Eine Kritik der Beiträge in der „Bahamas“ und der „Polemos“ über Pädophilie und sexuelle Attacken

Die in der Bahamas Nr. 60 und annähernd baugleich in der Polemos Nr. 3 vorgetragenen Gedanken zur Pädophilie  sind in einer verarmten Koloratur aus monotonen Synkopen gefangen. Ihnen wurde die dem Thema zustehende Tiefe geraubt. Im Zuschnitt auf Feindbilder versagt die intellektuelle Geschmeidigkeit, die von manchen Autoren an anderen Gegenständen glaubhaft vorgeführt wurde. Stellt der Mob sich die Pädophilen allesamt als unheilbare  Monster vor,  die mit ihrem eigenen Gefühlsleben so gar nichts zu tun hätten, steigern sich die Autoren in einen Hass auf diesen via Zitateneklektizismus gleichgemachten „Mob“ hinein. Nicht, dass die Kritik in weiten Teilen nicht stimmig wäre. Sie ist bisweilen sogar sehr lehrreich und ihre Lektüre wird hier  zumeist vorausgesetzt. Sie streicht sich allerdings in einigen Weglassungen, Grundannahmen, Widersprüchen und Zitaten selbst durch und fällt darin weit hinter Adornos zitierten Aufsatz „Sexualtabus und Recht heute“  (in: „Eingriffe – Neun kritische Modelle“) zurück. Dieser wenigstens machte noch den Forschungsbedarf zum Thema aufmerksam, während seine aktuellen Replikatoren zu oft schon alles zu wissen meinen.

Es scheint zunächst ein Verbot zu sein, das den Autoren eine Art Rückruf, eine kritische Überarbeitung der redaktionseigenen Produktionen verunmöglicht. Im Fokus auf die „Missbrauchsdebatte“ – und hier wäre zunächst auszuarbeiten, dass dieses Wort „Missbrauch“ ein fast ebenso schreckliches, utilitaristisches und euphemistisches ist wie das der „Schändung“  – vergisst die Bahamas-Autorenschaft zuallererst eine Rückschau auf eine Karikatur, die sie vor einiger Zeit veröffentlichte. Sie zeigt einen bärtigen Mann, der mit einer Erektion unter dem Umhang ein nacktes Mädchen hinter sich herzieht, das seine Puppe verliert und unglücklich den Betrachter ansieht. Sein Satz „You know, that I love you, Ayesha!“ ist ein Verweis auf den Religionsgründer Mohammed. Damals kritisierte ich die Bahamas-Redaktion für diese Abbildung in meinem Artikel „Die Pädophilie Mohammeds: Über ein sinnloses Argument“ wie folgt:

„Der ahistorische Blick auf Mohammeds Heirat mit Aischa dient dazu, emotionale Regression zu schüren, zielt auf „gesundes“ Volksempfinden, und ist letztlich der Vernunft feindlich. […] Ebenso wenig ist die plumpe Fokussierung auf den „Pädophilen“ Mohammed geeignet, über den tatsächlichen Status von Mann und Frau im Islam auch jenseits der Pubertätsgrenze etwas auszusagen.“

Aus der halbironischen Begründung des Leitartikels der Bahamas geht nämlich keine kritische Distanz oder Begründung für die Wahl der Karikatur hervor:

„Alle Leser, die mehr über den Propheten im Bild der Jahrhunderte erfahren möchten und sich darüber Gedanken machen, ob er eher Cartman aus South Park gleicht, wie auf der  Website www.zombietime.com dargestellt,  oder einem netten Boy aus der Siegessäule, seien auf die Site http://info.pravdaoislamu.cz  verwiesen, der wir die Genreszene von Mohammed mit Aisha entnommen haben.“

In dieser rüpelhaften Beiläufigkeit mag man dann vielleicht noch eher eine Milde des Gedächtnisses als ein Verbot unterstellen. Was aber sollen die theoretischen Purzelbäume, die Krug, Pünjer, Wertmüller, Klaue und Kunstreich  in der „Bahamas“ sowie Elser in der „Polemos“ aktuell veranstalten? Da werden zunächst die sexuellen Übergriffe innerhalb katholischer Institutionen entkatholiziert – ein durchaus sinnträchtiges Unterfangen, mit dem ich in weiten Teilen d’accord gehe. Wenngleich ich das Freud-Zitat über den Antisemitismus als Christenhass (Bahamas S. 4 und Polemos S. 10) für deplaziert und naivisiert halte, weil es hier nicht den Antisemitismus klären hilft, sondern „Christenhass“ als dem Antisemitismus gleichrangiges Phänomen behauptet. Wirkliche Brüche entstehen spätestens dann, wenn sich die Autoren berufen fühlen, umgekehrt die in Institutionen der Reformpädagogik ausgeübten Angriffe auf Kinder und Jugendliche wie auch die reaktionären Reaktionen darauf zu protestantisieren. Es schmeckt wie eine schale Neuauflage des Kulturkampfes, die in ihren empirischen Ellipsen Differenzierungen scheut und aufs Identitäre zustrebt. Eine Problematisierung der just im kreuzkatholischen Polen eingeführte Körperstrafe – die chemische Kastration für Sexualstraftäter –  sucht man vergeblich. Von der im afrikanischen Katholizismus herrschenden Identifizierung von Homosexualität und sexueller Gewalt gegen Kinder ist ebenfalls nichts zu lesen. Stattdessen entsteht als Gesamteindruck eine in ihren Fussnoten an die Kritik noch gesteigerte Hagiographie des Katholizismus, die bei Kunstreich ihren Höhepunkt findet. Inmitten dieser Melange finden sich dann enigmatische Zitate wie das Folgende:

„Wenn man sich ansieht, worüber Mixa gestolpert ist, kann man fast schon von einer verborgenen List der Hysterie sprechen: Denn Mixa wurde gerade das glatte Gegenteil der Pädophilie, nämlich sein roher, lieb- und verständnisloser Umgang mit ehemaligen Heimkindern zum Verhängnis.“ (Krug,  S. 40)

Hier wird durch die Opposition gesetzt, dass Pädophilie sanfter, liebe- und verständnisvoller Umgang mit Kinder sei.  Dergestalt wird die punktuelle Nachlässigkeit und Wurstigkeit offenbart, mit der hier der Gegenstand behandelt wird. Es wird keine halbwegs nachvollziehbare Arbeit an Begriffen wie Pädosexualität, Pädophilie und sexueller Gewalt geleistet. Der Wikipedia-Artikel zur Pädophilie und die Website „Schicksal und Herausforderung“ sind daher besser als Gegengift zur Skandalisierung geeignet als sämtliche Artikel in der „Bahamas“ und der „Polemos“. Eine kompetente Analyse der gewaltsamen pädophilen Praxis, ihren Vorbedingungen, ihrer Gestalt und ihren Folgen für andere entfällt dort oder erhält ihr Reservat in Randnotizen, die im Gestus der selbstverständlichen Übereinkunft gehalten sind. Für Elser fungiert als Generikum einer Analyse ein knappes Freud-Zitat von 1905. (S. 12) Verhandelt wird im Folgenden, wie auch bei Pünjer in der Bahamas,(S. 44) die „Schuldfrage“, die sich an der Phrase vom „unschuldigen Kind“ aufmacht. Dabei werden in der Kritik zwei Gegenstände verwechselt: Die Ignoranz gegenüber der infantilen Sexualität, die ein asexuelles Kind konstatiert und eben jene kritisierten Verdrängungsleistungen produziert. Und die Schuldprojektion pädophiler TäterInnen, die sich zuallermeist in der eigenen Phantasie von Kindern „verführen“ ließen. Am 26.1.2006 etwa berichtete ein taff-Reporter über eine Erotikmesse: „Hier gibts Mädels, die schon im Kindergarten Luder waren.“ (Siehe auf  Nichtidentisches: „taff hat Verständnis für Pädophile“)

Kindern wird systematisch Mündigkeit in ihren sexuellen Experimenten unterstellt. Die Idee der Mündigkeit setzt allerdings die Anerkennung der weitgehenden Unmündigkeit des Kindes insbesondere in seinen sexuellen Ideen voraus – erst aus dieser Anerkennung seiner relativen Inkompetenz und Schwäche heraus kann es die Stärke gewinnen, derer es bedarf um später mündig und autonom zu werden und andere Erwachsene und Kinder der Inkompetenz zu überführen.

In der den meisten Artikeln eigenen Eindimensionalität fehlt zunächst jede relevante Kenntnis oder Kritik der ideologischen und kriminellen Pädosexuellenrackets, die eben jenen „autoritär-antiautoritären“ Gestus und die „repressive Unverkrampftheit“ verinnerlicht haben, die Klaue noch weitgehend für die Reformpädagogik reservieren will. (Klaue, S. 58, 61) Pünjers vage und in dieser substanzlosen Flapsigkeit verharmlosende These vom Rückgang der Fälle (S. 42) macht sich gleichsam immun gegen jüngere Verlagerungen der Täterstrategien. Die TäterInnen stammen, wie von Elser in der Polemos aus Freud zitiert: aus der Mitte der Gesellschaft. (S. 12f) Sie kommen nicht, wie Elser in seiner Freud abgepressten These einer Populationsdynamik suggeriert, automatisch dort vermehrt vor, wo Kinder versammelt sind, sondern suchen diese Orte gezielt auf. Es sind eben jene autoritär strukturierten Individuen, die in ihrer gehemmten Hemmungslosigkeit die Befriedigung des eigenen Bedürfnisses noch mit theoretischen Bausteinen aus dem Dekonstruktivismus ideologisch unterfüttern.

Solche Pädophile – und es ist fraglich, ob sie überhaupt die Mehrheit der Pädophilen ausmachen – gerieren sich als verfolgte sexuelle Minderheit und tauschen verquaste Euphemismen ihrer Sexualpraxis mit Kindern aus. Beispiel für eine solche ideologische Aufladung der Pädophilie sind die „Ketzerbriefe 157/158“ im Ahriman-Verlag. Aus der Psychoanalyse und der Verhaltensforschung längst bekannte Phänomene wie die Erektionsfähigkeit von Säuglingen, die infantile Masturbation, genitale Experimente von Kindern untereinander und oedipale Versuche an erwachsenen Objekten oder der infantile Exhibitionismus werden sensationistisch triumphierend berichtet zum Zwecke des Generalablasses für das Gelüst, das sich als Interesse der Kinder aufführt (deren „frei“ ausgelebte Sexualität sich übrigens ebenfalls schon sehr früh übergriffig gegen andere Kinder richten kann). Wenigstens die taz berichtete jüngst kritisch von den sogenannten „Indianerkommunen„, in denen pädophile Praxis ähnlich wie im Sektenwesen zum Mittel der Weltrettung verbrämt wurde. Wie weite Verbreitung solche alternativbewegten Ermächtigungsideologien fanden, ist leider noch unzureichend beforscht. Schade ist jedenfalls, dass weder bei Elser in der Polemos noch bei den AutorInnen in der Bahamas der Begriff des „beidseitigen Einvernehmens“  hinreichend geklärt wird – der Gesetzgeber scheint sich hier ausnahmsweise mehr Gedanken gemacht zu haben, indem er ein oberflächliches Einwilligen etwa bei Kleinkindern auf unbewusste Folgen bei den Opfern und unbewusste Voraussetzungen bei den TäterInnen geprüft hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass ein „Einvernehmen“ nicht gegeben ist, solange kein mündiges Subjekt vorausgesetzt werden kann und immense Abhängigkeiten wirken. Im Duktus der Sexualwissenschaft heißt das:

„Nach dem Modell der „Disparität der Wünsche“‘ bzw. der „Ungleichzeitigkeit’“ liegen bei Kindern und Erwachsenen unterschiedliche Ausgangsbedingungen vor, die eine Beziehung zu gleichen Voraussetzungen unmöglich machen. Die sexuellen Bedürfnisse des Erwachsenen korrelieren entwicklungspsychologisch nicht mit den Wünschen des Kindes. Kinder sind zwar zu sexuellen Gefühlen fähig, diese unterscheiden sich aber fundamental von der Sexualität eines Erwachsenen, dessen sexuelle Entwicklung bereits abgeschlossen ist. Da das Kind die Sexualität des Erwachsenen nicht kennt, kann es auch dessen Perspektive nicht einnehmen. Es kann nicht erfassen, aus welchen Beweggründen ein sexuell motivierter Erwachsener seine Nähe sucht. Kinder können deshalb zwar „willentlich’“ (fachlich „simple consent“), aber nicht „wissentlich“‘ (fachlich informed consent) in sexuelle Handlungen einwilligen.“ (Wikipedia)

Erst auf der Anerkennung dessen kann eine Entzerrung der relativ willkürlichen Altersgrenzen kritisch diskutiert werden. Kunstreichs materialistisch vermurkste Angriffe auf die Illegalisierung der Ephebophilie scheitern alleine schon am Fehlen jeder Diskussion solcher Widersprüche zwischen noch pubertierenden Knaben und postmenopausalen Erwachsenen.

Weiter fehlt eine Reflexion auf die Ökonomisierung der praktizierenden Pädophilie. Zwar ist für Deutschland aufgrund gesetzlicher Restriktionen kein Markt nachweisbar. Allein die Menge der Daten und ihre Verbreitung lassen jedoch Schwarzmärkte zumindest als sehr wahrscheinlich erscheinen, in anderen Staaten ist eine kommerzielle Ausbeutung der vorhandenen Nachfrage hinreichend bewiesen. Auch die private Produktion von sogenannten „Kinderpornos“ (denn  hier von Pornographie zu reden und damit Prostitution vorauszusetzen ist euphemistisch) und „Snuff-Videos“ findet häufig in Entwicklungsländern statt, in denen Opfer durch Menschenhandel billig und weitgehend gefahrlos zu besorgen sind. In der „Polemos“ wird dagegen von Elser behauptet:

„Unwahrscheinlich,  dass  durch  den  Konsum  von  kinderpornografischen  Inhalten auch nur eine einzige Vergewaltigung eines Kindes verursacht wurde. Der Konsum von Kinderpornographie könnte eine Möglichkeit darstellen, pädophile Neigungen ohne Schädigung  eines  Kindes  zumindest  ein stückweit   auszuleben.“

Schwer fällt es, die somatische Abneigung gegen solche Ansinnen zu rationalisieren – wird doch der Vorschlag als Tabubruch eingeführt und nicht zum Argument aufgebaut. Viel spricht dafür, den Konsum von sogenannter Kinderpornographie als pädosexuelle Praxis zu werten, die eine echte sexuelle Attacke oder die Manipulation eines Kindes voraussetzt und damit auch diese Akte zum Inhalt des eigenen sexuellen Begehrens setzt.  Das ist etwas grundlegend anderes als etwa im pornographischen BDSM-Genre, bei dem der Betrachter mehrheitlich von Schauspielerei oder mündigem Konsens mit klaren Verträgen zwischen Erwachsenen ausgehen kann. Die Professionalisierung der praktizierenden Pädophilen beinhaltet Tauschringe für Informationen zu besonders gefälligen Orten mit besonders einfachen Modalitäten in Afrika, Osteuropa und Südostasien. Dort reden sie sich ein, dass es ihre Attraktivität und Liebenswürdigkeit sei, die Kinder und Jugendliche in ihre Arme treibt, und nicht die existentiellen Zwänge, denen diese ausgesetzt sind. Allein die medial vermittelte Geltungssucht sorgt dafür, dass mehr pädophile Menschen auch einmal so ein Video drehen wollen. Als ich in Ghana weilte, wurde gerade ein Rentner aus den USA inhaftiert und verurteilt, weil er Kleinkinder mit Süßigkeiten und Essen dazu „überredete“, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Die dort notorische Regenbogenpresse veröffentlichte in eben der in der Bahamas kritisierten voyeristischen Manier die Fotos, die dieser mit seinem Mobiltelefon von den Aktionen machte.

Dass der Täter kein Einzelfall war, zeigen neben der Präsenz von bekenntniswilligen Subjekten an Hotelbars die Statistiken über Menschenhandel für Zwangsprostitution innerhalb Westafrikas. Mafiöse Rackets nutzen hier sowohl die armutsbedingten Fluchtversuche nach Europa durch die Wüste als Reservoir für die von ihnen organisierte Zwangsprostitution als auch die animistischen Todesängste vor spirituellen Strafinstanzen bei Ungehorsam und Flucht. Solche Strategien wecken in Elser den Impuls, es handele sich bei der Erwähnung von „Voodoo-Zaubern“ in Bezug auf Zwangsprostitution eben um „einen Witz“, eine krude Unterstellung, um restriktive Migrationspolitik zu betreiben. (S. Polemos, S. 16) Ich habe Elser leider nicht auf jenem Seminar in London gesehen, auf dem der Beauftragte der britischen Polizei für Menschenhandel und ein Inspektor der Menschenhandelabteilung in der nigerianischen Polizei fundiertes Videomaterial, Interviewausschnitte und Opferstatistiken präsentierten. Ohne Zweifel findet in einem nicht zu unterschätzenden Umfang vor allem in einer spezifischen Region Nigerias, aus der ein Großteil der afrikanischen Prostituierten in Italien und Großbritannien stammt, eine organisierte Erpressung statt, bei der die Opfer zu Eiden an Schreinen überredet oder gezwungen werden. Die Eide binden die Opfer in echter Todesangst vor der Rache der Götter an ihre zumeist weiblichen Zuhälter, die „Madames“, in Europa. Ich bezweifle also, dass Elser irgendeine Kenntnis von den „fremdartigen“ Möglichkeiten hat, die sich organisierter Kriminalität und pädosexueller Praxis in Afrika und anderen Regionen bieten. Auf einer solchen Kenntnis erst könnte eine Kritik an einer möglichen Instrumentalisierung durch die hiesige Polizei aufbauen. Im Falle des „Trokosi“ besteht übrigens eine traditionalistische Institutionalisierung der sexuellen Gewalt gegen Kinder: junge Mädchen wurden und werden (trotz Verbot) zwischen Ostghana und Togo Schreinpriestern als explizit sexuell ausbeutbare Sklavinnen zugeteilt, um Familienflüche aufzuheben.

Vorausgesetzt wird in der Bahamas eine gesamtgesellschaftliche Pogromstimmung – oder, wie es in der „Polemos“ auch so unglaublich konform und weltfremd heißt, „Hexenjagd“ – gegen „Kinderschänder“. Die Autoren suggerieren einen Konsens, der ungebrochen vom nationalsozialistischen Verfolgungszwang zu einem angeblich mehrheitsfähigen Antikatholizismus heute führen würde.

Sie übersehen dabei völlig den gesellschaftlichen Widerstand gegen die Anklagen der Opfer sexueller Gewalt, die rituelle Taubheit, die besonders auf dem Lande den von allen und deshalb niemand gewussten Inzest  im Nachbarshof umgibt. Über so etwas spricht man nicht. Und wenn, machen es andere ja auch, wie eine bayrische Kirchgängerin ihren in der Vergangenheit sexuell übergriffigen Priester entschuldigte. Zuletzt kommt stets noch die leider auch in der Bahamas mehrfach beanspruchte Schutzbehauptung, das alles sei nun wirklich lange genug her, um sich noch damit zu befassen. (S. 39) Man muss dabei die Stigmatisierung, mit der männliche Vergewaltigungsopfer  konfrontiert sind, in ein Verhältnis setzen zu den in der Bahamas bestechend gut analysierten homophoben Projektionen auf die Kirche.

Es gab bei den jüngsten deutschen Fällen eine mühevolle, von den Opfern initiierte und aufrechterhaltene Aufklärungsarbeit, die letztlich zu schwerfälligen und formelhaften Entschuldigungen führte.  Ein „Hype“, wie  ihn Pünjer zu vernehmen meint, (S. 42) war kaum zu entdecken, wenngleich einige Medien der ihnen zugedachte Rolle als sensationslüsterne Journaille bestens gerecht wurden. Wo es zeitgleich um das sadistische Verprügeln von Kindern wie etwa durch einen besonders brutalen Schulleiter in den 1950-ern im hessischen, katholischen Amöneburg ging, wurde jede Diskussion im Ortsrat mit den üblichen Verweisen auf den Zeitgeist abgeschmettert. Von Lynchstimmung war man auch im Falle der systematischen pädosexuellen Attacken an der Odenwaldschule  und den kirchlichen Stätten weit entfernt. Die Reaktionen lassen sich eher als verdrückte, rasch gegen die Opfer gerichtete Aggression beschreiben. Die „Titanic“ etwa brachte eine zynische Karikatur, bei der ein Priester sich am Penis eines verzückt lächelnd errötenden Jesus am Kreuz zu schaffen macht. In der „taz“ fand man eine Karikatur von zwei sich bereitwillig nackt bückenden Kindern, denen „streng katholische“ Erziehung diagnostiziert wurde. Dieser Aggress gegen die Vergewaltigungsopfer hat Tradition: Natascha Kampusch wurde von einer geifernden Schar verhetzt, sie hätte ihr Leiden selbst provoziert oder zumindest im Nachhinein ausgebeutet. (Siehe u.a. auf Nichtidentisches: „Natascha“)

Dieser sadistische, hochprojektive Umgang mit den Opfern ist als ambivalenter Widerpart zu den Zusammenrottungen im Namen der Volksgesundheit zu denken. Letztere dominieren eben nicht, eine Tatsache, die Pünjer mühsam in seine windschiefe Gesamtkonstruktion einzubauen versucht. (S. 42)

Die dennoch in den Artikeln als allgemein vorausgesetzte Lynchstimmung gegen „Kinderschänder“ scheint eher reserviert zu sein für ein bestimmtes Verbrechen: Den Sexualmord an Kindern. Es ist diskutabel, ob hier die Kategorie der Pädophilie noch Anwendung finden kann, oder ob es sich um eine eigene Pathologie handelt. Dennoch hätte man sich eine genauere Erörterung der Wirkung dieses Verbrechens gewünscht, wenn es um die gesellschaftlichen Reaktionen darauf geht. Eine Lynchstimmung wird hierzulande zumeist schon kanalisiert in die verstaatlichte Form des Lynchmordes, die Todesstrafe oder die gerichtlich verordnete Kastration. Solche Forderungen sind inhumane, sadistische Reaktionen, die in ihrem Gewaltwunsch noch die Tat des Verbrechers übertreffen wollen, wie jenes CDU-Mitglied, das drei nach Marburg  gezogene entlassene Straftäter „drei Meter unter der Erde“ sehen will. Dem CDU-Mitglied wurde mit Empörung begegnet, sein berechneter Tabubruch hatte die Wette auf den Mob verloren. Der Unterschied zu antisemitischen Projektionsmustern ist allerdings essentiell: Solche Menschen haben in ihrem Strafbedürfnis einen realen Grund und einen realen Täter. Wie kaum ein anderes Verbrechen affizieren diese Ausnahmeerscheinungen eine Masse von Individuen, weil die Tat so unendlich grausam und empathielos ist. Aus der geringen Zahl der Fälle schon abzuleiten, dass die Angst überwertig, gar irrational ist, macht sich positivistisch dumm gegen die Qualität solcher Verbrechen.

Was Pünjer noch zugesteht, ist, dass die Anerkennung des häuslichen Umfelds als hauptsächliche Quelle der sexuellen Attacke fortschrittlich war. (S. 42) Den aus diesem Bewusstsein entstehenden Prozess, dass Individuen in ihren bislang für normal erachteten Verhaltensweisen eine kritische Instanz als quälend empfinden, verspottet er allerdings als Hysterie oder als Entgrenzung der Bedrohung. (vgl. Rutschky nach Pünjer, S. 46) Eine solche Wahrnehmung segelt hart an der immunisierten Ignoranz. Man ist kurzum beleidigt, dass das Bewusstsein einer nicht nur an ihren Ecken verkehrt eingerichteten Welt auf die Laune drückt. Ein solches geschaffenes halbgebildetes Bewusstsein zieht im vielzitierten „falschen Ganzen“ (Adorno) Reaktionsbildungen nach sich, die alles andere als gesund, aber dennoch nachvollziehbar sind.

Ohne Zweifel heften sich alte, bürgerliche Ängste vor unkontrollierter Sexualität und unbeherrter Natur an die häufig ritualisierten Reaktionen auf Sexualverbrechen. Wer Aggressionen auf solche Täter pathologisiert, tut seiner gerechtfertigten Kritik an der Opferbetreuung allerdings auch keinen Gefallen. Suggeriert wird bei Pünjer mit Rutschky und Kinsey, dass die „ständige Hysterie über Sexualvergehen“ „das Kind mehr [schädigt] als es die Sexualakte selbst tun“ und „sehr wohl ernste Auswirkungen auf die spätere sexuelle Anpassungsfähigkeit vieler dieser Kinder haben“ kann. (S. 43) Es ist genau dieses später in der Kritik der Organisation „Wildwasser“ vorgeworfene (S. 46 u.) Nichtklären des besprochenen Vergehens – in dieser Andeutung Kinseys reicht es vom kriminalisierten Akt zwischen gerade Volljährigen und gerade noch Minderjährigen bis hin zur Vergewaltigung von Kleinkindern  –  das solche Passagen auf Verharmlosung und Verhöhnung der Opfer hinauslaufen lässt. Gegen so viel Fahrigkeit und ungelöste Ambivalenz hilft es auch nichts, eine größtenteils verunglückte Diskussion der Freud’schen Triebtheorie und Massons Buch über Freud dazwischen zu schalten. Weiter findet sich bei Pünjer eine merkwürdige Abwertung im Begriff „Blümchensex“, (S. 43) die ich aus ganz unterschiedlichen Gründen grauenvoll finde, unter anderem deshalb, weil sie eben keine Grenzen der ambivalenten Zusammensetzung von sexuellen Gelüsten aus Gewalt und Sex andeutet, Wie auch bei Elser wird der exotische Kitzel als von der normierenden Integration des Sexualaktes in konformistische Programme nicht schon ebenso vergiftete „freiere“ Alternative verteidigt. Und zuletzt ist es schlichweg nicht wahr, dass „Blümchensex“ die einzige verbliebene gesellschaftlich akzeptierte sexuelle Praxis sei. Fetisch, Fisting, Latex, Bondage,  Homo, Trans, Lesbian, Gang-Bang – nie waren die Grenzen für legitimierte Sexualität weiter gesteckt und nie waren die Möglichkeiten für eine größere Masse vereinzelter Individuen zugänglicher. Nicht minder unreflektiert ist der Aggress Kunstreichs auf „schwule Paare“, die „häufig mehr wie Brüder oder gar Zwillinge aussehen denn wie Männer, die einander lieben.“ (S. 66)

Was bleibt, ist eine zumindest stellenweise unterhaltsame Lektüre unter anderem über Differenzen zwischen Protestantismus und Katholizismus.

5 thoughts on “Eine Kritik der Beiträge in der „Bahamas“ und der „Polemos“ über Pädophilie und sexuelle Attacken

  1. Hi,

    die „Ketzerbriefe“ sind zwar in vielerlei Hinsicht ein Schmuddelblättchen, aber es handelt sich dabei NICHT um Pädophile. Sie sollten das im Text ändern, nicht nur, weil diese Leute gerne klagen, sondern weil es ja auch wirklich verleumderisch ist. Ansonsten: guter Text.

  2. Ob es sich bei den Autoren in den „Ketzerbriefen“ um Pädophile handelt oder nicht kann ich erstmal gar nicht beurteilen, und wenn du mir das sagst, hilft es mir auch nicht weiter. Ich habe es trotzdem geändert, weil mir das Zitat fehlt und ich den Band nicht noch kaufen möchte.

    Die Ketzerbriefe glänzen ja auch durch Verschwörungstheorien und antiamerikanische Exzesse, etwa die Saddam Hussein Fanausgabe.

  3. Ich bin auf Ihre Seite gestoßen und möchte einen Kommentar abgeben. Ich empfehle zu Kinsey die Literatur von Reisman. Mir scheinen die Aussagen Kinseys vielfach einer Eigenmotivation geschuldet zu sein. Wer einmal selbst sexuellen Missbrauch erlebt hat, diesen ohne Gewalt, und dann bei Kinsey liest, dass meist die Gesellschaft mehr Aufhebens um diesen „Übergriff“ mache, als das Kind selber und für die etwaige Traumatisierung Mitschuld trage kommt nicht umher einen Umkehrschluss zu ziehen, dh. wohl, dass die Gesellschaft kein Aufhebens darüber machen solle und somit, letztlich, den Missbrauch zu bagatellisieren.

    „Fetisch, Fisting, Latex, Bondage, Homo, Trans, Lesbian, Gang-Bang – nie waren die Grenzen für legitimierte Sexualität weiter gesteckt und nie waren die Möglichkeiten für eine größere Masse vereinzelter Individuen zugänglicher.“

    Das ist korrekt, nur leider eher einem postmodernen, wissenschaftlichen Zugang geschuldet, welcher von Konsensualität und nicht Ursächlichkeit ausgeht. Warum Menschen BDSM machen, Frauen die devote Rolle einnehmen ist egal, solange sie es aktual-konsensual tun. Dass hier nicht selten Faktoren wie Abhängigkeit, Liebe zum Partner, prägende Erlebnisse und nicht die eigene Libido „ursächlich“ sind, interessiert nicht. Als Indiz hierfür kann auch der ständige Spruch der Bundesprüfstelle Jugendmedienschutz gesehen werden, worin bereits in Verweis auf eine 1990! erschienene Arbeit festgehalten wird:

    „Außerdem ist anzunehmen, dass die ständige Verknüpfung von sexuellen und aggressiven Darstellungen die Gefahr einer Erotisierung von Gewalt in sich birgt. Der fortgesetzte Konsum von Filmen dieses Genres könnte damit zur Entstehung eines äußerst bedenklichen Phänomens beitragen, das in jüngster Zeit experimentell bestätigt wurde: Nicht nur sexuell-aggressive Darstellungen, sondern auch solche, die nicht sexuelle Gewalt zum Ausdruck bringen, wirken auf eine bestimmte Personengruppe der männlichen Normalbevölkerung erotisierend und lösen sexuelle Reaktionen aus.“

    Quelle: http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/Jugendmedienschutz/Indizierungsverfahren/spruchpraxis,did=32996.html

    Ich persönlich schätze, dass sich die Situation dramatisch verschärft hat, was ich in meiner Arbeit und mitunter an der Gründung von „sadomasochistischen Jugendorganisationen“ festmache, wobei hier nicht wenige jugendliche „Mädchen“, welche mit einem ebenfalls jugendlichen, dominant-sadistischen Partner in Beziehung standen, von KollegInnen therapiert werden.

  4. „Nicht nur sexuell-aggressive Darstellungen, sondern auch solche, die nicht sexuelle Gewalt zum Ausdruck bringen, wirken auf eine bestimmte Personengruppe der männlichen Normalbevölkerung erotisierend und lösen sexuelle Reaktionen aus.“

    Das halte ich wiederum für sehr strittig. Zwei Literaturangaben sind mir da viel zu wenig. Die sexuelle Dimension jeder Gewalttat wäre tiefenpsychologisch und somit dialektischer zu fassen als in dieser Trennung – nicht sexuelle Gewalt/sexuelle Gewalt.

    Dass Mädchen sich in sehr unseligen Beziehungen mit dominanten Partnern befinden hat sicherlich weniger mit ihrem sexuellen Verlangen als – neben der individuellen Leidensgeschichte und Wahlformen – mit einer gesellschaftlich begünstigten Infantilisierung von weiblichen Ich-Idealen und ökonomisch vermittelten Stereotypen in der Partnerwahl auf beiden Seiten zu tun. Hier sehe ich gesamtgesellschaftlich auch eher einen Roll-Back. Das Beispiel der Varietät sollte auch eher auf die prinzipielle Liberalität der Gesellschaft gegenüber als konsensual möglichen Sexualpraktiken verweisen. Der Satz davor: „Und zuletzt ist es schlichweg nicht wahr, dass „Blümchensex“ die einzige verbliebene gesellschaftlich akzeptierte sexuelle Praxis sei.“

    Zuletzt bezweifle ich, dass die aktive BDSM-Szene sich im Alltag, bzw. den Geschlechtspartnern gegenüber frauenfeindlicher verhält als der Durchschnitt. In einem nicht kleinen Feld der Szene wird mehr über Sexualität und Zwang reflektiert als im Normalbeischlafklientel. Wie aggressiv Sex ist, sagt kaum etwas über gesellschaftliche Zustände und Frauenfeindlichkeit aus. Prinzipiell war die Partnerwahl nie freier. Sex als reproduktiver Zwang in vielen traditionellen Gesellschaften weist keinerlei Züge sado-masochistischer Fetischbildungen auf – ist aber de-facto Vergewaltigung als gesellschaftliches Leitbild.

  5. Dass Kinsey einen wahren Kulturalismus der Sexualität pflegte, deutet der recht gute Film über ihn auch an. Deshalb ziehe ich auch Freud vor – sein analytisches Projekt war ungleich aufklärerischer als die empiristische Zählerei Kinseys.

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