Auf dem Freiburger Filmforum 2023 sollte der Film „Ordalies“ aus Brazzaville gezeigt werden. Der sehenswerte Film folgt einer Gruppe von selbsternannten Friedensrichtern, die Hexereianklagen verhandeln, um diese friedlich zu verregeln.
Der Organisator des Panels lud mich ein, mit zwei weiteren Personen auf einem eigens für den Film geschaffenen Panel „Moderne Hexenjagden“ zu sprechen. Eingeladen wurde ebenfalls David Signer, der ein Buch über Hexereivorstellungen in Westafrika geschrieben hat. Auch wenn ich mit David Signer an wesentlichen Punkten nicht einig bin, konnte ich mir eine Diskussion vorstellen. Der Organisator versuchte in mehreren Anläufen, entweder Betroffene oder schwarze Aktivist*innen für das Panel zu gewinnen. Ich konnte ihm den Kontakt mit Leo Igwe, einem der renommiertesten Aktivisten für Hexenjagdopfer, vermitteln und er sagte eine Teilnahme per Online-Panel zu. Das Budget und der begrenzte Zeitumfang begrenzten die Zahl der Referent*innen.
Eine Woche vor der Veranstaltung wurde das Panel nach einer Diskussion im Team abgesagt. Die genauen Gründe sind mir nicht bekannt, es ist jedoch klar, dass das Thema Hexenjagden in Afrika ein Problem war und der Wunsch im Raum stand, das Thema nur von Menschen aus Afrika besprechen zu lassen. Im Gegensatz zum Statement, Leo Igwe sei ein akzeptabler Referent gegen den im Team nichts spreche, wurde auch er ausgeladen.
Ich wurde kurze Zeit später von der NZZ angesprochen, ob ich Fragen zum Vorgang beantworten könne. Die Neue Züricher Zeitung ist durchaus eine Qualitätszeitung, jedoch mit eindeutig rechtspopulistischer Agenda und klarer Ausrichtung auf ein rechtsliberales FDP-Publikum mit klaren Übergängen zur AFD. Es ist, kurzum, eine Zeitung, die ich boykottiere. Ich war jedoch damit konfrontiert, dass die Zeitung ohnehin den Vorgang ausschlachten kann und habe mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, wie folgt ausführlich zu antworten. Diese Antwort möchte ich öffentlich machen, um einer erwartbaren Verkürzung entgegenzutreten.
„Ich bedaure die kurzfristige Entscheidung des Teams des Freiburger Filmforums, da die Veranstaltung die Möglichkeit geboten hätte, ein globales Problem und dessen Opfer sichtbar zu machen und qualifiziert mit Fachleuten zu diskutieren. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass das Thema Hexenjagden einige Studierende erstmal überfordert. Es ist eine komplexe Aufgabe, das Phänomen in einer extrem konservativen, von rechter Propaganda durchseuchten Gesellschaft zu thematisieren. Hexereivorstellungen lassen sich nur mit erheblichem Lektüreaufwand und entsprechendem Rüstzeug aus empirischem Wissen, Psychoanalyse und Kritischer Theorie angemessen bearbeiten. Während meiner Forschung habe ich auch von bürgerlichen Professor*innen genug Ressentiments und Widerstände gegen das Thema erlebt. Daher hatte ich auch keine Chance, das Thema an Universitäten weiter zu beforschen. Das ist nichts Persönliches: Es gibt bundesweit keine einzige dauerhafte Stelle für moderne Hexenjagdforschung. Deshalb ist der Ausschluss auch nichts Neues für mich.
Das letzte, was die christkonservative Gesellschaft hören will, ist, dass kein intellektueller oder moralischer Unterschied besteht zwischen einem Jesus, der übers Wasser läuft und einer Hexe, die durch die Luft fliegt. Oder zwischen einer armen Gesellschaft, die Menschen als Hexen lyncht und einer immens reichen Gesellschaft, die Ertrinkende zurück ins Mittelmeer schubst.
Und auf Seiten des linken Kulturalismus vertritt man die Ansicht, dass sich die Religion der „Anderen“ nicht kritisieren lässt, solange vor der eigenen Tür genug Dreck liegt. Der entscheidende Unterschied zwischen linken und rechten Kulturalisten ist dabei, das es den linken wenigstens nicht um die bornierte Verteidigung der eigenen Religion und Kultur vor Kritik geht.
Nicht zuletzt liefern die Institute der Ethnologie den Studierenden nicht das notwendige theoretische Rüstzeug, komplexe Konflikte in anderen Gesellschaften zu bearbeiten. Der Trend geht ganz im Sinne des Konservativismus zu konfliktfreien Gefälligkeitsthemen, die niemanden verschrecken: Esskultur, Tattoos, Filme oder Tourismus. Mit Praxis und Interventionen will man nichts zu tun haben. In diesem bräsigen Klima überreagieren manche Menschen dann eben aus Überforderung heraus oder sie sind noch etwas ungelenk in ihrer Kritik und treffen daneben. Die sind mir oft lieber als die Mitmacher und ich sehe es als „friendly fire“, wenn es mich trifft.
Die Leute im Team konnten sich offenbar aus der schlechten Erfahrung an Universitäten heraus gar nicht vorstellen, dass die drei Eingeladenen sachlich diskutieren und den Horizont der Anwesenden erweitern. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass man Erwartungen und Ängste vorab mit mir diskutiert. Es wäre sicher hilfreich gewesen, wenn man Experten und Aktivist*innen aus Indien oder Papua-Neuguinea mitsamt Übersetzern hätte hinzuziehen können. Es gab Versuche dazu und ich habe erfolgreich den Kontakt zu Dr. Leo Igwe aus Nigeria vermittelt. Für mehr fehlten der Moderation des Panels aber schlichtweg die Mittel und die Zeit.“