Deutscher Beef

Es gibt ein gutes Buch. Edgar Hilsenrath hat es geschrieben und es heißt „Der Nazi und der Friseur„. Max Schulz, ein grenzenloser Opportunist, verrät den jüdischen jugendlichen Freund Itzig Finkelstein und schließt sich den Nazis an. In einem KZ erschießt er tausende von Juden. Nachdem er Partisanen knapp entkommt, erkennt er seine letzte Chance darin, sich als Jude auszugeben, genauer, als Itzig Finkelstein. Er geht nach Israel, wird dort sogar ein Kriegsheld und lebt einen weitgehend gemütlichen Lebensabend.

Es gibt ein Diktum von Adorno: „Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“

Und es gibt ein gutes Interview. Volker Weidermann hat es für die FAS mit Marcel Reich-Ranicki geführt. Das Gespräch ist tatsächlich ein Gespräch, ein einfühlsames und reflektiertes, mitunter lustig. Weinen musste ich am Ende. Ob für den Überlebenden Reich-Ranicki die Angst denn immer da sei? Und er antwortet einfach nur:  „Ja. Ach, es ist alles schrecklich!“

Siebenundsechzig Jahre nach Auschwitz gibt es einen deutschen Schriftsteller und sein Gedicht. Es war so erfolgreich wie wohl kein Gedicht zuvor und hieß sogar Gedicht. Sämtliche Zeitungen kommentieren und diskutieren es, jeder hatte es gelesen und jeder hatte eine Meinung über dieses Gedicht. Es war ein Gedicht über Auschwitz.

Es gibt also Zeitungen. Auf Seite 3 einer besonders infamen Ausgabe einer besonders infamen Zeitung schreibt Jörg Magenau etwas von Graubereichen von Tätern, es habe auch deutsche Opfergeschichten gegeben. Von Tätern und Opfern zu reden sei, so Magenau, eine „doch etwas schlichte, schematische Gegenüberstellung„. Die Graubereiche der jüdischen Opfer auszuloten überlässt Magenau den Lesern. Er denkt ihnen aber noch etwas ganz besonders Graubereichliches vor:

Hätte er auf das ganze „Warum schwieg ich so lange“-Brimborium verzichtet, hätte die Debatte vielleicht nicht den Umweg über Ekelbekundungen, Antisemitismusvorwürfe und täglich anschwellende Hysterie nehmen müssen, sondern sich gleich auf die westliche Lebenslüge konzentriert, nach der eine Atommacht Iran unzumutbar, der arabischen Welt die Atommacht Israel aber durchaus zumutbar ist.

Gäbe es eine Diskussion, so könnte man argumentieren: Die arabische Welt hat über vierzig Jahre mit der Atommacht Israel so gut gelebt. Sie hat noch 1973 den Überfall auf Israel an Jom Kippur ohne atomaren Gegenschlag überstanden. Israels Gesellschaft hat den Beweis hinreichend geführt, dass sie kein Land „auslöscht“, nicht einmal, wenn sie angegriffen wird.

Es gibt keine Diskussion. Die Vorstellung von zwei Gegnern oder Gegnerinnen, die im philosophischen Gespräch Argumente austauschen ist ganz illusionär. Selbst die diskursive Teichoskopie von Sunny Riedel ist geheuchelt: „Kritik an Israel wird lauter„, das ist Titel und Programm zugleich. Der Untertitel: „Hysterie. Schrille Töne in der Debatte um das ‚Israel-Gedicht‘. Friedensbewegung verteidigt Grass.“

Also: hysterische, schrille Angreifer, friedliche Verteidiger. Eine Seite voller Leserbriefe aus der Friedensbewegung rundet dieses Ritual ab. Moshe Zuckermann wird als Hauptgang serviert. Der gibt den Ton an: „Wer Antisemit ist, bestimme ich!“ Es gab den Antisemit Karl Lueger, ein Wiener Bürgermeister, von dem dieser Satz abgekupfert wurde: „Wer Jude ist, bestimme ich!“ Zuckermann weiß das so genau und schreibt es gerade deshalb. In diese Zeitung rein. Die es dann druckt. Es ist wahrlich keine Unbildung am Werk. Vielleicht muss man diese Leute, die Zuckermann sind, in der Endlosschleife reden hören, um zu verstehen, was sie zu so etwas drängt:

Und so ist Günter Grass infolge der Publikation seines Gedichtes zum Antisemiten erklärt worden. Von wem? Vom israelischen Premierminister, vom Zentralrat der Juden in Deutschland, von führenden Personen der in Deutschland lebenden „jüdischen Intelligenz“ und von vielen Nichtjuden, die sich mit „Juden“ und „Israel“ panisch zu „solidarisieren“ pflegen. […]

Jene in Deutschland, die wie Günter Grass denken, sich jedoch nicht getrauen, ihre Gedanken zu artikulieren, nun aber erfahren müssen, dass der, der ihrem Denken Worte gegeben hat, als Antisemit gebrandmarkt wird, sie somit selbst den Dreck des wahllosen Antisemitismusvorwurfs indirekt abbekommen haben, werden sich überlegen müssen, wie sie mit dieser psychisch-politischen Unwirtlichkeit umgehen.

Zuckermann gibt dem Literaten die Weihe zum Überlebenden, zum Juden, der nach dem „Brandmarken“ als DP in „psychisch-politischer Unwirtlichkeit“ herumirrt. Trauriger noch, Zuckermann eignet sich nicht nur das Ressentiment sondern auch den Duktus der Nazis an. Man muss diesen Menschen leider im Vollzitat lesen.

Man ist aber auch objektiv Gesinnungskomplize des Zentralrats der Juden in Deutschland, der sich inzwischen wohl als Zweigstelle der israelischen Regierung beziehungsweise ihrer Botschaft in Deutschland begreift, mithin jede noch so horrende Politik Israels blind absegnet und mit unreflektierter Verve vertritt.

Gar nicht zu reden von gewissen in Deutschland lebenden jüdischen Intellektuellen, die ihren Judenbonus und die Furcht von Deutschen, als Antisemit apostrophiert zu werden, so perfekt ausgereizt haben, dass sie eine Hegemonialstellung erlangt haben bei der Herstellung von „jüdischen“ Denkimperativen und ein Anrecht auf Einschüchterung von jedem, der sich ihren reaktionären Interessen und ihrem ideologischen Ansinnen in den Weg stellt. […]

Man befindet sich nämlich in einem Boot mit faschistischen Siedlern in den von Israel besetzten Gebieten, die sich der Unterstützung seitens der reaktionärsten islamophoben Kräfte in Europa und den USA erfreuen dürfen; mit israelischen Alltagsrassisten, die jede Verurteilung ihres menschenverachtenden Denkens und Handelns „von außen“ mit dem Antisemitismus-Vorwurf parieren; mit dem gegenwärtigen Premierminister Israels, der wie wenige in letzter Zeit dazu beigetragen hat, die Schoah-Erinnerung instrumentalisierend zu besudeln, um seine Okkupationspolitik umso ungehinderter betreiben zu können; mit Ariel Scharon, einem seiner Vorgänger, der schon vor Jahren postulieren zu dürfen meinte, dass alle aus Europa kommende Kritik an der von ihm mit besonders schädlicher Emphase betriebenen Siedlungspolitik im Westjordanland zwangsläufig antisemitisch sei. […]

Die Reflektierten unter ihnen werden sich vielleicht zu einer gewissen Courage bewegen lassen – zum emphatischen Veto gegen die Manipulation des diffamierenden Antisemitismusvorwurfs und seiner einschüchternden Wirkmächtigkeit. Jenen, die an dem hinterhältigen Spiel dieses Vorwurfs partizipieren und sich an dem gegen den renommierten Schriftsteller erhobenen Vorwurf gerade delektieren, ist wohl ohnehin nicht mehr zu helfen.

Man muss sich schon einmal an diesem entsetzlichen Triptychon aufhalten, das Zuckermann hier entwirft und vielleicht sollte man dazu ein wenig Rammstein anstellen und vielleicht auch nicht. Es gibt links in diesem Bild menschenverachtende, faschistische, islamophobe, besudelnde, schädliche, intelligente, unheilbare, hinterhältige Rassistenjuden, ein schräg von unten anstürmender Pöbel deren Kleidung vom Blut von „noch so horrenden Verbrechen“ starrt, und dann den „renommierten“ Dichter in königsblauem, sauberen Gewand, rechts im goldenen Schnitt mit Toga und mahnender Hand. Im Hintergrund eine Anzahl von verwirrt dreinblickenden Deutschen, sich entweder „panisch“ mit dem Renommierten „solidarisierend“, eine gewisse Traditionalität im Ausdruck, sie konnten noch nie ein anderes Brauchtum „pflegen“, die andere Hälfte erstarrt in „Furcht“ um ihren Renommierten, der „ihrem Denken Worte gab“. Im Mittelbild nehmen die Rassistenjudenfaschisten gerade den „diffamierenden Antisemitismusvorwurf“, werfen ihn samt Dreck auf den Renommierten, „brandmarken“ ihn, und „delektieren“ sich köstlich über das grausame Schauspiel. Der Renommierte blickt tränenumflort zum Himmel. Im dritten Bild tappt er dann mit 12 Tapferen durch die Steppe der „psychisch-politische Unwirtlichkeit“, am Horizont droht die Eiswüste der Abstraktion.

Es gab da einst Johannes Pfefferkorn. Der konvertierte jüdische Antisemit, schrieb 1508 seine Schrift: „Wie die blinden Jüden ihr Ostern halten“. Zu Ostern 2012 wird Zuckermanns ganz eigenes Passionsspiel gezeigt und die Susi schreibt ihm gleich einen Psalm.

Lieber Moshe Zuckermann, wäre ihr lesenswerter Artikel als Leserkommentar erschienen, die taz hätte ihn wegen Antisemitismusverdacht wahrscheinlich nicht veröffentlicht. Klaus Hillenbrand & Co. schwingen derart die Antisemitismuskeule, dass man nur in Deckung gehen kann…

Es gibt keine Diskussion. Es gibt Medien, die sich für demokratisch halten, weil sie das Niveau der Leserschaft systematisch unterbieten. Die taz hält sich für pluralistisch und links, ganz gewiss nicht für antisemitisch. Es gibt aber zu wirklich alledem ein Diktum, von Adorno und seinem Freund Horkheimer:

„Aber es gibt keine Antisemiten mehr. Sie waren zuletzt Liberale, die ihre antiliberale Meinung sagen wollten.“

Nur, was macht man mit so einer präzisen Diagnose, wenn Kritik nicht mehr zeitgemäß ist?


7 thoughts on “Deutscher Beef

      • Was ich aber selbst nicht konsequent umsetze, sonst gäbt es das Blog nicht, der halbartikulierte Gedanke oben will ein reflexives ,kritisches Moment von Kritik sein, das versucht, Kritik in eine andere Form zu heben, es aber selbst noch nicht schafft und wahrscheinlich ist es in der Vereinzelung nicht möglich.

  1. Weil Kritik im kulturindustriellen Betrieb erfasst wird und als vorselektierte tendenziell jenen präsentiert wird, die sie teilen. Die Beliebigkeit der Annahme von Kritik wird symptomatisch in der Ablehnung der Kritik als „Beschimpfung“ oder „Antisemitismusvorwurf“ deutlich, da schnurrt dann das dutzendfach ausformulierte auf einen Effekt zusammen, der nicht „geliked“ wird. Kritik muss ihre Möglichkeit beim Adressat mitreflektieren. Bei Adorno/Horkheimer war noch das Modell der Flaschenpost als Kompromiss formuliert, um Kritik überhaupt ohne Adressaten, also mit der Projektion eines ungewissen Adressaten festzuhalten. Ich bin da skeptisch. Die Flucht in die Wissenschaft ist auch trügerisch.

  2. Die „Unmöglichkeit“ des Diktums gibt es. Jeder kann sie – in diesem Fall: – lesen; Ideologie als die ‚Marke Gedicht‘. Es gibt viele ‚Marken‘ in der weiterhin gegebenen Welt. – Was es nicht gibt, auch ’seitdem‘ die ‚Unmöglichkeit‘ benannt ist, ist Diskussion. Es gibt mediale Höhepunkte (später natürlich im Buch – auch so eine Marke aus der verlorenen Welt – zusammengedrückt ) der unfruchtbaren Selbstbefruchtung. – Was es gibt und nicht für wahr genommen werden will, ist das Diktum, das wenig variantenreich einer gleichförmig weiterwesenden Welt Adorno und Horkheimer hingerotzt hätten, wären sie schon Punker gewesen. Aber sie haben im Denken und Schreiben die Form (eine Utopie mit Vorspiel in der Kunst) gewahrt, die gerade auch ihnen zerschlagen wurde.
    – Weinen, ja, weinen.

  3. Auf keinen Fall würde ich das Diktum hier „hinrotzen“ wollen, es war durchaus mit dem Verweis auf die Kontextualität gedacht, dass dieses überhaupt nicht geschichtslose Diktum durch das „Gedicht“ Grass‘ eine spezifische, neue geschichtliche Qualität erhält.

    • Da stimme ich Dir auf jeden Fall zu! Eine historische Distanz von der Erkenntnis, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben sei barbarisch, zu einem Gedicht, das behauptet, etwas (anderes) sagen zu müssen, gibt es nicht. So ein Gedicht wie gerade von Grass und eigentlich jede bloß (traditions-)’schöne Form‘ hat dieses Diktum überhaupt nicht reflektiert. –
      Da waren selbst die No-future-Lyriker in jeder Formzerschlagung auf der Bühne weiter als Grass und die sog. engagierte Kunst.

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