Rambology – mit John J. Rambo durch die Dialektik der Aufklärung


Ernst Barlach: „Der Rächer“

„Rambo, der; -s, -s [nach dem amerikanischen Filmhelden]: (ugs.) jmd. der sich rücksichtslos [u. mit Gewalt] durchsetzt; Kraftprotz.“ (Das große Fremdwörterbuch – Duden)

Die Umgangssprache hat den Begriff „Rambo“ okkupiert. Woher diese semantische Kaperfahrt ihren Freibrief bezieht, leitet sich eher aus einem sublimierten oder offenen Antiamerikanismus als aus einer qualifizierten analytischen Filmlektüre ab. Diese lässt allerdings auf sich warten. Außer einem aufschlussreichen Interview mit Christopher Vogler und den Audiokommentaren von David Morell und Silvester Stallone – sämtlich generöse Dreingaben der Rambo-Trilogy-DVD-Box – schweigt die Wissenschaft zum Phänomen Rambo, sofern sie sich nicht noch als Insinuant von Ressentiments gegen den Film betätigt. Man mokiert sich gerne darüber, wenn afrikanische Kindersoldaten oder Dschungelkämpfer sich „Commander Rambo“ nennen, ein ernsthaftes Interesse an der Vermittlung von intrapsychischen Konflikten in der postbürgerlichen Gesellschaft und dem fiktionalen Drama um den Kulturheros Rambo schlägt sich jedoch zumindest nicht in Publikationslisten oder Bibliothekskatalogen nieder.

Das oberflächliche Muster aller Filme ist sicherlich einfach: Der ausgestoßene Loner John Rambo wird durch dramatische Verstrickungen in Situationen gebracht, in der ihm Gewalt als einziger, legitimer Ausweg bleibt. Dadurch entsteht eine perpetuierte Verfolgungsjagd, bei der eine verfolgte Person letztlich zum siegreichen Verfolger wird oder zumindest die Verfolgung abwehrt. Würde man die Rambo-Filme auf dieses Muster reduzieren, träfen BARTHES Analysen der kleinbürgerlichen Kultur mit ihrem Abhub auf Erwartung, Suggestion und Initiation zu.

Es gehört zum kleinbürgerlichen Ritual […], daß man so lange warten läßt, bis sich die Spannung eingestellt hat, die so untrennbar gemischt ist mit Heilserwartung und Wut. (Barthes nach Schiwy 1973: 21)

Diese Erklärung in klassenkämpferischer und kulturkritischer Absicht wäre allzu plan. Für James Bond und zahllose andere zweitklassige Krimis, Gauner- und Detektivgeschichten mag solches oder ähnliches zutreffen. Die Rambo-Filmreihe ist allerdings zu komplex, als dass man sie auf Nervenkitzel und nur kulturindustriellen Unterhaltungswert reduzieren könnte. Sie ahmt nicht bürgerliche Kultur nach, sondern geht aus ihr hervor und entwickelt sie auf höchstem Niveau weiter – stets an den Grundfesten bürgerlicher Ideologie nagend, auf denen sie zugleich wie alle Kulturindustrie baut. Wesentlich mehr Aufschluss bietet es daher, wenn wir die „Dialektik der Aufklärung“ – ausnahmsweise weitgehend jenseits des Kulturindustriekapitels – mit der Rambo-Reihe synchronisieren. Erst dann wird die intellektuell inspirierte Tiefenwirkung der Rambo-Mythologie auf ein massenhaftes Publikum nachvollziehbar und die inhärente Zivilisationskritik ebenso wie der innerhalb kulturindustrieller Verhältnisse stets zum Verrat anstehende emanzipatorische Anspruch darin sichtbar. Von dieser These ausgehend starten wir, ADORNO und HORKHEIMER wie gleichermaßen deren Basis, MARX und FREUD im Hinterkopf behaltend, einen mitunter waghalsigen Streifzug durch die Filmreihe – wie John Rambo selbst riskieren wir dabei Verstand und Kragen, verfolgen, was uns verfolgt, kündigen im Kampfhubschrauber der Theorie die Sicherheit der wohligen positivistischen Trennung von Subjekt und Objekt auf.

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Deutschland ethnologisch – Teil 2

Wenn der Franke nicht weiß, wie er seine Touristen bei Laune halten soll, lässt er sich mannigfache Attraktionen einfallen. Da sinnt er dann darauf, was seine Goldesel wohl so sehen wollen. Sicher würden manche Radfahrer gerne öfter Gelegenheit erhalten, legal und stressfrei auf irgendwelchen Wiesen am Ortsrand zu biwakieren und so den gefürchteten Delikt des „Hausfriedensbruchs“ oder manches Ordnungsgeld zu vermeiden. Tiefer noch als seine Freude am Kapitaleintrag duch den Touristen wurzelt beim Franken allerdings die urdeutsche Furcht vor Zigeunern und Obdachlosen, die durch derlei Infrastruktur nur auf den falschen Gedanken gebracht werden könnten, hier sei man etwa auch ihnen wohlgesonnen. Der Franke wälzt also hin und her: er braucht seine Attraktion. Und so benennt er also einfach bereits existierende Radwege mit weiteren vielversprechenden Namen wie „Karpfenradweg„, was den Radfahrer entlang der wahrlich sehenswert mäandrierenden Wörnitz nahe Dinkelsbühl darauf verweisen soll, dass man hier besagten Edelfisch zu züchten, zu erlegen und zu verspeisen versteht, eine hohe Kunst, deren wässrige Zeugen man in den am Wegesrand verstreuten Karpfenteichen schon immer bewundern wollte. Wer da noch nicht zufriedengestellt ward, den schickt der Franke auf seine Spezialität: Die „Oberamtstour„.

Den Touristen, die danach noch den Genuss der lokalen Spezialität überlebten, verkauft der Franke in Ermangelung von Holzindianern ausgestopfte andere Franken, die mit Devotionalien behangen werden. Hat der Tourist dann noch Geld übrig, für das er vielleicht einige Mitbringsel erwerben möchte, stehen ihm an jeder Ecke Läden zur Verfügung, die das Beste, was die fränkische Hobbywerkstatt zu bieten hat, zu Schleuderpreisen als höchsten Ausdruck deutscher Kunstfertigkeit feilbieten.

„Vier Juden auf dem Parnass“ – Rezension

Carl Djerassi, Mit-Erfinder der Anti-Baby-Bille, Naturwissenschaftler und Literat, hat mit „Vier Juden auf dem Parnass“ ein für den vorgebildeten Leser gedachtes Theaterstück geschrieben. Walter Benjamin, Theodor W. Adorno, Gershom Scholem und Arnold Schönberg treffen sich darin nach ihrem Tod auf dem Parnass, dem von Paul Klee in „ad parnassum“ verbildlichten Ausdruck höchster Genialität, um über einige ihrer Intima zu plauschen und übersehene wie missverstandene oder fehlerhafte Passagen ihrer Werke Revue passieren zu lassen. Als dramaturgischen Überraschungseffekt lässt Djerassi die Ehefrauen der Protagonisten jeweils hinzutreten und die Männerrunde stören. So erschließt Djerassi in dem stilistisch hervorragenden fiktionalen Biographie-Luststück einen Raum, in dem er über persönliche Animositäten und das intellektuelle Umfeld, die Verbindungen zwischen den Autoren und Künstlern sowie eigene Thesen Aufschluss geben kann. Das alles könnte so informativ, amüsant und eingängig sein, wie es sich lesen lässt, wenn nicht das Thema, dem sich die vorgestellten Protagonisten Zeit ihres Lebens zu nähern suchten, so alles andere als erheiternd wäre. Kritische Theorie wird gänzlich vom genialen Small-Talk abgetrennt, die geschichtliche Notwendigkeit des Gedachten erscheint im Extremfall als bloße Marotte. Das Gershom Scholem in den Mund gelegte Zitat Djerassis macht diese Haltung deutlich: „Halt, halt! Das ist weder die Zeit, noch der Ort, um die Dialektik des Antisemitismus zu rekapitulieren. Machen wir es einfach und persönlich – nicht intellektuell.“ Die Empörung über den Antisemitismus, die Adorno, Scholem und Benjamin gemeinsam war, wird verflacht in eine Diskussion über das Jude-Sein.

Der Drang ins Private, wie er sich in der Veröffentlichung der Briefwechsel aller möglicher Autoren schon ausdrückt, veräußert den kritischen Gehalt der Theorie und lenkt vom gesellschaftlichen Grauen ab, das jene zuinnerst bedingte. Die Verzweiflung darüber, dass Philosophie den Moment ihrer Verwirklichung verpasste (Adorno), sublimiert sich im Privatismus als betuliches Lächeln über die Macken und Eigenheiten derer, die man als allzumenschliche Menschen sehen will, wo das gesellschaftliche, bedrohliche Abstrakte ihrer Werke doch ihre Berühmtheit bedingte. Die kritische Lektüre von Texten wird dadurch auf das Niveau von leicht bekömmlichem Klatsch und Sensationslust gedrückt – ein Zusammenhang, den Djerassi erkennt, benennt (etwa auf S. 28) und dennoch, wenngleich auf sehr hohem Niveau darauf zurückfällt. So interessant dann Djerassis eigene Thesen über die Bedeutung von Novus Angelus, den er durch Benjamin für über- oder zumindest falsch bewertet hält, sind, so befremdend und deplaziert wirken sie in der Kombination von dramaturgischem Dialog und den aufdringlichen und etwas kitschig-bemühten Collagen von Gabriele Seethaler, die dem Text als künstlerischer Rahmen beigesellt sind. Was Djerassi trotz alledem leistet, ist eine De-Sakralisierung des Quartetts. Der reale Narzissmus der toten Genies wird mit dem der unkritischen Leserschaft kontrastiert. Der blindwütigen Rezeption von Benjamins Interpretation des Angelus Novus stellt Djerassi die berechtigte Frage nach der von Paul Klee angedachten Eigenwertigkeit des Bildes. Wo der autoritäre Charakter sich sein Weltbild durch bloße Identifikation mit wahrheitsumwitterten Geistesgrößen spinnt, befördert Djerassi das in der Kritischen Theorie enthaltene Misstrauen gegen die Ablösung des Geistigen von seinen gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen. Die sensationistische Aufbereitung der individuellen Fehlerhaftigkeiten trägt dann zur Profanisierung der Genies und somit zur Kritikfähigkeit diesen gegenüber bei.