Ethnologisches zum Sudan

Der Südsudan war vor der vom Westen geduldeten Verwüstung Darfurs Schlachtfeld der ersten zentralen militärischen Auseinandersetzung des islamistischen Sudans mit seinen selbstgewählten Gegnern. Fritz W. Kramer, ein sich durch Integrität und kritisches Denken auszeichnender Ethnologe, liefert in seinem Aufsatz „Krieg in den Nubabergen – Über Loyalität, Religion und Gewalt“ eine kompakte Beschreibung der ideologischen, militärischen, kulturellen und geographischen Faktoren dieses Krieges.

Als solche benennt Kramer den Sturz des äthiopischen Mengistu-Regimes, das  durch seine Kampagne  „Roter Terror“ bekannt geworden war, und die im Gefolge des Militär-Putsches im Sudan erstarkte National Islamic Front. Nach dem Durchmarsch islamistischer Ideologie in der vormals eher säkularistische Armee wurde der Djihad ausgerufen. Kramer benennt die Identifizierung von Staatsfeinden und Apostaten als zentrales Ideologem der Islamisten. Durch die Aufhebung jeglicher Trennung von Staat und Religion konnte eine Synthese aller Widersprüche in diesem Staat und an seinen Rändern gebildet werden, was sich wie ein Modell für alle islamistischen Regionen ausnimmt. Es galten „…alle Rebellen als Ungläubige und alle Ungläubigen als Rebellen…“.

Für den Erfolg dieser Doktrin differenziert Kramer zwischen materialistischen Interessen, etwa der Bestechung und Erpressung von lokalen Autoritäten, der Initiative von Verwaltungsorganen bei der Ausrufung des Djihad, der Integration der iranischen Märtyrer-Kriegsführung in die sudanesische Armee und deren Säuberung von säkularistischen Elementen, sowie letztlich auch das gegen die schwarzen Gruppen gerichteten rassistische Ressentiment, das auf einer jahrhundertealten Sklavenhaltermentalität fusst.

Um Schwarze zu versklaven, schufen die islamischen Herrscher des Sudan ein Distinktions-Regime, innerhalb dessen Schwarze zum Einen gezielt nicht missioniert wurden, um ihre Versklavung nach islamischem Recht weiterbetreiben zu können. Gleichzeitig wurden sie als rückständige und abergläubische „Heiden“ und „Ungläubige“ stigmatisiert. Die starke und offensichtliche Vermischung mit der schwarzen Bevölkerung wurde durch eine Verweigerung jeglicher Bedeutung für eingeheiratete schwarze Frauen verleugnet und so eine hierarchische Dichotomie von vorgeblich reinen Arabern und ungläubigen Schwarzen erzeugt.

Bis zum Waffenstillstand mit der SPLA, der 2005 in einen Friedensvertrag umgewandelt wurde, richtete dieser islamistische Djihad systematisch Massaker an, praktizierte Zwangsrekrutierungen und vollzog die Internierung von Zehntausenden von Zivilisten in „Islamisierungslager“ (unabhängig von der tatsächlichen Konfession) –  zur Beseitigung der ökonomischen und militärischen Basis der Guerilla und als ständige Ressource für (Zwangs-) Konkubinate.

Wer die aktuellen Vorgänge im Sudan und dessen Teilhabe an der internationalen islamistischen Bewegung wie auch dem genozidalen Terror der inzwischen kaum noch überschaubaren Vielzahl von Rackets gegen die Menschen in Darfur überblicken will, dem seien als möglicher Ausgangspunkt die Aufsätze Kramers zum Südsudan in den „Schriften zur Ethnologie“ wärmstens empfohlen.

Literaturangabe:

Fritz W. Kramer: „Schriften zur Ethnologie“. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. 2005. 418 Seiten.

2 thoughts on “Ethnologisches zum Sudan

  1. Auf der Plattform kino.to gibt es zur Zeit die Doku „Die Todesreiter von Darfur“ kostenlos als livestream anzusehen.
    Die Doku ist zwar nicht uneingeschränkt empfehlenswert, aber zumindest vermittelt sie einen leichten Einstieg.
    Inhalt:
    „Brian Steidle wird 2004 als militärischer Beobachter in den Sudan geschickt. Dort muss er in den kommenden sechs Monaten mit ansehen, wie die Situation zwischen Rebellen aus Darfur und arabischen Reitermilizen, Dschandschawid genannt, zunehmend eskaliert und die Lage immer mehr einem grausamen und gezielten Völkermord gleichkommt. Da die US-Regierung auf seine Berichte nicht reagiert, quittiert Steidle seinen Job als Beobachter und versucht nun über die Medien, den Blick von Bevölkerung und Politikern auf den Darfurkonflikt zu lenken.“
    Vielen Dank für den Artikel und den Literaturhinweis!

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