Die Saat des heiligen Feigenbaums – Filmkritik

„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ versucht, den Freiheitskämpfer*innen der iranischen Revolte von 2022 ein Tor zu einem konservativen Bürgertum zu öffnen. Leider funktioniert der Film an zentralen Stellen nicht. Dem Vater nimmt man seine Überraschung nicht ab, dass er auf einmal Todesurteile unterzeichnen soll – wo er doch ein ehrbarer Ermittlungsrichter sei. Über den ganzen Film hinweg wird man angehalten, sich mit diesem Täter emotional zu identifizieren, ihn zu verstehen und zu entschuldigen. Die Protestierenden wiederum bleiben in der Ferne. Lediglich eine „Unschuldige“ betritt das in weiten Teilen als Kammerspiel durchgeführte Stück, sie geriet zufällig und gegen ihren Willen in die Proteste und wurde verwundet. Das schadet der Sache nicht unbedingt, stellt aber die Abwehr im konservativen Haus, deren Projektionen und Strategien ins Zentrum, während es den Töchtern die Rolle gibt, den Aufstand in der Familie zu verteidigen, ohne selbst am Aufstand teilzunehmen.

Gelungen sind diese beiden großartig gespielten Töchter. Die Mutter hat die Rolle der in den Konservativismus getriebenen Geschlechtsverräterin, die letztlich erst unter größtem Druck und aus Konservativismus auf die Seite der Freiheit überläuft. Der Symbolismus könnte eigentlich die stärkste Seite des Films sein, wenn er ähnlich konsequent wie im surrealistischen Film durchgeführt würde. Szenen wie die Jagd durch die Ruinen hätten enormes surreales Potential, wenn sie nicht so unglaubwürdige Thrills kultivierte. Das gleiche gilt für die obligatorische Vefolgungsjagd mit quietschenden Reifen, ohne die heute weltweit kein Film mehr erlaubt wird.

Mühselig sind die ersten 20 Minuten des Films, dann wird es wesentlich besser. Die realen, Onlinemedien entnommenen und eingestreuten Filmschnipsel wurden glaubhaft aus der iranischen Perspektive ausgewählt. Während hier vor allem die Erfolge gezeigt wurden, brennende Autos, Menschenmengen, Parolen, stehen im Film eher die Videos der Gewalt gegen Protestierende im Fokus. Es ist ein Film, der die Niederschlagung des Aufstandes zeigt, von der man im Westen dann nichts mehr oder zu wenig wissen wollte. Es zeigt auch die Macht des Kopftuches: wie sich Frauen von Individuen in wandelnde Masken verwandeln.

Rückblickend war der „Fehler“ der unorganisierten „anarchistischen“ Proteste, dass sie zwar „Tod dem Diktator“ riefen, aber die Konsequenz nicht zogen und sich nicht koordinierten und letztlich bewaffneten. Das erklärt sich aus der durchaus realen Chance, in Iran mit seiner mehrheitlich gegen das Regime arbeitenden Bevölkerung solche Massen auf die Straße zu bringen, dass die Diktatur aufgibt und stürzt. Vergleichsfälle wären Portugal oder die baltischen Staaten.

Dass die iranische Armee wie in Portugal mit Unterstützung von Massen putschen würde, darf bezweifelt werden. Auch wenn Armeen mit ihrer Masse an Mitgliedern immer Nester von Opposition beherbergen, sind die Spitzen in Iran gleichgeschaltet.

Die andere Option wäre, mit Massen auf der Straße vom Regime Reformen zu erzwingen, und dann diese Reformen zu nutzen, um Parteien aufzubauen und überhaupt handlungsfähig zu werden.

Dagegen hat sich das Regime verwahrt, am Kopftuch hängt sein Überleben, und es fürchtet den Tocqueville-Effekt zu Recht.

Die Proteste als Abbild anarchistischer Straßenproteste in westlichen Ländern zu führen, war daher zum Scheitern verurteilt, oder drastischer ausgedrückt: endete in den Foltergefängnissen mit Erschießungen und systematischen Vergewaltigungen.

Das Problem der iranischen Revolten, deren nächste unweigerlich kommen wird, ist, dass sie keine Opposition organisieren können, hinter die sich dann ausländische Unterstützung und das Bürgertum im Land stellen können. Solange ein Zerfall des Regimes nur einen Verlust an Stabilität bringt, überwiegt offenbar bei den Millionen, die trotz ihrer Gegnerschaft nicht auf die Straße strömten, die Skepsis gegen das, was danach folgt: Die Logik des unbekannten Schlimmeren. Will man exilierte monarchistische Kräfte zurück haben, will man die antiisraelische autoritäre Sekte der Volksmudschaheddin MEK mit Einfluß und Waffen ausstatten?

Der iranischen Opposition fehlt trotz der Einigkeit gegen das Regime eine Einigkeit zur Organisation bürgerlicher Kräfte und Parteien. Der Konflikt ist global und in Iran besonders ausgeprägt: zwischen Anarchismus mit seiner verspielten Forderung nach basisdemokratischer Organisation aller freier Individuen, der kein Staat sein will und daher auf Chaos oder Reformismus hinarbeitet; und einer realistischen Politik inmitten eines globalen Gerüsts aus Staaten und Wirtschaft, inmitten von Begehrlichkeiten und Wahnsinn, in dem ein neuer Staat für Repräsentation, neue Gerichtsbarkeit und geteilte Gewalten, Verwaltung, Verantwortung zwangsläufig gerade stehen muss und nur die Wahl zwischen liberaler Sozialdemokratie und autoritärem Konservativismus besteht.

Die iranische Opposition braucht eine sozialliberale, demokratische Organisation mit einer repräsentativen, nach Möglichkeit gewählten Parteielite, mit der Bereitschaft, einen bewaffneten Guerillakrieg gegen die nicht reformierbaren Einrichtungen des Militärstaates zu organisieren und zu Ende zu führen. Ein anderer Ausgang ist m.E. nicht realistisch. Selbst eine von Israel und den USA geleistete Zerstörung des militärischen Potentials des Regimes und die Sanktionen vermögen nicht die mit Kleinwaffen bewaffneten, gut organisierten Schlägertruppen und die Sittenpolizei zu beseitigen.

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