„Nothing is more powerful than an idea whose time has come.“ Mit ihren einleitenden Worten offenbart die Kampagne „Kony 2012“ ihren Reflexionsausfall, der sich durch das gesamte Video zieht. Die Kritische Theorie entstand in dem Bewusstsein, dass Philosophie sich am Leben erhält, weil „der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward.“ Aber nicht einmal Philosophie ist es, auf die sich die Kampagne beruft, sondern die Idee, Schwundstufe des durchreflektierten Gedankens. Als „gute“ Idee bewirbt sie sich primär durch die massenhafte Zustimmung. Joseph Kony wird, und das ja sehr zu recht, als „Bad Guy“ markiert, dessen hauptsächliches Charakteristikum ist, von allen verabscheut zu werden: „He is not fighting for any cause but only to maintain his power. He’s not supported by anyone.“ Der International Criminal Court führt ihn als Nr. 1 auf ihrer Liste gesuchter Verbrecher.
Die fortschreitende Berufung auf eine internationale Konsensualität wirbt diese als rational ein. Eine solche Konsensualität stellt sich bislang derart mehrheitlich nur gegen Israel ein: Allein im Jahr 2011 hat die UN Israel 124-mal in „Human Rights Actions“ verurteilte, vor allem in „Resolutions“: Das ist zweimal so viel wie im Falle der Nummer 2, Sudan. Deutschland, das wie jedes Jahr Hauptverantwortlicher für tausende tote Flüchtlinge an den Außengrenzen und in der EU ist, erhielt eine einzige Aktion („Report“). Ghana, in dem 2011 staatliche Kampagnen gegen Homosexuelle von der Entwicklungshilfe gezahlt wurden, in dem Hexenjagden eine alltägliche Erscheinung sind, in dem 2011 ethnische Konflikte zwischen Konkomba und Fulani aufflammten, wird ebenfalls nur ein einziges Mal wegen Missständen im Gesundheitssektor besucht („Visit“). Nun hat Israel ein paar mehr und mächtigere Freunde als Kony und die UNO ist nicht der ICC. Die Legitimationsweise der Kampagne betrifft das nicht.
Die Kony 2012 Kampagne macht sich ebenfalls suspekt durch unkritische Idolisierungen der reaktionären Mutter Teresa, die ihren Patienten Schmerzmittel untersagte, weil Leiden und Erlösung eins seien und des Mahatma Ghandi, der den Juden 1938 friedlichen Widerstand anempfahl. In einer „künstlerischen Aktion“ werden ihre Porträts als Graffitti auf ein Garagentor gesprüht. Die nächste Szene zeigt dann einen „Kony 2012“-Anführer mit Megaphon und Kufiya, dem „Palästinensertuch“ um den Hals. Untertitel: „And we got loud!“ [14:59]
Gegen Kony, aber für Fatah und Hamas, für deren Politik das karierte Tuch in der Szene steht? Was über Kony gesagt wird, könnte ebensogut für Arafat gelten: „An he’s repeatedly used peacetalks to rearm and murder again and again.“ Kony entführte an die 30.000 Kinder für seinen Krieg. Die Zahlen der palästinensischen Terrororganisationen sind nicht bekannt, sie zielen allerdings auf sehr viel mehr Kinder ab mit ihren Propagandafilmen und Trainingsprogrammen. Hier exerzieren Kinder schon im Alter von 5 Jahren mit Maschinenpistolen, schwören Bereitschaft, ihr Leben zu geben um Juden zu töten, werden in Selbstmordattentate geschickt. Das hält Kony-2012-Aktivisten nicht davon ab, die Kafiya mit ihrer eindeutigen Aussage zu tragen.
Ein weiterer Aspekt der Kony 2012-Kampagne: Sie ist primär Werbung für Medientechnologie. Der medienwissenschaftliche Diskurs bedankt sich bereits bei Kony 2012 für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Der Schlüssel zur Hilfe in Echtzeit sei Awareness in Echtzeit. Und für die werden permanent I-Phones in die Kamera gehalten. Suggeriert wird aufrichtige Zeugenschaft durch Medien: „I can’t believe that. This has been going on for years? If that happened one night in America it would be on the cover of Newsweek.“
Stereotyp ist dieses Vorschützen von Unwissen über afrikanische Zustände: „I can’t believe that!“ Das „Nicht-gewusst-haben“ ist festes Instrumentarium einer vorsätzlich desinformierten Gesellschaft. Äußerste Naivität spricht aus der Passage, das Vertrauen in dieselbe Newsweek, die vermutlich schon Dutzende von Artikeln über Kony brachte, die man aber nicht lesen wollte, solange in den USA das Somalia-Trauma noch nachwirkte, das dann vom Ruanda-Trauma abgelöst wurde, dem wiederum der 9/11-Schock folgte. Nun auf einmal, während den Umbrüchen in der arabischen Welt, während die Darfur-Kampagne Clooneys kaum Wirkung zeigt, während Israel mit dem Rücken zur Wand steht, entdeckt Kony 2012 einen einzigen Bösen und verspricht ihn mittels Facebook und kostenlosen „Action-Kits“ zur Strecke zu bringen.
Diese Naivität und geschichtslose Reflexionslosigkeit ist es, die Kony 2012 so ambivalent macht. „We change the course of human history“ – das könnte man als guten Marxismus interpretieren, wäre da nicht der propagandistische Ton: „I’m going to tell you exactly how we’re going to do this.“ „We will fight war“. „This is what the world should be like.“ In einer von allen ökonomischen und politischen Widersprüchen gereinigten utopischen Wendung wird das ganze System als Dreiecks-Graphik auf den Kopf gestellt und Menschen bestimmen das Geld – nachdem sie noch schnell ihr I-Phone gekauft haben, versteht sich. Und dann ist da noch jener George Clooney, der es gönnerisch für „fair“ erklärt, dass Kony die gleiche Popularität wie er selbst erhält. Wenn Kony gefasst wird, wird die Kampagne diesen Sieg für sich reklamieren und damit Werbung machen: Für Facebook, Apple und George Clooney. Geleugnet werden so die zähen Verhandlungen zwischen afrikanischen Akteuren, deren freiwillige Arbeit mit Flüchtlingen, die Widersprüche der afrikanischen Gesellschaften, die Kony hervorbrachten und die eben nicht aufgehen in einem bloßen Informationsdefizit der westlichen Gesellschaft.
Die LRA konnte nicht bestehen ohne Waffenlieferungen aus dem Sudan. Sie hatte eine morbide Funktion in einem Konflikt, der weitaus größer war und ist, als sich die USA und Europa je eingestehen wollten. Der Millionen Tote schwere „Weltkrieg Afrikas“, wie Prunier ihn taufte, involvierte unterschiedlichste Parteien in der DRC, Ruanda, Uganda, Sudan, die Zentralafrikanische Republik, Angola, Namibia, Simbabwe und einige temporäre Parteien. Hier auf die LRA und diese auf eine Person zu reduzieren und davon auszugehen, dass mit dessen Verhaftung die Knochenmühle in der „Region“ nennenswert zu verlangsamen wäre, ist reduktionistisch und könnte tatsächlich jenen Initiativen schaden, die wenigstens versuchen, ein differenzierteres Bild des Konflikts zu entfalten, der wesentlich teurere, langwierigere und unpopulärere Maßnahmen erfordert als das Like gegen einen Bad-Guy.
Es ist nicht die Wahl Konys, der, hier ist der Kampagne völlig zuzustimmen, mit militärischen Mitteln und auch mit Hilfe der USA verhaftet oder getötet werden hätte können, werden muss und hoffentlich 2012 werden wird. Es ist die Art und Weise, wie diese Wahl stattfand und präsentiert wird, die zur Frage führt: Wer ist der nächste?
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Wer tatsächlich Informationen über den Konflikt im Zentrum Afrikas sucht, sei auf Gerard Pruniers Standardwerk „Africa’s World War“ verwiesen. Zur LRA liefert Heike Behrends ethnographische Studie „Alice und die Geister. Krieg im Norden Ugandas“ exzellentes Material.
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Die Vermutung, dass Israel der nächste ist, der von Hobby Menschenrechtlern auf Schärfste kritisiert wird, hat sich leider schon bestätigt.
Hier wird von einem Apartheid Israel gesprochen, das die USA kontrolliert und einen Angriffskrieg gegen Iran führen will, um vor Allem Kinder zu töten. Traurig und erschreckend.
Um das auch nochmal zu verstärken: Wer auch vor 8 Jahren nach Uganda ging und NICHTS von der LRA wusste noch von Kindersoldaten noch von Ugandas Involvierung in den Weltkrieg im Kongo – wer also so naivisiert überrascht dahertut, will seine eigene Desinformation kompensieren und entschuldigen. Die LRA ist ein in allen Zeitungen regelmäßig besprochenes Phänomen, in den 1990-ern las ich als Teenager das erste Mal darüber. Wer irgend dahin ging und auch nur die Wikipedia-Seite „Uganda“ sich vorher durchgelesen hat, musste an erster Stelle auf diesen Konflikt stoßen, von Reisewarnungen ganz zu schweigen.
Mit dieser Naivisierung soll nur das politisch desinteressierte Subjekt entschuldigt werden. Es geht in diesem Kind auf, dem Kony in drei Sätzen „erklärt“ wird.
„Kony-2012“-Macher nackt und verwirrt am Straßenrand
http://www.stern.de/politik/ausland/zusammenbruch-von-jason-russell-kony-2012-macher-nackt-und-verwirrt-am-strassenrand-1801421.html
Ohjeh, der Arme. Das kann ich mir vorstellen, dass das einiges durcheinanderbringt. Man meint es gut, Millionen hängen sich dran, und dann kommt harsche Kritik. In Uganda wurde wohl eine Aufführung des Clips abgebrochen, weil ehemalige Kindersoldaten randalierten, er würde ihr Leid ausnutzen und vermarkten.
Welche Möglichkeit gibt es denn die von dir erwähnte Studie von Heike Behrend zu lesen? Bei Amazon gibt es sie (nicht) mehr und die hiesige Bibliothek führt sie auch nicht.
Per Fernleihe, jede bessere Uni-Bib hat das Buch, die englische Übersetzung müsste käuflich erhältlich sein, gebraucht gibt es das deutsche sicher noch irgendwo. Wenn es dringend ist, kann man auch Autoren oder Verlage anschreiben, die lagern meistens noch ein paar Exemplare aus diversen Gründen. Viel Erfolg!
FR
and now for something completely different: abgesehen davon, dass der satz schief ist, heisst es nicht, die philosophie hielte sich am leben, obwohl der moment ihrer verwirklichung versaeumt ward? as in „je unmoeglicher der sack voll floehe, desto verzweifelter gilt es sich zu kratzen?“ (horki the pooh)
mag jetzt zwar wie haarspalterei scheinen, jedoch, das „weil“ klingt, als haette jemand der gruppe47 empfohlen sich wegen auschwitz zu gruenden, und nicht was fuer die poesie (die gesamte kunst im uebrigen in marcuses feindanalysen) gaelte auch aufs eigene denken bezogen.
Das Zitat kursiert sicherlich in mehreren Versionen, Adorno machte da gern mal einen Schwank. Gemeint ist sinngemäß immer „weil“. Der Kontext meint das Theorie-Praxis-Problem, wenn ich mich nicht zu sehr täusche.
Da war tatsächlich noch ein Wort zuviel. Danke dafür.
ach ich rindvieh. hat sich wohl vor jahren als interessiertes missverstaendnis ins gedaechtnis gebannt, selbst wenn jenes auf aehnliches zielen wollte. das „weil“ schielt ja noch deutlicher aufs „kuemmt“. sry for the inconvenience. und das off topic.
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