Reiner Sarrazynismus

Es gibt eigentlich nur eines, was am Sarrazin-Hype erstaunt: Der hilflose Umgang mit den von ihm angesprochenen Themen. Als Tabu-Brecher kann Sarrazin nur deshalb von der Mehrheitsgesellschaft gefeiert werden, weil das Arsenal der Gegenseite aus Tabus besteht, die Reflexion und kritischen Geist schon lange unter sich begraben haben. Hätte man sich in den vergangenen Jahren Begriffe zu Islamismus, Einwanderung und Rassismus erarbeitet, man stünde nicht so angewrackt vor dem Eisberg Sarrazin. So aber ringt man die Hände und kann nicht erklären, warum man nicht auch Schröder aus der SPD ausgeschlossen hat, als der in seiner Funktion als Gottkönig der Sozialdemokraten forderte: „Kriminelle Ausländer raus, und zwar schnell“. Auch Müntefering, sein Reichsverweser durfte von Heuschrecken schwadronieren und der Linksparteioberhäuptling Lafontaine gegen Fremdarbeiter „Profil schärfen“. Nun will man Sarrazin, der eigenen Aussagen zufolge keinen Menschen abschieben will, entlassen und ausschließen und kann die Argumente nur stottern.

Es gibt kein Argument gegen Sarrazin, das nicht auch eines gegen die SPD wäre. Rot-Grün hat nicht die zynischen „Ausreisezentren“ geschlossen und auch nicht das Mittelmeer für afrikanische Flüchtlinge sicherer gemacht. Unter Rot-Grün wurden nicht Illegale massenhaft legalisiert. Unter Rot-Grün prosperierte der Antisemitismus nicht minder als heute. Gegen einen Sarrazin aber dürfen sich alle den antifaschistischen Orden an die Brust heften. Wäre man ihm wirklich guten Gewissens überlegen, man könnte ihn ignorieren. Oder, käme man zum Schluss, dass sein Gedankengut eine besondere Gefahr darstellt, ihn derart entschlossen und gelassen seiner Widersprüche überführen, dass gar nicht erst der Eindruck einer Diskussion entsteht.

Solange sich aber der gesamte Bundestag einstimmig für die Abschaffung Israels via IRI-Freeport Gaza ausspricht, gibt es kein moralisches Recht, Sarrazin wegen seines Einteilungswahnes zu verurteilen. Seine Behauptung vom jüdischen Gen übertreibt darin, dass es „alle“ Juden tragen würden. Das ist wie vieles andere aus Sarrazins Mund Jargon, der bösartige Auswirkungen hat, die Sarrazin nicht einsehen will. Wieso seine imprägnierte Zahlenzauberei aber auf einmal mehr Thema sein soll als der genannte Bundestagsbeschluss, kann niemandem einleuchten, der ernsthaft sich mit dem Antisemitismus auseinandergesetzt hat.

Mehr zum Thema auf Nichtidentisches:

„Sarrazins Kinder„“

„Die Abwehr des Genießens in der H&M-Werbung und in der Hartz-IV Debatte

2 thoughts on “Reiner Sarrazynismus

  1. das kommt sehr schön in den Talkshows zur Geltung, wo man gerade in dem Bemühen, Sarrazin lächerlich zu machen, durch Kameraschnitte, kindisches argumentieren, das immer die Distanz zu Sarrazin aufgehoben hat, um ihn direkt mit einer „empörten“ Türkin, bei der die Immigration erfolgreich war, zu konfrontieren, eine notwendige Abwehrreaktion hervorgerufen hat, die gerade die Möglcihkeit, nüchtren und besonnen ihm seine Widersprüche zu zeigen, verschenkt hat. Als Gegenstrategie zu seiner Degenerationsthese, die eben darin falsch ist, wie du schon geschreiben hast, dass sich Deutschland eben schon 1914 selbst abgeschafft hat, werden gelungene Beispiele von Integration wirklich schon vorgeführt, und alles wird widerlegt, wenn dann die Umfragewerte ergeben,d as die meisten Sarrazin zustimmen.
    somit kommt es am Ende doch wieder daraufhinaus, dass statt Sarrazin zu widerlegen, in dem man das von ihm angesprochene – worin er ja in manchem durchaus recht, eben in einer postivistischen Statisikideologie aber jeder denkerfahrunge rmangelt – Problem anders auffasst, einfach sagt, gibts nicht: kein Problem, und damit eben wieder sich zu einer Multikultigesellschaft bekennt, die oft der Horror ist.

  2. Gerade was der Mangel an Distanz zum Gesprächspartner angeht, diese Kindergartenatmosphäre, beweist doch,d ass es mit „Bildung“ im empathischen Sinne auch bei den Eliten nicht sehr weit her ist: Höflichkeit ist ein Fremdwort.

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