Wieviel Antisemitismus in einem oberflächlich völlig harmlosen Bild verpackt werden kann, beweist die Wochenzeitung „Die Zeit“ in ihrer aktuellen Ausgabe. Der Titel: „Warum kommt das Land nie zur Ruhe“?
Ruhe ist ein merkwürdiger Begriff für die Abwesenheit von Krieg, könnte aber für andere Konflikte durchaus stilistisch unverdächtig sein. Im Falle des jüdischen Staates kommuniziert eine deutsche Zeitung jedoch einen verkappten Todeswunsch: Israel solle zur letzten Ruhe kommen, mitsamt seinen Geistern der Vergangenheit.
Das erscheint womöglich weit hergeholt. Die Bildsprache liefert aber weiteres Material: Eine Frau mit blonden Zöpfen, die in eine Israelflagge gehüllt auf Jerusalem blickt. Sie wird visuell als Grund präsentiert, warum das Land „nicht zur Ruhe kommt“.
Nun hat die Darstellung blonder Jüdinnen eine gewisse Tradition. In Holocaustfilmen sollen sie die Rassentheorie widerlegen und gleichzeitig dem Publikum eine Identifikationsfigur anbieten. Hier wird der Kontext erneut rassisiert: Als blonde Frau steht sie für die Ashkenasim, die europäischen Juden, die nach Israel flohen. Ihre Blondheit kommuniziert dem Publikum nicht mehr Ähnlichkeit, sondern Fremdheit: Sie gehöre nicht in „arabisches Land“, wo es einem Vorurteil zufolge keine blonden Frauen gebe. Ihre Blondheit signalisiert eindeutig Fremdheit.
Das unterstreicht der Untertitel:
„Einst besiedelten Juden aus aller Welt arabisches Land. Diese Entschlossenheit ist bis heute Segen und Fluch.“
„Einst“ – das ist eine Enthistorisierung, die den Holocaust ebenso zudeckt wie die gewaltsame Vertreibung von einer Million Juden aus der arabischen Welt.
„Arabisches Land“ – damit wird der alte Yishuv posthum noch einmal enteignet, die Siegergeschichte erzählt. Mit dem arabischen Aufstand von 1936-38 verloren die Juden die in der Balfour-Deklaration garantierten Gebiete in der Westbank, was die spätere Vertreibung der dort lebenden Juden ebenso begünstigte wie die ethnische Säuberung des jüdischen Viertels von Jerusalem durch die jordanisch-britischen Truppen.
In dieser kurzen Floskel wird die gesamte jüdische Geschichte im Orient durchgestrichen. Juden waren in der arabischen Welt lange zu Hause, bevor man überhaupt von Arabern sprach. Die ersten Muslime unter Mohammed trafen auf Juden – denen sie Land und Leben raubten. Wie Tilman Tarach und andere Quellen in den letzten Jahren verstärkt belegten, war etwa 1/4 der Bewohner Bagdads zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch jüdisch. Diese Juden waren arabische Juden. Selbst wenn sie heute in der Westbank siedeln, bleibt das Land nach der gesetzten reaktionären Einheit von Land und Ethnos „arabisch“. Die stets zum Scheitern verurteilte ethnische Unterscheidung in „Juden und Araber“ soll verdecken, worum es wirklich geht: Um den Islam. Was den Konflikt erzeugte, war, dass Juden sich auf einmal islamisierten Land emanzipierten, den Dhimmi-Status abwarfen und die chauvinistischen islamischen Araber abwehrten.
Mit der Täter-Opfer-Verkehrung im Text der Zeit aber wird der Ahasver-Mythos wieder erzeugt. Der ewig heimatlose und ruhelose Jude, der stets des Verrats verdächtig ist und nirgends dazugehören darf. Gegen diesen antisemitischen Mythos wurde Israel gegründet und verteidigt.
Daher letzte Vorwurf der „Zeit“: die Entschlossenheit. Wenn Juden ums Überleben kämpfen, so gelten sie schon als fanatisch, während man ihre Gegner noch als Verhandlungspartner hofiert, wenn sie sich offen als Nazis outen. Diese laut Zeit „verfluchte“ Entschlossenheit der Juden war seit 2000 Jahren Lamento der Christenheit, die in all ihren Gebeten und daran angeschlossenen Pogromen die „Halsstarrigkeit“ der bekehrungsresistenten Juden beklagte, bevor sie diese auf den Scheiterhaufen schickte.
Die Zeit beantwortet in der Tat, woher der Konflikt wirklich kommt: aus dem Antisemitismus der Mitte, aus dem liberalen Deutschland und seiner Bereitschaft, den antisemitischen Ahasver-Mythos der islamischen Propaganda nachzuerzählen: Dass Juden eigentlich nicht nach Israel gehören würden.
Langer Text, alles richtig. – In meinem Alltag einer gutbürgerlich-aufgeklärten Uni-Stadt höre ich jeden Tag, jeden Tag Antisemitismen, auch von mir lieben Menschen. Es ist zum Schreien!