Der einzig wahre Hammer…

„Zuletzt liegt ein Angriff […] im Sinn und Wege meiner Aufgabe […], ein Angriff auf die in geistigen Dingen immer träger und instinktärmer, immer ehrlicher werdende deutsche Nation, die mit einem beneidenswerten Appetit fortfährt, sich von Gegensätzen zu nähren und „den Glauben“ so gut wie die Wissenschaftlichkeit, die „christliche Liebe“ so gut wie den Antisemitismus, den Willen zu Macht (zum „Reich“) so gut wie das évangile des humbles ohne Verdauungsbeschwerden hinunterschluckt… Dieser Mangel an Partei zwischen Gegensätzen! Diese stomachische Neutralität und „Selbstlosigkeit“! Dieser gerechte Sinn des deutschen Gaumens, der allem gleiche Rechte gibt – der alles schmackhaft findet… Ohne allen Zweifel, die Deutschen sind Idealisten.“

„Aber hier soll mich nichts hindern, grob zu werden, und den Deutschen ein paar harte Wahrheiten zu sagen: wer tut es sonst? – Ich rede von ihrer Unzucht in historicis. Nicht nur, daß den deutschen Historikern der große Blick für den Gang, für die werte der Kultur gänzlich abhanden gekommen ist, daß sie allesamt Hanswürste der Politik (oder der Kirche) sind: dieser große Blick ist selbst von ihnen in Acht getan. Man muß vorerst „deutsch“ sein, „Rasse“ sein, dann kann man über alle Werte und Unwerte in historicis entscheiden – man setzt sie fest… „Deutsch“ ist ein Argument, „Deutschland, Deutschland über alles“ ein Prinzip; die Germanen sind die „sittliche Weltordnung“ in der Geschichte; im Verhältnis zum imperium romanum die Träger der Freiheit, im Verhältnis zum achtzehnten Jahrhundert die Wiederhersteller der Moral, des „kategorischen Imperativs“… Es gibt eine reichsdeutsche Geschichtsschreibung, es gibt, fürchte ich, selbst eine antisemitische, – es gibt eine Hof-Geschichtsschreibung und Herr von Treitschke schämt sich nicht… […] Alle großen Kultur-Verbrechen von vier Jahrhunderten haben sie [die Deutschen] auf dem Gewissen!“

Der „deutsche Geist“ ist meine schlechte Luft: ich atme schwer in dieser Instinkt gewordnen Unsauberkeit in psychologicis, die jedes Wort, jede Mine eines Deutsche verrät. […] Das was in Deutschland „tief“ heißt, ist genau diese Instinkt-Unsauberkeit gegen sich, von der ich eben rede: man will über sich nicht im klaren sein. Dürfte ich das Wort „deutsch“ nicht als internationale Münze für diese psychologische Verkommenheit in Vorschlag  bringen? […] Ich habe Gelehrte kennen gelernt, die Kant für tief hielten; am preußischen Hofe, fürchte ich, hält man Herrn von Treitschke für tief.“

(Friedrich Nietzsche, „Ecce Homo“. Werke, hg.1999 Hanser-Verlag, S. )

Nicht nur weil die halbe „Dialektik der Aufklärung“ aus diesem Rhizom geschnitzt ist, auch wegen solcher fantastischer und durchs ganze Werk gestreuten Boshaftigkeiten gegen den deutschen Geist und seiner Kritik am Antisemitismus ist Nietzsche heute so aktuell wie zu seiner Zeit. Sieht man von der verzweifelten Unruhe gegenüber dem weiblichen Geschlecht ab, die in ihrer Misogynie noch einen Wunsch nach befreiter weiblicher Individualität barg und in seiner Bösartigkeit noch eine Kritik am durch Unterdrückung gebildeten Charakter, ist Nietzsche der einzig wirkliche Aufklärer, der sich auch nicht schämt, einem Kapitel den Titel zu geben: „Warum ich so klug bin“.


17 thoughts on “Der einzig wahre Hammer…

  1. die eliminatorische dimension der nietzschen philosophie ausser acht gelassen, seine befürwortung der sklaverei, seinen ,zugegeben nicht
    deutschen, rassismus ausgeblendet, könnte man ihn tatsächlich
    für einen auklärer halten.

    btw ist nietzsches kritik am antisemitismus mitnichten humanistischer natur.

  2. Belegen bitte, wenn es doch interessant wird.

    Der „Wille zur Macht“ ist übrigens kein originäres Werk Nietzsches. Deshalb fand auch kein Werk mit diesem Namen Eingang in die „Werke“ aus denen ich zitiert habe.

    Nietzsche nimmt häufig Rekurs auf das Judentum und dabei sehr oft in verteidigender Manier.

    Die Begriffe der „Entartung“ sowie des „Übermenschen“ sollte man bei Nietzsche schon sehr genau analysieren, bevor man sie mit den NS-Begriffen in eins setzt.

    Abgesehen davon ist schon klar, dass Nietzsche in seinem Narzissmus auch sehr unangenehme Seiten zeigt. In Sachen radikaler Kritik ohne Rücksicht auf die eigene Position macht ihm aber so schnell keiner was vor.

  3. mit begriffen des ns habe ich nitzsches philosophie nicht in
    eins gesetzt.

    und zu den belegen (bin grade zu faul die selber rauszusuchen)
    hier ein link zu einem kurzen aufsatz, der, wie ich finde,
    dass thema recht gut erfasst.

    http://www.f-nietzsche.de/pfahl_holocaust.htm

    und dass nietzsche den deutschen es zum vorwurf macht,
    sie seien idealistisch genug um gleiche rechte für alle
    zu fordern, klingt doch schon etwas seltsam…

  4. Gleiche Rechte zu fordern ist sicherlich idealistisch, da von der Bedingung des positiven Rechts, dem Souverän, abgesehen wird. Auf diese zu reflektieren hieße aber erkennen wie Recht im Nationalen Rahmen, in dem es historisch nur gesichtert werden kann, a) gegen Andere gesetzt wird und b) daher die Bedingung der Ungleichheit allein schon deshalb in sich trägt, da die Subjekte für die Recht gilt letztlich willkürlich gewält sind. Dass c) gleiches recht bei ökonomischer Ungleichheit die Ungleichheit verrechtlicht, hatte Nietzsche denke ich weniger auf dem Schirm, die ersten beiden Punkte schon, was sich darin ausdrückt, dass in de von Nichtidentisches zitierten Passage ja gar nicht von bürgerlicher Gleichheit im eigentlichen Sinne gesprochen wird, sondern von der Gleichberechtigung die Gegensätzliche Ideologeme vor dem willkürlichen Äquivalent des deutschen Gaumens genießen.

    Für Problematisch erachte ich allerdings dass der Kritik der Moral & des Idealismus eine Essentialisierung des Ist-Zustandes (etwa wenn Sein notwendig als Ausbeutung/Kampf begriffen wird) entgegengesetzt wird, die angereichert mit dem Nietzschen Superhumanismus wohl kaum zu einer Aufhebung des bestehenden führen wird…
    Superhumanismus? Damit versuche ich zwei Eindrücke in einen Begriff zu fassen:
    – 1. die Idee des Übermenschen, die mir ihrerseits Projektion zu sein scheint (idealistisch oder eher biologisch materialistisch, da könnte ich mich im Moment gerade gar nicht entscheiden, insbesondere die Zarathustra Figur äußert sich sehr widersprüchlich, und arbeitet stehts an der eigenen Überwindung. Zudem ist auch nicht immer klar ob der Übermensch als historisches oder als geistiges Konzept gelten muss. Im 2. Fall könnte jeder Übermensch sein, und niemand wäre über dem anderen Mensch, allerdings bleibt die Flanke zum Faschismus wohl offen…),
    – 2. aber auch meine Überzeugung, dass man Nietzsche schwer als Humanisten bezeichnen kann. Das erstmal, weil ihm die Idee abgeht, dass es eine menschliche Essenz geben könnte, die diesen Prinzipiel wertvoll macht, dann aber auch weil Nietzsche ja gerade den Humanismus als Ideologie durchschaut, die nach rationalistisch – klassifikatorischen Prinzipien den Menschen definierend versucht, das Rohmaterial Mensch nach dem zuvor entworfenen Bild zu formen. Ein Paradebeispiel solcher Humanisten wäre Thomas Manns Weltrepublikaner Settembrini, der glaubt, gäbe es erst eine umfassende Enzyklopaedie der Welt, so könnte man auch die Menschen zu vollkommenen Menschen bilden…

    Daher: Nietzsche sicher kein Humanist… in vielen Punkten vielleicht sogar Materialist/Dialektiker, allerdings mit einem Drang zu Essentialien, die dem Histomat fremd sind… der jedoch abstrahiert von menschlicher Naturverhaftetheit u. psyche, was Nietzsche erkennt…
    Zu seiner Kritik des Antisemitismus speziel kann ich wenig sagen, werde mir jetzt mal den Aufsatz durchlessen. On a related subject: Am schönsten liest sich immernoch, finde ich „Warum ich so gute Bücher schreibe“

  5. Nachtrag zu dem Aufsatz unter http://www.f-nietzsche.de/pfahl_holocaust.htm
    Im Teil: Nietzsche vs. Antisemitismus wird Nietzsche eine richtige Analyse des Antisemitimus als ideologie der schlecht Weggekommenen zugeschrieben, um dann zu behaupten, dass sich der Hass an sich gegen den „propagierten Anspruchs auf Gerechtigkeit und Gleichheit“ der Antisemiten richtete. Der Autor geht dafür die alte Rechtfertigung des Antisemtitismus dahingehend, dass dieser eigentlich etwas anderes wolle, mit und unterstellte Nietzsche eine Antisemitismuskritik aus falschen Gründen. Dass Nietzsche allerdings das Gleichheitsprinzip als deutsche Ideologie kritisieren könnte (s.o.), die den Antisemitismus als Anderes (genauer, als externalisierte Personifikation des Wertes) erst hervorbringt, wird nicht zugestanden. Nun geht Nietzsche soweit tatsächlich nicht, aber der Hinweis darauf, dass man den Juden neide dass sie „Geist’ haben – und Geld“, erkennt doch mehr als die Klassenlage der Antisemiten, er erkennt die Projektion, und die Einigkeit, mit der Ressentiment gegen (westl.-republikanischen Geist u. Geld voranschreiten).

  6. nun, mein erster einwand gegen nichtidentisches artikel war,
    dass ich nitzsche in den, in meinem ersten kommentar, genannten
    pukten, sklaverei, rassismus usw. nicht für aufklärerisch halte,
    nein ganz im gegenteil sind seine positionen, was diese punkte anbelangt, anti-aufklärerisch.

    zu nietzsches kritik am antisemitismus schrieb ich lediglich,
    dass sie nicht humanistisch motiviert sei.

    zu ersterem hat sich bislang noch niemand geäußert, zu
    letzterem scheinst du, cyrano, ja d’accord zu sein, da du
    nietzsche nun auch nicht für einen humanisten hältst.

    um nochmal auf den von mir verlinkten artikel zu sprechen zu kommen:
    ich halte die argumentation, dahingehend, dass nietzsche den
    antisemitismus kritisiert, weil er die antisemiten nicht mag,
    auch für schwach.
    dennoch geht aus dem aufsatz deutlich hervor, dass nietzsche
    die antisemitischen ressentiments aufgreift und positiv umdeutet.
    will sagen, er hält die juden schon für ein besonderes volk, ist also
    bestenfalls philosemit.

    „Es liegt auf der Hand, daß am unbedenklichsten noch sich die stärkeren und bereits fester geprägten Typen des neuen Deutschtums mit ihnen einlassen könnten, zum Beispiel der adelige Offizier aus der Mark: es wäre von vielfachem Interesse, zu sehen, ob sich nicht zu der erblichen Kunst des Befehlens und Gehorchens – in beidem ist das bezeichnete Land heute klassisch – das Genie des Geldes und der Geduld (und vor allem etwas Geist und Geistigkeit, woran es an der bezeichneten Stelle fehlt –) hinzutun, hinzuzüchten ließe.“

    Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, in: Bd. IV, S. 718

    (hervorhebungen von mir)

  7. Zu Sklaverei& Rassismus habe ich mich deshalb nicht geäußert, weil ich es bis jetzt noch nicht hinbekommen habe, die Werksausgabe umfassender zu durchstöbern, bis dahin halte ich mich zurück in erinnerung an des Philosophen Polemik gegen die Dichte, die er mit Gedichten einleitet… zuviel Glateis ohne Grundlage…
    Dass Nietzsches Kritik nicht genuin Humanistisch genannt werden kann etile ich tatsächlich, nur sehe ich eben den Humanismus als an sich sehr beschränkt, wenn es um die Kritik des Antisemitismus geht. Der Humanismus wie das menschenrecht setzten etwas das ein soll als „Ist“. Dmit nivellieren sie alle Widersprüche in der Projektion des Ideals, und übergehen eben gerade die „humanistische“ Grundlage des Antisemitismus. Zugespitzt: „Jedem das Seine“ und „Arbeit macht Frei“ sind nicht zynische Aneignungen zuvor wertfreier Prinzipien, soncdern das zuendedenken des Gerechtigkeitsprinzips auf völkischer Basis. Wer gleichheit fordert und die Produktionsverhälntisse nicht mitdenkt, braucht jemanden/etwas der dafür verantwortlich ist dass sich die Gleichheit nicht einstellt. Die Rede vom Menschen schließt unterm Kapitalismus das Konstrukt des Unmenschen mit ein, und wo Nietzsche auf die Gründe antisemtischer Projektion reflektiert scheint er das zuminest zu ahnen. Allerdings setzt Nietzsche seinerseits meines Erachtens auf eine Gegenprojektion / konzentrierte gesellschaftliche Verdrängungsleistung zur Auflösung kapitalistischer Widersprüche, und darin ist das völkische Konzept eben selbst dann angelegt, wenn Nietzsche kein spezifisches Volk benennt oder dem „Volk“ überhaupt skeptisch gegenüber steht.

  8. zunächst:
    mir ging es nicht um eine verteidigung des humanismus.
    mein widerspruch ist vor allem auf die aussage:
    „…ist Nietzsche der einzig wirkliche Aufklärer,…“
    gemünzt und an diesem meinem widerspruch halte ich nach wie vor fest.

    desweiteren meint nichtidentisches nietzsche sei „…heute so aktuell wie zu seiner Zeit.“
    es ist nur recht und billig dies zu behaupten, aber seine aussage
    bezieht sich auf nietzsches kritik am antisemitismus und am „deutschen Geist“ und da hätte ich jetzt gerne gewusst; warum?

  9. @ cyrano:

    wenn, die hier im thread und in dem von mir verlinktem
    artikel angeführten, zitate dir nicht genügen, um zu belegen
    dass nietzsche rassistisch argumentiert, nach was genau suchst
    du in der werksausgabe?

  10. Mein Problem fast diese stelle des von dir angeführten Aufsatzes ganz gut zusammen: „Eine ähnlich klare Frontstellung wie gegen den Nationalismus läßt sich bei Nietzsche gegenüber dem Rassismus nicht ausmachen. Zunächst fällt auf, daß in seinen Schriften das Verständnis von „Rasse“ unterschiedlicher Art ist. So verwendet der Philosoph den Begriff etwa in „Jenseits von Gut und Böse“ sowohl als Bezeichnung für bestimmte Völker („lateinische Rassen“), also als eine ethnische Kategorie, und gleichzeitig als Terminus für eine Herrschaftselite („regierende Rasse“), also als eine soziale Kategorie.(38) Auch in anderen Werken geht das jeweilige Verständnis von „Rasse“ durcheinander, was mitunter zu manchen problematischen Interpretationen in der bisherigen Nietzsche-Literatur führte. Gleichwohl dachte der Philosoph durchaus in ethnischen Dimensionen, wovon etwa Aussagen zur zentralen Bedeutung der Vererbung für die besondere Ausprägung von individuellen und kollektiven Einstellungen und Handlungen zeugen.(39) Gleiches bestätigt die Hervorhebung von äußeren Merkmalen („Farbe, Kürze des Schädels“) als Besonderheiten von Angehörigen bestimmter „Rassen“.(40) In Nietzsches Zeit bestand allerdings auch ein breiter Meinungskonsens über das Denken in solchen Kategorien“. Es ginge mir also eher um das wo und wie rassistischer Argumentation als um das ob.

    Zudem gehört es eben zu Nietsches Eigenarten falsche Spuren zu legen und zumindest rudimentär dialektisch voranzuschreiten, so dass einzelne Zitate of etwas belegen können, dessen Gegenteil ebensogut belegt werden kann, die chronologie der Argumente, und, etwa im Zarathustra, auch die Figurenrede währen dann entscheident…

    Ich denke worauf man sich einigen kann ist dass Nietzsches Denken of eine ausdehenung des Darwinismus aufs soziale zu Grunde liegt, und dass sich daraus der Nietzsche Elitarismus speist. Allerdings glorifiziert der selten Rassen, sondern mal die „Europa regierenden Kaste“, mal den „Übermenschen“, und abgegrenzt wird dieser scheint´s vom physisch/psyschich Unwerten, und dass wiederum vor allem in den nach „Also sprach Zarathustra“ erschienen Texten

  11. Endlich mal eine Diskussion.
    Nun bin ich zu wenig Nietzsche-Experte, um wirklich eine feste Position einzunehmen. Daher werte man den Satz mit dem einzig wahren Aufklärer als Provokation. Andere große Philosophen blieben in der Frage des Antisemitismus wesentlich stiller oder sogar kontrapunktisch. Beim Aufklärer Kant sucht man solche Polemik recht vergeblich, meine ich.

    Nietzsche hat zweifellos delirierende Phasen, überhebliche Phasen und unterschiedliche Werksabschnitte. Was also ausgereiftes Modell ist und was Rolle, die er einnahm, um ein bestimmtes Problem polemisch zuzuspitzen, überlasse ich einer vollständigen Lektüre. Ich blättere in Nietzsches Werk herum und finde Aufklärung und radikale Kritik, dafür relativ wenige fragwürdige Stellen. Diese wurden im verlinkten Beitrag nachgewiesen und dafür bedanke ich mich. Da sind eindeutig sozialdarwinistische Muster vorhanden.
    Es bleibt festzuhalten: Eine Rasseideologie gibt es bei Nietzsche in dem Sinne nicht. Er favorisiert bestimmte kulturelle Züge und stellt Deutschland auf die niederste Stufe, das ist wahr.
    In seiner radikalen Terminologie leistet Nietzsche auch dort Aufklärung, wo er eine reaktionäre Position einnimmt: Indem er mitleidiges, christliches Handeln als narzisstisch entlarvt und die Psychopathologie der Unterdrückten und Depravierten beschreibt. Er zieht möglicherweise der Sozialdemokratie die Autokratie vor. Möglicherweise nur weil sie ehrlicher ist.

    Sein Misstrauen, seine Verachtung der Gleichheit gegenüber indes ist durchaus mit der Kritik am faschistischen Gleichheitsideal in eins zu bringen. Dass etwas, was erfolgreicher ist, gleich genannt wird, obwohl es das in all seiner bösen wie guten Konsequenz nicht ist, dagegen tritt Nietzsche an. Seinen Höhenflügen folgt stets das Misstrauen: „Hier der Erste zu sein kann ein Fluch sein […] denn man verachtet auch als der erste…Der Ekel am Menschen ist meine Gefahr…“ (Ecce Homo)
    In diesem Oszillieren zwischen Reflexion und Gegnerschaft zu allem bekannten, starren, zähflüssigen, sich gut dünkenden ist er ehrlicher als die meisten Revolutionäre. Seine Aggression gegen das „Selbstlosigkeitsideal“, „Entselbstungsideal“ des Christentums ist eine gegen die Forderung nach Zurücknahme des Besonderen, damit gegen den Faschismus und eine für den Individualismus.

  12. In seiner Verachtung der Degradierung von leiblichen, sinnlichen Bedürfnissen ist ein weiterer Anknüpfungspunkt der Dialektik der Aufklärung gegeben, die ebenso die Entsomatisierung des Geistes mit den daraus gezogenen Konsequenzen der Unterwerfung allen körperlichen und damit identifizierten kritisiert. Die Opposition des „Dionysischen gegen den Gekreuzigten“ tritt ein für das Lustprinzip, den „genießenden Vater“, und gegen die Identifikation mit aufzuhebenden Zuständen, Krankheit und Schwäche. Darin spiegelt sich eine Angst, eine Abscheu vor der Krankheit, die ihn biografisch selbst bedroht und deren Krise ihn zuinnerst erschütterte. Darin ist Nietsche Sozialdarwinist, in der Tat Triumphator des über die Krankheit gesiegt habenden. Unter diesen ist er wenigstens der ehrlichste und aufgeklärteste. Ein weiteres Zitat von ihm, das der faschistisch-nazistischen Option widerspricht:
    „Wo man verachtet, kann man nicht Krieg führen. Wo man befiehlt, wo man etwas unter sich sieht, hat man nicht Krieg zu führen – Meine Kriegspraxis ist in vier Sätze zu fassen. Erstens: ich greife nur Sachen an, die siegreich sind – ich warte unter Umständen bis sie siegreich sind. Zweitens: Ich greife nur Sachen an, wo ich keine Bundesgenossen finden würde, wo ich allein stehe – wo ich mich allein kompomittiere […] Drittens: ich greife nie Personen an – ich bediene mich der Person nur wie eines starken Vergrößerungsglases […]“ (Ecce Homo)
    An anderer Stelle spricht er von wahrer Stärke als „abgeschirrter, lässiger“, die Stärke nicht anwendend und eben nicht ausrottend um eines idealisierten Zustandes willen.

    Gerade in den Aphorismen ist Nietzsche Adorno m.E. ebenbürtig oder zumindest vorgängig. Kurzum, es lohnt sich, gelegentlich mal mehr über Nietzsche zu lesen und zu reden, anstatt ihn als bloßen Naziphilosophen totzuschweigen. Davon ist diese Antithese inspiriert.

  13. Und zuletzt: Wie viele der Aufklärer zugleich Antisemiten, Faschisten und kleingeistige Reaktionäre waren, ist hinlänglich nachgewiesen. Das affiziert den Begriff der Aufklärung wenig, sonst wäre es auch nicht nötig gewesen, die Dialektik der Aufklärung zu schreiben.

  14. „dass nietzsche rassistisch argumentiert“

    nun, sozialdarwinistisch ja, unbestritten, wenngleich auf eine wesentlich kompliziertere Art und Weise als von anderen Sozialdarwinisten bekannt, nämlich auf der Basis der Aufklärung, der annahme des Todes Gottes und damit der Unbegründbarkeit von Moral ohne aprioris.
    Man lese sich vielleicht noch einmal das durch:
    „Nein, wir lieben die Menschheit nicht; andererseits sind wir aber auch lange nicht „deutsch“ genug, wie heute das Wort „deutsch“ gang und gäbe ist, um dem Nationalismus und dem Rassenhaß das Wort zu reden, um an der nationalen Herzenskrätze und Blutvergiftung Freude haben zu können […] Wir Heimatlosen, wir sind der Rasse und Abkunft nach zu vielfach und gemischt, als „moderne Menschen“, und folglich weniger versucht, an jener verlognen Rassen-Selbstbewunderung und Unzucht teilzunehmen, welche sich heute in Deutschland als Zeichen deutsche Gesinnung zur Schau trägt […]“
    (Die fröhliche Wissenschaft, „Wir Furchtlosen“)

    Auf der Seite zuvor die polemische Forderung nach einer neuen Sklaverei – jedoch, wer hat die Sklaverei fortgeführt? Nietsche? Nein, gegründet wurde sie von Christenmenschen, legitimiert von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen, und gegen den Bürger Napoleon mussten sich die revoltierenden Sklaven auf Haiti schon selbst verteidigen. Da ist Nietzsche wenigstens ehrlich in seiner Absage an die Reformierbarkeit der Menschheit durch Moral. Interessant auch der Bezug auf die Saint-Simonisten. Dahingehend muss man sich auch die zeitgenössische politische Gegnerschaft vergegenwärtigen, in der Nietzsche seinen Krieg führt.

  15. Andererseits: Sozialdarwinist gegen den Sozialdarwinismus, nichtidentität als gesellschaftlicher Motor:
    „Es sind die ungebundenen, viel unsichereren und moralisch schwächeren Individuen, an denen das geistige Fortschreiten in solchen Gemeinden hängt: Es sind die Menschen die neues und überhaupt vielerlei versuchen“ (Menschlich Allzumenschliches, 1. Teil, 5. Hauptstück Abschnitt 224).
    Vor diesem Hintegrund auch die Ablehnung der Gleichheit, die durchaus als Abstrakte Gleichheit vor dem Wert begriffen wird: „Glaubt nur: Wenn die Menschen in der wissenschaftlichen Fabrik arbeiten und nutzbar werden sollen, bevor sie reif sind, so ist in kurzem die Wissenschaft ruiniert (…) Ich bedauere, dass man schon nötig hat sich des wissenschaftlichen Jargons der Sklavenhalter und Arbeitgeber zu bedienen (…) aber unwillkürlich drängen sich die Worte >>Fabrik, Arbeitsmarkt, Angebot, Nutzbarmachung<< … auf die Lippen, wenn man die jüngste Generation der Gelehrten schildern will (…) Die Kärner haben unter sich einen Arbeitsvertrag gemacht und das Genie als überflüssig diskriditiert…" (Unzeitgemäße Betrachtungen, 7. Teilstück).
    Eingedenken des Lustprinzips, der Spontanitaet etc… in alle Entwicklungsprozesse, sei es der Erkenntnis, der Kunst, darin ist Nietzsche als Gegenaufklärer genuin Aufklärer, zwingt dem klassifikatorisch-zersplitternden Wissenschaftsbetrieb eine Synthese gerade im Subjektiven, das dieser hinweg zu obejktivieren denkt.

    Im daraus resultierenden Primat des natürlichen, gewachsenen, das für das Subjekt als selbstbewusstes ja auch keinen Platz hätte liegt aber auch der radikale Elitarismus begründet, der manche über andere erheben muss, um eine "natürliche" Gegenidentifikation zum System propagieren zu können.
    Finde, Dahlmann hat die politischen Implikationen des Übermenschen (allerdings absehend von der Genese des Konzepts)in seiner kritik an Foucaults Machtbegriff mal ganz gut auf den Punkt gebracht:

    "Foucault verschweigt, daß Nietzsche eindeutig sagt, wer es ist, der sich dieser blind wirkenden Regeln bemächtigt: der Übermensch – und das ist, politisch gesprochen, der Souverän, der – aus Foucaults Konzept der Macht heraus nicht erkennbar – hinter und in den Anonymisierungen und Verallgemeinerungen der Macht sein Unwesen effektiviert und geduldig darauf wartet, wie der Phönix aus der Asche die bürgerliche Gesellschaft auf ihren Begriff bringen zu können„.
    –> Das ist die Ehrlichkeit Nietzsches, die auch hinter dem unmenschlichen noch die Bedingung der Abschaffung desselben durchscheinen lässt. Im Gegensatz zu den deutschen Seins-Ontologen und den orthodoxen Hegelianern und Marxisten wird der Wille zur Macht nicht verklasuliert, verschleiert, sondern offen benannt.

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