1982/83: Während deutsche Kinos eine durch die Synchronisation zur Satire verkommene Version von „First Blood“ (Rambo I) zeigen, entfaltet der Film in England seine volle Wirkung auf das begeisterte Publikum. „Der Sohn von Rambow“ setzt hier aus der Perspektive von sehr unterschiedlichen zwei elfjährigen Jungen ein. Der eine ist Teil einer vaterlosen Familie aus der Brüderbewegung, die den Konsum von Filmen und Musik verbietet und Frauen den Männern unterordnet. Für ihn bedeutet die zufällige Lektüre des Films Inspiration zur Ablösung vom Kollektiv der Brüdergemeinde und eine Integration in die übrige Gesellschaft. Der andere lebt ohne Eltern, ist an seinen ihn abwehrenden Bruder gebunden und übt sich in Aufsässigkeit. Für ihn wird Rambo zu einem Medium, mit dem er Anerkennung in der Gesellschaft sucht und die Nähe einer Freundschaft erzeugen kann. Beide werden zusammengebracht und drehen ihre Version von „First Blood“ mit dem Titel „Der Sohn von Rambow“. Es entsteht ein Geflecht aus Autonomiekonflikten auf allen Seiten: Die religiöse Familie löst sich von der Brüdergemeinde, der Sohn von der Passivität. Der Raufbold und Tunichtgut lernt, als kreatives Individuum in der Gesellschaft zu bestehen. Ein französischer, dandyhafter Austauschschüler findet zur jungen Filmcrew und damit persönliche Befriedigung seiner Kreativität.
Äußerst sympathisch ist an der Geschichte die Absage an Kollektive.
Verurteilt wird deren Tendenz, in oraler Gier das Individuum aufzusaugen oder es beim Widerstand desselben auszuspucken: So werden beide Protagonisten aus den Klassenräumen geworfen, einer wird am Ende regelrecht gesteinigt und der andere wird zum auszustoßenden Problemfall der Brüdergemeinde. Der dritte, der Franzose, wird ob seiner anfänglich aufgesetzten und schließlich ehrlichen, herzlichen Zuneigung zu den englischen Schülern und Schülerinnen von den französischen Mitschülern verspottet. Nicht zufällig trifft die Wahl eines geeigneten Mediums für diese Prozesse daher den Kulturheros Rambo, der ob seines subversiven Hungers nach Anerkennung und wegen seiner Fähigkeit zur Autonomie zur Verfolgung ausgeschrieben wird. Sein Widerstand, das verzweifelt-vergebliche gewaltsame Ausbrechen aus dieser sterilen, von unterirdischen Dämonen der Verdrängung bewohnten Zwangsordnung, seine Flucht und sein Angriff bedeuten die Welt für jene im Film gezeigten Jungen, die in ihren Konflikten, in ihrer Kreativität und sensiblen Emotionalität allein gelassen werden. Letztlich suchen sie anwesende, akzeptierende und fördernde Eltern, für die das Medium Rambo als Ersatz- und Identifikationsfigur einspringt. Dass die zur Ablösung notwendige Konfliktbereitschaft auch in ungeschickte Gewalt münden kann, lässt der Film als schlechte Möglichkeit bestehen. Dieser gegenüber verrät er jedoch nie die Notwendigkeit einer kreativen und mitunter aggressiven Austragung der Konflikte. Wo die Aggression das Individuum der lebensbedrohlichen Gefahr aussetzt, wird Solidarität als Gegenmittel zur Gemeinschaft und zum Untergang des hilflosen Individuums unverzichtbar.
Auf einer abstrakten Ebene spielt der Film mit changierenden Realitäten, mit Filmen in Filmen und dem ständigen Wechsel von Kinoraum, Lehrfilm (den man bezeichnenderweise nicht zu Gesicht bekommt), Set, Realität im Film, Fantasy und letztlich Religion. Film selbst ist hier nicht nur Konsum und Übersetzung, bzw. Interpretation, sondern interagierende Realität. Dem nicht nur in Sekten populären Ansatz, der Filme als kontagiös definiert, als Ansteckungsherde, die Kinder mit dem Virus Gewalt, oder schlimmer noch, Sexualität, infizieren könnten, setzt „Der Sohn von Rambow“ eine kraftvolle und verspielte These von Filmen als dialektischen Ausdruck und vermittelten Quell von Phantasie und Freiheit entgegen. So wird das Medium Film defetischisiert, als Produktionsmittel begriffen, das sich je unterschiedlich aneignen lässt.
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Also ich gehe zur Brüdergemeinde und die schauen doch Filme und das ist eine geschlossene Brüdergemeinde (siehe Wikipedia). Es ist meiner Meinung nach schade das der Glaube an Jesus Christus heute so halbherzig gelebt wird und mehr Traditionen eine rolle spielen als die Liebe zum nächsten.
Religion ist die suche des Menschen nach Gott.
Jesus Christus ist die Suche Gottes nach dem Menschen.
Der Film war sehr schön gemacht nur das mit der Brüdergemeinde finde ich enttäuschend. Aber so können wir doch ohne Liebe sein wenn wir gesetzlich werden.
Jesus Christus spricht heute durch die Bibel:
Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben.
Gott Segne Euch
H
Hallo H.
Was willst du damit sagen? Dass im Film eine Verzerrung der Tatsachen stattfindet? Der Film spielt wohlgemerkt ca. 1984, vielleicht hat sich ja inzwischen auch in Brüdergemeinden der Widerstand gegen den Film gelegt?
Wie ist das aber mit der Kollektivhaftung? Im Film wird suggeriert, dass für das Vergehen eines einzelnen die gesamte Familie ausgeschlossen wird. Das sehe ich als sehr gewalttätiges, zwanghaftes Moment an, unter dem besonders Kinder leiden.
Ansonsten gilt für mich, dass Religion Privatsache ist. Privatsache ist allerdings spätestens dann von einer Dialektik gezeichnet, sobald Kinder hinzukommen.
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Ohne jetzt der große Kenner der verschiedenen Brüderbewegungen zu sein, die nicht nur in Deutschland mehrfach gespalten sind, würde ich sagen, dass es sich bei den im Film zu sehenden Brüdern, um „Raven-Brüder“ handelt, die bereits 1890 entstanden und sich ab 1960, unter James Taylor junior deutlich radikalisierten. Dazu gehörte auch die Ablehnung der Moderne; d.h. konkret kein Fernsehen, kein Radio und keine Gewerkschaft sowie die Absonderung von den nicht-gläubigen Menschen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Raven-Br%C3%BCder
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