Studien Verlag 2010, Stephan Grigat/Simone Dinah Hartmann (Hrsg.), 178 Seiten, 19,99 Euro.
Vor zwei Jahren gaben Grigat/Hartmann bereits ein Standardwerk zum Iran und dem Netzwerk seiner internationalen Förderer heraus. Die neue Veröffentlichung mit einem zumal ähnlichen Titel erscheint zunächst wie eine nichtsdestotrotz notwendige und wünschenswerte Aktualisierung dessen. In der Lektüre erweist sich das Buch dann als gelungener Versuch, Wiederholungen zu vermeiden – es lässt sich als gelungene Fortsetzung, als zweiter Band des ersten, theoretischeren Werkes lesen. Damals war die Stoßrichtung vor allem durch die virulente Relativierung des Atomprojektes durch den NIE vorgegeben. Im aktuellen Band wird darauf verwiesen, dass nicht mehr so sehr die Leugnung des Atomprogramms dominiert, sondern die Compliance der Staaten und der individuellen Akteure wider besseres Wissen. Dass Iran zu Atomwaffen strebt wird nicht länger diskutiert, sondern in seiner bitteren Konsequenz analysiert. Auf theoretische Geflechte verzichten Grigat/Hartmann diesmal zugunsten einer detailreichen, knappen und rasanten Studie mit journalistischem Detailreichtum, der es wie im Vorwort versprochen gelingt, eine publizistische Beschäftigung mit dem Thema zu vermeiden. Die Autorenriege hat weitgehend gewechselt, die Positionen haben sich entsprechend der Situation verschärft. Niemand, der eine Meinung zu Iran zu haben glaubt, kann sich vor diesem Buch drücken. Die Hauptthesen werden im Folgenden kurz angerissen.
Fathiyeh Naghibzadeh und Andreas Behnl konstatieren der 2009 entstandenen revolutionären Situation in Iran eine nie dagewesene Chance, die historischen blinden Flecken der bürgerlich-säkularen Bewegung gegenüber dem Islamismus zu beseitigen und tatsächlich revolutionär zu werden. In ihrer dreiseitigen historischen Analyse der islamistischen Bewegung seit 1900 und der antagonistischen bürgerlichen Bewegung wird klar, dass die neue Bewegung es geschafft hat, den zwanghaften Antiimperialismus in die Mülltonne der Geschichte zu verfrachten und stattdessen offen gegen die Unterstützer der iranischen Diktatur zu protestieren – vor allem China, Russland und Venezuela. Naghibzadeh/Behnl zufolge haben wesentliche Elemente der Bewegung den „Zusammenhang zwischen ihrer Armut und der djihadistischen Expansionspolitik des Regimes“ durchschaut. (29) Die durch den Terror des Regimes zwangsläufige „Bewegung ohne Führer hat eine erstaunliche Konsequenz an den Tag gelegt und ist bisher in ihren Losungen und Forderungen immer weiter gegangen.“ (30)
Gleichfalls wird klar, dass die Hoffnungen einiger westlicher Institutionen auf die Wahl eines „Reformers“ illusionär sind. Nur ein Umsturz durch die revolutionäre bürgerliche Bewegung in Iran bietet eine dauerhafte Sicherheit, einen atomar bewaffneten apokalyptischen Islamismus zu verhindern.
Jonathan Weckerles Beitrag „Die Pasdaran auf dem Vormarsch – Zur Rolle der Revolutionsgarden im Regime und der iranischen Ökonomie“ schließt sich der Diagnose einer Verschärfung des Konfliktes an. Die „Iranischen Revolutionsgarden“ (IRG) und die ihnen unterstellten Basiji-Milizen haben als Konkurrenzinstitution zur enthaupteten Armee unter Ahmadinejad sämtliche Schlüsselpositionen in Staat und Wirtschaft besetzt und ein mafiös-terroristisches Netzwerk in beispiellosen Ausmaßen errichtet. Zwar seien nicht alle der ca. 3 Millionen Angehöriger der Basiji-Milizen der Ideologie des Regimes zuzurechnen – der harte Kern bleibt ein heftiger Brocken für jedes revolutionäre Unterfangen. Die IRG verfügt laut Weckerles Recherchen über „ein bis fast zwei Drittel“ des iranischen Bruttosozialproduktes (34), sämtliche Schlüsselsektoren inklusive des Flughafens in Teheran befinden sich bereits in der Hand der Paramilitärs. Da Kleriker nach und nach durch paramilitärisches Personal ersetzt wurde, empfiehlt Weckerle trotz der „Parallelstruktur von regulärer Armee und Pasdaran“ den Begriff der Militärdiktatur (statt „Mullah-Regime“) zur Bezeichnung der Zustände in Iran. Der schiitische Klerus wurde demnach weitgehend ausgeschaltet, die Basiji unter Ahmadinejad sind ein Racket auf ungehinderter Kaperfahrt geworden, das als mafiöse terroristische Organisation auf eine Fülle von wirtschaftlichen Ressourcen zur Durchsetzung ihrer fanatischen Ziele – zuvörderst die Vernichtung Israels – zurückgreifen kann.
Emmanuele Ottolenghi analysiert die Möglichkeiten, die das Regime derzeit zum Bau von Nuklearwaffen hat. Die neu entdeckte und bislang geheimgehaltene nukleare Anlage in Fordow beweist ein weiteres Mal die absolute Ignoranz des Regimes gegenüber allen Abkommen und Angeboten. Alle seine Programme haben als einzig logisches Ziel die Erstellung von Nuklearwaffen. Ottolenghi fordert daher ein, sich nicht auf die Urananreicherung und diese betreffende Handelsvorschläge zu konzentrieren, die bislang ohnehin sämtlich scheiterten, sondern den uneingeschränkten Zugang von IAEO-Personal zu allen Einrichtungen des Landes einzufordern.
Das sind die Vorzeichen, unter denen dann im zweiten Teil des Buches die „Bündnisse des Regimes“ untersucht werden.
Ely Karmon übernimmt Venezuela, das unter Chavez und seinem Antiimperialismus und Antisemitismus zu einem der engsten Partner Irans wurde. Iran ist der zweitgrößte Investor in Venezuela nach den USA. Karmon nennt Quellen, die belegen, dass die nukleare Aufrüstung Irans in Kooperation mit Venezuela erfolgt und sich Chavez mehr als nur Traktoren von dem Bündnis erhofft. Mit Bolivien, Nicaragua, Ecuador und Brasilien sowie in wohl geringerem aber nicht unbedingt weniger emblematischen Ausmaß Paraguay, Uruguay und Argentinien hat Ahmadinejad weitere sich meistens sozialistisch nennenden Regierungen hinter sich gebracht. Die einzelnen wirtschaftlichen Faktoren dieser intimen Beziehung werden wie im gesamten Buch akribisch mit Nennung des jeweiligen Investitionsvolumens aufgelistet. Deutlich wird, dass in Südamerika iranische Geheimdienste die islamistisch-djihadistische Expansion vorantreiben und sich dennoch der Unterstützung der jeweiligen Staaten gewiss sein kann.
Nicht nur in Lateinamerika wird die politische Ökonomie des iranischen islamistischen Antisemitismus deutlich. Die Rolle Afrikas für Iran beleuchtet Grigat mit dem Aufsatz „Die chinesische Karte – Iranische Bündnisoptionen in Asien und Afrika“. Sudan, Simbabwe und Südafrika konnte Iran unter jeweils unterschiedlichen Umständen hinter sich scharen, andere Staaten wurden mehr oder weniger eingekauft: Senegal, Lesotho, Mauretanien, Mali und Namibia taten sich durch Verteidigungen des iranischen Nuklearprogramms hervor.
China, Indien, Pakistan und Japan werden als weitere bedeutende Faktoren der geschickt orchestrierten politischen Ökonomie Irans untersucht.
Ilan Bermann übernimmt die Erklärung der paradigmatischen Haltung Russlands zu Iran. Obwohl iranische Aktivitäten und der Export des Djihadismus einen kaum zu unterschätzender Faktor für die Kaukasusrepubliken und Russland selbst darstellen, verteidigte Russland Iran bislang vor weitreichenden Sanktionen. Bermann macht am Beispiel Russland die Paradoxie deutlich, dass der Iran selbst dann auf Unterstützung seiner Positionen rechnen kann, wenn er die größte Bedrohung für sein Gegenüber darstellt. Iran wird demzufolge von Russland aus einer Art berechnendem Appeasement heraus unterstützt, das gepaart mit einem handfesten Antiamerikanismus auftritt. Die Sanierung der russischen Rüstungsindustrie benennt Berman hier als einen der bedeutendsten Faktoren in dem komplexen Zusammenspiel von Ökonomie, Appeasement und Antiamerikanismus/Antisemitismus.
Florian Markl hingegen stellt die tiefe Aversion der sunnitischen arabischen Staaten gegenüber Iran heraus. Neben Israel ist diesen Staaten wohl am meisten bewusst, welche Bedrohung Iran mit seinem Terrornetzwerk für sie jetzt schon darstellt. 17% der Ägypter und 25 % der Saudis würden Markls Zitat zufolge israelische Luftschläge gegen Iran befürworten. (104) Selbst wenn Iran eine Nuklearwaffe nicht in apokalyptischem Fanatismus gegen Israel einsetzen würde, wäre eine atomare Aufrüstung der gesamten arabischen Welt in Opposition zu Iran die Folge.
Hassan Daioleslam rechnet in seiner kurzen Zusammenfassung der Aktivitäten eines pro-iranischen handelsorientierten Think-Tanks in den USA mit der Naivität der USA selbst ab. Diese habe „keine einzige wichtige Entwicklung im Iran vorhergesehen und kein Wahlergebnis richtig vorausgesagt.“ (105)
Welch fatalen Folgen die so routinierten wie seit 30 Jahren völlig ergebnislosen Gesprächsangebote auf die Opposition in Iran haben, stellt er am Beispiel Obama dar. Der hatte während der Aufstände 2009 mehrere Gesprächsangebote dem iranischen Regime unterbereitet und sogar im Kongress einen Aufschub der Sanktionen erbeten. Gleichzeitig hielt er davon Abstand, seine volle Unterstützung für die demokratische Bewegung in Iran zu erklären, die da bereits Folter und Mord ausgesetzt war. (108) Das Fazit von Daioleslam ist:
„ Die bisherige Unfähigkeit der Vereinigten Staaten, eine schlüssige Politik dem Iran gegenüber zu entwickeln, zu betreiben und beizubehalten, ist katastrophal. Der Preis für diese von Lobbygruppen gezielt geförderte Verwirrung und Untätigkeit war der Verlust an Glaubwürdigkeit und Einfluss in der Region, der Verlust von Handelsbeziehungen, der Verlust des Vertrauens der iranischen Bevölkerung und nicht zuletzt der Verlust von amerikanischen Menschenleben im Irak und in Afghanistan.“ (113)
Daioleslam verweist zugleich auf einen Fehlschluss: Dass der Westen die iranische Opposition ihres autochthonen Anspruches berauben würde, wenn er direkt eingriffe. Der Vorwurf, nur vom Westen finanziert zu sein ist ohnehin festes Repertoire einer Regierung, die alles auf Juden und westlichen Feminismus und Individualismus schiebt. (vgl. 106)
Hartmann kommt zum Schluss, dass Europa auf die wirtschaftlichen Beziehungen mit Iran kaum angewiesen ist, jedoch Iran 50 % seiner Importe aus Europa bezieht. Europa kommt damit eine Schlüsselposition in den Verhandlungen um Sanktionen zu. Dennoch ist von Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien kaum nennenswertes zu berichten. Geschäftsbeziehungen wurden meist nur auf Druck aus den USA hin abgebrochen.
Das gleiche konstatieren Ulrike Becker und Michal Spaney für die deutschen Beziehungen zu Iran. Hier stiegen 2008 die Exporte um 40 % auf 8,16 Milliarden Euro. (123) Namhafte Unternehmen wie Siemens/Nokia lieferten Überwachungstechnologie für den Mobilfunkbereich. (128) Die Linde AG hält durch Gaskompressoren die Geschäfte der IRG mit Gas am Laufen. (129) Ein Baukonzern wie die Knauf Gips KG drohte seinen Mitarbeitern in Iran mit der Kündigung, sollten sie sich an Protesten beteiligen. (131). Diese Beziehungen deuten bereits an, dass die Zusammenarbeit von deutschen Konzernen und Schmugglern jeweils weit über bloß geschäftliche Interessen hinaus auch eine gewisse Sympathie für das iranische Projekt beweist. Bayer und BASF lehnen es immer noch ab, ihre Geschäftsbeziehungen mit Iran zu reduzieren. (134)
Grigat verweist jeden Zweifler auf die Zusammenführung von politischer Tradition und aktueller Geschäftspraxis im Falle Österreichs und der Schweiz, die beide zu den stärksten Proliferaten von (Waffen-)Technologie nach Iran und von politischer Schützenhilfe für iranischen Antisemitismus zählen können. Getrost kann man annehmen, dass es kein Zufall ist, wenn die aus den Hermann-Göring-Werken hervorgegangene Firma Voest Noricum-Kanonen nach Iran lieferte, oder die ebenfalls für die Nazis bedeutsame Firma Böhler-Uddeholm Spezialstähle an Ahmadinejad liefert. (144) Der Schweizer Bundespräsident hingegen empfing Ahmadinejad nicht nur in allen Ehren unter dem Vorzeichen der Neutralität, sondern machte sich gar völlig zum Sprachrohr des iranischen Antisemitismus als er auf die „Aggression der Zionisten in Gaza“ schimpfte. (149)
Tobias Ebbrecht votiert für die Position der exiliranischen Filmemacher, nach denen jeder Film, der in Iran produziert werde, dem Regime nütze. Das Regime bemühe sich um die „Produktivmachung integrierbarer Kritik“. (162) Das staatlich kontrollierte Kino „verschleiert die Wirklichkeit im Iran, glorifiziert durch die Fokussierung auf ländliche Regionen und arme aber sympathische Protagonisten die Armut und das Elend im Land und verschweigt die Realität ununterbrochener Repression und Kontrolle“. (158) Das europäische Interesse am iranischen Film macht sich mit diesem Endzweck gemein.
Abschließend benennt Heribert Schiedel das Verhältnis von Rechstextremisten zum iranischen Islamismus. Anders als die linken Antiimperialisten sind die Nazis völlig im Klaren über Inhalt und Form der iranischen Diktatur und sympathisieren dementsprechend unverhohlen mit ihr. (170)
Diese in der Rezension verkürzten Argumentationslinien werden in aller Regel komplex und stichhaltig diskutiert. Bisweilen wird der Mangel an wissenschaftlicher Literatur zum Thema an den zahlreichen Verweisen auf Interviews und Zeitungsartikel deutlich – das Buch kann allerdings den Anspruch vertreten, diesen Mangel vorerst beseitigt zu haben. Wenn an seltenen aber regelmäßigen Stellen Widersprüche etwas flott überbrückt werden und zahlreiche Fragen zu den diplomatischen und wirtschaftlichen Abläufen im Einzelnen offen bleiben, ist dies verzeihbar ob der Fülle an vorgetragenem Material und den daraus folgenden Argumenten, die alle Autoren auf ein gemeinsames Urteil eichen: Dass das iranische Regime in seiner antisemitischen, antidemokratischen und misogynen Aggressivität kaum unterschätzt werden kann und dass nicht das ein Rätsel ist, sondern warum ein solches Regime, das der gesamten Welt den Krieg erklärt hat, in aller Welt Bündnispartner findet und sich vor Gesprächsangeboten und Sympathiebekundungen von rechts bis links kaum retten kann. Das Rätsel kann nicht gelöst werden, wenn es nicht gleichzeitig beseitigt wird – durch wirklich schmerzhafte Sanktionen und der tatkräftigen Unterstützung der revolutionären bürgerlichen Bewegung hin zu einem Umsturz des Regimes und der konsequenten Drohung mit Militärschlägen gegen jede nukleare Technologie, die Iran immer noch weiter ausbaut. Der Fokus auf die politische Ökonomie des iranischen Djihadismus in diesem Werk macht weiter klar, dass Sanktionen das iranische Regime gerade aufgrund seiner mafiösen Struktur empfindlich genug unter Druck setzen könnten – wenn sie durchgesetzt würden.
1. Wofür steht die Abkürzung NIE?
2. Den Satz „Im aktuellen Band spiegelt …“ vielleicht noch einmal überfliegen.
Hallo,
NIE ist nun verlinkt, der National Intelligence Estimate, in dem 2007 so genial behauptet wurde:
„We assess with moderate confidence Tehran had not restarted its nuclear weapons
program as of mid-2007, but we do not know whether it currently intends to develop
nuclear weapons.“
Und viel besser:
„We continue to assess with moderate-to-high confidence that Iran does not currently
have a nuclear weapon.“
Bereits „Moderate to high confidence“ über eine solche wichtige Angelegenheit sollte einem Grund zur Nachdenklichkeit über die Ernsthaftigkeit dieser Studie geben.
Der Satz wurde korrigiert, danke dafür, auch an alle anderen, die bisweilen hier ehrenamtlich das Lektorat übernehmen!
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