Der Spiegel ließ in der Ausgabe 8/2013 eine tendenziöse Rezension der israelischen Dokumentation „The Gatekeepers“ mit einem Zitat eines ehemaligen israelischen Shin-Bet-Chefs einleiten: „Wir sind ein grausames Volk geworden.“ Das klingt in Deutschland, dem Land der Ritualmordlegenden, gleich doppelt fetzig: ein Kronzeugenzitat mit israelischem Persilschein und allem Geheimdienst-Pipapo.
Fürs neue Cover (13/2013) genierte dann wirklich nichts mehr. „Das ewige Trauma – Der Krieg und die Deutschen“. Ein mitleidserweckend zersauster Soldat blickt uns klagend an, hinter ihm ein Flüchtlingsstrom und, Kitsch komm raus, das Brandenburger Tor, um wirklich sicherzustellen, dass hier Deutsche nach Deutschland fliehen und nicht etwa Juden nach Shanghai. In der unteren Bildhälfte dann Farbe: Ein Foto, das aus der Ferne betrachtet vormarschierende GI-s zeigen könnte, ein Blick ins Heft legt aber nahe, dass es Bundeswehrsoldaten in Afghanistan sind. „Verwundete Nation“ titelt ein Beitrag im Heft: „Immer wieder arbeiten die Deutschen das Trauma der NS- und Kriegszeit neu auf – und bleiben eine verwundete Nation. Der Psychiater Hartmut Radebolt analysiert das „Erschrecken über uns selbst“.“ Dann noch einmal: „Die Wunde der Vergangenheit“ als Schlagzeile.
Was soll aber am Trauma ewig sein in einem Land, dem Franz Josef Strauss 1969 versicherte: „Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Ausschwitz nichts mehr hören zu wollen?“ Zur selben Zeit, in dem der erste und einzige Aufstand gegen die ungebrochene nazistische Hegemonie in der Demokratie von ein paar tausend pubertierenden StudentInnen organisiert werden musste? Ein aktueller FAZ-Leserbrief beklagt, dass vor allem Deutsche Opfer der Nazis gewesen seien, eine Verwandte sei als Krankenschwester an die Front versetzt worden, weil sie gegen Euthanasie war. Wenn das so massenhaft so war, dann wundert doch die friedliche Stille und Eintracht sehr, in der Deutschland über 20 Jahre lang wieder aufgebaut wurde. Nota bene, damals waren weite Teile beispielsweise des hessischen Landtags in der NSDAP gewesen, inklusive Justizministerium, weite Teile der Bürokratie wurden niemals entnazifiziert, Grundstein für den späteren Erfolg der nationalsozialistischen Terrorwelle. Paradox war: Schuld im eigentlichen psychologischen Sinn empfanden fast ausschließlich Opfer und jene, die gescheitert waren in ihren mal verzweifelten, mal dilletantischen Versuchen des Widerstandes. Hätte Strauss gewonnen und wären die pubertierenden Studierenden nicht irgendwann doch erwachsen und mitunter erschreckend kompromissbereit geworden, man könnte noch viel ungestörter die traditionelle deutsche Wundversorgung betreiben: Kriegerehrenmäler, Kameradentreffen, SS-Vereinsabende.
Überlebende Altnazis und Opfer heute wissen genau, was sie mit dem „ewigen Trauma“ assoziieren sollen: den NS-Propagandafilm „Der ewige Jude“. Und genau auf diese den meisten wohl eher unbewusste Assoziation baut der Spiegel-Titel: Das „ewige“, weil narzisstische Trauma ist den Deutschen „der ewige Jude“, jene Juden, die als Überlebende und Nachkommen an die Verbrechen, zumindest aber an Feigheit, Mitmachen, Zusehen erinnern.
Im Spiegel heißt es auch nicht „Die Deutschen und der Krieg“. Das würde Kriegsschuld suggerieren. „Der Krieg“ ist vorangestellt, um die Suggestion von etwas äußerlichem, abstrakten zu bewahren, das unter anderem eben auch über die Deutschen gekommen sei und von dem sie sich immer noch nicht erholt hätten. Die beschworene Wunde erscheint nun nicht bedrohlich, weil sie die paradoxesten Reaktionen inklusive für alle möglichen Minderheiten bedrohlichen Wiederholungszwang zeitigt, sondern weil sie angeblich heute die gebotene Effizienz der Bundeswehr blockiert, die ausnahmsweise Demokratie und Freiheit verteidigen sollen. Dieser Effizienzverlust durch nationales Trauma schadet also wiederum nur: den Deutschen.
Das neueste Cover ist sicher kein Testballon und keine Aberration. Der Spiegel ist spätestens seit der Augstein-Affäre auf Trotz-Kurs und muss sich in jeder Ausgabe seiner neuen, selbsterteilten Definitionsmacht über den Antisemitismus vergewissern. Das Cover ist Ausdruck eines kühlen, marktorientierten Opportunismus, der mit viel bewährtem Schmalz und ins Detail berechneter und erprobter Manipulation die bestehende Popularität einer Fernsehserie ausbeutet. Die explizite Botschaft, dass man sich offenbar für gar nichts mehr schämen muss und damit ökonomisch (und militärisch) Erfolg haben wird, das vereint Spiegel und Strauss. Verwandt ist das allemal mit der Auslöschung jedweden rationalen und irrationalen moralischen Bedenkens durch den berüchtigten nationalsozialistischen „Anstand“: Dass man wie Himmler die Erschießungsgräben besichtigt und hinterher meint, „anständig“ geblieben zu sein, was für Himmler bekanntermaßen bedeutete, ein paar Schwindelanfällen wegen der vielen Leichen getrotzt zu haben.
Es ist – seit je – ‚Der Spiegel‘ der Deutschen – was also aufregen. Es ist – im Print – das Zweite Deutsche Hingucken – auf die bis heute nicht verstandene Niederlage. – Es wurde wieder alles aufgebaut, unter Adenauer/Globke, langsam weiß die deutsche Modeljugend das auch wieder zu schätzen. Natürlich ohne jede jüdische Kapitalismuskritik, aber mit starken Zeichen, die dem Laufsteg standhalten …
Kurz: Der SPIEGEL ist bis heute anständig geblieben.