Die bigotte Suche nach dem Proletariat in und für Afghanistan

Wieder einmal erleben wir die Berufung auf das weiße Proletariat, die der trump’sche Neofaschismus und die AFD groß gemacht haben. Soldaten seien Proletarier und als solche sollen sie nicht von Bonzen nach Afghanistan geschickt werden, weil sie dort sterben könnten. Eine Variante davon ist die Behauptung, dass ja Schreibtischstrategen, die selbst nicht gedient hätten, nun am liebsten wieder andere Soldaten in den Krieg schicken wollen würden. Aus der Parole „Proletarier ALLER Länder – vereinigt euch“, die einst zur internationalen Solidarität aufrief und ein universales Interesse an Freiheit proklamierte, und unter der sich tatsächlich Freiheitskämpfer*innen aus allen Ländern in Südamerika, auf dem afrikanischen Kontinent und in Südostasien Aufständen und Widerstandsbewegungen anschlossen, wurde isolationistische, ethnopluralistische Hetze: „Proletarier aller Länder – schottet euch ab und verteidigt mit Zähnen und Klauen eure Binneninteressen gegen andere Proletarier aus shithole countries.“ Die Strategie, den bürgerlichen Egoismus in den Arbeiter*innen anzufachen und sie gegen Minderheiten zu hetzen eigentlich alt bekannt: Die faschistischen Bewegungen und allen voran die nationalsozialistische deutsche ARBEITERpartei trachteten danach, die Arbeiter*innen in den Dienst der Interessen der reaktionären Eliten zu stellen.


Der Isolationismus von links korrespondiert daher mit der isolationistischen Propaganda der rechten Mitte, die behauptet, Afghan*innen seien ja nicht bereit für die Freiheit zu kämpfen und daher nicht den Einsatz der westlichen Soldat*innen wert. Den einzigen Unterschied zwischen beiden Positionen macht vorerst, dass die Linke mitunter noch auf der Aufnahme von Geflüchteten beharrt – wenngleich Wagenknecht-Linke auch in dieser Frage systematisch die vermeintlichen Binneninteressen deutscher Arbeiter*innen gegen das ohnehin erodierte Asylrecht aufhetzen.

Beide Strategien haben ihre eigenen propagandistischen Interessen. Sie sollen die Fehler der Intervention in den Hintergrund treten lassen und Schuld projizieren: Nicht der Westen war zur Demokratisierung unfähig, sondern die Menschen in Afghanistan. Nicht Fehlplanung, Korruption, religiöse und bürgerliche Ideologie im Westen standen einer erfolgreichen Emanzipation im Wege, sondern der angebliche Volkscharakter der Afghanen.
Es sind Übungen im Empathieentzug. Die Massaker der Taliban können so als die Sitten anderer Länder oder als die zwingende Folge eines imperialistischen Sündenfalls oder aber in primitivem Ableitungsmarxismus als Rückstand der afghanischen Produktionsverhältnisse rationalisiert werden. Man muss nichts mehr fühlen und vor allem nicht mitfühlen und schon gar nicht solidarisch handeln. Shit happens in shithole countries – dieser bürgerliche Egoismus eint Faschisten und Linksparteiler*innen heute.

Braucht ein freies Afghanistan aber tatsächlich ein Proletariat? Die Diskussion um das revolutionäre Subjekt hat der Faschismus entscheidend geändert: Ihm gelang es durch raffinierteste Propaganda, Arbeiter*innen gegen ihre Interessen zu mobilisieren. Aber auch der serielle Umschlag proletarischer Revolutionen in Terror gegen dieselben Arbeiter*innen hat das Projekt internationaler Solidarität gründlich sabotiert. Wer gesellschaftliche Tendenzen von der Existenz einer Arbeiterklasse und der dazugehörigen Industrie abhängig macht, hat schlicht und ergreifend kein annähernd an Marx gebildetes Geschichtsbewusstsein. Warum etwa die Taliban in Afghanistan, nicht aber im ebenso ländlichen Sambia oder ebenso armen Haiti entstanden sind, kann schlichtweg nicht aus makroökonomischen Prozessen und schon gar nicht aus dem Industrialisierungsgrad erklärt werden. Selbst der Maoismus ist hier weiter: Er stellte sich der Frage nach dem revolutionären Subjekt und schloss Kleinbäuerinnen ein, die von den Ableitungsmarxisten nur Verachtung fanden. Marx arbeitet gerade Landesgeschichten akribisch auf, um Faktoren zu analysieren und Dynamik ihren Raum zu geben. In Südamerika waren es oft Kleinbäuer*innen und Landarbeiter*innen, die Großgrundbesitzer und korrupte Oligarchien stürzten. In vielen Ländern Südostasiens und Afrikas entstanden hybride, pluriethnische Systeme, die zwar keine kommunistischen Utopias sind, die sich aber auch vor den erstarrten „konstitutionellen Monarchien“ Europas nicht verstecken müssen, nur weil sie ärmer sind.


Dass Afghanistan 2021 wieder an die Taliban gefallen ist, bleibt schlicht und einfach den Interessen übermächtiger und destruktiver Nachbarn geschuldet: Pakistan, das die Taliban aufbaute und Afghanistan als proxy gegen Indien nutzt, Iran, das die USA scheitern sehen wollte, Russland aus bekanntem politischen Interesse, China aus opportunistischen geostrategischen Interessen. Dagegen konnten 20 Jahre schlecht und unmotiviert geplanter Besetzung nichts ausrichten und wer behauptet, in 20 Jahren könne aus einem Bürgerkriegsland mit einer Million Toten und fünf Millionen Geflüchteten eine funktionierende wehrhafte Demokratie entstanden sein, hat erstens nicht die deutsche Geschichte studiert, in der nach fünfzehn Jahren Weimarer Republik schon wieder der Faschismus durchmarschierte und zweitens nicht die amerikanische Geschichte, in der selbst nach 230 Jahren (unvollständiger) Demokratie ein Faschist Präsident werden konnte. Afghanistan brauchte Zeit und glaubhaftes Engagement, und vor allem Letzteres war der Westen nicht bereit zu geben. Am wenigsten die Linkspartei, die von Beginn an die Forderung erhob: „NATO raus aus Afghanistan!“ Ausgerechnet mit dem Debakel des Abzugs sieht sich die Linkspartei nun bestätigt, als hätte nicht gerade der Siegeszug der Taliban ihre krude, ethnopluralistische und isolationistische Ideologie ad absurdum geführt.

Das Argument von den proletarischen Soldaten im Westen ist fachlich einfach falsch. Zum einen nämlich sind derzeit dieselben Soldaten, die in Afghanistan gekämpft haben, die, die am stärksten Entsetzen und Solidarität mit ihren Kameraden in Afghanistan ausdrücken. Es ist kurios, dass man heute von Kadetten selbst einer Erwin-Rommel-Kaserne mehr internationale Solidarität und Klassenbewusstsein erwarten darf, als von isolationistischen Linksparteilern. Und das zieht sich über Ländergrenzen. In den USA, in Großbritannien ist der skandalöse Abzug der NATO und die erneute Machtergreifung der Taliban für Soldat*innen vor allem eines: Ein Schlag ins Gesicht derer, die in Afghanistan gefallen sind, eine Entwertung jedes individuellen Opfers.
Zum Anderen sind Soldaten im Westen zwar mehrheitlich keine Eigner von Produktionsmitteln, aber dennoch relativ gut bezahlt (in den USA 62.00 USD p.A.) mit üppigen Vergünstigungen und Karrieremöglichkeiten. Dass Soldat*innen grundsätzlich Proletarier*innen seien, ist falsche Klassenanalyse, weil es in fast allen westlichen Staaten eben keine Volksarmeen mehr sind, sondern Berufssoldaten unterschiedlichster Abkunft und Berufe. Sie stammen auch aus eher bourgeoisen Elternhäusern, in denen der Militärdienst als patriotische Pflicht gilt.


Und in gut organisierten und ausgerüsteten Elitetruppen ist das Sterberisiko bei Luftunterstützung, Satellitenüberwachung und Infrarotkameras sehr gering. Sie kommen heute vor allem in assymetrischen Konflikten als Militärpolizei zum Einsatz. Bei keinem NATO-Einsatz wurden Soldat*innen in Materialschlachten verheizt wie im ersten Weltkrieg. Das Bild ist obsolet, geschichtsfern, wenn nicht geschichtsfeindliche, bewusste Fälschung. Westliche Soldat*innen haben in diesen Ländern in etwa dasselbe Sterberisiko wie Feminist*innen, Journalist*innen oder Umweltschützer*innen. Paradoxerweise aber will man statt gut ausgerüsteter Soldat*innen nun meist extrem schlecht bezahlte Entwicklungshelfer*innen zu den Taliban schicken, die bestenfalls von privaten Sicherheitsdiensten geschützt werden. Das scheint das übergreifende Konzept zu sein und den Fehler daran bemerken Linksparteiler*innen ebensowenig wie die Faschisten*innen – weil sie gerade diesen Fehler erst produzieren und internationale Solidarität sabotieren.

Veranstaltungshinweis: „Der „Islamische Staat“, Syrien und der kurdische Widerstand.“

Podiumsdiskussion im Peter-Weiss-Haus, Rostock, am 05. März 2015, 19.00
Referenten: Thomas von der Osten-Sacken, Danyal und Felix Riedel, im Rahmen des PolDo.

Mehr Informationen:
https://freundeskreisdialektik.wordpress.com/2015/02/11/der-islamische-staat-syrien-und-der-kurdische-widerstand/

Schwarze Ernte

Die Waffenlieferungen an die Peshmerga – 30 MILAN, 16000 Sturmgewehre und diverses Gerät – erfolgen gegen den Willen der Mehrheit der deutschen Gesellschaft. Dass sie nach endlosen Wochen endlich verladen werden, dürfte einigen Verfolgten im Irak das Leben retten – die Umstände bleiben katastrophal.

Wird nicht die zutiefst peinliche Beteiligung an der Bewaffnung der IS stets auf Neue ins Gedächtnis genommen, der systematische Verrat des gesamten Westens an der syrischen Revolution erinnert, bleiben auch die Waffenlieferungen und die euphorisch kommentierten Luftschläge nur eine neue Etappe in der wahnsinnigen suizidalen und genozidalen Nicht-Strategie des Westens gegen den Islamismus.

Man hätte denken können, dass im Zustand der Totalüberwachung jeglicher Telekommunikation und Öffentlichkeit im Westen einige Informationen über konkrete Pläne und Strategien dieser islamistischen Armee gesammelt und in Aktivität umgesetzt worden wären – stattdessen gab sich die US-Regierung  ebenso wie die irakische Armee „überrascht“ von der Offensive des IS, die nunmehr auch schon Monate andauert. Die nicht aktiveren großen Medien, von deutschen Geheimdiensten und Regierungsorganen zu schweigen, schlossen sich dieser „Überraschung“ dankbar an. An der fehlenden Plausibilität solcher Überraschungei-Mentalität entzündeten sich Wahnvorstellungen bei zahllosen Verschwörungstheoretikern, die nicht glauben können, dass auf der höchsten politischen Ebene derartig barbarische Dummheit vorherrschen kann.

Über die letzten drei Jahre hinweg breitete sich kontinuierlich ein islamistisches Kalifat in Nordsyrien aus, das lediglich noch nicht als das Kalifat ausgerufen war, das es nun ist. Viel älter ist Al-Qaida im Irak, aus dem IS wesentlich hervorging und deren ganz ähnlich verlaufender Versuch der Machtergreifung im Irak halbwegs erfolgreich von US-Truppen und ihren sunnitischen Bündnispartnern abgewehrt wurde. Seit drei Jahren beobachteten Aktivisten – kurdische, syrische, westliche – die schrittweise Ausbreitung und Verhärtung islamistischer Staatenbildung, die schon immer grenzüberschreitend war und mit der Eroberung Raqqas durch die Al-Nusra-Front im März 2013 eine Hauptstadt bekam.

Die Probleme von möglichen Interventionen in Syrien waren bekannt, aber nie unlösbar. Primat für die westliche Politik hatte das politische Gesicht, das nach dem C-Waffen-Massaker an syrischen Zivilisten durch die Neutralisierung eines Gutteils der Chemiewaffenbestände Assads gewahrt werden wollte.

Putin hat den Westen in gewisser Weise vor größeren Peinlichkeiten bewahrt, die durch eine halbgare („incredibly small and limited strikes„) Intervention, wie sie Obama ankündigte, entstanden wären. Putin wurde aber durch seinen diplomatischen Erfolg – die mittelfristige Sicherung der Macht seines Waffenbruders und Geschäftspartners Assad – quasi mit Gewalt darauf gestoßen, dass der Westen nach Jahren des „War on Terror“ keinerlei strategisches Konzept hat und noch weniger Willen, tatsächlich diese Region oder irgendeine Region aktiv zu gestalten. Die Ideologie des Luftkrieges wurde durch die kurzfristigen Erfolge der Einsätze in Libyen und Mali noch einmal verstärkt. So war es fast im Sinne des Westens, dass Putin auf Assad beharrte – ohne Bodentruppen des Westens, ohne dezidiertes Konfliktmanagement hatte eine Strafaktion kaum Aussicht auf stabilisierende Effekte. Und es war ebenso logisch, dass Putin die beispiellose Chance nutzte und sein Areal auf der Krim und nun in der Ostukraine mit derselben Strategie erweiterte, die seine Medien in Syrien testeten: Die Propaganda der Terrorismusbekämpfung, des Antifaschismus, der Stabilität und die Verschwörungstheorie, dass Islamisten die Gasangriffe gestartet hätten. Nachdem diese Behauptung ernsthaft auf fruchtbaren Boden fiel, konnte er sich gewiss sein, mit jeder noch so absurden Manipulation Erfolg zu haben – so auch mit dem „Referendum“ in der Krim oder mit dem „antifaschistischen“ Kampf der Separatisten im Donbass. Die Ukraine-Krise ist ein direktes Resultat der Absenz westlicher Politik in Syrien und Irak.

Hinzu kam, dass die mit der vergleichsweise banalen Ukraine-Krise völlig überforderte westliche Diplomatie und Medienlandschaft über Monate hinweg Syrien dankbar vergaß – es war, als hätte es eine Medienzensur zu Syrien gegeben. Jeder Schritt russischer Truppen auf der Krim und im Donbass stärkte Assad, der im Schatten dieser Ereignisse ungestört mit Chlorgas und Barrel-Bombs vorgehen konnte. Die syrischen Flüchtlinge wurden im deutschen Fernsehen wie Opfer einer Naturkatastrophe präsentiert.

Eben diese Ideologie der Naturkatastrophe wird mitgeschleppt mit den neueren Statements zu den Waffenlieferungen. Ausgeblendet wird die aktive Partizipation durch Inaktivität an der genozidalen Situation in Syrien und Irak. Allein aus den USA wurden seit 2005 modernste Waffen für 8 Mrd. US-Dollar in den Irak gepumpt, während gleichzeitig US-Truppen abgezogen wurden, um der Ideologie vom angeblich „gescheiterten Irakkrieg“ des George W. Bush gerecht zu werden und vor allem, um dieses enervierend große Leck im amerikanischen Haushalt zu stopfen.

Unter den an den Irak gelieferten Waffen waren zum Beispiel M198 Haubitzen, wie sie Kämpfer des Islamischen Staates in Irak und Syrien eroberten. Diese „erreichen eine Geschwindigkeit von bis zu 6000 Metern pro Sekunde und töten ungeschützte Menschen innerhalb eines Radius von 50 Metern mit höchster Wahrscheinlichkeit und verursachen in bis zu hundert Metern Entfernung Verletzungen.“ (Quelle: Wikipedia)

Die mehreren tausend erbeuteten HMMWV mögen zwar reparaturanfällig sein, sie sind aber immer noch in Verwendung in der US-Armee und der militärische Standard. Auch wenn der Ausbau eines Motors zur Reparatur wohl mehrere Tage dauert, reichen einige Dutzend von ihnen, um hunderte von Kämpfern rasch und relativ sicher durch feindliche Linien, zumal durch schlecht bewaffnete, zu bringen. Hinzu kommen die gewaltigen erbeuteten Bargeldvorräte und geplünderte Wertgegenstände, zu denen auch antike Kunstwerke von beispiellosem Wert gehören dürften, sofern IS sie nicht schon zerstört hat.

Die Hoffnungen der letzten Demokraten im Westen sind wieder einmal naiv und auf Stellvertreter ausgerichtet: weibliche kurdische Kämpfer würden IS in die Flucht schlagen, weil deren Kämpfer nicht von einer Frau getötet werden wollten. Das dürfte eine Facebook-Ente sein. IS hat selbst Frauenbatallione und lehrt Frauen in Rape Camps das Fürchten. Die Präsenz von Kämpferinnen in der YPG war IS bekannt, die dennoch den Angriff auf die PKK-Hochburg Kobane durchführte.

Dass die Peshmerga, Kampfmacht des bislang friedlichsten Teils des Irak, eher schlecht auf die Bedrohung durch IS vorbereitet waren, wurde durch ihre Geländeverluste und die Intervention syrisch-kurdischer YPG-Truppen gegen IS-Elitegarden am Mosul-Damm in Irak sichtbar. Vormals galt dieser Teil Kurdistans als Bastion, die Peshmerga als kampferprobt gegen Saddam Hussein. Die syrisch-kurdische YPG hat ihr diesen Rang abgelaufen.

Die YPG hingegen ist und bleibt trotz aller Erfolge in der Defensive und hat es noch längst nicht geschafft, alle kurdischen Dörfer und Städte in Nordsyrien von IS zu befreien. Die PKK-nahe YPG steht für ihre totalitäre Politik in der Kritik, was Hoffnungen auf einen kurdischen Staat als „zweites Israel“ trübt – das wahrscheinlichere Szenario ist ein innerkurdischer Bürgerkrieg. Unheilige Allianzen, beispielsweise der Peshmerga mit Iran, sind Vorzeichen für eine weitere Expansion eher als für eine baldige Eindämmung des Krieges. Nicht nur für einige Berliner Antifaschisten wurde das allerdings prompt wieder zur Ausrede gemacht, sich äquidistant zu verhalten und vom Sack, in dem es wohl keinen falschen treffe, zu klagen – aus der obligaten Mahnung gegen prokurdische Euphorie wurde eine Ausrede für das eigene Wohlbefinden beim prolongierten Zusehen.

Die just beschlossenen deutschen Waffenlieferungen sind dagegen ein gutes Zeichen, man würde den Kurden zum irgendwann versprochenen fünf Unimog-Dingos auch Schützenpanzer vom Typ Marder 2 wünschen, um die selbstgebastelten Panzer zu ersetzen. Auch wenn Gabriel nun ächzt, ausgerechnet die Entscheidung, gegen einen Genozid Waffen zu liefern, sei die schwerste in seinem Leben gewesen, hat auf einer politischen Ebene der Pazifismus nicht mehr das alleinige Wort, was Christian Geyer in der FAZ unter dem etwas verfrühten Titel „Pazifismus – ein Abgesang“ verzeichnet. Die Alternative zur dringend notwendigen Bewaffnung der Kurden wurde in Deutschland gar nicht erst verhandelt – ein Bundeswehreinsatz zur Verhinderung genozidaler Akte in Irak und Syrien. Dasselbe gilt für die USA, deren „no boots on the ground“-Ideologem nach all den Opfern und im Angesicht der ökonomischen Kosten verständlich ist, aber noch lange nicht legitim. Mit ein paar Luftschlägen gegen die eigenen Waffensysteme ist wenig erreicht, der Straßenkampf in bewohntem Gebiet ist aus der Luft nicht zu gewinnen. In Deutschland schwebt über den Verlautbarungen Merkels über den Völkermord an den Yeziden und Christen im Irak auch der Hautgout der religiösen Präferenz – als Muslime von IS und Assad in genozidalen Akten umgebracht wurden, als die Kurden in Kobane von vollständiger Auslöschung bedroht waren, als kurdische Kinder in Syrien entführt und kurdische Kämpfer massenhaft geköpft und gekreuzigt wurden, hörte man nichts ähnlich drastisches. An deutschen Kirchen prangen demnach nur Solidaritätsbotschaften „mit verfolgten Christen in Syrien und Irak“.

Aus den jüngeren Genoziden zu lernen hieße zuallererst eines: Dass internationale Einsätze zu spät kommen und diese Konflikte nicht dauerhaft befrieden konnten. Soviel ist wahr am Argument gegen militärische Lösungen. Es bedarf auch eines Konzeptes und des äußersten Willens, diese Regionen dauerhaft zu gestalten, zu befrieden und zu befreien. Das ist eine Binsenweisheit aus der Counterinsurgency in Südamerika, Afrika und Asien. Solche groß angelegten Konzepte aber laufen auf die langwierige Kolonisierung auf vielen Ebenen hinaus und davor schreckt der Westen zurück. Er hängt gleichsam noch marxistischen Krisentheorien nach, dass durch Sanktionen Krisen erzeugt werden könnten, die zum Sturz der Unterdrücker führen könnten. Damit scheiterte der Westen in Irak, in Iran, in Nordkorea, in Ungarn und es wird dennoch gegen Russland wieder auf Sanktionen gesetzt.

Obamas Klage, man könne ja nicht „whack a mole“ mit Islamisten spielen, die sich erdreisten, nicht nur in Mali, sondern eben global zu agieren, blieb ohne Folgen für eine echte, ausgereiftere Strategie. Das Problem ist altbekannt aus dem Kalten Krieg. Wo der Westen aus Kostengründen oder aus diplomatischen Problemen heraus nicht in der Lage war, die Konfrontation mit Guerillas direkt zu suchen, hatte er das Instrument der Counterinsurgency genutzt – meist zum Nachteil der Gesellschaften, die in Südamerika und Asien prowestlichen faschistischen Todesschwadronen ausgesetzt waren und durch diese dann genozidale Gewalt erlitten, nicht selten schlimmere als sie die marxistischen und maoistischen Guerillas androhten. Das bedeutet aber nicht, dass das grundlegende Konzept der Counterinsurgency verloren wäre.

Heute braucht der kriegsmüde Westen dringend eine kostengünstige und engagierte Counterguerilla gegen die gar nicht kriegsmüden Islamisten unter ihrem aktuellen Franchise-Label „IS“. Kämpfer der zwar widersprüchlichen, aber immer noch existierenden FSA wie auch die YPG hätten alle Chancen, IS und Assad gleichermaßen den Garaus zu machen, wenn man ihr Luftraumdefizit mit einer Flugverbotszone austarierte. Davon aber ist seit einem Jahr nicht mehr die Rede gewesen. Die zögerlichen und sehr späten Waffenlieferungen der USA an einzelnde FSA-Gruppen sind indes noch kein eindeutiges Bekenntnis zu einer konsequenten Parteinahme.

Seit drei Jahren wurden von den meisten Staaten größere Waffenlieferungen noch an die diszipliniertesten kleineren Rebellenfraktionen in Syrien mit ihren bisweilen nur wenige hundert bis tausend Kämpfern ausgeschlossen mit dem Verweis darauf, dass die Waffen in falsche Hände fallen könnten, dass die FSA kein effektiver und berechenbarer Partner sei. Wie ernst es mit diesem Argument war, zeigte IS überdeutlich. Es war ein Vorwand.

Da hat man noch die vielversprechendsten Rebellenfraktionen, und die gab und gibt es, auflaufen lassen, zuletzt mit dem Argument, dass sie nicht groß genug seien und beklagt nun, da viele von ihnen tot, geflohen oder in Foltergefängnissen sind, über mangelnde Bündnispartner und Zwangslagen. Die hohen Standards, die an syrische Rebellenfraktionen angelegt wurden und werden, gelten aber spätestens dann nicht mehr, wenn es um die Kooperation mit Iran geht, um IS-Bastionen auszuheben oder um irakische Politik sozialverträglicher zu gestalten. In Iran läuft, unbefleckt von Völkermordvorwürfen durch Merkel, die ethnische Säuberungskampagne gegen die Bahai, gegen Homosexuelle und Opposition weiter, die meisten Gesetze, die IS in seinem Kalifat durchsetzt, sind auch in Iran in Kraft. In Nordnigeria ruft derweil die der IS vergleichbare Terrorgruppe Boko Haram ihr Kalifat aus, in Kenia bleiben die Strände leer, nachdem somalische Al-Shabab-Kämpfer  Touristen erschossen haben.

Hinter den Kulissen wird sich zumindest eine Regionalmacht langfristig in Irak und Syrien engagieren müssen: Israel. Das Programm der IS ist nicht die Emanzipation der Sunniten in Irak oder der Sturz Assads. Das Kalifat ist Mittel zum Zweck aller islamistischer Bestrebungen: Die Vernichtung des einzigen demokratischen und überdies jüdischen Staates im traditionellen islamischen Herrschaftsbereich.

„Rather, its [IS] actions  speak louder than its words and it is only a matter of time and patience before it  reaches  Palestine  to fight the barbaric jews and kill those  of  them  hiding  behind the gharqad trees – the trees of the jews.“ (Werbebroschüre des IS)

Nur hat Israel mit seiner winzigen Armee und seinen begrenzten ökonomischen Ressourcen wesentlich weniger Mittel als die NATO-Staaten. Sich von hier spontanes Eingreifen in den erforderlichen größeren Maßstäben zu erhoffen, ist müßig. Auf einen politischen Kurswechsel mit den nächsten Wahlen in den USA bestehen ebensowenig Hoffnungen. Die Tea-Party hat die Republikaner in der Mangel, die Kriegsmüdigkeit der Demokraten steigt mit der Unabhängigkeit vom arabischen Öl. Es bleibt vorerst den Kurden überlassen, den Westen gegen seine ärgsten Feinde zu verteidigen. Indes: es gibt nur wenig Hoffnung darauf, dass die Kurden die IS-Hochburgen in Syrien befreien können, nur um sich dann auch noch Assad oder Al-Nusra oder der Islamic Front entgegenzustellen. Man braucht eine internationale, hochmobile, militärisch, diplomatisch und intellektuell gut ausgerüstete Counterinsurgency gegen jegliche islamistischen Gruppierungen, die sich nicht auf das Niveau der CIA und faschisierter Folterknechte herablässt. Und es bedarf eines größeren Demokratisierungsplanes, der den Westen aus seiner elenden Langsamkeit und Defensive herausdenkt. In Wahrheit hat sich der Westen vom antiaufklärerischen britischen Kolonial-Ideologem der „indirect rule“ nie entfernt. Es ist kostengünstiger, Chiefs und Machthaber einzusetzen, die effektiv unter Wahrung der Traditionen regieren. Man will eigentlich mit den komplexen Verhältnissen auf lokaler Ebene nichts zu tun haben und erst recht nicht mit rückständigen Verhältnissen, die man mühevoll und unter Einsatz von differenzierter Kritik ändern müsste, Kritik, die am Ende im Westen selbst treffen könnte, etwa den säkularen Grundwerten selbst gerecht zu werden.

Es ist womöglich das Fehlen von bürgerlicher Ideologie, das jede Initiative gegen den Islamismus hemmt. Im Bewusstsein der Uneinlösbarkeit des eigenen Glücksversprechens, dass man den zivilisatorisch Befreite stets nur „das letzte Gute nehme und das Bessere nicht gebe“ (Adorno) florieren Relativismus, Besitzstandswahrung, Nihilismus und Verdrängung. Das fehlende Maß wird allenfalls partiell und mühsam in extremen Notständen, wie eben der akuten genozidalen Situation restauriert. Dann vermag selbst Gabriel, wenngleich mit vielen Bauchschmerzen noch zu differenzieren zwischen Peshmerga und Genozideuren unter schwarzer Flagge. Zwischen Assad und Hazzm-Movement oder YPG allerdings wird dann schon wieder nicht mehr getrennt. Da winkt man lieber mit dem Sack, in dem es keinen falschen trifft.

Mit Mubarak für Israel?

90 % der Ägypter hegen eine tiefe Abneigung gegen Israel. 60% wollen die Scharia. 20% wählten die Muslimbrüder bei den letzten Wahlen. In Interviews auf Demonstrationen wurde Israel ein Krieg angedroht, Bilder von Plakaten kursieren, auf denen Mubarak mit Davidsstern gezeichnet wird. Israels Regierungschef Netanjahu beschuldigt den Westen, Mubarak, einen treuen Verbündeten fallen gelassen zu haben. Und neue Meldungen vom Tahrir-Platz in Ägypten bezeugen jetzt die gespenstische Präsenz der Muslimbrüder, die beten und Parolen gegen Israel und die USA brüllen und angekündigt haben, ganz Ägypten gegen Israel mobilisieren zu wollen.

Die Freundinnen und Freunde Israels waren und sind gespalten. Die einen unterstützten die ägyptischen Proteste bislang, ja verfolgten sie mit freudigen Emotionen. Man hörte sogar Parolen aus längst vergangenen Tagen, Loblieder auf die internationale Solidarität und der Verdacht liegt nahe, dass hier wie während der Euphorie der antiimperialistischen Klimax Revolutionen an anderen Orten idealisiert werden, um der Starre zu Hause zu entfliehen. Die Anderen warnen vor einem zweiten Iran, vor einer vierten Front gegen Israel, halten der Diktatur Mubaraks gegen den volksbewegten Islamismus die Stange. Stimmen der Vernunft (s.u.) sind selten geworden.

Die Geschichte gibt Pessimisten recht. Nach einer kurzen Party der Demokraten in Tunesien und Ägypten könnte die Geschichte sich wiederholen. Was also bewegt mich und andere dazu, trotzdem die Revolten zu begrüßen? Ahmadinejads Grußworte jedenfalls sind eher als wahnhaftes wishful thinking einzustufen, denn als objektive Einschätzung der Lage.

Das erste Argument ist, das es auch bei einem bislang unwahrscheinlichen Abebben der Revolten nicht weitergehen kann wie bisher. Wenn der Islamismus der einzige Grund ist, warum Mubarak sich am Leben erhalten konnte, ist dies der beste Grund, von diesem Diktator nicht länger zu erwarten, dass er den Islamismus effektiv bekämpfen wird. Er würde sich künftig nicht an seiner Existenzgrundlage vergehen, sie womöglich noch fördern um die Bedrohung am Leben zu erhalten. Diese Dynamik sollte besser heute als morgen unterbrochen werden. Im Falle Ben Alis hat sich gezeigt, dass die Bedrohung durch Islamisten seit Jahren übertrieben wurde. Vielfache Berichte von Kennern der Materie belegen die Marginalität der Islamisten in Tunesien und er erweist sich als Gespenst, das durch seine ständige Beschwörung nur aufgewertet wurde und wird. Ägyptens Muslimbrüder sind gewiss kein Gespenst. Sie sind aggressive Feinde Israels und werden alles tun, um jeden Frieden zu torpedieren. Das Gute ist: Sie haben die Proteste nicht gestartet. Sie waren davon regelrecht überrascht. Je länger sie dauern, je länger der Westen Mubarak stützt, desto stärker können sich die Muslimbrüder als radikale Alternative gerieren. Wäre Mubarak bereits nach vier Tagen aus dem Amt gedrängt worden, der Sieger hätte Facebook geheißen und nicht El Baradei und schon gar nicht Muslim Brotherhood. Die reformerischen Sprüche aus den USA und Europa und verständlicherweise Israel haben Mubarak gestärkt und so haben sie die Muslimbrüder aufgewertet. Wenn die Revolte wegen der Zögerlichkeit der USA und dem Komplettausfall Europas scheitert, werden die Muslimbrüder die Ernte einfahren. Wenn sie noch länger dauert, werden die Muslimbrüder sich möglicherweise als die wirkliche revolutionäre Kraft verkaufen können.

Ein weiteres Argument: Nicht nur in Ägypten, sondern im Sudan, in Jemen und in Jordanien ächzt das Gebälk. Es handelte sich hier allem Anschein nach nicht um eine autoritäre islamistische Erweckungsbewegung, sondern um eine sehr stark auf Facebook ausgerichtete liberalistische Jugendbewegung, die trotz und wegen ihrer ödipalen Tendenzen,  der Fokussierung auf den Übervater, mit ökonomischen und politischen Missständen befasst war und ist. Welche Diskrepanz zu den antieuropäischen, antisemitischen Eruptionen beim „Karikaturenstreit“ vor wenigen Jahren. Mögen die Protestierenden Antisemiten sein oder nicht, sie haben das erste Mal ihren Antisemitismus berechtigten Interessen untergeordnet. Das ist begrüßenswert und gibt allen Grund zur Hoffnung.

Die arabischen Diktatoren sind mitnichten Freunde Israels – sie sind allenfalls bessere Strategen. Sie lassen keine Gelegenheit aus, der Bevölkerung zu versichern, dass es eines Tages wieder gegen Israel gehen werde und von ihnen ist jederzeit zu erwarten, dass sie für ihren Machterhalt die antisemitische Karte spielen werden. Das findet derzeit statt. Israelische Journalisten wurden von der Polizei verhaftet, das Gerücht wird gestreut, die Revolten seien von Juden initiiert worden, man habe israelisches Geld auf den Straßen gefunden. Mubarak hat nicht den Antisemitismus bekämpft, er hat in den Muslimbrüdern eine Machtkonkurrenz gesehen. Solange sie seine Macht nicht in Frage stellten, konnten sie ungehindert ihre antisemitische Propaganda verbreiten, die auch im Staatsfernsehen, in Schulbüchern und unter den Mubarak-Anhängern nicht fehlte. Der Antisemitismus durchzieht die Welt –  wenn es schon Antisemiten gibt, so sind freie Antisemiten mit Frauenwahlrecht und wechselnden Regierungen allemal das kleinere Übel. Es geht für Israel längst nicht  mehr darum, dass es geliebt oder nicht gehasst wird. Golda Meir hat das heute noch gültige Diktum geprägt, nach dem an jenem Tag Frieden herrschen wird, an dem die Araber ihre Kinder mehr lieben als sie die Juden hassen. Die relevante Frage ist, ob sie bis dahin eine militärische Bedrohung Israels darstellen können.

Mubarak erhielt jedes Jahr 1,5 Milliarden amerikanischer Militärhilfe, die Ägypter durften den M1Abrams-Panzer unter Lizenz bauen, während Israel zentrale Militärtechnologie noch immer verweigert wird. Sollten die Muslimbrüder diese stärkste Armee Afrikas mitsamt über 200 F-16 eines Tages demokratisch in die Hände bekommen, werden sie amerikanische, italienische und britische Waffen gegen Israel wenden. Wären diese Milliarden an Israel gegangen, es hätte nichts zu befürchten und könnte sich alle erforderliche Hochtechnologie, eine komplette Grenzmauer und eine Söldnerarmee leisten, die die gesamte Grenze überwacht und im Zweifelsfall auch Millionen von angreifenden Muslimbrüdern abwehren, sprich töten, könnte. Auch hier ist es besser, einen klaren Schnitt zu fordern. Wenn der Westen Israel unterstützt, so soll er das direkt tun und nicht über antisemitische Diktatoren mit Restvernunft.

Eine staatliche, offizielle Armee hat überdies kaum die Möglichkeiten der islamistischen Terrorbrigaden. Sie wäre verschiedensten Instanzen verantwortbar und ein klares Ziel für das israelische Militär. Ägypten hat kein Öl, es hat allein Menschen. Seine Kriege konnte es nur mit den immensen Waffenlieferungen aus der Sowjetunion und den USA führen und es hat alle verloren. Terrorismus bedarf einer kostspieligen Ökonomie und er bedarf staatlicher Förderer. Der Trick der Hamas ist, nicht genug Regierung darzustellen um internationale Konsequenzen für den Terror zu tragen.

Die Bedingungen, die der Westen an Mubarak stellt, kann er ebensogut an eine demokratische oder islamistische Regierung stellen  – sie waren Mubarak und zuvor Sadat von der militärischen Übermacht aufgezwungen und nicht aus einer Einsicht über den Antisemitismus heraus angenommen worden. Ägypten hängt anders als Iran am Tropf. Es ist nicht Iran, es kann nie die Bedeutung Irans erhalten, nicht einmal für einen Guerillakrieg taugt das flache Land. Der Suezkanal ist nicht die Straße von Hormus. Ägypten verdient an ihm. Und es wäre ein leichtes für Europa und die USA, diesen Kanal zu sichern. Das hat sogar Israel geschafft.

Es läuft also sehr deutlich darauf hinaus, dass das, wovor Israel sich wirklich fürchten muss die mangelnde Solidarität aus dem Westen ist. Die Angst vor einem zweiten Iran verdeckt die Unfähigkeit, etwas gegen den ersten zu unternehmen, in dem keine Protestbewegung mehr an den Folterern und Mördern vorbeikommt. Iran wäre längst kein Problem mehr, wenn nicht deutsche, österreichische, chinesische und russische Unternehmen den Ajatollahs die Devisen und die Technologie zum Waffenbau und zum Terror gegen Juden und die Bürger in Iran frei Haus liefern würden, wenn ein europäischer Konsens in der Verdammung dieser Diktatur hergestellt werden könnte. Nur 8 % wollen in Iran die Scharia. Warum stützt man Ahmadinedschad und seine Bassidschi? Wegen der Straße von Hormus sagen die einen, wegen des Ölpreises die anderen. Warum stützt man Mubarak? Wegen des Suezkanals, wegen des Ölpreises. Nicht wegen der Juden oder wegen der Scharia oder wegen großartiger Verhandlungserfolge oder der Beteiligung Ägyptens am ersten Golfkrieg.

Längst ist unklar, ob Europa nicht auf der Seite der Palästinenser in einen Krieg gegen Israel ziehen würde. Europas liberale Politiker folgten Israel allenfalls aus political correctness, niemals im Argument. Das Argument der Muslimbrüder führen die Europäer unisono in ihren Medien im Munde. Sie sind sich alle einig, dass der „Kindermörder Israel“ am besten nach Uganda oder ins Meer oder nach Schleswig-Holstein verpflanzt werden solle, und vorher die gesamte „rechtsextreme“ israelische Regierung wegen „Kriegsverbrechen“ nach Den Haag überstellt werden müsste. Jeder Verteidigungsschlag Israels hatte mahnende Worte aus Europa zur Folge und mehr Sympathien für Hamas und Co. Jeder Verteidigungsschlag Israels gegen Ägypten müsste Europas Agitation mehr fürchten als die amerikanischen Panzer der Ägypter. Nicht allein die überschätzten Muslimbrüder sind das bedenkliche an Ägyptens Revolution, sondern Europa und seine antiisraelische Presse. Es hat der antisemitischen Meinung der Ägypter nichts entgegenzusetzen. Niemand sagt den unter einer von Mubarak staatlich kontrollierten Presse herangezüchteten Antisemiten, was man wirklich von ihrer Meinung hält und warum man ihre Feindschaft zu Israel im Argument und in der Sache für falsch hält. Man überwies einfach Geld an Mubarak, der davon afrikanische Flüchtlinge in der Wüste erschießen ließ, der die demokratische Opposition und hier vor allem Blogger gewiss nicht wegen deren Antisemitismus terrorisiert und der die ägyptische Gesellschaft in die Armut treibt. Wenn der Westen Mubarak stützt, so soll er es laut sagen, dass dies allein wegen des Hasses der Ägypter auf Israel geschieht, dass und warum dieser Hass falsch ist und dass sobald dieser Hass aufhört auch die Diktatur aufhören wird. Aber das wäre, abgesehen von Israel, gelogen. Die Macht der Europäer war selten so groß wie heute. Sie untertreiben das, aber sie wissen es. Insofern ist es scheinheilig, wenn Westerwelle den Kameras versichert, auf der Seite der Protestierenden zu stehen und damit aber insgeheim schon die Muslimbrüder meint. Fälliger wären konkrete Zusicherungen an Israel, an die demokratische Opposition und eine Entschuldigung für die Borniertheit der Vergangenheit.

Das sind die Gründe, warum ich Mubarak lieber heute als morgen von den Revolten gestürzt sehen will. Ein Clean Cut wäre so wünschenswert wie utopisch: Dass mit den Diktatoren gebrochen wird, dass man nicht nur mit ihnen bricht, sondern sie dann auch konsequent angreift, sie schwächt, die demokratische Opposition stärkt, sie nach allen Regeln der Polemik gebührend kritisiert. An der Elfenbeinküste zeigt sich die Stabilität, die für Ägypten zu befürchten ist. Der korrupte Premierminister Gbabo hatte dort die Zentralbank überfallen, um mit den Millionen einen weiteren Monat seine Schlägertruppen zu bezahlen und sich die Armee warm zu halten. Sein vermutlich nicht minder korrumpierbarer Konkurrent, Qattara, ruft derweil den Generalstreik aus, der die Gesellschaft aushungert, die nach einem Tag ohne Lohn und Umsatz nichts zu essen hat. In Tunesien konnte Leila Ben Ali ungehindert die Bank ausrauben und einen gigantischen Goldschatz außer Landes fliegen. Derweil fliegt ein anderer Diktator, Baby Doc Duvalier, zurück in das Land, das er einst terrorisierte und plünderte. Er blieb ungestraft und verprasste die Beute derart schnell, dass er nun in Haiti auf Auszahlung seiner letzten gebunkerten, in der Schweiz gesperrten Millionen hofft. Der Westen hat allen Grund, die Muslimbrüder zu fürchten, die er militärisch und ökonomisch mit dem kleinen Zeh auslöschen könnte, wenn sie wirklich eine ernsthafte Bedrohung werden sollten. Sie sind sein schlechtes Gewissen. Erst wenn die Altlasten beseitigt sind, wäre ein radikaler Liberalismus vorstellbar, der anderen Staaten mit gutem Gewissen die Mindeststandards freies Wahlrecht und Frauenrechte abnötigen kann. Im Moment allerdings kann niemand behaupten, dass die Muslimbrüder Frauenwahlrechte und freie Wahlen verhindern. Das besorgt der Westen und seine Diktatoren.

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Siehe auch:

Tunis und die Kälte auf Nichtidentisches.

Erdbeben im Nahen Osten auf Lizas Welt

Nieder mit der Diktatur – Hoch… ja was? auf Spirit of Entebbe

Das Ägyptische Dilemma: 1979 oder ein neuer Anfang? auf Spirit of Entebbe

Pro-Mubarak rioters hurl Molotov Cocktails at Opposition auf Jerusalem Post

Der letzte Sieg von „1979“ auf Wadi-Blog

Ägypten ist nicht Gaza in der Jungle World

Und natürlich das Grundlagenwerk mit Informationen über Sadats Versuche, die Muslimbruderschaften zu instrumentalisieren und deren gezielte Förderung durch die „Panarabisten“:

Matthias Küntzel: Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg.

Zensürliches zum „Tal der Wölfe“

Gewiß! Ist die Zensur einmal eine Notwendigkeit, so ist die freimütige, die liberale Zensur noch notwendiger. (Karl Marx, MEW 1: 2)

Eine eigentümliche Ironie der Geschichte zwang das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED die Marx-Engels-Werke mit einem Artikel von Karl Marx zu beginnen, der den Titel trug: „Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruktion.“

Das Vorwort der KpdSU fühlte sich zum Verweis darauf verpflichtet, dass es sich hier um die „reaktionäre preußische Zensur“ handelte. (MEW 1: XXVI) Die Leserschaft meiner noch mit eingeklebten Porträtzeichnungen von Marx/Engels versehenen Ausgabe von 1958 sollte nicht die Errungenschaft der revolutionären Zensur der Sowjetunion mit der überkommenen, „reaktionären“ der Preußen verwechseln. Nicht also aus frivoler, bourgeoiser Libertinage oder reaktionärem Preußentum blieben daher die Marx-Engels-Werke unverändert, sondern weil sie ein auserlesenes Kulturgut von nationalem Interesse seien:

„Der Marxismus ist das kostbarste Kulturgut des deutschen Volkes. Wir sind die rechtmäßigen Erben dieses großen Vermächtnisses; daraus erwächst uns die hohe Pflicht, es sorgsam zu bewahren und rein und unverfälscht unserem Volk zu vermitteln, um es zu befähigen, rasch auf dem Weg vorwärtszuschreiten, den ihm seine größten Söhne gewiesen haben.“ (MEW 1: IX)

Alles, was unterhalb dieser Heiligkeit sich anzusiedeln erfrecht hatte, konnte dagegen mit der gleichen hohen Pflicht verwässert, überwacht, zensiert, vergulagt und weggemordet werden.

Die offene Barbarei der Zensur, die in der McCarthy-Ära selbst die USA infiziert hatte, ist immerhin in den demokratischen Staaten weitgehend Geschichte. Ihr Fortleben in der Demokratie als demokratische, liberale Zensur, überhaupt die Idee ihrer Sinnhaftigkeit, ihres möglichen Gutseins in bestimmten Fällen, bereitet den Boden für radikalere Kastrationen gewohnter Freiheiten wie sie aktuell in einem sich faschisierenden Ungarn stattfinden. Das Einschleichen des Gedankens, die Zensur könnte etwas leisten, was eine freie Presse und die damit wünschenswerterweise auch zu assoziierenden freien Geister nicht zu leisten in der Lage wäre, bedeutet schon die gemütliche Zensur der Kränkung über die eigene Unfähigkeit, etwas Ausformuliertes beizutragen. „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ – diese anmaßende Lösung des Theorie-Praxis-Problems wurde zum bequemen Argument, sich aufs Faustrecht zurückzuziehen, dem man immer nur solange huldigt, als man der Stärkere zu sein glaubt.

Der Film „Das Tal der Wölfe – Palästina“ sollte zunächst indiziert werden und läuft nun doch mit dem FSK 18 in vielen Kinos an. Ein Film, der Judenvernichtung propagiert und Geschichte fälscht, genießt jetzt sowohl die Atmosphäre des Verruchten, Subversiven als auch den Bonus der weitgehenden Unbedenklichkeitsprüfung. Eine derartige Aufwertung konterkariert das Werbeverbot, das bei indizierten Filmen stattfindet und „Tal der Wölfe-Palästina“ zugedacht war. Konsumiert  und verbreitet werden Filme heute ohnehin durch das Internet. Immerhin wurde durch die Freigabe eine kritische Lektüre des Filmes vereinfacht. Und die ist für alle unabdingbar, die sich eine eigene Meinung machen wollen und dies auch anderen Menschen zutrauen oder die einfach mal über einen schlechten Film lachen wollen.

Der paternalistische Ansatz, nach dem intellektuell oder moralisch nicht gereifte Menschen vor der Ansteckung mit gröbstem Unfug geschützt werden müssten, beschädigt die Autonomie des Individuums. An gerade jenem Unfug, seiner Teilhabe daran und der Reflexion darauf bildet sie sich erst heraus. Die Menschen müssen einer Flut an Unfug standhalten und der Unfug ist systemimmanent. Sie sollen die digitalen Kameras kaufen, die verschwommene, verpixelte, rotäugige Karikaturen einer Fotografie liefern, sie sollen die Messer kaufen, die vom Anschauen stumpf werden, die Wasserkocher, die Wasser lassen, die Wundermittel für die Wunden, die Plakatgesichter der Parteien, aber sie sollen auf keinen Fall einer bösartigen politischen Propaganda ausgesetzt werden. Im wahrscheinlich sogar falschen Glauben an die mediologische Dressur fürchtet man sich vor ihr logischerweise dort, wo sie der Kontrolle enträt. Den Kontrollverlust projiziert man auf die vermeintlich Schutzlosen – die dann sämtlich in der Imago des potentiellen Amokläufers oder Selbstmordattentäters aufgehen. Man will bei der Indizierung „die Jugend“ schützen, als gäbe es nicht genügend gewitzte Jugendliche, die in Sachen Medienkompetenz die gutväterliche Generation weit hinter sich gelassen haben und als wären die  regelmäßigen antisemitischen Demonstrationen in Deutschland Kinderkreuzzüge.

Unter dem Etikett des Jugendschutzes klopfen auch Forderungen nach einer Zensur des Internets an die Türe. Zwei Schülerinnen werden von einem staatlich finanzierten und parteilich kontrollierten Nachrichtendienst interviewt und bezeugen, auf einem Forum im Internet anonym beschimpft worden zu sein. Man sei doch sonst harmonisch unterwegs an der Schule, das schlimmste sei, dass man nicht wisse, wer da geschrieben habe. Den Zwang zur Harmonie mit solchen verdrückten, sadistischen Aggressionen zusammenzudenken ist in Deutschland fremd. Ähnlich  verdrückt wird der alles „erklärende“ Kommentar eingeflochten: „Deutschland hat keine Internetzensur“. Schlimmer noch: Die Läster-Seiten seien in den USA angemeldet. Was für fürchterbare Blüten die von der Leine gelassene Meinungsfreiheit dort zu treiben weiß, ist dem notorisch adstringierten deutschen Volksmund allgemein bekannt. Man redet dort sogar schlecht über fremde Staatsoberhäupter. In Deutschland verkneift man sich den Ärger oder die Lust und sprüht nachts auf eine Hauswand: „XY ist eine Nutte/bläst jedem/ist schwul!“ liest man an jedem Bushaltehäuschen und die sind beileibe nicht in den USA angemeldet. Die Mentalität gleicht sich den Klotüren an. Hygiene – das heißt Zensur, Verbot und Abschiebung – scheint als einzige Maßnahme denkbar. Die Alternative, die Immunisierung durch Aufklärung, ist selbst den Aufklärern bisweilen zu anstrengend – sie lassen sich von der eigenen Ohnmacht dumm machen.

Aufklärung ist in Deutschland in der Tat schwach auf der Brust – das macht allerdings die Zensur von „Tal der Wölfe-Palästina“ um so fragwürdiger. Warum soll ein Film verboten werden, mit dessen Kernaussage weite Teile der Parteienlandschaft und Journalisten d’accord gehen? Geschichtsfälschung hat sich durchgesetzt: Der Angriff der militanten Gruppe an Bord der Mavi Marmara auf Israel wird durchweg als Angriff Israels auf ein harmloses Schiff bezeichnet. Dass der Filmheld das Existenzrecht Israels mit einem flotten Spruch negiert und ihnen ein Land unter der Erde als versprochenes ankündigt trifft sich mit dem Tenor jener Linken, die Israel sein eigentümliches Beharren auf Nationalstaatlichkeit als Romantizismus in Zeiten des so universalen Völkerrechts vorhalten.

Ein schlechter, antisemitischer Film entfaltet keine bombastische Wirkung aufgrund irgendwelcher magischer unbewusster Bild-Inhalt-Codes, sondern weil jenseits der deutschen und europäischen Borniertheit in Bezug auf Israel beachtliche Teile der türkischen Meinung inklusive der AKP bereits Antisemiten sind und diesen Film produziert haben. Hätte er eine so gigantische Wirkung, es wäre ein leichtes, nach dem gleichen Prinzip einen ähnlich wirksamen Film gegen den Antisemitismus und den Antiamerikanismus zu produzieren. Bis dahin bleibt als einziges, auf die Parodien auf Youtube zu warten.

Dem Rambo sei Gsicht

„Rambo zeigt sein Gesicht“ prollt es vom Fronttransparent der S21-GegnerInnen und von der taz-Titelseite. Im Fernsehen zeigen gealterte ErstdemonstrantInnen ihre Freude darüber, Mappus als „Rambo“ identifizieren zu können: „Des isch ein Rämbo, ein Rämbo isch des!“

Das Glückgefühl, das unheimliche Bedrohliche in einem Wort gebannt zu sehen, ersetzt den DemonstrantInnen jede weitere Denkarbeit. Rambo, das ist das Böse, das Feindliche, die Aggression, die sie selbst nur mühsam ihm Zaum halten, der Amerikaner – Gegen Rambo sein heißt gut sein. Fern der diskutablen Qualität ihrer Anliegen muss den StuttgarterInnen Stupidität konstatiert werden. Wären sie Revolutionäre, John J. Rambo wäre ihr Idol, nicht ihr Feindbild. Er, der langhaarige Hippie, wird schließlich in „First Blood“ von Polizisten gefoltert und probt dagegen den Aufstand, indem er einer spießigen amerikanischen Kleinstadt die Quittung für ihre xenophobe Beschränktheit präsentiert. In „First Blood II“ sieht er sich mit einem Komplott der Regierung konfrontiert, gegen das er obsiegt. In „Rambo III“ ist es ein folternder Sowjet-Offizier, den er in Afghanistan herausfordert. In „John Rambo“ zerlegt ein gealterter Haudegen die Infanterie der burmesischen Todesschwadronen und bringt den Rebellen Waffen. In jedem Film finden sich Matritzen des Machtmissbrauchs, keine wird von John J. Rambo vertreten, alle von ihm angegriffen. Das muss zumindest ein Teil der Demonstrierenden wissen – es liegt daher nahe, dass sie sich schon unbewusst mit dem Prinzip identifizieren, gegen das John J. Rambo antritt. Sie hausieren mit ihrem Konformismus, und dieses Hausieren wird nur verstärkt durch das Missverhältnis von Aufwand und Gegenstand.

Während die Streiks in Frankreich als „Chaos“ denunziert werden – sie sind mehr als alles andere die geordnete Organisation der Bürger – gehen die Kleinbürger im benachbarten Landstrich gegen einen Bahnhofs-Neubau auf die Straße. Der Satiriker Harald Schmidt spießte präzise aus, was er am Protest verachtenswert findet: Dass diese Leute stolz darauf sind, zum ersten Mal in ihrem Leben demonstrieren zu gehen. Sie tolerieren, dass Ghaddafi Milliarden für die Flüchtlingsbeseitigung zugeschoben bekommt. Sie dulden oder befördern Abschiebungen. Die Rente mit 67 wird geschluckt, ebenso alle milliardenschweren und sinnlosen Subventionen für Zuckerrüben, Mais, Weinbau, Viehzucht und sonstiges Agrobusiness, das die afrikanische Landwirtschaft in den Ruin treibt. In Baden-Württemberg bekommt jedes Schlafzimmer seine Umgehungsstraße und ein eigenes Gewerbegebiet mit Autobahnzubringer, Atomkraftwerk und Flughafen – im Zweifelsfall auch gerne im Hochmoor. Wenn im niedersächsischen Gorleben oder in der Asse Milliarden beerdigt werden für den schwäbisch-badischen Atommüll, demonstriert nur ein winziger Bruchteil der StuttgarterInnen. Sie haben die Relationen aus den Augen verloren – ihre dümmliche Identifizierung von John J. Rambo und Mappus ist nur ein weiterer Ausdruck dessen.

Siehe auch:

„Rambology – mit John J. Rambo durch die Dialektik der Aufklärung“

„Der Sohn von Rambow – Rezension“

„Dei Mudder sei Gsicht“ (Eine Alternativproduktion zur Kritik schwäbischer Disintegration in die Moderne)

Die Bombe und das Erinnern

Als die deutschen Heimatvertriebenenorganisationen das 60-jährige Jubiläum ihrer Charta feierten, sagte Ralph Giordano, die Vertreibung würde in der Charta so dargestellt, als habe sie in einem „historischen Vakuum“ stattgefunden. Dieser Begriff „historisches Vakuum“ trifft jenen verbreiteten Gestus des Erinnerns recht gut, der Kriegsereignisse aus den historischen Ereignissen isoliert und dadurch Schuldfragen und Ursachensuche im besten Falle neutralisiert, im gewöhnlichen verschiebt und verbiegt.

Ein solches Verhältnis prägt auch das Erinnern an die Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki. Im nachträglichen Entsetzen über das genozidale Potential dieser Waffe wurde schon jenes Entsetzen über die mit primitivsten Waffen (Hunger, Schläge, Krankheiten, Gas) durchgeführten Massenmorde des Holocaust eher getilgt als erinnert. Die in den folgenden 50 Jahren stattfindenden 2 000 Atomwaffentests (davon ca. 622 oberirdisch) und der Anstieg des weltweiten Arsenals auf möglicherweise 70 000 Atomsprengköpfe sorgten für zusätzliche und  trotz ihrer  Assoziation mit einer gewissen paranoischen Struktur sehr gerechtfertigte Bedrohungsängste, die mit dazu beitrugen, das Grauen des zweiten Weltkrieges in der amerikanischen und europäischen Wahrnehmung verblassen zu lassen. Die Opfer eines perhorreszierten „nuklearen Holocaust“ waren nunmehr „wir alle“ und dieser globale Genozid hatte bereits begonnen: in Hiroshima und Nagasaki.

So konnte man in der Retrospektive der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki als initiale Agression betrachten und darüber vergessen, dass dort ein Krieg beendet wurde. Ein Krieg, der in der öffentlichen Wahrnehmung abseits von exotistischer und ambivalenter Begeisterung für die Kamikaze-Flieger kaum je Beachtung fand. Nie erreichte man ein geschichtliches Bewusstsein davon, wie sehr die japanische Ideologie der deutschen ähnelte und wie gigantisch, mörderisch und genozidal diese Front war. Anstelle von unqualifizierten Co-Referaten verweise ich zu diesem Komplex auf das hervorragende Blog „USA-erklärt“ mit der Beitragsreihe „Der Krieg gegen Japan„.

Und auf den Wikipedia-Artikel über japanische Kriegsverbrechen, der die Zahl der Todesopfer des japanischen rassistischen Raubzuges mit dem Historiker Chalmers Johnson auf 30 Millionen Menschen schätzt. Eingesetzt wurden biologische Waffen, konventionelle Waffen und primitivere Waffen wie Bajonette, deren massenhafter Einsatz ein hohes Maß an individueller Täterschaft und aggressiver Ideologie voraussetzt. Hunger und Durst wurden systematisch gegen Kriegsgefangene eingesetzt, von denen 30 % unter grauenvollen Umständen starben.  Darüber hinaus arbeiteten Japan wie auch Deutschland an einer eigenen Atombombe.

Wenn man sich 2010 der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki erinnert, ist es unmöglich, nicht die Geschichte der nuklearen Aufrüstung, der Strahlenkrankheit und des Grauens, das diese in die Individuen pflanzte mitzudenken. Es sollte aber gleichfalls erwartet werden können, die genozidale Aggression des japanischen Faschismus  zu reflektieren. Dann muss man der amerikanischen Seite ein nahezu ausschließlich militärisches Kalkül zugestehen, das unter dem Vorzeichen stand, einen  für beide Seiten extrem verlustreichen Krieg in einer Machtdemonstration, die sich gegen zwei stark militärisch geprägte Ziele richtete, zu beenden. Bis heute wird die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki beherrscht von einer Imagination, nach der zwei menschlich erkaltete amerikanische Bomberpiloten  einfach so zwei Massenvernichtungswaffen über zwei friedlichen japanischen Städten abwarfen. Am treffsichersten ist diese Wahrnehmung in der Kapitulationserklärung des japanischen Kaisers vorgeprägt:

„Der Feind hat jüngst eine unmenschliche Waffe eingesetzt und unserem unschuldigen Volk schlimme Wunden zugefügt. Die Verwüstung hat unberechenbare Dimensionen erreicht. Den Krieg unter diesen Umständen fortzusetzen, würde nicht nur zur völligen Vernichtung unserer Nation führen, sondern zur Zerstörung der menschlichen Zivilisation … Deshalb haben wir angeordnet, die gemeinsame Erklärung der Mächte anzunehmen.“

Die, wenn nicht schon im ersten Weltkrieg, in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern und den japanischen Massakern untergegangene Zivilisation wurde auf einmal gerettet durch den japanischen Kaiser in seiner Fürsorge für sein „unschuldiges Volk“, das er wenige Tage zuvor im Konsens mit seiner Armeeführung noch in Millionen opfern lassen wollte, unter anderem mit dem Plan, mit Bambusspeeren bewaffnete Kinder und Frauen im Endkampf auf amerikanische (oder mit dem Kriegseintritt der Sowjetunion auch „kommunistische“) Soldaten zu hetzen. Alle Schuld, alle Täterschaft wurde an die USA übertragen – ein Erfolgsrezept, das sich später als bequeme Umgehung jeder tiefergehenden Beschäftigung mit dem historischen Rahmen globalisierte.

So zog ich im Alter von etwa dreizehn Jahren mit einem halben Dutzend anderer AktivistInnen am Jahrestag der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki mit Mehl geschminkt als Hibakusha-Mime durch eine süddeutsche Fußgängerzone. Ein wütender Amerikaner brüllte uns an: „Pearl Harbor! Pearl Harbor!“ Ich wusste damals nicht einmal, was er mit diesen fremdartigen Worten wohl meinen könnte. Im geschichtlichen Vakuum war Hiroshima nun mal das Opfer eines unwahrscheinlich zynischen Aktes der Amerikaner. Jede historische Rationalisierung dieses Aktes wurde abgewehrt und im Kalten Krieg hatte noch dies sein Recht: Es durfte keine einzige Legitimation mehr geben für den Einsatz einer Atomwaffe, weil dies den Untergang aller in einem dritten Weltkrieg zur Folge gehabt hätte. Das Tabu folgte einer gewissen Logik. Logik ist aber noch nicht Vernunft und daher muss man diese Verdrängungsleistung mit dem chronischen Antiamerikanismus und dem rassistischen und narzisstischen Desinteresse an Asien synchronlesen.

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Drei Literaturempfehlungen:

„Unsere Bombe“. Robert del Tredici. Zweitausendeins, 1988. (Bildband zur Atomwaffenproduktion in den USA)

„Die letzten Glühwürmchen“. Hayo Miyazaki. 1988. Anime. (Melodram im Kriegs-Japan)

„Der kubistische Krieg“. Stephen Kern. In: Kultur & Geschichte – neue Einblicke in eine alte Beziehung. Reclam, 1998. (Artikel über die bis dato beispiellose Fragmentierung von Individuen, Raum und Zeit im Zuge des ersten Weltkrieges)

Johannes M. Becker reitet wieder – für China

Wenn Johannes M. Becker sich zu Konflikten äußert, kann man fachliche Kompetenz ebenso sicher vermissen wie humanistische Integrität. Da er über die Jahre seine Position (Unterzeichnen des Manifests der 25, Hetzen gegen Israel, Lobbying für Hamas und Iran) nicht hinterfragte oder irgend änderte, kann man die Beschäftigung mit ihm hier kaum kritisch nennen – dazu fehlt die potentielle Beweglichkeit des Gegenübers. Meine Absicht ist, seine Argumentation in ihrem denunziatorischen Charakter zu denunzieren und das stets dann, wenn sie zu Tage tritt.

Seit Neuestem bemüht sich der Konfliktforscher Becker darum, das Ressentiment gegen den Afghanistaneinsatz der NATO auf eine Art und Weise zu schüren, die an Widerwärtigkeit keine Grenzen kennt. Er appelliert als Patriot an den Kostenfaktor:

„Stiege unser [sic!] Land 2011 aus dem Krieg aus, würden sich die wahren Kosten auf 18 bis 33 Milliarden Euro summiert haben.“

Würde man einem Becker vorrechnen, dass die Pressefreiheit, Frauenrechte und das freie Wahlrecht bis 2011 einige Milliarden Unkosten verursacht, er würde sich wohl zum Maoisten umtaufen lassen. Wenn die Sicherung einer Mädchenschule mehr als 2000 Euro kostet, opfert Becker bereitwillig deren Schulbildung jeder Umgestaltung des deutschen Haushaltes. Die „Irakisierung Afghanistans“ schritte laut Becker ausgerechnet unter Petraeus fort, dem er die Schuld am Terror der im Irak von Al-Quaida und Iran unterstützten Milizen unterschiebt. Gerade Petraeus steht für die effektive Bekämpfung des Terrorismus in einer intellektuellen Kombination von Projekten, interkulturell geschulten SoldatInnen und dem Aufbau von Polizeipräsenz. Becker schwebt indes ein anderes Modell vor, das wesentlich profitabler ist:

„An den Bodenschätzen unter der Erde des geschundenen Landes, von denen die Wissenschaft übrigens bereits seit langen Jahren Kenntnis hat, beweist ein anderes Land, wie Politik zu gestalten ist. Die VR China, die nicht einen Soldaten in Afghanistan stationiert hat, investiert viele Milliarden für die Bergung der ungeheuer großen Schätze. Und dies ist keineswegs ausschließlich zum eigenen Vorteil.“

Dass China nun Kupfer in Afghanistan fördert ohne die Kosten für die Sicherung der Zufahrtswege und Einrichtungen zu tragen ist in der Tat ein kaum zu übersehendes Faktum, dass zum Beispiel in den USA für Zähneknirschen sorgt. Wie unverschämt Becker China zum Vorbild der deutschen Politik befiehlt („wie Politik zu gestalten ist“), bezeugt hingegen seine Skrupellosigkeit im Umgang mit der eigenen Ideologie: Wenn man schon mit jedem terroristischem misogynen genozidalen und antidemokratischen Regime auf der Welt sympathisiert sollte man wenigstens auch etwas davon haben dürfen. Mit Becker könnte man wunderbar die Ausbeutung sudanesischer und iranischer Ölvorräte vorantreiben und im UN-Sicherheitsrat dann Bashir und Ahmadinejad absichern – „keineswegs ausschließlich zum eigenen Vorteil“. Auf so einen geschäftsfeindlichen Unsinn wie Menschenrechte zieht sich der Professor Becker lediglich dann zurück, wenn es gegen Israel und die USA geht. Es fehlt wie immer: Jede Auseinandersetzung mit der Komplexität der Konflikte, jede Analyse der Akteure, jede Überprüfung der Tragfähigkeit der vorgeschlagenen „Lösungswege“ und jede Empathie für  das antifaschistische Engagement seiner einstigen Bundeswehr-Kollegen in Afghanistan.

Quelle: Johannes M. Becker: „Die „Irakisierung Afghanistans““. In: Oberhessische Presse, 28.6.2010, S. 14.

Weiteres zum Thema Johannes M. Becker:

Mit Friedensforschung zum intellektuellen Paläolithikum

Vom Zwang zum Urteil – Beckers notorisch antiisraelische Konfliktanalyse

„Vernunftresistent tiefer in den afghanischen Krieg“ – neue Forschungsergebnisse aus dem Marburger Institut für Friedens- und Konfliktforschung.

Friedensnazis und Konfliktforschung

Friedensnazis als Kriegsgewinnler

Krieg um Rohstoffe oder Nichtkrieg um Rohstoffe?

„Iran im Weltsystem – Bündnisse des Regimes und Perspektiven der Freiheitsbewegung.“ – Rezension


 

 

 

Studien Verlag 2010, Stephan Grigat/Simone Dinah Hartmann (Hrsg.), 178 Seiten, 19,99 Euro.

 

Vor zwei Jahren gaben Grigat/Hartmann bereits ein Standardwerk zum Iran und dem Netzwerk seiner internationalen Förderer heraus. Die neue Veröffentlichung mit einem zumal ähnlichen Titel erscheint zunächst wie eine nichtsdestotrotz notwendige und wünschenswerte Aktualisierung dessen. In der Lektüre erweist sich das Buch dann als gelungener Versuch, Wiederholungen zu vermeiden – es lässt sich als gelungene Fortsetzung, als zweiter Band des ersten, theoretischeren Werkes lesen. Damals war die Stoßrichtung vor allem durch die virulente Relativierung des Atomprojektes durch den NIE vorgegeben. Im aktuellen Band wird darauf verwiesen, dass nicht mehr so sehr die Leugnung des Atomprogramms dominiert, sondern die Compliance der Staaten und der individuellen Akteure wider besseres Wissen. Dass Iran zu Atomwaffen strebt wird nicht länger diskutiert, sondern in seiner bitteren Konsequenz analysiert. Auf theoretische Geflechte verzichten Grigat/Hartmann diesmal zugunsten einer detailreichen, knappen und rasanten Studie mit journalistischem Detailreichtum, der es wie im Vorwort versprochen gelingt, eine publizistische Beschäftigung mit dem Thema zu vermeiden. Die Autorenriege hat weitgehend gewechselt, die Positionen haben sich entsprechend der Situation verschärft. Niemand, der eine Meinung zu Iran zu haben glaubt, kann sich vor diesem Buch drücken. Die Hauptthesen werden im Folgenden kurz angerissen. Weiterlesen

Peace Mongers! A message in a bottle to the German party „Die Linke“

In Afghanistan several Dozends and maybe hundreds of people were killed during accidents in recent military actions. This is a reason for mourning for the relatives and friends and for the NATO to  backpedal and re-engineer the strategy.

In Germany and other parts of Europe as in the Americas it is common that rigthwing and leftwing pacifists express their instrumentalized sorrow through gathering after similar occasions and demonstrate „against the war in Afghanistan“. Yesterday the post-socialist Party „Die Linke“ was excluded from the „Bundestag“ for displaying posters with the names of victims of the airstrike at Kundus. They did never display posters with names of victims of suicide bombings in Iraq or Afghanistan.

There lies much attraction in the idea of war as bad (because of death, pain and related phenomenons) and peace as good (because of laughing children and the like). Peace in this dichotomic ideology is a resentment. This resentment bases on one of the main symptoms of  narcissism: The reversal. This reversal is to be set upon its feet to speak with Marx.

Peace has a dark side that the socialist party of Germany does not speak about. They don’t mourn for victims of peace.

The peace waged against the Hutu-Militias by UN-troops in 1994 resulted in the genocide of one million people – this peace was stopped by Tutsi-guerillas of the RPF who finally conquered the regime of the FAR. France assaulted Africa with an ongoing onslaught of peace against Dictators like Bokassa, Eyadema and Bongo, leaving the population empoverished and dismantled of  any opposition. These dictators were the most corrupt in history while ruling some of the poorest societies in the world. Opposition in Togo, the Central African Republic and Le Gabon was either killed of or exiled or silenced through various means of censorship, torture and terror. The so-called development aid, that the German Party „Die Linke“ is suggesting as being alternative to war in Afghanistan, collaborated with the regimes, making the elites richer while paying them financial contributions and „fees“ for any project. In Togo the official German Development Agency even  funded constructions of a concentration camp for oppositionals and people accused of witchcraft by the regime. (ref. Dirk Kohnert)

In Somalia the development agencies have not managed to overcome neither war nor poverty – they paid warlords for saving people from drowning during floods, for delivering water and distributing food. Through this they paid the weaponry for warlords and thugs. (ref. Michael Birnbaum) This is the same peace „Die Linke“ is postulating for Afghanistan – while bashing the NATO for collaborating with warlords.

Peace against Sudan caused the genocide against the people of Darfur. 400 000 people were killed and 2.5 Million displaced while all the west sent were some MSF-Medicals to vaccinate the refugees and survivors.

This is the result of the peace for Oil China is fighting in Africa. Peace is always as bad as the war that no one attends or as a correctly forged quotation puts it: Imagine it is war and no one attends – then war will come to you.

It is not about war or not war nor even about the option of taking part –  it is about  in which way to take part if it takes place.

Paul Parin defined phallic aggression as healthier than repressed aggression – the psychoanalyst always kept his Beretta he used during the guerilla war against Nazi-troops in Yugoslavia. Later on, his wife Goldy Parin-Matthey went to Spain to join the anarchist forces. In a system that denies ones bare existence weaponry and death – Thanatos – might open the path to liberation and Eros. War is always as rational as its cause and the party „Die Linke“ knows that very well. They are not even militant pacifists. In the past, their members did rarely hesitate to support guerillas in South-America or wave the red flag with the portrait of Che Guevara. The liberal guerillas in South America were successful where they were fighting proto-fascist dictatorships that were far too often supported by the anti-communist USA and rigthwing Europe. They failed where they favoured a utopian socialism, maoism and barbary. (cf. Augustin Souchy) In the end, even the giant „Sendero Luminoso“ was forced into disarmament – though the methods of the counter-guerillas were barely less brutal than those of the sectarian „Shining Path Movement“ that even kept indigenes of the Ashaninka as slaves. (ref. Michael F. Brown/Eduardo Fernandez) Just in the case of Cuba a liberal guerilla managed to transmutate into a long lasting and encrusted dictatorship – that is still supported by the youth of the party „Die Linke“. In Nicaragua, the liberal guerilla-party of the sandinistas mutated into authoritarian and irrational policies against minorities like the english speaking Miskito, who joined the Contras for some reason.

The party „Die Linke“ is a peace party as much as a warring party. While it cites a tradition of failed warfare it fails to bear in mind the tradition of successful warfare that lead to peace and democracy (mainly in Europe and Japan) and the tradition of failed peace-fare – in Somalia, Ruanda, Congo, Sudan. It does not provide any convincing strategy on how the Taliban could be prevented from regaining power in Afghanistan after a withdrawal of troops nor does it talk about the possibility of a civil war between the competing tribes. Anyone who studies the history of guerilla warfare knows the deficits of the American strategy in Iraq and Afghanistan – the failure to ensure safety after ousting Saddam Hussein was a war-crime, true. This warcrime was perpetrated not the least through the retreat of spanish forces after the bombings in Madrid that motivated terrorists to continue with their bloody strategy of suicide bombing.

One could argue, that the war of islamists is also deeply rational as long as it is founded on the bugbear of a west that seeks to eradicate Islam and kill all muslim population. If this would be true: Anyone should attend such a war against a superpower who wants to kill off  millions. But it just is not true while those creating this phantom are indeed threatening to kill off millions. It is all about seperating those erring from those who want to err. The leftiest propaganda overlaps with islamist propaganda in many issues. Both imagine a  perfect planning, conspiring superpower with all its destructive potential – maybe the same destruction that they feel tempted to bring over their enemies if they imagine the possession of this superior firepower.