„Fluchtnostalgie“ – Jan Feddersen mobilisiert gegen Empathie und Engagement

Der gesellschaftliche Rechtsruck fordert seinen Tribut auch in linken Zeitungen und Magazinen. Die Übung, nicht in Routineabwehr zu verfallen und reale Angriffspunkte der Rechten aufzuspüren ist ja zunächst einmal Selbsterhaltungsstrategie politisch bewusster Menschen. Ab und an sollte man sich angesichts der Abgewracktheit der Linken fragen, ob und wo die Rechte inzwischen, wenngleich aus falschen Beweggründen, punktuell zur Avantgarde mutiert ist.

Da gäbe es vieles: Die Qualität rechter Propaganda hat – durch Thinktanks befeuert – ungeahnte Höhen erreicht und die digitale und ästhetische Überlegenheit der Linken gebrochen. Das Problem des Antisemitismus ist in der Linken global völlig unerhellt und in der deutschen Linken allenfalls in schrumpfenden Randgruppen präsent. Die Einheit von Konsumgesellschaft und Arbeiter*innenhedonismus und die Dialektik von (notwendigen) Kulturkämpfen bleiben ungelöst, wenngleich sie nirgends so ausführlich diskutiert werden wie in linken Publikationen.

Was aber wählt Jan Feddersen als „wunden Punkt“ der Linken? Ausgerechnet eine „Fluchtnostalgie„.
Einen Popanz also. Es geht mit leeren Behauptungen los: „In nichts ist die linke, alternative, grüne Szene so gut, so versiert, so rhetorisch sattelfest wie im Abwiegeln realer Probleme.“

Wo lebt und liest Feddersen? Die Veröffentlichungen von Rosa-Luxemburg-Stiftung und Heinrich-Böll-Stiftung zählen zu einem der letzten Resorts der Benennung realer Probleme auch dort, wo das der eigenen, behäbigen Parteiapparatur zuwiderläuft. Aber es geht für Feddersen ja vor allem um ein ganz besonderes Problem: Ausländer. Man dürfe „weder über Geflüchtete, schon gar nicht über den Islam“ reden. Wir lesen dann aber nichts über den Islam, diese chauvinistische, suprematistische Religion eines narzisstischen Sektenführers aus der arabischen Halbinsel. Auch nichts über harte islamistische Strukturen wie die Hisbollah in Deutschland oder die Muslimbruderschaft, die nicht selten bestens mit der CDU zusammenarbeiten. Nein, es geht um drei Menschen, die aus welchen Motivationen auch immer zu Gewalttätern und Mördern wurden, das heißt, um die drei Täter ohne deutschen Pass und aufgewachsen in „männlichen Kulturen, denen zufolge nur ein Mann mit einem Messer ein echter Kerl ist.“ Wo soll das so sein? In islamischen Ländern läuft man nicht mit einem Messer herum. Lediglich in Jemen ist der Prunkdolch verbreitet, mit dem man allerdings schwerlich einen Messerkampf gewinnt. Mit einem Messer läuft man dort herum, wo in westlichen Großstädten der Kapitalismus den Menschen einschärft, dass sie Alphas zu sein haben, die es um jeden Preis schaffen müssen und dass der Dumme ist, der sich hier etwas bieten lässt und dass die Schwachen untergehen. Es ist eher die Ideologie der FDP, die sich hier austobt, als die des Islams, der häufig eher noch mäßigend wirkt durch Einbindung von Jugendlichen in rigide Strukturen und das Angebot, Aggression zu ventilieren gegen den Zionismus oder Frauen oder sich selbst.

Feddersen schaut sich aber drei Gewalttaten an und nickt der AFD-Propaganda anerkennend zu: Die Konsequenz hat Abschiebung zu sein. Da höhnt er: „Und soll man sie abschieben? Aber nein, wie menschenverachtend ist das denn!“ Und fordert dann:
„Seitens der Grünen und Linken darf es kein Tabu sein, offensiv über Konzepte der Abschiebung von straffällig gewordenen Migranten und Migrantinnen nachzudenken.“ Weil: „Wer das alles nicht will, riskiert nicht nur die Thematisierung dieser Konflikte durch Konservative und Rechtsextremisten, sondern auch eine Schließung der Grenzen, gegen die der eiserne Vorhang ein Witz war.“

Wir sind also schuld, am eisernen Vorhang und schlimmeren Dingen. Weil wir – ganz Risikoverhalten – partout nicht offensiv abschieben. Logisch. Wir erinnern uns: die Republikaner, die NPD und die DVU in den 1990ern sind verzweifelt an den Konflikten mit der Einwanderung und haben vor brennenden Flüchtlingsheimen „Konflikte thematisiert“. Flüchtlingsheime, in denen laut Feddersen Grüne und Linke nicht auftauchen. Die würden in Wohlstandsvierteln leben, ihre Kinder in Privatschulen schicken und nicht mitbekommen, was in migrantischen Vierteln abginge. „Wer die eigene Brut (!) sicher und störungsfrei durch das Bildungsmeer segeln lassen will, findet Wege.“

Was für ein Zynismus. Es waren Linke, die fast die gesamte Last der Hilfe für Geflüchtete ehrenamtlich trugen und organisierten, teilweise noch auf Kosten der eigenen Kinder. Es waren Linke, die die Zustände in den Heimen dokumentierten und die Welle von Brandanschlägen auf Geflüchtete. Es waren Linke, die mit kurdischen Großfamilien nach Hause gegangen sind und dort eine Flut von Schulbriefen, später dann noch während der Coronazeit alle möglichen Maßnahmen übersetzten, Konflikte mit Vermietern klärten, Impftermine organisierten, Stromrechnungen, Geldstrafen für den obligatorischen illegalen Grenzübertritt vermittelten, Aufklärung über Kinderschutz und Geschlechtskrankheiten leisteten. Es sind Linke, die auf den Rettungsschiffen ihre psychische Gesundheit opfern dafür, einem längst zynischeren und großräumigeren Abschottungssystem als die Berliner Mauer ein paar gerettete Menschenleben abzuringen.
Feddersen lügt sich hier einfach noch einmal zentnerweise in die Tasche, um endlich über Abschiebungen zu reden, die ein Tabu seien.

Aber auch da sind es doch Linke, die über Abschiebungen sprechen. Die mit Menschen noch auf den Flughafen gehen, wo sie nicht heirateten, versteckten, Anwälte organisierten, Kirchenasyl vermittelten. Es sind Linke, die das Verhalten von AFD-nahen Abschieberichtern dokumentieren. Wie Menschen in den Tod springen, um einer Abschiebung zu entgehen. Wie Sali Krasniqi im Kosovo starb, weil er nach einer Herzoperation dorthin abgeschoben wurde und dort erwartbar keine fachgerechte Behandlung erhielt. Wie in Österreich Marcus Omofuma 1999 im Flugzeug bei seiner Abschiebung nach Nigeria mit Klebeband erwürgt wurde. Wie Kinder auf Lesbos suizidal werden, weil die Lager ja niemanden zur Flucht motivieren dürfen.

Nur will Feddersen darüber ja nun auch gar nicht reden, er will über Abschiebungen positiv reden, als Lösung und Strafe. Warum sollen Menschen nicht in Folter, Todesstrafe oder Tod durch äußere Zustände abgeschoben werden, auch wenn sie in Deutschland Scheiben eingeworfen oder sogar Menschen angegriffen oder getötet haben? Weil das eben Tabus sind, zivilisatorische Tabus. Man macht das nicht. Man richtet nicht Menschen hin. Man schiebt einen Menschen nicht nach Afghanistan ab. Man schiebt nicht Jesidinnen ab in den Irak. Man schiebt keine Oppositionellen in die DRC ab. Natürlich gilt das Tabu nur noch für Randgruppen. Schließlich macht macht der deutsche Staat das längst. Bei jedem rechten Propagandawindchen stellt sich einer aus der SPD hin und fordert brutaler abzuschieben und dabei stehen auch immer die gleichen Grünen und applaudieren und stets wird ein neues Asylpaket verabschiedet, das noch weiter geht. Seriell und systematisch und seit Jahrzehnten wurde und wird in Folter und Tod abgeschoben, werden selbst Menschen, die in Deutschland geboren sind, jahrzehnte hier lebten, abgeschoben. Darüber sprechen nur: Linke. Das Tabu gegen Folter und Todesstrafe ist zivilisatorischer Mindeststandard und deshalb sind Menschen, die dieses Tabu nicht kennen wollen, der Formstahl des Faschismus, der von je her nur seine Meinung sagen will.



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