Millionen Aufrufe generieren Videos von forschen Männern, die Biberdämme einreißen. In Hochwasserhosen oder Gummistiefeln, mit Baggern oder Gabeln tragen sie Stück für Stück Holz vom Bau ab, bis der Bach wieder frei fließt. Manche sind neutral untertitelt, andere machen aus ihrer Abneigung gegen Biber keinen Hehl: „Beavers set me up!“ oder „Beavers should be more on the menue!“. Typische Kommentare sind „Great Job!“ und „Why don’t you use dynamite!“
Fox River Bushcraft (3340) und Gene Plumley (1370) gehören zu den eher kleineren Kanälen, während msTech86 mit 20300 Abonnenten, Terell Spivey mit 26.100 und Kenislovas mit 50300 Abonnenten bereits deutlich größere Dimensionen erreichen. Im Umfeld der Beaverdam-Removal-Videos finden sich auch Beaver-hunting-videos, in denen Amateure und professionelle Jäger sich beim Abdrücken von Bibern filmen.
Das Kuriose ist, dass sich unter den Filmen eine endlose Liste an Kommentaren findet, die das beklatschen und bejubeln. Kritische Kommentare werden mindestens im Verhältnis 10:1 überstimmt.
Europa beherbergt nach einem Tiefpunkt von 1200 Tieren in etwa acht Reliktpopulationen in ganz Eurasien heute wieder 1,2 Millionen Tiere. In ganzen Regionen gilt die Art Castor fiber noch immer als ausgerottet und Biberdämme gelten als Attraktion und besondere Sehenswürdigkeit.
Anders in Nordamerika. Dort gab es vor der Ankunft der Europäer etwa 60-400 Millionen Biber der genetisch abzugrenzenden Art Castor canadensis, die auch in Finnland und Asien eingeführt wurde und parallel zu Castor fiber Populationen bildete. Bis kurz nach der letzten Eiszeit existierten noch die bärengroßen Riesenbiber Castoroides. Heute existieren noch etwa 15 Millionen Tiere der Art castor canadensis.
Biberdämme werden teilweise über Generationen aufgebaut und gewartet, bis sie beachtliche Größen erreichen. Die Tiere passen die Höhe der Dämme an den Wasserstand an und regulieren aktiv den Wasserabfluss. Dadurch verbessern sie die Wasserretentionsfähigkeit des gesamten Bachlaufs erheblich. Lediglich Sturzfluten können die Dämme wegreißen und für erhebliche Flutwellen sorgen.
In den fast stehenden Gewässern hinter Biberdämmen vermehren sich Amphibien und Fische, Libellen und andere Wasserinsekten. Langfristig entstehen Schilfgürtel, in denen Wasservögel brüten. Die gefällten und teilweise halbgefällten Bäume liefern Totholz für Insekten. Der Stockausschlag von Weiden garantiert eine nachhaltige Nahrungsgrundlage für die Biber, die sich von Rinde, Trieben und Blättern, aber auch von Kräutern ernähren. Der Umkreis, in dem sie Bäume fällen, ist begrenzt. Allerdings plündern Biber gern auch Rüben- und Rapsfelder. An Steilufern entstehen „Biberrutschen“, die für Eisvögel interessant werden. Aus ökologischer Sicht ist der Biber einer der besten Landschaftsarchitekten und ein Großteil der wasserbasierten Artenvielfalt ist nicht nur an den Biber angepasst, sondern sogar auf ihn angewiesen.
Reale Konflikte entstehen dort, wo Obstbäume gefällt werden, wo Klärwerke, Straßen, Gleise, Brücken geflutet oder Deiche untergraben werden. In sehr seltenen Fällen ist eine Gefährdung von Orchideenstandorten durch Überflutung denkbar. Bibermanagement ist daher notwendig, und dazu gehört selten auch, einen Damm zu öffnen, Biber umzusiedeln oder zu vergrämen.
Das Publikum der Biberdammentfernungsvideos ist allerdings von Hass und Hohn für die Tiere geprägt. Sie werden als Schädlinge („varmint“, „vermin“, „parasites“) bezeichnet. Der Biberdamm repräsentiert ihnen den Triebstau, das Fließen des Flusses die Ejakulation, die braunen Biber selbst werden mit dem Fäzes gleichgesetzt. Der Biberhass kann als typisches Beispiel für eine zivilisatorische Kanalisierung sexueller Energie gelten, die aus Halbbildung geboren ist. Der Anspruch, die umgebende Natur zu kontrollieren und zu beherrschen wird durch die Präsenz eines eigenwilligen, in großem Stil wirksamen Tieres gekränkt. Mit der technologisch eher stupiden Arbeit der Öffnung von Biberdämmen kann durch einfachste Mittel ein Schwall von Selbstwirksamkeit erfahren werden, der auf das Publikum abfärbt.
Da die Zerstörung von Biberdämmen die Tiere Stress aussetzt und Prädatoren ausliefert, sind die Videos als Tierquälerei anzusehen. Zahllose an stehendes Wasser angepasste Tiere werden abgeschwemmt oder verenden im trockengelegten Land. Davon unberührt schwelgen Kommentare im „ASMR“-Moment, das Wasser wieder plätschern zu hören.
Die Entfernung des Damms gilt als Akt der Befreiung. Rationalisierungen werden stets nachgeliefert, die Videos erklären meist weder Zweck noch Inhalt der Arbeiten. Es handelt sich nicht um Bibermanagement im Sinne eines vermittelnden Naturschutzes, sondern um stupide Landschaftsgärtnerei im Auftrag von Kommunen oder Privatpersonen. Erst aus der Defensive heraus werden Argumente geliefert wie die Gewährleistung der Dränierung, die Wiedergewinnung von Ackerland, oder die beliebteste Rationalisierung überhaupt: „I just do my job, fuck you very much!“
Biberdammentfernungsvideos bewerben eine extrem zerstörerische und nur in Ausnahmefällen rational begründbare Tätigkeit als „fun“ und, heute eventuell noch wichtiger, „relaxation“: „calming to watch!“
Solche zelebrierte, als Naturliebe maskierte Naturfeindschaft verhärtet sich gegen jedes Argument. Sie ist Resultat konservativer, aber auch sozialdemokratisch-technokratischer Aufklärungsrückstände. Wo man nicht einmal eine der wichtigsten Tierarten der Welt verstanden hat, herrscht naturkundlicher Analphabetismus und dieses Nichtwissen öffnet Portale für die pathischen Projektionen auf unverstandene Natur.
Kommentare aus:
https://www.youtube.com/watch?v=UIVhMi5M_VM (Polen)
Siehe auch:
https://nichtidentisches.wordpress.com/2011/02/15/hommage-an-den-maulwurf/