Rezension – Die Hexe von Gushiegu. Wie afrikanischer Geisterglaube das Leben der Asara Azindu zerstörte.

Die Hexe von Gushiegu. Wie afrikanischer Geisterglaube das Leben der Asara Azindu zerstörte. Von Gerhard Haase-Hindenberg, 2009. Wilhelm Heyne-Verlag München, 288 Seiten.

Als ich im Mai 2009 in Gambaga ankam, sprach der Leiter des dortigen „Gambaga-Outcast-Home-Projects“, Simon Ngota, noch in höchsten Tönen über den Schauspieler und Reisejournalisten Haase-Hindenberg. Anders als viele andere Journalisten, die alle paar Wochen in Gambaga anlanden, um nach drei Tagen ihre reißerische Story mit pittoresken Bildern im Kasten zu haben, forschte Haase-Hindenberg dort für mehrere Monate und entschied sich letztlich, eine Biographie eines einzelnen Opfers einer Hexenjagd zu schreiben. Daraus wurde ein überaus treffsicheres Buch, das sich darüber hinaus sehr spannend liest.

Haase-Hindenberg lässt in Abschnitten seine reale Hauptprotagonistin Asara Azindu autobiographisch in der Ich-Perspektive sprechen. Dann geht er wieder über in den Stil des auktorialen Erzählers. Diese Hybridform gelingt ihm erstaunlich glatt und wirkt nie anmaßend. Haase-Hindenberg schafft es, sensibel, feinsinnig und mit viel Hintergrundwissen ein differenziertes Bild der Gesellschaft in Nord-Ghana zu entwerfen – weit entfernt von Exotismus, Afrika-Kitsch und Betroffenheitsliteratur.

Die vor zwei Jahren gestorbene Asara Azindu erlitt ein Schicksal, das in seinen Grundzügen dem zahlreicher Frauen in Afrika und darüber hinaus ähnlich ist. Sie wurde aus für sie zunächst undurchsichtigen Gründen der Hexerei beschuldigt. Ein Mob verwüstete ihren Laden, brandschatzte ihre Lehmhütte trachtete ihr nach dem Leben. Der Chief in Gushiegu schritt ein und rettete ihr das Leben. Sie entkam nach Gambaga, zum dortigen landesweit bekannten Ghetto für Hexenjagdflüchtlinge. Um die 80 sind es noch, nachdem ein Projekt kontinuierlich Versöhnungsarbeit leistete und über 15 Jahre hinweg 500 Frauen neu ansiedelte oder in ihre Herkunfts-Dörfer brachte. Meistens mit Erfolg, mitunter mit schlimmen Folgen.

Jenes Projekt unter der Leitung Simon Ngotas schaffte es letztlich auch Azara Aziedu zu ihrer Familie zurück zu bringen, die nie an die Hexereivorwürfe glaubte. Asara Azindu hielt das Ganze für ein Komplott. Dann hatte ein Kind in der Nachbarschaft einen Unfall und verbrühte sich den Körper. Sie wurde von der Mutter des Kindes erneut der Hexerei beschuldigt, ihr Stigma hatte der Aufenthalt in Gambaga nur verfestigt. Sie traute den Beschwichtigungen des Chiefs und der Familie nicht und flüchtete nachts zurück nach Gambaga, wo sie bis fast an ihr Lebensende blieb, geschwächt und krank, von der Hilfe einer Enkelin abhängig. Kurz vor ihrem Tod ging sie erneut zurück – die Nachbarin entschuldigte sich nach den Vermittlungsbemühungen für die Anklage. Im Kreise ihrer Familie starb sie wohl nicht zuletzt an den Folgen der Entbehrungen im „Hexen“-Ghetto von Gambaga.

Die Widersprüche der realen Protagonistin sind gerade das seriöse Moment bei Haase-Hindenbergs biographischem Roman. Asara Azindu ist keine heroische Identifikationsfigur. Sie beschuldigte selbst andere im „Hexen“-Ghetto der Hexerei und brauchte lange, bis sie sich vom Prinzip der Hexereianklage verabschiedete. Um sie herum errichtet Haase-Hindenberg eine intime Sozialstudie.

Da ist der Einfluss neuer Waren auf den fragilen Binnenmarkt – Haase-Hindenberg vollzieht die Folgen nüchtern nach, ohne in die im Genre der Afrikaliteratur üblichen Klagen über den vorgeblich so zerstörerischen Einflusses des Weltmarktes einzustimmen. Die erfolgreiche und ehrgeizige Händlerin Asara Azindu war bereits als Mangohändlerin selbst Teil dieses Weltmarktes. Als sie dann den neu eingeführten, billigeren Reis aus Thailand kostete, befand sie ihn für besser als den ghanaischen. Da ist auch die misogyne Kultur in Nordghana, in der Frauen als Heiratsobjekte und Prestigegüter getauscht werden. Wer dann trotz der dauernden Diskriminierung noch ökonomisch erfolgreich ist oder sich nicht wie üblich vor dem Ehemann beim Wasserreichen hinkniet, bekommt Probleme. Da ist der Chief in Gambaga, eine widersprüchliche Person, die von den Hexenjagden einen guten Profit abschöpft und zugleich für die Sicherheit der zu ihm gebrachten Frauen garantiert. Dem gegenüber steht das Bild des damaligen Chiefs in Gushiegu, der Hexenjagden generell kritisch gegenüber steht – aber nicht mit seinem Ältestenrat zu brechen wagt und daher stets Kompromisse eingeht.

Was davon erfunden ist und was nicht ist nebensächlich – für jeden, der vor Ort lebt oder forschte ist klar: es könnte alles genau so gewesen sein. Eine sehr kritische ortskundige Lektüre wird kleine Fehler finden – an der Qualität des Buches kann kaum gerüttelt werden. Es ist für alle und aufgrund der sehr guten Verständlichkeit und der Stringenz der Darstellung ganz besonders für Jugendliche und potentiell in dieser Gegend Engagierte zu empfehlen.

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