Ein Beitrag zur Beschneidungsdebatte

Und Gott sprach zu Abraham: So halte nun meinen Bund, du und dein Same nach dir, bei ihren Nachkommen. 10 Das ist aber mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Samen nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden. (3. Mose 12.3) (Apostelgeschichte 7.8) 11 Ihr sollt aber die Vorhaut an eurem Fleisch beschneiden. Das soll ein Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch. 12 Ein jegliches Knäblein, wenn’s acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen. 13 Beschnitten werden soll alles Gesinde, das dir daheim geboren oder erkauft ist. Und also soll mein Bund an eurem Fleisch sein zum ewigen Bund. 14 Und wo ein Mannsbild nicht wird beschnitten an der Vorhaut seines Fleisches, des Seele soll ausgerottet werden aus seinem Volk, darum daß es meinen Bund unterlassen hat.
(1. Mose, 17)

Als das Urteil eines deutschen Gerichtes erging, dass die Beschneidung künftig als Akt der Verstümmelung zu bewerten und somit strafbar sei, stufte ich das zunächst als latent antisemitisch, und zumindest bigott ein. Kindern die Ohren anlegen zu lassen wird von den Krankenkassen aus dem nichtigen Grund heraus bezahlt, weil das Kind in der Schule wegen abstehender Ohren verspottet werden könnte. Die Beschneidung wird kriminalisiert, obwohl sie eine präventive Funktion für einige Krankheiten hat, darunter vor allem die pathologische Phimose, aber auch HIV und diverse Erreger, weshalb sie von der WHO ausdrücklich empfohlen wird.

Thomas von der Osten-Sacken wies indes darauf hin, dass das Urteil einem Rechtspositivismus folgt, der nur konsequent ist:

Da konnte ich nur antworten, dass dem Urteil immerhin die Idee der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz zugrunde liege, eine höchst verteidigenswerte republikanische Idee, die von den Nazis bis aufs Messer bekämpft wurde und die sie deshalb spätestens 1935 mit den Nünberger Rassegesetzen auch abgeschafften, die Nazis also ein solches Urteil natürlich niemals gefällt hätten, sondern ganz im Gegenteil, wo immer sie konnten, jede Art  rechtlicher Sonderbehandlung von Juden befürworteten, ja forcierten. Es wäre also weit mehr im Sinne der Nazis gewesen, allen, laut Nürnberger Gesetzen als Juden definierten Menschen, einen Beschneidungszwang aufzulegen. 

Vor der Diskussion, ob die Beschneidung schädlich oder harmlos ist, schärft Osten-Sacken zumindest die Idee, dass das Urteil auf eine Gesellschaft verweisen könnte, in der man bei einem gegen eine spezifische jüdische Praxis gerichtete Urteil nicht an Antisemitismus denken muss, weil es in dieser Spezifik verbleibt und rational und universalistisch gegen einen religiösen Ritus und für das Individuum argumentiert. Es hängt dennoch eine gewisse linde Bigotterie im Raum: Die Schönheitsoperationen an Kindern sind in gewissem Maße ebenfalls Verstümmelung, den Kindern wird noch amtsmäßig und medizinisch bestätigt, dass sie so krankhaft hässlich seien, dass man ihre Operation fördert, das Ressentiment der Verfolger wird mit Appeasement genährt und rundheraus bestätigt. Die chirurgische Operation führt den Hass der Gesellschaft in Schmerzen über. Indes hat sie keine weiteren Beeinträchtigungen der Funktionalität von Körperteilen, hier vor allem den Ohren, zur Folge. Die Bigotterie kann allerdings dem Gerichtsurteil durchaus äußerlich und damit egal sein, weil ein konkreter Fall verhandelt wurde. Denkbar wäre durchaus eine künftige juristische Erweiterung auf das Ohrenanlegen.

Den Diskutierenden der Online-Institutionen weitaus bedeutender scheint indes die Frage, ob die Beschneidung eine schädliche Operation sei, beziehungsweise die Rechtsgüterabwägung, ob der präventive Charakter und die religiöse Empfindung einen statistisch entstehenden Schaden aufwiegen. Dass die religiöse Empfindung der Eltern gegen das Kind wenn überhaupt das allergeringste Argument sein kann, ist unter der Leserschaft dieses Blogs weitgehend vorauszusetzen. Die Abwägung hat primär zwischen der Prävention und der Schädigung stattzufinden.

Dahingehend gibt es sehr widersprüchliche Befunde.

Erstens wird das Schmerztrauma bewertet. Dabei hat mich das Argument umgestimmt, dass Säuglinge die Operation mitnichten schmerzfrei über sich ergehen lassen, sondern in eine Schockstarre schlafen, die Schmerzfreiheit suggerieren kann. Ich nahm an, dass sich die Schmerzen für den Säugling zwischen Zahnungsschmerzen und Hungergefühlen verorten, damit nicht spezifisch traumatisch und insgesamt vertretbar seien.

The doctors quickly realized that the babies who were not anesthetized were in so much pain that it would be unethical to continue with the study.  Even the best commonly available method of pain relief studied, the dorsal penile nerve block, did not block all the babies‘ pain.  Some of the babies in the study were in such pain that they began choking and one even had a seizure  (Lander 1997).

Disputanden, die wie ich die muslimische Beschneidung an Knaben als durchaus traumatisch ablehnten, die jüdische Beschneidung aber harmlos einstuften, sollten zumindest mangels besseren Wissens Skepsis walten lassen. Was bleibt ist die bessere Heilungsfähigkeit des Säuglings und dessen mangelndem Körperbewusstsein, das Objekte mitunter noch gar nicht trennen kann und den Schmerz auch nicht als Verlust eines zu sich gehörenden Körperteils einordnen kann. Der Säugling erfährt sich als allumfassend und diffus, was zum eigenen Körper gehört und kontrolliert werden kann wird erst nach und nach erarbeitet. Man kann aber mit dem gleichen Argument argumentieren, dass dies möglicherweise eine viel schlimmere Missempfindung bedinge als beim Knaben, der gelernt hat, dass es Grenzen gibt und der aktiv rationalisieren kann, was da stattfindet.

Nicht schlüssig sind Thesen über eine nachhaltige Schädigung des Kindes in der Psyche, die, und hier gilt das Wort einmal, in aller Regel küchenpsychologisch vorgenommen werden nach einem mechanistischen Muster: Beschneidung des Kindes steigert den Kastrationskomplex und löst dadurch Unterwürfigkeit aus. Wie ein Individuum mit einer Traumatisierung umgeht, lässt sich nicht berechnen und durchaus gab es von je her Vertreter der These, dass eine Reifung und Empfindsamkeit ebenso wie Solidaritätsbereitschaft und Widerstandsbereitschaft durch schmerzhafte Erfahrungen gefördert wurde, eine These, die nicht mit der barbarischen Härte des nicht Umgebrachten in einen Topf zu werfen wäre. Es lässt sich aus der Beschneidung kein anderer gesellschaftlicher Zustand ableiten außer jenem, dass diese Gesellschaft Beschneidungen erzeugt. Zweifellos kann aber der Schmerz in Erinnerung bleiben und das wiederum ist eine unnötige Schädigung.

Zur Frage der Beeinträchtigung des Sexuallebens verhärten sich die Fronten, so dass es naheliegt, dass hier der tiefenpsychologische Kern der Auseinandersetzung zu suchen ist. Unglaublich scheint die von der Medizin vorgebrachte Behauptung, dass sich in der Vorhaut 80-90 % der Nervenenden des Penis befinden. Das wird schlüssiger, wenn man bedenkt, dass die Haut hier innen und außen verläuft, also der tatsächliche Umfang doppelt so groß ist als von außen wahrgenommen. Bei der Erektion wird die Vorhaut nahezu unsichtbar, was ihren Status als verzichtbar wahrscheinlich befördert. Bei der Beschneidung kommt es zu einer Verlederung der Eichelhaut, die durchaus als wohltuend, sauber oder attraktiv empfunden werden kann, in jedem Fall aber eine Abnahme der vorherigen biologischen Sensitivität bedeuten muss. Gleichzeitig wird die Eichel während Alltagsverrichtungen häufiger durch Reibung an Haut und Stoff stimuliert, diese erogenen Folgen werden selten diskutiert. Der Vorhaut kommt aber in jedem Fall ein Nutzen zu, sie ist nicht nutzloser, toter Hautlappen sondern Organ.

Dieses biologisch-medizinische Argument allein trägt und rechtfertigt das Urteil. Es impliziert aber auch die Behauptung, Beschnittene seien Verstümmelte. Die Mehrheit der Beschnittenen verlacht das oder äußert sich entrüstet und auch ich reagierte zuerst so. Wahrscheinlich ist, dass diese Behauptung unbewussten Sexualneid auf die Unbeschnittenen auslöst und dieser Sexualneid abgewehrt werden muss, um das narzisstische Selbstbild an dieser bedeutsamen Wunde nicht zu kränken. Entsprechend sind die Strategien Verharmlosung und Leugnung der negativen Effekte der Beschneidung und eine Idealisierung der Vorteile.

Bei Unbeschnittenen stellt sich das medizinische Argument als Kastrationsdrohung dar: Sie setzen ihr eigenes Sexualleben als Maßstab, ziehen davon 90% ab und behalten unter dem Strich einen arg kärglichen Rest zurück. Der Schluss daraus ist der eines unerhörten Diebstahls, einer regelrechten Kastration. Dementsprechend tendiert deren Diskussionsstil leicht zum Antisemitismus, der von je behauptete, Juden wären sowohl kastrierte als auch sexuell übermächtige Geschöpfe. Dass sie als offenbar kastrierte zu lustvoller Sexualität in der Lage sein sollen, können sich die Antisemiten nur durch Magie erklären. Eine weniger von Biologismen getrübte und damit psychoanalytisch informierte Sicht auf Sexualität kann durchaus andere und vielfältige Wege denken, die Sensitivität neu oder anders entstehen zu lassen. Nur gibt es zu viele Berichte von Individuen, denen das nicht gelang. Und deren Recht ist nun durchgesetzt.

Bleibt die Ebene der Schuld. Wenn eine jahrtausende alte Praxis plötzlich in Verruf gerät, bedeutet das den ödipalen Aufstand gegen alle Väter und Mütter, die es vormals anders sahen. Dieses Problem führte bei Aufklärungsprozessen sowohl zu einem Übereifer der frisch Aufgeklärten, die jenen plötzlich als Rückständig definierten nun Aberglaube, Sadismus oder Verblendung, in jedem Fall eine überfrachtete Schuld vorwerfen, als auch zur Verhärtung der Traditionalisten, die von Schuld gerade nichts wissen wollen, wo sie besteht. Zwei drastische und nicht vergleichbare Beispiele möchte ich anführen: In Ghana wurde „Trokosi“, die rituelle und erzwungene Schreinehe von sehr jungen Mädchen mit einem Priester, ein Hetz-Schimpfwort für ethnische Gruppierungen. Gewisse Akan-Elemente hetzen gegen Ewe mit Rufen, die rückständigen und hexenden „Trokosis“ auszurotten. Und wer gegen Hexenjagden sich ausspricht sieht mitunter einige  Traditionalisten gegen sich gestellt, die sich koloniale Einmischung verbitten, (s.u.) während andere daraus ein bloßes Bildungsproblem der zurückgebliebenen Troglodyten machen wollen, das sich durch etwas Entwicklung und Informiertheit auflöse. Mit Ritualtheorien und Begreifen von Religionen hat beides wenig gemein.

Für ungültig halte ich auch Alan Poseners Reduktion der Beschneidung auf einen sadistischen Akt:

Die rührende Gemeinsamkeit der ansonsten verfeindeten monotheistischen Religionen, wenn es darum geht, kleinen Jungen am Penis wehtun zu dürfen, weist allerdings auf ein grundsätzliches Problem hin: auf die frühkindliche Indoktrination, vermittels derer sich die Religionen fortpflanzen.

Der symbolische Charakter der Beschneidung und die Struktur des Ritus beim Judentum deuten jedoch darauf hin, dass hier Schmerz vermieden werden sollte. Die erste Beschneidungen im Pentateuch werden an erwachsenen Männern vorgenommen, Moses versuchte gar, sich gänzlich zu drücken, um das Wundfieber zu vermeiden. Wenn im Lauf der Zeit der Beschneidungszeitpunkt aufs Säuglingsalter verlegt wurde, so ist das eher ein Zeichen, dass man sowohl Schmerzen als auch Verluste durch Wundfieber und andere Infektionen im Interesse des Individuums verhandelte. Das kann von einigen afrikanischen Mannbarkeitsritualen nicht gesagt werden. Hier finden trotz hoher Todesraten tatsächlich grausame Verstümmelungen statt, bei denen der Penis mitunter längs aufgeschlitzt oder absichtlich bei der Vorhautentfernung große Schmerzen zugefügt werden, um die Knaben zu quälen. Leider wird im Begriff der Verstümmelung wenig auf solche graduellen Unterschiede reflektiert, unter denen das Judentum wohl durchaus noch die harmloseste und mit einem Rest Rationalität im präventiven Charakter versehene Form der Beschneidung praktiziert. Die einen wollen tatsächlich kleinen und größeren Jungen am Penis weh tun, die anderen versuchen das nach Möglichkeit zu vermeiden. Das macht einen qualitativen Unterschied in der Wahrnehmung der spezifischen Akteure. Das durchweg mit antisemitischen Stereotypen arbeitende Comic „Foreskinman“ wird sonst noch hoffähig.

Wie unbekümmert und mitunter ressentimentbeladen, aufgeklärt oder unaufgeklärt das Thema unter eher weniger gebildeten Schichten diskutiert wird, kann man hier nachverfolgen:

http://www.lovetalk.de/archiv-aufklaerung/44445-beschneidung-pro-und-contra.html

http://www.lovetalk.de/archiv-aufklaerung/31619-vorhaut-pro-contra.html

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Die gesamte Trilogie zur Beschneidung auf Nichtidentisches ist über folgende Links abrufbar:

Ein Beitrag zur Beschneidungsdebatte

„Die latente Unehrlichkeit ihres positiven Israel-Knacks“ – Eine Diskussion der Gegner der Gegner der Beschneidung

Schuld und Vorhaut

 

23 thoughts on “Ein Beitrag zur Beschneidungsdebatte

  1. Schön, dass Sie mich als (normalerweise) „besonnen“ bezeichnen; aber weshalb ich ein „frisch Aufgeklärter“ sein soll, entzieht sich meinem Verständnis. Ich werfe den Vorfahren nichts vor. Ich werfe den heutigen Vertretern der organisierten Religion vor, ein Recht auf Wehtun einzuklagen. Dass die Beschneidung etwas mit Unterwerfung unter die Kastrationsgewalt des Vaters zu tun hat, ist nicht Küchenpsychologie, sondern so offenkundig, dass man es nicht extra aussprechen mag.

  2. Der Vorwurf der Küchenpsychologie richtet sich gegen Ableitungen, die aus dieser Unterwerfung unter einen abstrakten Vater, der ebensogut Prädikate der versorgenden und phallischen Mutter trägt, einen spezifischen Nationalcharakter generieren wollen. Ich beziehe mich hier auf Versuche, den Islamismus aus der Beschneidung heraus zu erklären. Das hat mit Ideologiekritik nicht viel zu tun und entbehrt in aller Regel auch jeglicher psychoanalytischer Erfahrung.

  3. Ein kurzer Nachtrag: Bedeutsamer noch als das Urteil könnte sein, dass endlich an diesem Problem Männer öffentlich über die Verwundbarkeit und Verletzlichkeit ihres Penis‘ sprechen und über Wahlen und Entscheidungen, die damit zusammen hängen. Irritierend ist, dass plötzlich nicht wenige Frauen hervortreten, und meinen, ein ästhetisches Urteil abgeben zu müssen darüber, wie sie den Penis des Mannes denn gerne hätten. Das verläuft in der Tat sehr parallel zur FGM-Debatte.

    Im By-Proxy-Phänomen, der Stellvertreteroperation, in der das Kind aus einer projizierten Problemlage der Mutter heraus operiert wird, wird gelegentlich eine signifikante Häufung von Beschneidungen in Krisensituationen der Mutter erwähnt. Auch aus diesem Grund halte ich es auch für zu kurz gegriffen, hier mit patriarchaler Unterwerfung zu argumentieren. Die kastrierende Mutter ist in der individuellen Mythologie der Unterwerfung ebenso präsent wie der kastrierende oder mitunter schlimmer noch, abwesende, Vater.

  4. Ich verstehe nicht, dieses Abwägen der Argumente für oder gegen die Beschneidung. Zumindest dann nicht, wenn aus der Perspektive des Individuums gedacht werden will, denn als etwas unteilbares, beschützenswertes und einmaliges betrachte ich gerade den Säugling. Mich würde interessieren, inwieweit religiös motivierte Eltern bei der Beschneidung ihrer Babys (die Geschlechterrollenfrage wäre hier auch interessant) Mitgefühl äußern, empfinden oder verdrängen müssen. Ist dies auch ein Thema der Religion, das Trauern um das geopferte Körperteil – um das eigene Gefühl dem kleinen neuen Menschen gegenüber. Ich frage mich, welchem Identitätszwang Eltern ausgesetzt sind und ob sie diese jetzt öffentliche Debatte jeweils innerlich austragen.
    Aus einer juristischen Perspektive gehören viele Perspektiven zu der Debatte, die zum Beispiel auch die Perspektive der Gemeinschaften berücksichtigen muss. Aber innerhalb der Religionsgemeinschaften wäre auch die Individuumsperspektive eine lohnende und notwendige – nicht unbedingt nur für die Kinder.

  5. Dass die religiöse Empfindung der Eltern gegen das Kind wenn überhaupt das allergeringste Argument sein kann, ist unter der Leserschaft dieses Blogs weitgehend vorauszusetzen.

    Ich bezweifle sehr, dass die höheren Gerichte sich dieser Argumentationsweise anschließen werden. Eltern haben das Grundrecht, ihre Kinder religiös zu erziehen. Erziehung bedeutet immer auch Formung und Verformung. Die Frage ist: Wo hört Formung auf, und wo beginnt Verstümmelung? Ist die Beschneidung der Vorhaut noch zu erlaubende Formung, oder schon zu verbietende Verstümmelung? Man behalte dabei im Hinterkopf, dass das körperliche Züchtigungsrecht vor gerade einmal zwölf Jahren abgeschafft wurde, der Geist des Grundgesetzes also hier nicht sonderlich zimperlich ist, weswegen die Risiken der Beschneidung und neuere medizinische Erkenntnisse bei einem Urteil weitaus weniger ins Gewicht fallen dürften, als dies aus zivilisierter Perspektive wünschenswert wäre. Innerhalb dieses Rahmens werden die Richter am BGH bzw. Bundesverfassungsgericht sich bewegen.

  6. körperliche unversehrtheit in ihrer bedeutung leider immernoch höher bewertet wird als die psychische, halte ich es für längst überholt menschen qua geburt einer weiteren gruppe als dem homo sapiens sapiens bzw m/w zuzuordnen. unmündige, nicht entscheidungsfähige kinder durch physische oder psychische mittel auf einen von den eltern bestimmten glauben zu konditionieren halte ich schon lange für zumindest sehr grenzwertig. die entscheidung für oder gegen die mitgliedschaft in einem verein bleibt privatpersonen hier in d glücklicherweise noch selbst überlassen! für glaubensvereine sollte es da weder ausnahmen noch sonderregelungen geben dürfen! ansonsten kann ich meinen vorrednern nur zustimmen: alle achtung für dieses mutige und hoffentlich richtungweisende urteil! es gibt mir hoffnung, dass die glaubensvereine doch nach und nach ihre privilegien und ihren durch nichts zu rechtfertigenden sonderstatus verlieren.

  7. Was soll das ganze Spekulieren über mögliche Schmerzen und psychische Folgen mittels psychoanalytischem In-Sich-Gehen?

    Das lässt sich doch ganz simpel statistisch lösen, die erhebbare Stichprobe ist doch riesig: Gibt es irgendein psychologisches Symptom, eine Charaktereigenschaft, ein Zwangsgedanke, … das/die/der irgendwie signifikant mit Beschneidungen korrelliert? Mir ist nicht einmal ein solches Merkmal bekannt, dass es nur bei Männern gibt, mal abgesehen von den Geschlechtseigenschaften im weitesten Sinn. Und die haben, soweit ich das beobachtet habe, beschnittene wie unbeschnittene Männer.

    Mir ist schon klar, dass ungefähr jeder psychische Abkömling der Kastrationsangst mit einer Beschneidung bzw. dem Hörensagen davon, dass es solche gibt, in Verbindung stehen wird. Wie auch immer je individuell determiniert. Aber das hat doch mit möglicherweise in der Vergangenheit gehabten körperlichen Schmerzen rein gar nichts zu tun. Und eine „Kastrationsmacht des Vaters“ gibt es auch nicht, vielmehr eine phantasierte Kastrationsdrohung, die aus Triebverzicht resultiert.

    • Die Aggressivität ist eindeutig höher, wenn ich mir jetzt die Kriegsbegeisterung der Männer auf der Welt so anschaue. Auch das Nichtertragenkönnen des Anblicks von Frauen tritt regional gehäuft auf, weil die Männer dort kein sexuelles Selbstbewusstsein haben und nicht daran erinnert werden möchten, dass sie sich beim Sex schwertun.

  8. Eigentlich müssten sich die Verteidiger der religiösen Position zuerst der Frage stellen, ob, wenn die medizinischen Einwände gültig wären, und man anerkennt, dass es ein falscher Eingriff ist, es überhaupt eine Möglichkeit gäbe, auf die Beschneidung zu verzichten.

  9. Ob es gute oder schlechte, weniger schmerzhafte oder gar sadistische Beschneidungen gibt, ist eigentlich nebensächlich. Das Probelm liegt daran, daß allüberall über Kinder, die sich nicht wehren können, entschieden wird und Macht ausgeübt wird. – Das ist bei der Baby- Zwangstaufe der Christen auch so.

    Erst Kinder, die erwachsen wurden und eine eigenständige Meinung haben, sollen sich in Fragen der Religion und in Fragen, was sie mit ihrem Körper machen, selbst und eigenverantwortlich entscheiden.

  10. Unter dem Titel „Die Rechte werden beschnitten“ habe ich in meinem Blog gerne auf diesen Beitrag hingewiesen:
    „1) nichtidentisches.wordpress.com/2012/07/12/ein-beitrag-zur-beschneidungsdebatte/
    2) jungle-world.com/jungleblog/1767/ (die republikaner …)
    3) jungle-world.com/jungleblog/1761/ (Vernunft und Vorhaut)
    4) thinktankboy.wordpress.com/2011/01/17/niekisch-radek-strasser-und-der-nationalbolschewismus/“

  11. Pingback: “Die latente Unehrlichkeit ihres positiven Israel-Knacks…” – eine Diskussion der Gegner der Gegner der Beschneidung « Nichtidentisches

  12. Dieser Beitrag zur Beschneidungsdebatte gehört in meinen Augen zu den besten Beiträgen zu eben dieser Debatte. Dialektisch und so gut wie alle Aspekte dabei betrachtend. Meinen Dank dafür.

  13. Pingback: Schuld und Vorhaut « Nichtidentisches

  14. Thomas Heilmann (CDU) will für Berlin (wie zufällig ganz im Sinne der islamischen Scharia) die körperliche Unverletzlichkeit der männlichen Berliner Kinder „übergangsweise“ opfern und rituelle Genital-Beschneidungen straffrei stellen:

    Quelle: WELT 9. Aug. 2012, 22:48
    Justizsenator will Beschneidung einheitlich regeln

    Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) will in Berlin schnell Rechtsklarheit beim Umgang mit religiösen Beschneidungen schaffen. „Bis eine bundesweite Regelung getroffen ist, wollen wir eine Berliner Linie festlegen“, sagte Heilmann-Sprecherin Lisa Jani. Damit bestätigte sie Informationen des „Tagesspiegels“.

    Derzeit liefen Gespräche mit der Staatsanwaltschaft, jüdischen und islamischen Gemeinden sowie Verbänden und Ärzten. Es solle eine Übergangsregelung erarbeitet werden, betonte die Sprecherin. Die Überlegungen seien noch ganz am Anfang.

    Nach Angaben der Justizverwaltung liegen keine Strafanzeigen gegen Ärzte oder Beschneider vor. Betroffene Familien und Ärzte wollten aber wissen, was erlaubt sei und was nicht. …

    Das Landgericht Köln hatte Ende Juni eine religiös motivierte Beschneidung für rechtswidrig erklärt. Das erste Urteil dieser Art ist eine Einzelfallentscheidung und nicht bindend für andere Gerichte. Dennoch herrscht Verunsicherung. Viele Ärzte bieten diese Eingriffe seither nicht mehr an.

    Der Bundestag macht sich nun für ein Neuregelung stark, um medizinisch fachgerechte Beschneidungen aus religiösen Gründen zu erlauben. Nach einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur vom Wochenende sind den deutschen Strafverfolgungsbehörden bislang keine weiteren Strafanzeigen wegen der Beschneidung von Kindern bekannt.

    Die meisten Staatsanwaltschaften haben sich noch nicht festgelegt, wie sie in solchen Fällen vorgehen wollen. Eine Ausnahme ist Baden-Württemberg. Dort soll die rituelle Beschneidung von Jungen weiter grundsätzlich straffrei bleiben, wenn sie medizinisch korrekt ausgeführt wird.

    http://www.welt.de/regionales/berlin/article108558332/Justizsenator-will-Beschneidung-einheitlich-regeln.html

    Quelle: dapd
    in: WELT 09.08.12

    „Wir hoffen, in den nächsten Wochen eine Regelung für Berliner Strafverfolgungsbehörden zu finden“

    Berlin (dapd-bln). Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) strebt für die Hauptstadt übergangsweise eine einheitliche Regelung im Umgang mit religiösen Beschneidungen an. „Wir hoffen, in den nächsten Wochen eine Regelung für die Berliner Strafverfolgungsbehörden zu finden“, sagte Heilmann dem „Tagesspiegel“ (Freitagausgabe). Diese Lösung solle nur für den Zeitraum gelten, bis eine bundeseinheitliche Regelung gefunden sei, bestätigte eine Sprecherin der Justizverwaltung.

    Heilmann unterstrich gegenüber der Zeitung, dass die juristische Einordnung ein schwieriges Thema sei. Die Verwaltung sei derzeit in Gesprächen mit Verbänden und Interessengruppen. Mit einer Handlungsanweisung für Strafverfolger könnte sichergestellt werden, in welchen Fällen zu ermitteln oder aber ein mögliches Verfahren einzustellen ist.

    Das Kölner Landgericht hatte Ende Juni die Beschneidung von Jungen als strafbare Körperverletzung gewertet, selbst wenn die Eltern einwilligen.

    http://www.welt.de/newsticker/news3/article108558723/Justizsenator-will-Beschneidung-uebergangsweise-einheitlich-regeln.html

  15. Pingback: Der Reflexionsausfall der Antisemitismuskritik am Beispiel Dershowitz « Nichtidentisches

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