire überspitzte Verwendung tabuierter kultureller Elemente, sondern die überkommene, unnötige Darstellung und Nutzung einer Inselgesellschaft als „schwächsten“ Gegner. Kommunikation ist unmöglich, das Verhalten ist durch wenige Trigger vorbestimmt und aggressiv. Es gibt zwar eine „gute“ Mutantin, Virginia, aber keine friedlichen „Kannibalen“. Sie dienen ausschließlich als Rohstoff und Sparringspartner.
Ist der Avatar in „The Forest“ noch ganz auf sich allein gestellt, fügt SOTF fügt zwei NPC hinzu, die dem Spieler helfen: da ist zum einen der trotz Taubstummheit per Schädeltrauma qua Helikopterabsturz stets wohlgelaunte Kelvin, dessen Arbeitskraft wie die eines Sklaven ausgebeutet werden kann, der Baumstämme wie Baguettes herumträgt, der aber partout keinen Speer in der Hand halten kann. Die andere NPC ist Virginia, eine mutierte Frau mit drei Armen und drei Beinen, der man zunächst im Badeanzug bei Ballettanzübungen am Wasser begegnet. Sie kann durch Betrachten und Dulden gezähmt werden, so dass sie sich nähert, Geschenke wie tote Kaninchen und Fische bringt und schließlich bis zu zwei Waffen in ihren drei Händen kunstfertig bedienen kann, um Kannibalen und Mutanten abzuwehren.
In der Geschichte der Unterwerfung oder Ausrottung von Inselgesellschaften stellte die angedichtete oder seltener reale Anthropophagie häufig die Legitimation für die Vernichtung her. In der Ethnologie wird sie von einigen Protagonisten sogar vollständig geleugnet wird: es gebe keinerlei Belege für Anthropophagie, alles sei koloniale Projektion und Erfindung. „Kannibalismus“ ist zusammen mit dem Inzest einer der am weitesten verbreiteten „Kulturfeinde“. Freud nimmt ihn als mythisches Element in „Totem und Tabu“ zur Grundlage seiner Zivilisationstheorie: Durch das Verspeisen des getöteten Vaters wird er und sein Gesetz internalisiert. Das Christentum ist die Reinform dieser These: Der Leib Jesu Christi, Gottsohn und Vater zugleich, und sein Blut werden im Gottesdienst rituell verzehrt, um damit das religiöse Gesetz in sich aufzunehmen. Ein grotesker, auch von Christen nie verstandener Akt, der im Bild des Vampirs als „negativer Christus“ wiederkehrt oder als Hostienschändung und Ritualmord auf Juden projiziert wurde. James Georg Frazer hat im „Golden Bough“ die Gottverspeisung der Christen mit anderen Gottverspeisungsritualen verglichen, ein Akt der Blasphemie für Christen seiner Zeit. Die Anthropophagie kann daher durchaus als typische pathische Projektion einer kulturell-rituell anthropophagen christlichen Gesellschaft gelten. Zugleich tritt sie als Zuschreibung kulturübergreifend auf, weil sie die regressive orale Gier, das Verharren an der Mutterbrust darstellt, über das der Mensch durch Arbeit hinausreifen soll, den Verzicht auf Jagd und Ackerbau bei gleichzeitiger Ausbeutung anderer Menschen als Dinge, als Vorrat und Speise. Auch der Antisemitismus ist bereits in seinen frühesten Formen Vorwurf von Anthrophagie und Menschenopfer.
Dennoch war Anthropophagie belegtes kulturelles Element zahlreicher Gesellschaften. In der Ethnologie wurde die rituelle Anthropophagie von Amazonasgesellschaften dargestellt, die Asche eines geliebten Toten mit Bananenbrei einnahmen, um den Toten zu würdigen – ganz im Sinne von Freuds „Totem und Tabu“. Diese rituelle Endo-Anthropophagie kann als kulturell integriert, pazifiziert gelten.
Bekannt und weitgehend akzeptiert sind auch Fälle von Survival-Anthropophagie, in denen das eigene Überleben in Hungersnöten oder Kriegen nur durch Menschenfleisch gesichert werden kann. SOTF zwingt den Spieler immer wieder in solche Momente. Im Zentrum einer der schwierigsten Höhlen finden sich um einen Kochtopf herum verstreute Körperteile, deren Verzehr den Spieler-Avatar retten kann. So wird den Spielenden der Griff zum menschlichen Bein mit Kaugeräuschen regelrecht aufgezwungen und diese dadurch in Reflexion über Anthropophagie und über den Wesen und die kulturelle Entstehung von Tabus getrieben.
Am stärksten tabuiert ist die Exo-Anthropophagie: nicht wenige Gesellschaften haben den Verzehr von Gegnern sowohl zur Nahrungsbeschaffung ohne wesentliche Not, zu „medizinischen“ Zwecken, als auch zum Triumph und zur magischen Aneignung spiritueller Macht praktiziert, regelmäßig auch zur Abschreckung und Demoralisierung von Feinden. Als Perversion wird sie in Medienproduktionen längst inszeniert und vor allem auf die Gruppe der Gourmets projiziert: Das Schweigen der Lämmer bringt den gebildeten Hannibal Lecter an die Tafel, in Fallout: New Vegas versucht Mortimer die White Gloves Society, einer Feinschmeckergesellschaft, Menschenfleisch anzuempfehlen und in der vierten Staffel von „Atalanta“ sehen wir eine schwarze Vanessa in der Rolle einer schrägen Amelie schlüpfen, die Menschenhände für eine französische Gourmetgesellschaft organisiert. Anthropophagie künstlerisch aufzuarbeiten bedeutet jeweils Grenzarbeit an projizierten, irrationalen Tabus und an rationalen humanistischen Tabus. Die literarische Form des Computerspiels bleibt ähnlich wie der Horrorfilm einem Bürgertum unverstanden, das die eigenen Tabus nicht dieser Grenzarbeit unterzogen hat. Die Spieler*innen, Leser*innen und Zuschauer*innen können den Stoff von Realität trennen, nehmen geschmäcklerische Wahlen ästhetischer Stilrichtungen vor, durch die sie Individualität gegenüber einer bigotten Gesellschaft unter Beweis zu stellen suchen – ein kulturindustrielles, vergebliches Unterfangen.
Sons of The Forest aber enträt, wie viele andere Survival-Games, nicht der projektiven Logik des Tabus. Trotz des Tabubruchs bleibt es in der bürgerlich-projektiven Ebene. Schließlich waren es immer wieder die weißen, christlichen Bürger, die in der Geschichte die realen und vermeintlichen Kannibalen auf grausamste Weise quälten und ausrotteten. SOTF wiederholt diese Legitimation, und erreicht kein progressives Level von Reflexion und Kritik, sondern bleibt nihilistisch, bedient sich der Reize, die es vorfindet, und dazu gehört eben primär auch die rassistische Projektion einer zur Ausmordung ausgeschriebenen kannibalistischen Inselgesellschaft und sekundär die Darstellung von „Natives“ im Kolonialstil. Ein Kommentar zu „Green Hell“ und „The Forest“ hält das Unbehagen darüber fest, die Diskussion ist von Abwehr, Verharmlosung, Leugnung und rassistischem Spott durchzogen.
Die Symbolisierung des „Anderen“ in Zombies wirft weiteres Licht auf die Diskussion. War George A. Romeros „Night of the Living Dead“ mit dem schwarzen Helden, der fälschlich für einen Zombie gehalten und von weißen Polizisten erschossen wird, noch eine Kritik des Rassismus, so verändert sich das Setting sofort, sobald die Hauptdarsteller weiß werden und sich gegen blutschwarze Horden zur Wehr setzen. Dann wird aus Zombies rasch „die Überbevölkerung“ und „die Immigranten“, die als untote Kannibalen dann bedenkenlos vernichtet werden können. Stärker noch als die Zeichnung der Gesellschaften ist daher die vorgegebene Hautfarbe des Avatars entscheidend für die rassistische Lesbarkeit eines Settings. Spiele, die dem Bildschirm weiße Avatar-Hände aufzwingen, zeugen von zivilisatorischen Defiziten, die in Verbindung mit dem konservativen, altbackenen ästhetischen Rückgriff auf Robinsonaden und kolonialrassistische Darstellung des Anderen unverdaulicher werden als jeder Tabubruch der Spiele.