Der Jahrestag des 9/11 sorgt für Umsätze. Web.de wärmt in hübsch objektiver Berichterstattung Verschwörungstheorien auf, Kabel 1 bringt Michael Moores Fahrenheit 9/11, während gleichzeitig auf dem öffentlich-rechtlichen eine deutsche Synchro-Fassung von Flight 93 läuft. Da ich letzteren gekauft hatte, musste ich mich nicht lange entscheiden und sah mir Michael Moores Streifen an.
Michael Moores selektiver und propagandistischer Blick springt einem halbwegs kritischen Betrachter sofort ins Auge. Moore ist der eifrigste Nutznießer des Prinzips, das er anzugreifen vorgibt. Während er den Republikanern vorwirft, 9/11 zur Manipulation der Bürger zu missbrauchen, gibt er offen zu, mit seinem Film in den Wahlkampf eingreifen zu wollen. Während er der Bush-Regierung vorwirft, systematisch Angst zu schüren, sät er paranoische Ängste vor der Macht saudischen Kapitals, vor Firmen und Regierung. Und wo er diesen Zynismus vorwirft, scheut er sich wie die Sender nicht, verbrannte Leichen zu zeigen und hilflose Verwundete zu filmen, deren Aussagen er zusammenzuschneidet, bis sie in sein propagandistisches Konzept passen. Carlyle, einer Waffenfirma unter Mitarbeit von George Bush, wirft er vor, durch ihren Börsengang 6 Wochen nach 9/11 231 Mio. Dollar Gewinn abgeschöpft zu haben. Michael Moore fährt mit Fahrenheit 9/11 bis 2006 dagegen nur schlappe 222 Mio. Dollar ein. Wo er Bush vorwirft, ein gleichgültiger, machtbesessener Tyrann zu sein, filmt er Saddam Hussein in fröhlicher Runde herumhopsend als harmlosen Kerl. Den Irakkrieg leitet er mit fröhlich spielenden, gutgekleideten Kindern ein. Die Sequenzen werden gefolgt von Bomben und weinenden Müttern. Wer vorher unter Saddam und Udai Hussein litt, ist ihm egal, weil es ihm nicht in seinen Wahn passt. Ebenso verzichtet er auf irgendeine Erwähnung der Giftgasbestände Saddam Husseins, der Konflikte um verhinderte Waffeninspektionen, der gescheiterten Sanktionen unter denen zehntausende Kinder starben. Für Moore ist 9/11 nur ein Mittel zum Zweck, sein eigenes Programm zu forcieren. Seine penetrante Leugnung des Terrorismus gibt noch jenen recht, die im Gefolge des 9/11 unablässig die Gefahr des Terrorismus zur Hauptbedrohung stilisierten und somit unverhältnismäßige Ängste schürten.
Flight 93 ist ein gutes Kontrastprogramm zur Marktschreierei Moores. Auf die Einführung von oskarträchtigen Hauptrollen wird verzichtet. Nicht einmal die Terroristen werden besonders stereotyp inszeniert. Sie erscheinen als angreifbare Individuen ohne spezifische Zeichen des Wahnsinns, fast mitleiderregend. Die polyphone Erzählweise verläuft in einer technisierten Sprache, die positivistisch den Fall „Hijack“ einplant, aber seine Besonderheit weder adäquat erkennen, noch auf sie reagieren kann. Die Vermitteltheit von Kommunikation zwischen zuständigen Stellen der Luftaufsichtsbehörde, zwischen Passagieren und Terroristen wird als Problem wie als Lösung gleichzeitig benannt. Flight 93 ist eine Fundgrube für postmoderne Theorien über Zeichen, Deutung und Kommunikation. Mehr als das ist der Film trotz der starken Suspense-Lastigkeit eine realistische und zurückhaltende Darstellung des Geschehens. Durch diesen fühlbaren Respekt den Opfern gegenüber wird Empathie befördert, wo vorher kein Bewusstsein über die Realität dieser Ereignisse bestand.