Der italienische Außenminister Paolo Gentiloni und Frank-Walter Steinmeier formulieren in der Frankfurter Rundschau den dernier cri der Asylpolitik: „Abschottung reicht nicht„.
Abschottung also, so der drohende Subtext, sei schon recht. Man müsse aber mehr tun, so die beiden unter Verweis auf einen ominösen „Karthum-Prozess“. Der Karthum-Prozess war eine Tagung vom 13. bis zum 16. Oktober in Karthoum, eine Tagung, wie es sie auch schon zu Hunderten zur Abschaffung von Hunger, Klimawandel, Umweltschäden und Armut gab, ohne dass dieselben sich verflüchtigt hätten.
In Karthoum lockten die üblichen Lunch- und Coffeebreaks, die Tagungen interessant machen, und man konsumierte viertelstündige Referate von Staatsvertretern. Letztlich hatte man dann auch eine Stunde vorgesehen für Lösungen:
11:30 – 12:30: Ministerial Dialogue
Ministers are expected to discuss the realities and fundamental reasons
for irregular migration (including human trafficking and smuggling) and
how to effectively address the issues through cooperation, as well as
dealing with the challenges in ensuring legitimate labour migration
through effective labour migration management.
Moderator: Prof. Adebayo OLUKOSHI, Director of IDEP
Discussants: Ministers from participating countries
Und was Steinmeier und Gentiloni in dieser Stunde alles beschlossen haben, ist wahrhaft messianisch:
Nicht nur das Horn von Afrika, sondern auch die „Transitländer“ werden eine Verbesserung ihrer „sozio-ökonomischen und rechtlichen Bedingungen“ erfahren, so dass Flüchtlinge fortan gar nicht weg müssen. Nur ein Spaßverderber würde jetzt einwenden, dass einem eine solche geniale Idee eigentlich früher hätte einfallen müssen. Steinmeier und Gentiloni haben schon mehr in der Auslage als Altbackenes:
Ein „umfassender“ und „partnerschaftlicher“ Ansatz wurde entworfen, man wird, nein fast hat man es schon vollbracht: die „Stabilitätsdiplomatie in der Region intensivieren“. Aufgrund der vielen Erfolge solcher Diplomatie in letzter Zeit (Stichwort: Syrien bleibt stabil) gibt es auch hier wieder „Mediation zur Beilegung von Konflikten“ satt, natürlich irgendwie in allen Ländern, nur „z.B. in Sudan und in Somalia“. Warum das so übertragbare Geheimrezept nicht auch gegen Boko Haram, Islamischer Staat, Taliban und Abu Sayyaf angewendet werden kann, ist wohl der schon sehr ausgefeilten Raffinesse der Strategie geschuldet, die man ins Blaue hinein kompetenten EU-Politikern wohl unterstellen darf.
Beim Thema „Unterstützung von Friedensmissionen der Vereinten Nationen und der EU“ könnte man aus dem Lullaby aufhorchen, aber Spezifik ist der Todfeind des Wohlfühlprogramms, auch für Assad und Afewerki werden vermutlich dieselben Mediationen reichen müssen wie für Al Shabaab, AQIM, Boko Haram und IS.
Aus dem gleichen Fortunatussäckel prasseln dann ganze „Initiativen gegen Kleinwaffenhandel und für Abrüstung“. Entworfen hat man spezielle „Programme“, denn: „Wenn die Menschen bereits in ihren Ländern die Chance auf akzeptable Lebensalternativen vorfinden, kann das den Druck mindern, immer weiter ziehen zu müssen.“
Damit die „Programme“ funktionieren, will man „helfen“, also: „Gastländer dazu befähigen, Migranten den Zugang zu staatlichen Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsvorsorge zu eröffnen“ und „die örtlichen Behörden bei der Umsetzung von Asyl- und Ausländerrecht beraten“.
Auf deutsch, der Sprache des Gastlandes, das Migranten in der Vergangenheit ja sehr üppigen Zugang zu Bildung und allem Schnickschnack wie Lebensmittelpakete, Residenzpflicht und Arbeitsverbot eröffnete, also auf deutsch übersetzt heißt das vermutlich die Wiedereröffnung der libyschen Wüstenlager, die man in der EU seit Gaddafis Sturz doch schmerzlichst vermisst.
Das alles sei, so wird noch einmal vergewissert: ein Beitrag zur Stabilisierung „schwacher staatlicher Institutionen“ und dies könne „eine Tür öffnen für einen Dialog über gute Regierungsführung“.
Diese Prahlhanselei, die sich vor allem selbst in Sachen „guter Regierungsführung“ über den grünen Klee lobt, vertüncht, dass Steinmeier wie die Regierungsparteien der letzten 20 Jahre Verantwortung trägt für die 20.000 Toten an den EU-Außengrenzen. Dass mit „Mare Nostrum“ und der aufgrund des Erfolges erheblich abgespeckten „Triton“-Mission erst 2014 effektive Rettungsmaßnahmen für Flüchtlinge angelaufen sind, die man schon in den 90-ern forderte.
Heute maskieren sich Steinmeier und Gentiloni mit Wortgirlanden als Wohltäter und Strategen, wo sie sich zuallererst der EU-Schuld stellen müssten. Hier will ein Staatenbündnis, das 20.000 Menschen in den Tod trieb und in Syrien ein morbides, ekelhaftes Szenario zulässt, also nun afrikanischen Staaten Regierungsführung erklären.
Es sei daher nur der Korrektheit halber darauf hingewiesen, dass die afrikanischen Staaten Niger, Tschad, Ghana, Tansania, Nigeria, Kenia einen Großteil der 15 Millionen afrikanischen Flüchtlinge bereits beherbergen, ohne besonders stabil und in den meisten Fällen auch ohne demokratische Musterländer zu sein. Die arabischen Staaten Libanon und Jordanien gewähren zwar Arabern mit Vorfahren in Israel oder Westjordanland keine Rechte, haben aber immerhin einen Großteil der 2,6 Millionen Syrer aufgenommen, die es außer Landes geschafft haben, während innerhalb Syriens noch einmal 9 Millionen als „auf der Flucht“ befindlich gelten.
Aus der europäischen Erfahrung heraus müssten eigentlich Wohlstand und Demokratie diese Länder dazu bewegen, sich gegen Flüchtlinge stärker abzuschotten, nationalistisch zu werden und um ihren Wohlstand zu fürchten. Dafür spricht auch das Beispiel Südafrika, das gegen Flüchtlinge aus Simbabwe doch zusehends allergisch reagiert, während man im vergleichsweise armen Ghana liberianische Flüchtlinge als Brüder herzlich willkommen heißt (was wiederum nicht für Nigerianer gilt). Selbst in der äußersten Krise können Flüchtlinge in Afrika auf mehr Hilfe durch ihre Nachbarn hoffen als in der reichen EU. Zu einem Preis von 9,3 Millionen Euro hat die die Operation „Mare Nostrum“ binnen 8 Monaten 80.000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. Das ist, soviel weiß man nun, ein halbes Prozent der Flüchtlinge, die afrikanische Staaten bereits beherbergen.
Der Trick der medienwirksamen Aktion Steinmeiers ist, das optimistische Selbstbild Europas auf Kosten der Abwertung Anderer aufzupolieren. Der Wohlklang der einzelnen Strategeme zerfällt zu einer tausendmal gehörten Werbemelodie. Nicht um Flüchtlinge geht es, sondern um die Illusion, dass in Europa alles zum Besten stehe, während draußen, vor den Mauern, die Barbarenstaaten nicht wissen würden, wie man Flüchtlinge menschlich behandelt. Über Jahrzehnte hat Europa mit afrikanischen und arabischen Diktatoren kooperiert, zuletzt mit Gaddafi in Sachen Asylpolitik.
Wo man von Assad und Afewerki nicht sprechen will, die für die meisten der ohnehin zum Asyl berechtigten Flüchtlinge sorgen, wo man Afghanistan am liebsten schon zum sicheren Drittland erklären würde, wo ganze europäische Staaten in den Faschismus abgleiten, ohne dass es Konzepte dagegen gäbe, da hat man wenig Recht, afrikanischen Staaten zu erklären, wie Demokratie mit ein paar „Programmen“ hergestellt werden soll.