Gerauchtes Gummi

Erinnerungsspuren aus meiner Kindheit. Am Familien-Kettcar prangte ein Aufkleber am Plastiksitz: zwei rauchende kartoffelförmige aktentaschentragende Wesen, Niko und Tino genannt, blickten grimmig und sehr ausländisch drein und vor ihnen wurde auf irgend eine Weise gewarnt. Derartige Personifikationen bestrafte in der Pubertät die Gegenidentifikation. Mit 12 schlug ich noch die Einladung eines Franzosenkindes aus, das auf einem belgischen Halbtrockenrasen seine Kippe mit mir teilen wollte. Mit 13 blickte ich an einer Bushaltestelle zwei 15-jährigen Rastafareis von der Nachbarschule böse nach, weil diese dem devianten Laster fröhnten. Diese lachten mich erst aus, luden mich später recht nett ein und schon eiferte ich ihnen nach, experimentierte mit Tabakwaren bis ich im Alter von 18 Jahren den Entzug schaffte. Bei der Gelegenheit erinnere ich mich auch an andere Faszinosa der Kindheit, die spät entdeckten Ghostbusters Sammelbildchen (nie konnte ich Bild 156 ergattern), zuckergefüllte Plastik-Muscheln für 5 Pfennige (die zu recht verschwunden sind), jene Ketten aus schwerzerbeißbaren Zuckerperlen und eben Kaugummizigaretten, mit denen man dem angeberischen Habitus der Pubertären nacheifern konnte, ihre Posen und Masken erkundete und mimetisch sich aneignete.

Lange Zeit hielt ich Kaugummi- und Schokoladenzigaretten für extinkt, der Ratio eines überschießenden Kinderschutzes anheim gefallen. Nun habe ich sie wieder im lokalen Dorfladen aufgespürt. Die in Mazedonien produzierten Schachteln der Firma DOK heißen „Baron“, „World“, „Paradise“, „Robinson“. Bei Hitschler pirscht man sich noch näher an das Markenbewusstsein heran: „Best“ prahlt eine rot-weiße Schachtel, die unsinnige Bezeichnung „Noir Plus“ auf dem Verkaufskarton soll wohl an Schwarzen Krauser und den damit assoziierten Machismo anknüpfen. Kaugummizigaretten seien „der Artikel aus den 80er Jahren“, wirbt DOK, als würden sich Kinder von dieser Retro-Romantik mehr beeindrucken lassen als die Einkäuferinnen. Meine Schachtel „Paradise“ verspricht in demselben schwarz gerandeten Kasten, der normalerweise Warnungen vor Raucherbeinen und Impotenz enthält: „Blase in die Kaugummi-Stange und sieh wie der Zauberrauch in die Luft steigt.“ Das ist schon unverschämte Unterstellung infantiler Naivität. Als Kind hätte ich mich über Formulierungen wie „Zauberrauch“ echauffiert, über jenes professionelle Vorschmatzen, das Adorno in der Minima Moralia ganz richtig mit der Kulturindustrie assoziiert.

Eine naive Ideologiekritik würde unterstellen, dass hinter diesen Produkten die Zigarettenindustrie stecke, die Kinder prägen will. Die Zigarettenindustrie lässt Stewardessen in Flugzeugen „die doppelt starke Marlboro“ aus dem duty free shop bewerben, aber von zigarettenförmigen Süßwaren distanziert sie sich recht glaubwürdig. Kaugummizigaretten bedeuten für die Ideologiekritik eine Herausforderung, weil sie eben nicht den direkten Nutzen instrumentell umsetzen, sondern allein über die psychologischen Mechanismen Identifikation und Mimesis sich in ein heute mit Nostalgie angereichertes marktgängiges Produkt umsetzen.

Und weiter erinnert: Vor meinem Rauchkonsum begann eine Phase, in der ich Zigarettenschachteln sammelte und klassifizierte. Ich bildete mir ein, die goldenen Benson&Hedges seien sicherlich exklusiver als die proletarischeren Marlboros und Camels, an den Silberstreifen von Lord-Extra-Filtern meinte ich mit 9 wie ein echter Detektiv auf den ökonomischen Status des Rauchers rückschließen zu können. Zog man an den Klappen der alle hundert Meter aufgestellten Automaten, konnte man einige Millimeter einer Schachtel erblicken, stets begleitete die Hoffnung, eine möge doch einmal durch einen Defekt ganz herausrutschen, wie es die rural legends der Teenager versprachen. Für mich, den 14-jährigen Möchtegern-Punk bedeutete es äußerste Lust, nach dem Einwurf der 5 Mark die häufig klemmenden Ratschen aufzureißen und den Automaten tatsächlich die jahrelang vorenthaltene Ladung, natürlich die freiheitsversprechenden Gaulouises blondes oder die hippen Lucky Strikes, aber niemals die homosexuellen Davidoffs, zu entreißen. An den proletarischen Nachbarskindern, in deren Haushalten Kette geraucht wurde und deren Fensterränder demgemäß von außen so schwärzlich verfärbt waren wie ihre Lungen von innen, bewunderte ich früh deren Spezial-Wissen um rituelle Gepflogenheiten der rauchenden Eltern, den Gebrauch der Aschenbecher, die Neujahrszigarette, die ihnen erlaubt war. Stolz war ich über den ersten riesigen Rauchring, den ich durch einen Zufall im Gegenwind auf einer abgelegenen Wiese erzeugte – leider sah ihn niemand anderes, die Nachbarskinder waren längst auf anderen Schulen, man spielte nicht mehr mit Transformers-Figuren sondern hockte vor Nintendos und Segas. Meine „Paradise“-Kingsize, die ich mir genehmige, erlaubt keine Rauchringe, nur das Hineinpusten erzeugt die Illusion von Qualm. Der Gummi schmeckt rasch abgerieben und nach tranigem Kerzenwachs. Ein kleiner Pegasos fliegt in der linken oberen Ecke eines diagonal durchschnittenen Quadrates herum, vor dem Maul der Schachtel innehaltend. Das Paradis war selbst Kindern schon glaubwürdiger versprochen worden. Immerhin: wenn die Schachtel halb leer ist, stellen sich die Kaumasse-Balken auf ganz possierliche Weise schräg, und wenn man das Papier mitkaut, macht das geschmacklich kaum einen Unterschied. Man bekommt doch noch etwas geboten auf dieser Welt.

3 thoughts on “Gerauchtes Gummi

  1. Die erwähnte „äußerste Lust“ beim Kauf der Zigaretten kann ich bestätigen. Nachdem ich vor einem halben Jahr das regelmäßige Rauchen aufgegeben habe und jetzt nur noch sehr selten rauche, kennen ich nun, wenn ich mir dann mal wieder eine Packung hole, dieses Gefühl das schon in der frühen Jugend bei den ersten Packungen da war welche man aus dem Automaten fischte…
    Die Vorlust überwiegt da fast den tatsächlichen Konsum.

  2. Gefällt. Hab sonst nichts zu sagen, da ich erst mit 29 (!) zum Rauchen angefangen habe (wäre mal interessant was diese Aussage für Ressentiments provoziert 😉 und vor Kurzem wieder aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mußte. Die aber nichts mit dem Rauchen zu tun haben, und ich wollte auch nicht aufhören. Hin und wieder rauche ich dann doch noch eine und die von Dani beschriebene Vorfreude kann ich da nachvollziehen. Andere nennen sie abwertend „Suchtdruck“.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.