Freud wies auf die Fehlleistung als tiefenpsychologisches Phänomen hin. Im Wortspiel wird die Brücke geschlagen zwischen Witz und Versprecher. Die Lust am Wortspiel geht selten aus einem gesteigerten Bewusstsein über das Intendierte hervor sondern verbirgt es nur weiter vor dem Bewusstsein. Ein regelrechter Zwang zum Wortspiel muss die taz-Titelredaktion zu folgender Schlagzeile getrieben haben: „Namibier verweigern Herero-Küsschen.“ Der Untertitel präsentiert den Kontext: „Kolonialkrieg. Eklat bei Herero-Schädelübergabe in der Berliner Charité: Staatsministerin Pieper von empörter namibischer Delegation ausgebuht“. (taz Nr. 9631, 1.10.2011) In einem „Fazit am Abend“ des Deutschlandradio wurde die Schlagzeile gar zur „Überschrift der Woche“ gekürt.
Was hat die Verantwortlichen zum Wortspiel getrieben? Die Assoziationskette brach möglicherweise schon beim „Ferrero-Küsschen“ ab. Treibt man sie aber konsequent weiter, kommt man zum „Negerkuß“ und von da zum „Mohrenkopf“. Der „Mohrenkopf“ wiederum schließt die Kette im Verweis auf die Totenschädel. Da wirkt eine Menge rassistischer Ballast mit, eine gehörige Portion Zynismus, aber auch der sexuelle Wunsch der Einverleibung des Anderen. Dass „die Namibier“ das „Küsschen“ „verweigern“ ist eine Umdrehung der Situation: Die Bundesregierung verweigert den Herero und Nama die Anerkennung als Opfer eines kaltblütig geplanten Massenmordes, eines Genozids. Die Namibier verweigerten sich als Reaktion darauf der Einverleibung als Ritualobjekte deutscher Wohlfühl-Politik und treten als Subjekte auf. Sie sind keine Mohrenköpfe, die Negerküsse im Tausch gegen Totenschädel vergeben, sondern Unzufriedene, die gekommen sind um sich zu beschweren und ihr geraubtes Eigentum abzuholen. So viel Aggression irritiert offenbar – trotz und vielleicht wegen der kritischen Berichterstattung im weiteren Text – auch die Wahrnehmung der taz von Schwarzen als Objekte so empfindlich, dass man sie und die ganze groteske Situation in einem Wortwitz verkleinern und entwerten muss: zur entzogenen Süßigkeit. Nur mit viel Mühe ließe sich diese Infantilisierung kritisch wenden gegen den Auftritt von Pieper als beleidigtes Rumpelstielzchen, gegen die völlig unreife Haltung der Bundesregierung in dieser Frage. Die inhärente Immunisierung gegenüber den rassistischen Überfrachtungen bliebe dann dennoch bestehen.
mit dank an n.
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danke, wirklich schöner, stimmiger kommentar!