Sigmar Gabriel hat bekanntermaßen nach einem Besuch Hebron mit einem Apartheidstaat verglichen. Erfahrenere Blogger nehmen wieder einmal die Arbeit auf sich, Klarstellungen über die Lage in Hebron zu verfassen, in der palästinensische Terroristen Juden und Palästinenser spalteten und für Interaktionen straften. Über die generelle Unsinnigkeit des Vergleiches kann das folgende Video ein paar Einsichten erlauben.
Die Widerlegung im Empirischen scheitert aber meistens an der Zirkularität des Vorurteils: Wenn dies nicht gilt, so greift man eben zu etwas anderem und wenn sich irgendwo dann doch ein terroristischer, böser, dummer, verbrecherischer Jude findet, so haften gewiss alle dafür und überhaupt hat nun mal Israel auch Atomwaffen und in der Bibel schon Unrecht gehabt.
Würde man den Vergleich Gabriels aber inhärent kritisieren, dann träte erst seine Dummheit ganz ans Licht. Zwei Kritikfronten stellen sich dann in etwa so dar:
1. Wenn Israel auch nur annähernd der Apartheid ähnlich wäre, was würde Deutschland es kümmern? Deutschland war Hauptfinanzierer des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Noch keine faschistische Diktatur zwischen Colonia Dignidad, Argentinien, Spanien, Irak und Iran musste sich vor diplomatischen Bösartigkeiten Deutschlands fürchten. Die erste Frage, der sich Gabriel stellen muss, wäre also: Wenn Hebron/Israel ein rassistisches und faschistisches autoritäres Regime wäre – würde es dann gerade der deutschen diplomatischen Tradition nicht explizit zu Gesicht stehen, diesem Handelsbeziehungen, Hochtechnologie, Giftgas und ideologische Schützenhilfe anzubieten?
2. Gabriel unternimmt eine Differenzierung zwischen Israel als „Apartheid“ und Deutschland als „Nicht-Apartheid“, dem es unter der nicht gegebenen Voraussetzung eines israelischen rassistischem Regime dann zustünde, dieses moralisch zu verurteilen. Diese Behauptung eines „besseren“ Deutschlands oder zumindest eines „besseren“ Genossen Sigmar Gabriels entlarvt sein wahltaktisches Gestänker gegen Israel als primitive Projektion eigener Befindlichkeiten, gegen die nicht einmal die Lage in Hebron diskutiert werden müsste.
Bekanntermaßen trat Gabriel nicht aus der SPD aus, als diese unter Schröder und Schily die „Zuwanderungs“-debatte lostrat und im Verein mit willfährigen Grünen und CDU den bis heute andauernden rassistischen Normal-Zustand zementierte. Gabriel ist Vorsitzender der Partei, die in zahllosen kommunalen Ämtern es in der Hand hätte, Flüchtlinge menschenwürdig zu behandeln. Er ist Vorsitzender einer Partei, die während der zahlreichen Regierungen des letzten Jahrzehntes die Todeszahlen von Flüchtlingen im Mittelmeer stetig ansteigen ließ. Seit 1988 starben mindestens 17.000 Menschen an den EU-Außengrenzen. 287 davon sind von Grenzpolizisten erschossen worden. Mit dem Abkommen mit dem Ghaddafi-Regime in Libyen setzte die von Deutschland dominierte EU Flüchtlinge wissentlich Folter und Tod aus.
Das sozialdemokratische und das konservative Europa errichteten einen gigantischen Segregationsapparat, der auf Unbewaffnete, Hilflose, Ausgehungerte, Hilfsuchende abzielt. Die werden, wo sie nicht schon in Bergen, Flüssen und Meeren sterben, gejagt, gefasst und unter zynischer Anwendung von Beruhigungsmitteln und Folter abgeschoben in nachweislich lebensgefährliche Zustände. Das ist die Warte von der aus Gabriel den weitgehend im Rahmen der Menschenrechte stattfindenden Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Juden vor terroristischen, rassistischen und antisemitischen Angriffen als rassistisch bezeichnet.
Ich werde nicht wählen. Alle deutschen Regierungs-Parteien haben den rassistischen Konsens mitgetragen, keine macht irgend Anzeichen, Regierungsbeteiligung von einer sofortigen Auflösung der mörderischen Grenzpolitik in Deutschland und an den Außengrenzen der EU abhängig zu machen.
„Diese Behauptung eines “besseren” Deutschlands oder zumindest eines “besseren” Genossen Sigmar Gabriels entlarvt sein wahltaktisches Gestänker gegen Israel als primitive Projektion eigener Befindlichkeiten, gegen die nicht einmal die Lage in Hebron diskutiert werden müsste“
Laut der Studie „Antisemitismus in Deutschland“ vom August 2011 meinten im Jahre 2010 57,3% der Deutschen: „Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“. Sigmar Gabriel dürfte also mit seiner antisemitischen Aussage auf breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung treffen. Ich gehe deshalb auch davon aus, dass seine Aussage sehr wohl kalkuliert war. Der verbale, antizionistische Schulterschluss des Vorsitzenden der SPD mit den Israelhassern der Linkspartei, von Paech bis Dierkes, belegt den erbärmlichen Zustand der deutschen Sozialdemokratie.
Jedenfalls ist die Gegenüberstellung des „Gabriel-Apartheid-Zitates“ mit den 17.000 Menschen, die seit 1988 an den EU-Außengrenzen ums Leben kamen, sehr erhellend.
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@fidelche: Ich meine auch, dass in Südafrika während der jüngeren Apartheid-Phase nicht annähernd so viele (17000) Zivilisten getötet wurden. Die Kämpfe mit der SWAPO natürlich, das Massaker von Soweto, ja, die indirekten Folgen der Homeland- und Umsiedlungspolitik, der Zwangssterilisierungen gingen auf jeden Fall in solche Dimensionen. Leider finde ich keine Quellen zu Auflistungen, das würde mich interessieren, jenseits eines Aufrechnens.
Ich denke auch an dem Problem der eigenen Verantwortung der Flüchtlinge herum, die man ja nicht komplett auf die Grenzsicherung schieben kann – wer ins Mittelmeer mit kaputten Booten fährt, trägt selbst Mitverantwortung. Wie man es dreht und wendet, man kommt kaum umhin, positive Maßnahmen zu formulieren und einzufordern. Migrationsbüros in den Botschaften, in denen Asylanträge auch unter fairen Bedingungen gestellt werden können. Wenn schon unter derzeit geltendem Recht 50 % der Asylanträge angenommen werden, dann muss man konsequent die Leute vor Ort abholen, bevor man sie durch die Wüste und durchs Meer zwingt.
Die Armutsflüchtlinge (die meistens jene sind, die sich die Reise leisten können, also eher nicht der unterste Rand) wären von diesem Wagnis abzuhalten durch eine Lockerung der Arbeitsrestriktionen, mehr Austauschprogrammen um Mystifizierungen vorzubeugen, einer festen Mindestquote von gewollter Einwanderung und eventuell sogar Lotterien wie die Green-Card-Lotterie – um den wild Entschlossenen eine Alternative zur Wette um das eigene Leben zu bieten. Das wäre es in Kürze und die Grundlage dafür ist eben, den völkischen Konsens vor allem in Deutschland zu brechen.
@Felix Riedel
Jedes Jahr sterben an den Stränden des Mittelmeeres tausende von Flüchtlingen aus Afrika. Die westlichen Medien berichten kaum darüber. Wenn ein Luxusschiff sinkt, dann gibt es eine „Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung“. Die Armut in Afrika ist das Problem und eine, zugegeben schwierige, Lösung ist nicht in Sicht.
Migrationsbüros, Lockerung der Arbeitsrestriktionen würden den humanitären Willen der EU dokumentieren etwas zum Positiven verändern zu wollen, es wären kurzfristige Lösungsansätze. Langfristig müssten die Länder Afrikas vom Reichtum des Westens etwas abbekommen, was allerdings kaum gewollt sein dürfte.
Jedenfalls hat Gabriel mit seinem Apartheidvergleich als SPD-Vorsitzender eine neue Türe in der Hetze gegen Israel aufgemacht. Er wird zwar zurückgepfiffen, aber die Tür bleibt offen, für die nächsten antizionistischen Sozialdemokraten die später ungehindert hindurchgehen können.
„Langfristig müssten die Länder Afrikas vom Reichtum des Westens etwas abbekommen, was allerdings kaum gewollt sein dürfte.“
Das ist abseits der Krisenregionen nicht so wahnsinnig dramatisch. In Kosovo, Rumänien, Moldawien, teilweise schon in Spanien herrschen vergleichbare sanitäre und ökonomische Verhältnisse und in Afrika erfriert wenigstens kaum jemand. Die meisten Afrikaner würden sehr gern den Westen besuchen, natürlich auch ein paar Jahre dort arbeiten, aber dauerhaft auf ihre Familien, das schöne fette Essen und das gesunde Klima verzichten können sich nur wenige vorstellen. Abgesehen davon weisen die größeren afrikanischen Staaten sehr solide Wachstumszahlen auf, Ghana mit 8-10 Prozent seit Jahren. Die Armutsmigration findet eher von Land zu Stadt statt. Die wirklich Armen können sich die Schmuggler ohnehin nicht leisten und alleine schafft es niemand durch Zoll oder Wüste.
Das Hauptproblem sind Krisenregionen und aus denen kommen die meisten Flüchtlinge – die überwiegende Anzahl davon flieht in unmittelbare Nachbarstaaten und lebt lieber dort in Flüchtlingslagern als sich auf den ungewissen Weg in ein fernes Paradies zu machen. Armutsflucht ist relational kein wirkliches Massenphänomen, würde ich behaupten. Dann sähe es ganz anders aus.
Abgesehen davon teile ich natürlich Forderungen nach der vollständigen Aufhebung von Flächensubventionen und Exportsubventionen, das würde einigen Märkten dort Auftrieb verschaffen.
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„In Kosovo, Rumänien, Moldawien, teilweise schon in Spanien herrschen vergleichbare sanitäre und ökonomische Verhältnisse und in Afrika erfriert wenigstens kaum jemand.“
Auch da stimme ich vollumfänglich zu.