Dass gerade Sozialisten oft zu den eifrigsten Agenten des Marktes gehörten, ist seit über hundert Jahren bekannt – Sozialisten arbeiteten im Durchschnitt länger und motivierter als andere Teile der Arbeiterschaft. Längst hat man sich selbst von der Revolution zur Reform domestiziert. Die mühsamen Versuche, parteipolitisch originell zu wirken gleichen sich jener politischen Pausenclowneskerie des Kulturbetriebes an. In Marburg versteht sich „Die Linke“ in dieser Tradition als radikalste Reformerin des Marktes schlechthin – des Weihnachtsmarktes.
„Es ist höchst bedauerlich, dass der Weihnachtsmarkt in dieser einerseits historischen, andererseits aufwändig gestalteten Umgebung nach wie vor ein 08/15-Weihnachtsmarkt ist.“ So zitiert die Oberhessische Presse am 6.1.2009 aus einem Antrag der Linken. „Mit Ausnahme eines Standes mit künstlerischer Keramik böten alle Stände dasselbe an: pseudoexotischen Kitsch und Schmuck aus Fernost, industriell gefertigtes Zuckerzeug, Tütensuppen, bunte Tücher und Kerzen. Einheimisches Kunsthandwerk fehle nahezu völlig. Damit werde eine kulturelle und auch eine touristische Chance vertan.“
Nun hindert sicherlich niemand die Linke, auf dem Weihnachtsmarkt 2010 einen Stand anzubieten, an dem man dann so wohlfeiles Kunsthandwerk wie Picasso-Nachdrucke (Guernica, mit dezentem Wasserzeichen-Aufdruck „Raus aus Afghanistan“), Nicki de Saint-Phalle-Nachbildungen (die Gartenzwerge für AvantgardistInnen) und Liköre aus dem Marburger Hinterland erhalten wird. Die Linke bringt es allerdings fertig, in eine saisonale Ansammlung von privaten Kleinbetrieben die Idee eines staatlich verordneten Konzeptes hineinzubringen, „um einen wirklich typischen Marburger Weihnachtsmarkt zu schaffen“.
Die Melange aus Modernisierungsstrategie und Anbiedern ans Brauchtum ist eine zu typische Tendenz historischer sozialistischer Bewegungen. In der Sehnsucht nach kollektiver Breite wird noch jedes Versprechen auf Kritik beerdigt – Kritik heißt nunmehr, den konservativen Massen vorzuwerfen, sie seien nicht auf dem neuesten Stand des Brauchtums. Aus der Kritik am Verwertungsprinzip wird in der Regression der Vorwurf der Dekadenz. An der gebotenen Kritik am Verblendungszusammenhang übt das Insistieren auf Echtes, Wahres, Geerdetes den Verrat. Den Widersprüchen der Revolution der Industrialisierung mit ihrer Freisetzung menschlicher Arbeitskraft wird wieder durch Maschinenstürmerei begegnet – der Bildungsbürger gönnt den gerade zu bescheidenem Wohlstand gekommenen Arbeitern aus der Salzbrezelfabrik nicht einmal die jährliche Zuckerwatte und das ganz ausgefeilt auf Unnützigkeit getrimmte Halbedelsteinmobile. Längst hat man sich in der Linken das Prinzip zu Herzen genommen, das Adorno und Horkheimer der Kulturindustrie diagnostizierten: „Der Fortschritt der Verdummung darf hinter dem gleichzeitigen Fortschritt der Intelligenz nicht zurückbleiben.“