Der institutionalisierte Antiziganismus

Deutschland hat es nach den rassistischen Pogromen der 1990-er geschafft, ein liberales Selbstbild zu etablieren und zugleich eine zutiefst dem nazistischen Bedürfnis entsprechende Ausländerpolitik zu fahren. Immer noch droht für 10 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo die Abschiebung und damit grenzenlose Armut und die ständige Drohung des antiziganistischen Pogroms.

Für das Brandmarken und die Prügelstrafe, die Zigeuner 1711 durch eine Anordnung August des Starken vor der Ausweisung erwartete ist man sich heute zu modern, im Geiste hält man es mit dem uralten Ressentiment gegen die Mobilität verkörpernden Kollektive. Lewy weist nach, dass die Rassisierung der Sinti und Roma der Feindschaft gegenüber der von ihnen verkörperten Mobilität weitgehend untergeordnet war und erst spät in Paragraphen gefasst wurde. Wie der ältere Antisemitismus weist das gegen Sinti und Roma gerichtete Ressentiment eine Prävalenz auf, die sich einer Interpretation als kulturell bedingt oder einem bestimmten gesellschaftlichen Zustand gemäß sperrt. Im Kern ist das Ressentiment einem gegen die Juden gerichteten außerordentlich ähnlich: Die Mobilität wird mit Bedrohung und Glücksversprechen assoziiert. In der Geschichte der Sinti und Roma in Europa gab es stets drei Konstanten: Die häufig zwangsweise Seßhaftmachung, die massenhaft in der Sowjetunion vollzogen wurde, und die ebenso zwangsweise Mobilisierung, die Fahrende zum Weiterziehen und zur Flucht nötigte. Und als drittes tritt die Vernichtung dazu, systematische Menschenjagd. Seit der Erklärung zu „Vogelfreien“ wurden Zigeunerkinder auf Jagdlisten zwischen Rehen und Hasen  erwähnt, im Nationalsozialismus fand Joseph Mengele dann besonderen Gefallen daran, Zigeunerzwillinge in seinen „Experimenten“ zu Tode zu foltern.

Jegliche Argumentation, die auf noch bestehende juristische oder ökonomische Umstände rekurriert, geht am Kern des Problems vorbei und rationalisiert den Plan zur Massenabschiebung noch zum irgend verhandelbaren Gegenstand oder zum Interessenskonflikt. Ob im Kosovo ein wie auch immer zu fassender inakzeptabler Zustand herrscht ist ebenso nebensächlich wie die schrumpfenden Bevölkerungszahlen, die sich Deutschland als eines der letzten Länder der Welt leistet. Das Bedürfnis, die Roma abzuschieben ist ein allein dem rassistischen Ressentiment entsprungenes – es steht in der unmittelbaren Tradition der Aggression die in den Vernichtungslagern gipfelte. Nur das kann zur Sprache kommen, wenn es gegen die immer noch drohenden Massenabschiebungen und die Psychofolter des widerwärtigen Instruments der Kettenduldungen geht.

Quellen:

Guenter Lewy: „Rückkehr nicht erwünscht.“ Die Verfolgung der Zigeuner im Dritten Reich. Propyläen, 2000.

Benjamin Laufer: Deutschland schiebt weiter Roma in das Kosovo ab. Heise, 21.2.2010.

Italien – Siegeszug des Faschismus

Der Umgang mit Flüchtlingen ist weder primär noch sekundär ein ökonomisches Problem. Auf dem heutigen Stand der Produktionsmittel ist es auch innerhalb kapitalistischer Produktionsweise allein eine kulturelle und ideologische Frage, wie mit Menschen umgesprungen wird, die von externen Faktoren zur Flucht gezwungen werden. Für viele afrikanische, amerikanische oder asiatische Staaten ist es absolut üblich, Millionen von Flüchtlingen aufzunehmen. Die USA sicherten sich so über lange Zeit ein imposantes Subproletariat ebenso wie gut ausgebildete Eliten. In dem knapp 300 Millionen Menschen zählenden Staat ist es selbst für konservative Regierungen kein Problem, mal eben immerhin einige Millionen illegaler Immigranten zu legalisieren. Pakistan nahm Millionen afghanischer Flüchtlinge auf, in die bettelarmen Nachbarländer des Sudan strömten Flüchtlinge aus Darfur und Kenia sorgte schlecht und recht für die somalischen Flüchtlinge, die infolge der Inkompetenz der UN immer noch nicht zurückkehren können. Würden sich aber beispielsweise in Indien Regionen nach Überschwemmungen weigern, die Millionen Binnenflüchtlinge aufzunehmen, die Welt wäre entsetzt und schnell dabei, das etwa als exotischen Ausdruck hinduistischer Gleichgültigkeit zu geißeln.

Staaten wie Deutschland oder Italien nehmen für sich in Anspruch, mit fadenscheinigen Argumenten wie Integrationsproblemen oder Arbeitsmarktkomplikationen Menschen fundamentale Grundrechte zu verweigern. Italien nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein und mausert sich in Riesenschritten zum Entrepreneur in Sachen demokratischer Faschisierung. Vernichtungsphantasien von Seiten der starken Rechten tobten sich schon lange an wehrlosen Objekten aus: Flüchtlingsboote wollte mancher bombardieren, in den Lagern, in denen Flüchtlinge konzentriert werden, herrschen unmenschliche Zustände, während wenige Kilometer weiter der Papst weihevolle Reden von Mitgefühl hält. Sinti und Roma sind prädestinierte Zielgruppen aller europäischen nationalistischen Bestrebungen und in Italien auf der gar nicht sprichwörtlichen Abschussliste ganz oben verzeichnet. Kriminelle Akte, unausrottbare Normalität in der bürgerlichen Gesellschaft und erst recht in einem mafiösen Staat wie Italien, werden dann zum Anlass genommen, massenhafte Ausschaffungsaktionen durchzuführen. Maßnahmen wie die gesetzliche Abnahme von Fingerabdrücken von Roma-Kindern sind erste Produktionsschritte der altbekannten, aber in Sachen Modernisierung generalüberholten Exterminierungsmaschinerie. Während sich in Neapel Müllhaufen seit Jahren stapeln, hat man noch genügend Bulldozer und Mittel parat, um bei Nacht und Nebel einige illegale Roma-Siedlungen zu beseitigen.

Jetzt haben sich die italienischen Faschisten endgültig durchgesetzt mit der Forderung nach einer Trennung von Schulklassen: Ausländer, die nicht genügend Italienischkenntnisse aufweisen, sollen separat unterrichtet werden. Die Bigotterie des als rational vorgeschobenen Arguments, es gehe darum, den Schülern Italienisch beizubringen, wird an der gleichzeitigen Kürzung von Lehrstellen deutlich. Die markierte Differenz feiert Urständ: In deutschen Foren tobt der Jubel, jeder dritte Kommentar feiert die italienische Entschlossenheit und jeder zweite weiß von Problemen zu berichten, die durch mangelnde Sprachkenntnisse ja so wirklich und real entstünden. In afrikanischen Staaten ist es allerdings normal, dass Schulklassen zwei-, drei- oder fünfsprachig stattfinden, ohne dass das zu größeren Problemen als den üblichen  ökonomischen führen würde. Wer allemannische Dialekte aus dem Schwarzwald oder hessisches Platt kennt, würde Sprachkenntnisse im Deutschen nicht leichtfertig vom Pass abhängig machen. In Deutschland mit seinen 2 Millionen mehr oder weniger türkisch sprechenden Bürgern ist es gleichsam undenkbar, Türkisch als in ferner Zukunft einmal mögliche zweite Amtssprache auch nur anzudenken. Selbst englischsprachige Filme werden zu 100 Prozent synchronisiert, während man in den östlichen Nachbarländern sehr selbstverständlich auch deutsch spricht und etwa die Schweiz mit drei Amtssprachen brilliert. Reale Probleme des Bildungssystems stehen somit kaum zur Debatte: Schließlich werden sie nicht liberal und rational zu Gunsten einer gleichberechtigten Schülerschaft verhandelt. In Wirklichkeit geht es nur um einen weiteren erfolgreichen Tabubruch bei der Einrichtung eines fremdenfeindlichen Faschismus. Den zum Erfolg Bestimmten solle die Unfähigkeit der Fremden ein Hemmschuh sein. Der Widerspruch, warum ökonomisch sehr viel schlechter gestellte Staaten sehr viel selbstverständlicher mit Flüchtlingen umgehen, juckt im Land des Katholizismus wenig. Die Linke gibt sich indes unehrlich empört. Wo gegen die USA noch Millionen auf die Straße gingen, versammeln sich angesichts der Manifestierung solcher faschistischen Umtriebe in der italienischen Staatspolitik einige wenige Grüppchen zum bunten Händchenhalten.