Mondäne Orte – über Pornographie und Tourismus.

Das touristische Verhältnis zu Zielgebieten ist ein pornographisches wie das pornographische Verhältnis zu Körpern ein touristisches ist. Beiden eigen ist die Schaulust, die sich permanent als masochistisch-frustriertes Verlangen inszeniert – Zusehen und doch nicht teilhaben können, wollen, müssen, dürfen. Im pornographischen Akt werden so viele als möglich in einer Beziehung erfahrbare Optionen der gegenseitigen Intimität auf grotestk-sportive Weise  verdichtet. Die 5-10.000 täglichen TagestouristInnen auf Capri handeln nicht anders, wenngleich aus ökonomischem Interesse: Sie möchten – mich eingeschlossen – dieses  in einem Tage erfahren – die blaue Grotte erkunden, das Negligé der aufreizenden Kleinstadtfassade von Nahem erkunden, die höchsten Klippen besteigen und letzlich von dieser hohen Warte aus alles sehen.

Caspar David Friedrichs auf alles herabblickender Gipfelstürmer ist in seiner Melodramatik nicht so sehr verschieden von den die höchsten technischen Berge erklimmenden PornographiekonsumentInnen hinter ihren Schreibtischen, die auf alles herabblicken können und doch außen vor bleiben. Der Privatabsolutismus ist online ebenso gut aufgehoben wie in den touristischen Vergnügungen – dort sieht man aus Limousinen oder Tourbussen auf die Kleinstwagen der Indigenen herab und wird gelegentlich vor einem bedeutenden Ort ausgeladen wie der Konsument online auf hochfrequentierte Links anspricht und durch Bibliotheken des menschlichen Aktes flaniert. Im Sextourismus verdichten sich diese Entsprechungen, beide Phänomene verschmelzen. All jenes, die freie Mobilität, die freie Partnerwahl, die einschüchternde Anhäufung von Schönheit beinhaltet als individuelle Möglichkeit ein gewaltiges Glücksversprechen, als Produktionsverhältnis einer marktabhängigen Industrie ist es mit grauenvollen Widersprüchen behaftet, in deren Andeutung die Analyse hier abbricht und in makabrer Ironie Einblicke in zwei der mondänsten Regionen der Welt eröffnet. Beiden eigen ist die Frivolität, die in einer Verknüpfung innewohnt:  jener des Potentials menschlicher Kreativität und Leistungsfähigkeit und der gleichzeitigen Drohung gegen das Individuum, dass es selbst winzig, sterblich und sein eigenes Leben vor geschichtlichen, geologischen Prozessen nur ein Wimpernschlag ist. Gigantische Vanitas-Stilleben, das sind die Amalfiküste und London.

Die Amalfiküste: Eine Kette von riesigen Kalksteinzähnen beißt ins Meer und lässt keinen Strand übrig. Zäh und trotzig klammern sich Siedlungen an die extremen Steilhänge, noch auf die höchste Felsnadel wurde ein Wehrturm gegen Piraten oder eine Kapelle zu Ehren einer weiteren Madonna erbaut. Die einzige Fortbewegungsmöglichkeit führt entlang der endlosen Serpentinen – wenn man sich nicht in Myriaden von Treppenstufen verirren möchte. Von unten wie von oben ist es nicht vorstellbar, sich in diesen Felsabstürzen noch bewegen zu können und trotzdem durchziehen überall Pfade die Landschaft, ermöglichen ein stets Dahinter- und Dazwischenblicken. Einzigartig: Man sieht mehr Häuser von oben als von vorne.

Amalfi

Monte Lattari bei Positano

Monte Lattari bei Positano

Pogerola

Amalfiküste

Capri

Capri

ophrys spec.

Ophrys spec.

London: Eine gigantische Ansammlung von architektonischen Impressionen, eine gelungener als die Andere. Die von Kolonialstil und Art Nouveau geprägten Arbeitersiedlungen verwittern mit ihren schönen Kaminen und Türen, dazwischen schmiegen sich Hybridwesen aus Glaskunst, Stahlkonstruktion, Lichttechnik und Menschen. Die groteske Größe dieser Stadt wird von einem erlösend einfachen Metronetz aufgelöst. Kaum eine Stadt hat mich bislang mit einer tieferen Aufregung erfüllt: Trotz der armen Menschen, die hier vor Underground-Stationen stehen und anderen für einen geringen Lohn kostenlose Zeitungen anbieten atmet hier ein Glücksversprechen durch die Straßen, eine im besten Sinne multikulturelle, höfliche, milliardenschwere Liberalität zwischen Pubs, Ethnofood und Upper Class Chic, die auch von einer akuten Terrorwarnung kaum beeinträchtigt wird.

London

London

London

London

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