„Vier Juden auf dem Parnass“ – Rezension

Carl Djerassi, Mit-Erfinder der Anti-Baby-Bille, Naturwissenschaftler und Literat, hat mit „Vier Juden auf dem Parnass“ ein für den vorgebildeten Leser gedachtes Theaterstück geschrieben. Walter Benjamin, Theodor W. Adorno, Gershom Scholem und Arnold Schönberg treffen sich darin nach ihrem Tod auf dem Parnass, dem von Paul Klee in „ad parnassum“ verbildlichten Ausdruck höchster Genialität, um über einige ihrer Intima zu plauschen und übersehene wie missverstandene oder fehlerhafte Passagen ihrer Werke Revue passieren zu lassen. Als dramaturgischen Überraschungseffekt lässt Djerassi die Ehefrauen der Protagonisten jeweils hinzutreten und die Männerrunde stören. So erschließt Djerassi in dem stilistisch hervorragenden fiktionalen Biographie-Luststück einen Raum, in dem er über persönliche Animositäten und das intellektuelle Umfeld, die Verbindungen zwischen den Autoren und Künstlern sowie eigene Thesen Aufschluss geben kann. Das alles könnte so informativ, amüsant und eingängig sein, wie es sich lesen lässt, wenn nicht das Thema, dem sich die vorgestellten Protagonisten Zeit ihres Lebens zu nähern suchten, so alles andere als erheiternd wäre. Kritische Theorie wird gänzlich vom genialen Small-Talk abgetrennt, die geschichtliche Notwendigkeit des Gedachten erscheint im Extremfall als bloße Marotte. Das Gershom Scholem in den Mund gelegte Zitat Djerassis macht diese Haltung deutlich: „Halt, halt! Das ist weder die Zeit, noch der Ort, um die Dialektik des Antisemitismus zu rekapitulieren. Machen wir es einfach und persönlich – nicht intellektuell.“ Die Empörung über den Antisemitismus, die Adorno, Scholem und Benjamin gemeinsam war, wird verflacht in eine Diskussion über das Jude-Sein.

Der Drang ins Private, wie er sich in der Veröffentlichung der Briefwechsel aller möglicher Autoren schon ausdrückt, veräußert den kritischen Gehalt der Theorie und lenkt vom gesellschaftlichen Grauen ab, das jene zuinnerst bedingte. Die Verzweiflung darüber, dass Philosophie den Moment ihrer Verwirklichung verpasste (Adorno), sublimiert sich im Privatismus als betuliches Lächeln über die Macken und Eigenheiten derer, die man als allzumenschliche Menschen sehen will, wo das gesellschaftliche, bedrohliche Abstrakte ihrer Werke doch ihre Berühmtheit bedingte. Die kritische Lektüre von Texten wird dadurch auf das Niveau von leicht bekömmlichem Klatsch und Sensationslust gedrückt – ein Zusammenhang, den Djerassi erkennt, benennt (etwa auf S. 28) und dennoch, wenngleich auf sehr hohem Niveau darauf zurückfällt. So interessant dann Djerassis eigene Thesen über die Bedeutung von Novus Angelus, den er durch Benjamin für über- oder zumindest falsch bewertet hält, sind, so befremdend und deplaziert wirken sie in der Kombination von dramaturgischem Dialog und den aufdringlichen und etwas kitschig-bemühten Collagen von Gabriele Seethaler, die dem Text als künstlerischer Rahmen beigesellt sind. Was Djerassi trotz alledem leistet, ist eine De-Sakralisierung des Quartetts. Der reale Narzissmus der toten Genies wird mit dem der unkritischen Leserschaft kontrastiert. Der blindwütigen Rezeption von Benjamins Interpretation des Angelus Novus stellt Djerassi die berechtigte Frage nach der von Paul Klee angedachten Eigenwertigkeit des Bildes. Wo der autoritäre Charakter sich sein Weltbild durch bloße Identifikation mit wahrheitsumwitterten Geistesgrößen spinnt, befördert Djerassi das in der Kritischen Theorie enthaltene Misstrauen gegen die Ablösung des Geistigen von seinen gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen. Die sensationistische Aufbereitung der individuellen Fehlerhaftigkeiten trägt dann zur Profanisierung der Genies und somit zur Kritikfähigkeit diesen gegenüber bei.

Deutschland ethnologisch – Teil 1

Deutsche Städte haben einen je unterschiedlichen Zugang zum Umgang mit den Toten des zweiten Weltkrieges gefunden. Während die einen eher bescheidene Denkmäler mit Titeln wie „Nie wieder…“ oder „in Trauer um…“ wählten, zeigt sich in Dörfern wie Klepsau an der Jagst der Drang zum ewiggestrigen Protzen mit der nationalsozialistischen Gesinnung. Rings um die Kirche ziert jedes Haus ein Marienaltar, vor der Kirche prunkt symbiotisch ein Märtyrerdenkmal in Marmor und Blattgold. „Die dankbare Gemeinde“ verehrt unter dem eisernen Kreuz ihre „tapferen Helden“ für das Morden und Brandschatzen im Osten, das Gemetzel an den alliierten Streitkräften, die Vernichtung der europäischen Juden, an deren ehemalige Anwesenheit in ähnlichen Dörfern oft noch eine alte Synagoge oder ein alter jüdischer Friedhof erinnert. Der Nationalsozialismus ist mitnichten im Rückzug auf deklassierte Ostgebiete begriffen: In einer der reichsten Regionen der Welt, Baden-Württemberg, mit einer Arbeitslosigkeit von gerade einmal 6% und einer flächendeckenden Versorgung mit Gymnasien, Freibädern und Ärzten ist das Fortwesen nationalsozialistischer Gesinnung kaum aus vulgärmaterialistischer Expertise abzuleiten. So sind die Klepsauer Nazis weder besonders arm noch ungebildet, sie lernten Latein und wählen brav ihre CDU oder auch SPD. Sonntags gehen sie in die Kirche hinter dem Denkmal, um Nächstenliebe und Frieden zu erbitten. Es hat sich vielmehr über Jahrhunderte hinweg eine kulturell bedingte Immunität gegen kritischen Geist und Selbstreflexion eingeschlichen. Die dem so in die Hirne zementierten autoritären Charakter gut zu Gesicht stehende Identifikation mit den vermeintlichen Helden und Altvorderen findet in dieser Region ihr Pendant in der Götzenverehrung. Im benachbarten Krautheim befindet sich jenes Denkmal an den Ausspruch des Götz von Berlichingen, sein Duellant könne ihn „von hinden lecken“. Das sich in allen touristischen Schriften der Region in zahllosen vielsagenden Andeutungen und Pünktchen ergehende verklemmte Gekichere darüber trägt das Zeichen der mit äußersten Gewalt unterdrückten (Homo-) Erotik, die sich letztlich auf Heldenverehrung zurückzieht: diese toten Männer können ebenso gefahrlos geliebt werden, wie in den Klöstern die erotischen Marienbildchen. Den „Fremden“ verkauft man derweil von Rothenburg bis Schöntal ungenießbares Gebäck als regionale Spezialität, lockt sie mit Radwegen in Hinterhalte aus Höhenmetern, um ihnen drittklassige Sehenswürdigkeiten als kulturelle Leistung zu präsentieren oder ihnen den desolaten Zustand des Hausflusses im fernen Tal zu verheimlichen. Wehe den stets willkommenen Fremden jedoch, wenn St. Anna oder die Heilquelle vor Ort auf einmal nicht mehr hilft – dann packen dankbare Gemeinden eben jederzeit wieder tapfere Helden aus.

Insektizid oder Bier?

Die Herbsthäuser Brauerei fühlt sich berufen, der Volks- gesundheit einen Schädling vom Halse zu halten. Sie versteht ihr Bier als Insektizid gegen Heuschrecken, vulgo: Ausländer. Während „mehr als zwei Dutzend“ deutsche Brauereien bereits „von ausländischen Bierkonzernen regiert werden“, seien die Herbsthäuser Sudkessel „fest in privater Hand“. Welche Auswirkungen es tatsächlich hat, wenn Kapital aus dem Ausland einigen der über 500 bayrischen Brauereien unter die Arme greift, wo deutsche Bierkonzerne im Ausland aktiv sind und etwa bis Shanghai ihr Hefeweizen verkaufen, das interessiert das nationalsozialistisch imprägnierte Ressentiment wenig. Bierselige Bodenständigkeit paart sich mit jener urdeutschen Gemütlichkeit, die äußersten Aggress gegen alles Fremde, Hinzugezogene bedeutet. Eine familiäre Führerfigur, der redliche, gütige auf Qualität und Fairness bedachte „Inhaber“ mit persönlichen Kontakten zur Heimat und den Kunden, tritt bei Herbsthäuser an gegen „Manager“, „Konzernbrauereien“, „Aktienkurse“, Warentransport, Preisdruck, „Plastikpulle“, „Fernsehstars“ und „Lifestyle“. Ein solches Gebräu kennt man aus den Propagandaschriften der Nazis wie der aufs Volk bedachten Parteien von links bis rechts zu Genüge.