Korrekturen am „Hinterland“

Das „Hinterland-Magazin“ des bayrischen Flüchtlingsrates hat die jüngste Ausgabe Afrika gewidmet. Dabei liest man manche interessante Meinung und leider auch einigen Unfug. So wird im Artikel „Panafrikanismus reloaded“ vom „Arbeitskreis Panafrikanismus München“ eine Neuauflage des Panafrikanismus vorgeschlagen, die im Prinzip die gleiche Leier des dagewesenen auflegt und nicht ohne alte Helden auskommt. Da wird das Loblied auf Kwame Nkrumah gesungen, der einst Ghana in die Unabhängigkeit geführt habe. Wie groß Nkrumahs Verdienst daran tatsächlich war, ist umstritten. Dass er das Land Goldküste nach dem alten Königreich Gana benannte war schon Ausdruck einer Großmannssucht, die sich im späteren Verlauf seiner Herrschaft ausprägte. Im Rahmen der „Unification“, das Hauptargument aller späteren afrikanischen Diktatoren, wurden Gewerkschaften aufgelöst und Jugendorganisationen zu staatstreuen Spitzelsystemen umfunktioniert. In der „Hinterland“ wird dies einfach verschwiegen:

„Nkrumah war ein unermüdlicher Streiter für die Befreiung des ganzen afrikanischen Kontinents von geistiger Sklaverei, politischer Fremdherrschaft und wirtschaftlicher Ausbeutung. Durch seine Bemühungen wurde die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU, heute AU) gegründet. Nach Meinung Nkrumahs ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit nur durch die Einheit aller afrikanischen Länder möglich. Auf dem Gründungstreffen der OAU 1963 sagte er: „Die afrikanische Einheit ist in erster Linie ein politisches Königreich, welches nur durch politische Instrumente erreicht werden kann. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas wird ausschließlich innerhalb dieses Königreichs stattfinden und nicht andersherum.“

Wie ein solches Königreich funktioniert wurde spätestens 2009 in Ghana noch einmal demonstriert: Von einigen finanziell hörig gemachten Chiefs und Königen wurde Muama Gaddafi, der Diktator Libyens, zum „König von Afrika“ gekrönt. (1, 2) Die demokratische Mehrheit Ghanas wählte indessen den westlichen Antagonisten zum Popstar, Sexsymbol und virtuellen Präsidenten Afrikas: Barak Obama.

Die Parole „Africa Unite“ ist eine der Eliten und Afroromantiker. Der Mehrheit auf der Straße sind bereits die Nachbarregionen suspekt oder unbekannt, manche halten ihren Landstrich für ganz Afrika und Europa für ein Nachbarland. Sie wissen zudem genau, was sie von einer Regierung eines geeinten Afrika zu erwarten hätten: noch mehr Korruption. In Diskussionen mit Panafrikanisten auf Kongressen werden vor allem „Wir“-Formeln gewälzt und autoritäre Charaktere durchdekliniert. Von einer Emanzipation der Individuen liest man wenig, es geht um „our culture“ und „Tradition“. Diese Parolen dichteten Afrika immer dort ab, wo es am reaktionärsten war und am lautesten hört man sie von jenen, die am meisten von der Ablenkung eines Klassebewusstseins hin zu einem nationalistischen panafrikanistischen Antiimperialismus und traditionalistischem Bauchpinseln und Zeremonienhubern profitieren. Ein wirklich fortschrittliches Afrika wird nicht geeint sein, sondern ein diversifiziertes, in dem Verschiedenheit ohne Angst möglich sein wird. Und dafür wiederum geben nicht wenige Staaten Afrikas Grund zur Hoffnung.

Ein anderer Artikel mit dem Titel „Arm, krank, abhängig“ täuscht ebenfalls über Realitäten hinweg. Richtig wird noch darauf verwiesen, dass Afrika nicht arm sei, sondern „verarmt“. Zu gut bekannt ist Nigerias Absturz von einer der größten Ökonomien der Welt zu einer pauperisierten Brutstätte von Gewalt und Korruption. Leider folgt die übliche Verschwörungstheorie:

„Die Massenmedien berichten nicht, worum es in vielen Konflikten wirklich geht, weil das die westliche Gesellschaft moralisch erschüttern würde. Es wird Krieg geführt, damit die Industrie weiter produzieren kann, damit die Waffen weiter verkauft werden, damit ihre Bevölkerung zur Arbeit gehen kann, damit ihre Bevölkerung zufrieden bleibt. So verhindert man Unruhe bei sich, damit man weiter regieren kann, oder um im kleinen Kreis, zum Beispiel der G8, die Welt weiter zu regieren. Es wird kaum berichtet, dass es im Kongo Kindersoldaten und -soldatinnen geben muss, damit die Kinder hier Handys tragen können. Die Hutu und Tutsi haben nicht ohne Grund gegeneinander gekämpft, aber es wird nicht über die Mitverantwortung der Regierungen in Deutschland, Frankreich, Belgien und der UNO geredet.“

Ein solcher Jargon macht noch jede afrikanische Gräueltat zum Agenten westlicher Interessen. Das entmündigt Afrikaner auf eine perfide Art und Weise: die Intelligenz und Kreativität, die für jene bösen Taten nötig ist, wird ihnen abgesprochen und den verschwörerischen Weißen zugeschlagen, die naive Afrikaner zu solchen entsetzlichen Taten regelrecht ausbilden müssten. Dieses naivisierte Bild Afrikas ist nicht weniger rassistisch als das jenes, das die Konflikte dort auf die Hautfarbe zurückführt: es blendet die Fähigkeit zur extremen Aggression aus, entmenschlicht AfrikanerInnen zu passiven, Befehlsempfängern westlicher Verschwörungszentralen. Kein Kind „muss“ zum Kindersoldat werden, damit „die Kinder hier Handys“ haben. Abgesehen davon hat virtuell jeder Afrikaner und auch viele ihrer Kinder ein Mobiltelefon. Der Rohstoffreichtum bedeutet eben nicht Afrikas Fluch, weil die westlichen Demokratien ihr perfides Spiel damit treiben würden (was sie unbestritten auch taten und tun in ihrer Kollaboration mit afrikanischen Diktatoren), sondern weil Rohstoffe ohne angeschlossene Industrie eine starke Verteilungstendenz bedingen und staatliche Strukturen sowohl stärken als auch korrumpieren und dies erst recht, wenn die Einheits- und Harmonieideologie so stark ist wie in Afrika. Leider ist mit der Parole des Informationszeitalters und dem gleichzeitigen Fokus auf Rohstoffe wie Erdöl außer Acht geraten, was Marx und andere als wesentliche Grundlage für die Wertschöpfung herausstellen: Die Hinzufügung menschlicher Arbeitskraft zu Rohstoffen. Und die funktioniert gerade im Informationszeitalter über Industrien. Das immerhin hatte Nkrumah noch verstanden. Die historisch und logisch aus den Industrien hervorgehenden Gewerkschaften waren ihm zuviel des Guten.