Wall-E – Roboanalyse und robotische Theorie einer amüsanten und ganz anders kritischen Roboterinsonade.

Mit Wall-E erreicht die zur Mythologie verwandelte Ideologieproduktion auf der Höhe der technologischen Möglichkeiten ihren eigenen Höhepunkt. „Konsum- und kulturkritisch“ wird Wall-E in praktisch jeder Rezension genannt, jedoch steht der Verdacht nahe, dass hier der letzte „Widerstand der Individuen gegen Selbstverrat“ überwunden werden soll: man „baut das gegen die Individuen Gerichtete ein in das, was ihnen familiär ist“ (Marcuse nach Fritz-Haug). Möglich wiederum ist auch, dass das Privatprojekt eines Konzerns wie Walt Disney sich aus eigenem Interesse das populäre Unbehagen gegen Kulturindustrie und Verwertungszwang zu Nutze macht und als total opportunistisches Kapital aus seiner eigenen Gegenbewegung noch selbiges schlägt: gemäß dem Lenin-Zitat: „Die Kapitalisten verkaufen uns noch den Strick, an dem wir sie hängen.“ Tauchen wir also tiefer in die Materie ein, um die als unbegriffene zum Hängen und Würgen treibenden Widersprüche mit hochsensiblen Kakerlakenfühlern im Dunkel des Kinosaales zu ertasten.

Roboanalyse

Kindchenschema auf Roboter zu übertragen zahlt sich aus. Wall-E’s Mund wurde ganz weggelassen. die Augen bilden den ganzen großen Roboterkopf. Die Ärmchen schleudern meist etwas unbeholfen herum, von Beinen kann man im Prinzip gar nicht mehr reden – die Verwandtschaft zu R2D2 ist unübersehbar. Die Sprache ist ein archaisches Glucksen und Fiepsen und muss selbst Primärwörter erlernen: Bekannt ist stets nur die eigene Identität.

Es deutet sich darin schon ein Sozialisationsdrama an. Wall-E wird – vom Feuer des Raumschiffs flüchtend – rotglühend aus seinem Monadendasein herausgeworfen, quasi geboren, und prompt mit dem anderen Geschlecht konfrontiert. Staunend bewundert er die Formgebung der Klonkriegerin Eve. Ihre reine Roboterhaut strahlt ungekränkten Narzissmus in Wall-E’s Welt. Dieser Narzissmus äußert sich zunächst sehr phallisch und gewalttätig in einem hysterischen Schießen auf alles, was sich bewegt oder ihr Projekt stört. Wall-E versucht, diese Abwehr zu besiegen, indem er ihr Geschenke macht, ergo ihr Sekundärobjekte anbietet.

Wall-E bewundert und fürchtet ihre Macht, mit Öltankern Domino zu spielen, einen Zauberwürfel binnen Sekunden zu lösen und herumzufliegen. Die schwierige Annäherung einer fetischistischen Objektbesetzung an narzisstische Hysterie wird in der verniedlichenden Zeichnung so ernst genommen wie verspottet. Der Zugang zum Subjekt-Objekt Eve ist einer über Übergangs-Objekte, wie es Spielzeug für Kinder darstellt. Sobald jedoch das Überobjekt, die Pflanze, gefunden ist, tritt bei Eve die Latenzphase ein. Weder phallische Ersatzobjekte noch intellektuelle Unterforderungen wie der Zauberwürfel können bestehen vor diesem in den Bauch einverleibten Phallus, der ihr Schicksal und Auftrag bedeutet. In diesem Zustand ist die soeben noch aufgetaute Eve plötzlich frigide geworden, sie verweigert sich kalt und stumm den noch so aufopferungsvollen Annäherungsversuchen ihres Verehrers. 

Ein typisches Merkmal von Wall-E ist die gleichzeitige Repräsentanz von elterlichen und infantilen Anteilen bei den Protagonisten. Die infantilen Helden parentifizieren am laufenden Band, ohne ihr Scheitern an der eigenen Imperfektion zu verleugnen. Wall-E ist Kind, Vater und Anti-Held zugleich. Er ist zunächst so selbstständig und autark wie ein Robinson, sein Freitag ist eine Kakerlake, die er allerdings anders als die rassistische Vorlage Crusoe nicht instrumentell als Erweiterung der Produktionsmöglichkeiten begreift, sondern als asexuellen Gefährten, der zum gelegentlichen Kitzeln gut ist, jedoch eine Eve nicht ersetzen kann.

Um dieser omnipotenten, wütenden Göttin klarzumachen, dass sie nicht alleine ist, spricht er ihr Spiegelstadium an, indem er ihr eine Statue baut. Er übernimmt den erzieherischen Teil, bietet Eve Spielzeug und Geschenke, versucht, sie zu lehren und zum Lachen zu bringen. Als ebenso versöhnt infantiler Charakter landet er, nachdem der Feuerlöscher im sexuellen Akt geleert wurde, in Eve’s umsorgenden Armen: Ihr ist es überlassen, ihn am Ende in die Realität zurückzuholen: Als wahres Liebesobjekt entdeckt sie im Augenblick der höchsten Gefährdung desselben sein Bewusstsein, seinen Geist.

Wall-E verbindet als neurotischer Charakter analen Ordnungs- und Sammelzwang mit einem unsauberen Äußeren und der Abneigung gegen das Gewaschenwerden. Die Müllhaufen scheidet er mit einem pressenden Zittern aus, um sie mit einem stolzen „Tadaaah“ als seine Aufgabe zu präsentieren.

Analer noch verhält sich Eve, die stets blitzend saubere Gegenspielerin: Sie ist mehr als Wall-E infantil in ihrer unversöhnten Pflichtbesessenheit, die in ihrer programmiert-pathologischen Zwanghaftigkeit nicht davor zurückschreckt, Wall-E zu opfern. Ihre narzisstische Kränkung, keine Pflanze getragen zu haben, eine Fehlfunktion angedichtet zu bekommen, gar infertil zu sein, ermöglicht ihr erst die Hinwendung zum Objekt Wall-E. Erst nachdem dieser ihr in der Roboterpsychiatrie den phallischen Raketen-Arm ausgerissen hat und sie dessen Destruktivität als unkontrollierbare erfährt, sie dort an dysfunktionalen Robotern mit dem Irresein ihres eigenen Zwangs konfrontiert wird und der Abspaltungsprozess von Wall-E in der Rettungskapsel scheitert, kann sie sich als Ausgeschlossene mit ihm verbünden und letztlich daraus Individualität, Bewusstsein und Solidarität schöpfen. Sie kündigt unter der Konfrontation mit dem Prinzip des Gebärzwangs die Eingemeindung in die Perfektion auf. Hier ist die Sozialisation beinahe abgeschlossen, das gemeinsame Projekt wird aus eigener Entscheidung die Pflanze, die sich sehr bisexuell mal in Wall-E’s, mal in Eve’s Roboterbauch befindet. Bei der schwierigen Geburt erleidet Wall-E die Schmerzen, seine androgyne Freundin übernimmt den medizinischen Teil, indem sie ihn tatkräftig unterstützt. Das wird womöglich erst durch die vorangegangene Kastration Wall-E’s durch den Computervater ermöglicht, am Ende jedenfalls steht die völlige Restaurierung Wall-E’s durch Ersatzteile und Roboter-Sexualität.

Robotische Theorie

Wall-E ist eine offensichtliche Projektion einer monopolkapitalistischen Welt, in der die freie Konkurrenz einer Dyade von versorgendem Konzern und konsumierendem Reproduzent dieser Ordnung gewichen sein soll. Eine Selbstaufhebung dieses aus der Konkurrenz entstandenen und diese beendenden Zustands wird nicht mitgedacht: Staat und Konzern fallen in eins und gehen in Versorgung auf – wozu geworben wird, wenn die Bürger doch kein Kapital mehr verschieben, sondern die Produktion autopoietisch und durch die Gewalt der Programmierung beherrscht endlos fortläuft, diesem Widerspruch stellt sich Wall-E nicht. Implizit wird durch dieses unrealistische Schreckbild eines abstrakt-technisierten Matriarchats der bürgerliche Ist-Zustand legitimiert und erträglicher gemacht. Das freie Unternehmertum wie auch die von jeder Konkurrenz abgelöste Pflichterfüllung erscheinen als kleineres Übel im Vergleich zur totalen Abhängigkeit und Bewusstlosigkeit unterm Monopol. So reaktionär diese Wendung ist, so lautstark verkündet sie eine Wahrheit über das kulturindustrielle Prinzip, dem sie selbst noch angehört: Dass in einer unfreien Gesellschaft das Lustprinzip sich gegen die Individualität selbst zu richten vermag und seine Befriedigung nicht schon Befreiung bedeutet. Diese Denunziation des Regressionsangebotes ist ambivalent. Die totale Wunscherfüllung auf dem Utopia des selbstzeugenden Maschinenkomplexes „Axiom“ bedeutet Regression, weil sie keine mit Natur versöhnte ist, sondern sich stets gegen diese zelebriert. „Repressive Entsublimierung“ (Marcuse) gewährt den Menschen ungehinderten Zugang zu allen triebhaften Bedürfnissen, erspart ihnen aber zugleich die Bewegung gegen den Schein, der sie in Form von Bildprojektoren umgibt. „Blau ist das Rot von heute“ tönt die Werbung von den Wänden und auf Knopfdruck ändern die friedlich gleichgeschalteten, metrosexuellen Massen ihr Outfit. Wert wird lediglich durch Kommunikation und psychosexuell produziert. Die Waren anhäufende Monade Wall-E kennt im Vergleich dazu  keinen Wert als gesellschaftlich abstraktes Verhältnis, sondern nur einen der skurrilen Ästhetik und konsumierbaren Nützlichkeit.

Der starke Fokus auf die Konsumtion erspart dem Publikum das Nachdenken über die Produktion, deren Widersprüche in Wall-E ebenfalls, jedoch subtiler und ungleich stringenter aufgespießt werden. „Die absolute Einsamkeit, die gewaltsame Rückverweisung auf das eigene Selbst, dessen ganzes Sein in der Bewältigung von Material besteht, im monotonen Rhythmus der Arbeit, umreißen als Schreckgespenst die Existenz des Menschen in der modernen Welt. Radikale Isolierung und radikale Reduktion auf stets dasselbe hoffnungslose Nichts sind identisch.“ Der Robinson-Sysiphos Wall-E verbildlicht diese Zeilen von Adorno und Horkheimer, macht in der Bloßlegung dieses Schreckgespensts dieses wiederum konsumierbar als seiner Grauenhaftigkeit teilweise enthobenes und in ihrer Übersteigerung entschärftes. Doch ist in dieser Entschärfung zumindest noch ein Bewusstsein der Negativität jener Ordnung aufbewahrt. Deutlich wird das am starken Symbol der Roboterpsychiatrie, mit dem wir die Ergänzung des obigen Zitats aus der Dialektik der Aufklärung synchronisieren: „Der Mensch im Zuchthaus ist das virtuelle Bild des bürgerlichen Typus, zu dem er sich in der Wirklichkeit erst machen soll. [Die Zuchthäuser] sind das Ende der zu Ende gedachten bürgerlichen Arbeitswelt, das der Haß der Menschen gegen das, wozu sie sich machen müssen, als Wahrzeichen in die Welt stellt.“ Gleichsam wiederholen die irre gewordenen Roboter ihre Funktion als Fehlfunktion ins Endlose. Wall-E sympathisiert zutiefst mit den Kranken eines Systems, das auf Ordnung verpflichtet wurde. Diese erscheinen als nutzbare Aggression, als androgyne Gestalten, als Franktireure gegen den Zwang, der sie zugleich antreibt. Letztlich sind sich beide Zustände gleich: der monadische Wall-E’s und der hektisch-betriebsame auf der „Axiom“. Wall-E ist der zur Vernunft hintreibende, aber noch in alten Zwängen verhaftete Ausbruch aus der Arbeitswelt, die ihn auf der „Axiom“ längst als Ausschuss produziert hätte.

Produktion geht zugleich auf in Dienstleistung. Dieses dem Kolonialismus entspringende Bild einer Hotellandschaft, in der lediglich Dienstleistungen bestehen, Nahrungsmittel aber magisch erzeugt werden, will über den gewaltsameren Akt der Produktion hinwegtäuschen. Serviceroboter stehen im Zentrum, die Realität der Fließbandroboter wird gestrichen: Den Menschen könnte gewahr werden, dass noch nicht einmal so sehr die Dienstleistung entwürdigt, als vielmehr die Fabrikarbeit, die zerschindende Arbeit auf den Feldern und in den Krabbenpuhlfabriken, die heute schon durch Roboter ersetzt werden könnte, würde das nicht auf der verkehrten Ordnung aufbauend die dort beschäftigten Menschen noch mehr in die Armut zurückstoßen.

Die „Axiom“ ist eine falsche Synthese, eine teleologische Behauptung vom Ende der technologischen Entwicklung, in der allein der Regressionswunsch den Schein bedingt und wie ein träger Habitus abgestülpt werden kann in dem Satz: „Ich will nicht überleben. Ich will leben!“ Als konkrete Herrschaft wird demgemäß der Bordcomputer verdinglicht: Seine anprogrammierten Diktatur bildet den einzigen Widerspruch gegen die Rückkehr auf die Erde, die Ablösung der Kinder von der Mutter „Axiom“ erfordert einen gewaltsamen Prozess, der in seiner ganzen Ambivalenz unerträglich ist und daher aufgespalten wird: In dem Moment, in dem sich die Menschen gegen das Schiff auflehnen, droht der Bordcomputer damit, die Menschen zu zerstören und lässt schwere Bänke auf sie zurutschen. Zugleich rettet das frischverliebte Pärchen fürsorglich einen Haufen Kinder vor dem Tode. In diesem Autonomiekonflikt wird allerdings gleichfalls geklärt, dass eine Änderung des Bewusstseins auch eine Änderung der Produktionsbedingungen bedingen muss. 

Dieses revolutionäre Duell ist jedoch eher eine Travestie auf die Schlachten der klassischen Mythologie: Der unförmige Kapitän des Schiffes baumelt am Steuerrad, für ihn ist es schon heroische Kraftanstrengung, sich überhaupt zu erheben. Kein Herakles, Lenin oder Thor ist nötig, um den Lauf der Welt zu stoppen, es genügt ein wenig naive Aufrichtigkeit. Überhaupt kann man die dicken Menschen der Zukunft nur sympathisch finden. Die Rückbildung der Knochen ist in Wall-E kein ästhetisches Problem, sondern eines der Autonomie. Dennoch finden die Reaktionäre unter den vermeintlich harmlosen Bildern ihre Feindschaft gegen die Dekadenz wieder. So ähnelt die Rückentwicklung zum aufrechten Gang der von romantischen Bewegungen beschworenen Körpergesundheit im Spiel mit der Natur und der tätigen Lust an der Bewegung. Den Abgesang auf die Scheinwelt in der „Axiom“ soll die Rückkehr zum Kleinbauerntum bedeuten. Bodenständiges, über 700 Jahre gehegtes Heimatgefühl soll jenseits jeder Erinnerung lebendig und mächtig sein: Gegen den Exodus aus der „Axiom“ in die Wüste Erde gibt es keinen Widerspruch. Die zweite Natur wird zerstört, um die Versöhnung mit der ersten voranzutreiben. Zensiert wird bei allem die Gewalt, die aus der Axiom lediglich einige Dutzend entsteigen lässt, während in den Städten einst Milliarden gelebt haben müssen. Die Individuen werden auf das Fortleben der Art geeicht.

Kulturindustrie bleibt bei all dem ambivalent: Auf der Axiom dient sie zur ewigen Fortsetzung der falsch eingerichteten Gesellschaft, die in ihrer Konsequenz kranke Roboter produziert. Auf der Erde ist sie jedoch Tradition, Medium von Gefühlen und Glücksversprechen. Der Film „Hello Dolly“ veranlasst Wall-E gar zur archaischen Geste des Händefaltens. So verbürgt sich der Film allerdings auch dafür, dass alle noch so stumpfe Arbeit der Welt ihre Aufhebung in der romantischen Dyade erfährt.

Wall-E ist insgesamt trotz einiger Längen und reaktionärer Wendungen ein einzigartiger Versuch, über den Surrealismus der Animation die animierte Welt der Realität zu verspotten.

Referenzen:

Fritz Haug, Wolfgang: „Das Ganze und das ganz Andere. Zur Kritik der reinen revolutionären Transzendenz. In: Jürgen Habermas (Hg.), 1969: Antworten auf Marcuse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. 160 Seiten.

Adorno, Theodor W./Horkheimer Max 1984 (1947): Dialektik der Aufklärung. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag. 229 Seiten.

4 thoughts on “Wall-E – Roboanalyse und robotische Theorie einer amüsanten und ganz anders kritischen Roboterinsonade.

  1. »Den Menschen könnte gewahr werden, dass nicht so sehr die Dienstleistung entwürdigt, als vielmehr die Fabrikarbeit, die zerschindende Arbeit auf den Feldern und in den Krabbenpuhlfabriken« – dagegen spricht nun leider jede Empirie.

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