Schuld und Vorhaut

 Der folgende Artikel bildet den vorläufigen Abschluss einer Trilogie. Die Beschneidungsdebatte, die keine ist, verläuft entlang tiefenpsychologischer Verwerfungslinien. In zwei weiteren Beiträgen (1, 2) problematisierte ich die Sexualneiddimension: Sobald der Vorhaut ein Wert zugesprochen wird, werden zwangsläufig bisherige Kompensationsformen der Differenz in Frage gestellt. Verdrängter Neid und Kastrationsangst beherrschen dann die Abneigung gegen die jeweils andere Position.

Die zweite Ebene ist die einer allgemeinen analen Abwehr der Vorhaut als Zeichen zu intensiver Körperlichkeit: Sie stinke, sehe hässlich aus, sei wertlos, überflüssig, ein Irrtum der Evolution, befördere Krankheiten und in den puritanischen Ländern symbolisiert sie die Onanie. Für die symbolische Aufladung der Vorhaut und der Beschneidung gibt es zwei mediale Beispiele.

Ein populärer Film über Katharina die Große stellt der edlen Schönheit Katharina einen infantilen, perversen, hässlichen Peter gegenüber, der wegen seiner Phimose kein Kind mit der Zarin zeugen könne. Die wird aber von ihrem Liebhaber schwanger. Es muss also schleunigst ein Akt mit dem Zar Peter stattfinden, damit man ihm das Kind unterschieben kann. Man macht ihn betrunken und beschneidet ihn, in der nächsten Szene lässt er sich dann endlich verführen. Die Vorhaut symbolisiert hier das Elend eines ganzen Reiches, ihre Beseitigung bereitet die Beseitigung des Zaren vor und damit die „Befreiung“ Russlands.

Der Film trägt jenseits dieser symbolischen Dimension zum populären Irrtum bei, eine Beschneidung sei ein winziger Eingriff, den man im Zustand durchschnittlicher Trunkenheit kaum bemerke und dem am nächsten Tag Sex folgen könne: Der Film-Schnitt legt zumindest diese Abfolge nahe.

Ein weiterer Film, in dem die Beschneidung verharmlost wird, ist „Robin Hood – Helden in Strumpfhosen“. Wir sehen eine satirische Gestalt eines missionierenden Juden, der Beschneidungen mit dem Werbeträger verkauft, die Frauen seien ganz wild drauf. Er führt eine Art Guilliotine vor, mit der es in Sekundenbruchteilen vonstatten gehe und danach solle man ein bisschen Wasser drauftun. Der Film ist natürlich nicht ernstzunehmen, dürfte aber durchaus das verzerrte Bild einer Beschneidung von Millionen darstellen: Kurzer Schnitt mit einer Art Guilliotine und kaum Schmerzen.

Tatsächlich werden die wenigsten Menschen außerhalb eines abgehärteten medizinischen Personals Filmaufnahmen einer Beschneidung ertragen können, ohne Phantomschmerzen am eigenen Genital und Übelkeit zu verspüren. Man schneidet sorgfältig einmal senkrecht bis zum Eichelrand und von da mit einer kleinen Operationsschere oder einem Skalpell direkt am Rand zwischen Eichel und Vorhaut entlang. Danach wird alles mit einem selbstzersetzenden Faden vernäht. Der Rand muss genau getroffen werden, da die Oberhaut auch mal verziehen kann und dann zuviel Haut fehlen würde. Bei Erwachsenen dauert die Wundheilung leicht vier Wochen, die Narbenbildung und Veränderung der Eichelhaut erheblich länger und bis zu Jahre später können noch Veränderungen auftreten: vor allem das Abschuppen der verhornenden Eichelhaut, brüchige Hautübergänge zwischen Narbe und Eichel aber auch klassische Narbenschmerzen, Missempfindungen am nunmehr offen liegenden unbefeuchteten Übergang von Harnröhre zur Eichel. Wer die in Lokalanästhesie vorgenommene Operation bewusst mitansieht, kann auch einen reaktualisierten Kastrationskomplex und eine temporäre, tiefenpsychologisch begründete erektile Dysfunktion erleiden. Alle Symptome lassen sich relativ gut nachbehandeln, werden aber von Ärzten selten als Nebenwirkung erwähnt oder nachuntersucht. Verabreicht wird in der Regel eine Lanolincreme, um die Hautveränderung zu erleichtern. Keloide kommen vor. Bei der klassischen Hand-Masturbation kommt es insbesondere in der Frühphase der Narbenbildung durch den stärkeren Zug am Gewebe leichter zum Aufreiben des Narbengewebes und auch nach vollständiger Heilung ist die Penishaut aufgrund des wegfallenden Spielraums zugempfindlich. Wer als Kind beschnitten wurde, hat in der Regel bereits vollständig angepasste Masturbationstechniken entwickelt und natürlich gibt es Kompensierungsmöglichkeiten wie die Anwendung von Hautcremes oder Gleitgels.

Die allgemeine Verharmlosung der Beschneidung war bis vor wenigen Wochen noch so dominant, dass Beschneidungsgegner, sogenannte Intaktivisten, als obskure Sekte mit einem massiven Kastrationskomplex verlacht wurden, die aus einer Mücke einen Elefanten machen. Es gab Studien, die eine (durchaus mögliche) narzisstische Besetzung der Vorhaut in toto pathologisierten und die Akzeptanz der Beschneidung zum Beweis einer gesunden Psyche nahmen.

Wenn in wenigen Wochen ein Gesetz verabschiedet sein wird, das Beschneidungen unter bestimmten Maßgaben legalisiert, geschieht das mit dem Argument „jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland zu ermöglichen“. Diese Formulierung ist bezeichnend. Eine religiöse Praxis wird mit „Leben“ in eins gesetzt, darauf zu verzichten würde den Tod bedeuten. Nicht nachgewiesen ist, wie das Leben von Juden und Muslimen sowohl von der Religion wie auch von der Beschneidung und wie Religion von der Beschneidung zwangsläufig und auf ewig abhängen sollen.

Schreckensszenarien werden entworfen: Die fraglichen Gruppen könnten nach Polen (!) oder in noch barbarischere Regionen gehen und dort in unsauberen Hinterhofkliniken ihre Beschneidung vornehmen lassen. Das deutsche Medizinsystem war noch nie in der europaweiten Bestenliste, auf einmal gehören polnische Krankenhäuser, in denen sich  Deutsche ganz gern mal die Zähne oder die Brüste „machen“ lassen, zum medizintechnologischen „Anderen“. Wahrscheinlich wissen Menschen, die solche Ängste vor polnischen Krankenhäusern schüren, nicht, dass rituelle Beschneidungen bei Muslimen recht häufig in der Türkei durch traditionelle Beschneider vorgenommen werden (ein Grund, die Verwandten zu besuchen und manchmal kommen ein paar Dutzend oder Hundert Knaben hintereinander in einem rauschenden Fest dran), oder in Deutschland auch auf dem Küchentisch. Gering dürfte die Zahl der Ärzte sein, die in Deutschland überhaupt noch eigene Operationserfahrungen mit Beschneidungen haben, von Routine ganz zu schweigen. Daran wird auch eine entsprechende „Aufsichts“-Regelung der Bundesregierung nichts ändern, weshalb die Zeit bis zur Gesetzgebung die einzige Gelegenheit bietet, über Beschneidungen aufzuklären und so tatsächlich diese Zustände zu problematisieren.

Bei der Aufklärung stößt man allerdings auf ein tiefenpsychologisches Problem, das sehr viel schwerer fassbar ist, als die bislang angesprochenen Abwehrmechanismen: der Schuldkomplex.

Schuldgefühle löst die Beschneidungsdiskussion auf drei Ebenen aus.

1. Die individuelle Ebene. Eltern haben gegenüber ihren Kindern Schuldgefühle, müssen diese abwehren und sich vergewissern, dass die konkrete Beschneidung ein harmloser Akt war. Die Kinder wiederum haben Angst, ihre Eltern bezichtigen zu müssen und nehmen sie aus Konfliktvermeidung vorauseilend in Schutz. Resultat ist in beiden Fällen die Verharmlosung der Beschneidung, das Verdrängen von negativen Folgen und das Überidealisieren von positiven Folgen.

2. Die historische Ebene: Da Beschneidungen kollektivbildende Akte sind, bedeutet ihre Kritik auch Kritik am Kollektiv, dem aktuellen wie dem historisch sich reproduzierenden. Zu sagen, dass die Beschneidung heute überflüssig, falsch und Genitalverstümmelung ist, bedeutet die Aussage, dass alle Eltern der Geschichte, die diesen Akt vollzogen haben, mindestens im Irrtum und schlimmstenfalls „böse“ Menschen waren. Es ist übrigens fraglich, ob unter historischen Bedingungen eine Beschneidung je präventiven Charakter vor allem bezüglich der Phimose haben konnte. Aus dem Pentateuch ist das Wundfieber als Folge der Beschneidungen überliefert und es wird als Grund angeführt, dass Moses ihr aus dem Weg zu gehen suchte.

Unabhängig davon müssen diese beiden Ebenen in den jeweiligen Konstellationen gelöst werden: In der Familie und im religiösen/säkularen Kollektiv. Wirklich gravierend erscheint mir die für den jüdischen Ritus spezifische dritte Ebene:

3. Die antisemitische Ebene. Wenn, wie Freud nahelegte, die Imaginierung der Beschneidung beim Antisemiten Kastrationsängste auslöst und diese den Kern seines Antisemitismus ausmachen, so war es bislang bequem, zu sagen, dass die Beschneidung ja in Wirklichkeit harmlos ist und der Antisemit schlichtweg irrt über die Beschneidung.

Auf der gleichen Ebene wurden noch die Argumente der Intaktivisten als pathische Projektionen in den Wind geschlagen. Wenn nun die Beschneidung als Akt der Genitalverstümmelung anerkannt wird, erhalten nicht nur die Intaktivisten Recht, sondern auf einer subdiskursiven, unbewussten symbolischen Ebene auch die Antisemiten und deren historische Verbrechen.

Die Beschneidung als Akt der Genitalverstümmelung anzuerkennen bedeutet dann die unbewusste Assoziation der antisemitischen Gewaltakte mit einer Bestrafung für dieses Verhalten. Die Abwehr der Beschneidungsdebatte ist demgemäß die Abwehr der illegitimen Rationalisierung des Antisemitismus an der Beschneidung, letztlich des Antisemitismus selbst und nicht bloß das Eintreten für die Religionsfreiheit oder für ein theologisches, literalistisches Konstrukt des Bundes.

Träfe diese verkürzte und in Reinform schwer nachweisbare Deutung zu, würde sie eine kaum erträgliche Spannung zwischen Bestrafungsphantasie, abgewehrte Identifikation mit dem Aggressor, Kastrationsangst, Schuldvorwurf an die Eltern und Infragestellung des positiven kollektiven Selbstbildes diagnostizieren, die in Verdrängung und Verfolgungsangst münden kann. Die wütenden Ineinssetzungen von Nazismus und Beschneidungsverbot sprechen für die Existenz einer solchen tiefenpsychologischen Problemlage. Der offensichtliche Unterschied, dass der Nazismus nie das Recht des Individuums gegen das Kollektiv vertreten hat, dass also ein individualistisch begründetes Beschneidungsverbot nicht nur dem Kollektivrecht der Religionen sondern auch der suprematistischen Kollektivideologie des Nazismus diametral entgegensteht, wird ausgeblendet. Anstelle theologischer Diskussionen um die (Un-)Möglichkeit der Abschaffung der Beschneidung unter Erhaltung des religiösen Kollektivs tritt eine dualistische Radikalopposition, in der es nur Beschneidungsrecht oder den „Tod“ des jüdischen/muslimischen „Lebens“ zu geben scheint.

Die strukturell antisemitische, aber staatsantifaschistische Mehrheit im Bundestag kann ihrerseits die Drohung nicht aushalten, hier mit der konsequenten Abwertung eines spezifischen jüdischen und muslimischen Rituals dem ganzen in sich selbst tabuierten, aber nie abgeschafften Antisemitismus und Rassismus ein Einfallstor zu schaffen. Die Gesetzesinitiative antizipiert in der Formulierung vom „jüdischen und muslimischen Leben“ den Dammbruch des eigenen Ressentiments und den Umschlag von mühsam aufrechterhaltenem, begriffslosem Staatsantirassismus (dem die Realpolitik ohnehin Hohn spricht) in vernichtenden Antisemitismus. Weil man zu viele der vielfältigen Morphen des Antisemitismus in sich trägt, darf es keinen Makel am Judentum geben, an dem dieser in den deutschen Menschen auf der Lauer liegende Antisemitismus wieder Kraft gewinnen könnte. Die vermeintliche Toleranz ist mühsam durch Idealisierung verdrängtes Ressentiment, für die ernsthafte Bearbeitung von medizinischen, rechtlichen und theologischen Problemlagen bleibt kein Raum.

Wenn der Antisemitismus in dieser Debatte seine Kastrationsphantasien an der Beschneidung rationalisiert, so bedeutet doch die Anerkennung der Beschneidung als Kastration nicht die Legitimation der antisemitischen Kastrationsängste. Die Psychoanalyse des Antisemitismus weist keinen Irrtum über die Juden nach: Der Antisemitismus ist die „gewusste Lüge“, er geht gesellschafltichen Konflikten aus dem Weg und anstatt dort die Kastration zu riskieren, identifiziert er sich mit dem, was ihm als Individuum feindlich ist, dem nationalen oder antinationalen Kollektiv, und projiziert das von diesem als Negatives, Kastrierendes Erfahrene auf „die Juden“. Mit der Beschneidung hat das historisch wenig zu tun, auch wenn sie hin und wieder als Projektionsfläche aufscheint. Gemeinhin bekannt ist, dass der Antisemitismus sich sein Bild vom Juden aus sich selbst heraus schafft. Ein Beschneidungsverbot wird er ebenso inkorporieren wie die Legalisierung – und umgekehrt wird kein Antisemit durch ein Beschneidungsverbot oder eine Legalisierung von seinem Antisemitismus geheilt werden.

Mit der gleichen Begründung lässt sich auch die reaktualisierte Vermutung widerlegen, die Ritualmordlegenden seien an dem wohl ausgestorbenen Ritual entstanden, in dem der Mohel die Beschneidungswunde aussaugte um die Wundreinigung zu fördern und Blutungen zu stillen. Dann wären historisch entsprechende negative Berichte über konkrete Beschneidungsrituale häufiger. Auch in den antiken Antisemitismen findet sich die Beschneidung nur selten als Ideologem gegen das Judentum und wenn, ist es einer Reihe von anderen Ressentiments untergeordnet und tritt als Akzidentielles hinzu. Die europäischen Ritualmordlegenden erwähnen die Beschneidung nicht als verwerfliches Verhalten – dafür aber die Hostienschändung, die Hexensynagoge, den Hexensabbath und die Blut-Geldmagie.

Freud bietet eine zweite, weitaus schlüssigere Deutung des Antisemitismus an: Die von Antisemiten als „schlecht getauften Christen“, die das Negative und die unausgehaltene Widersprüchliche des unbegriffenen, weil unbegreiflichen Christentums auf das Judentum projizieren, allen voran dem christologisch notwendigem Gottesmord und dem magischen, virtuellen Kannibalismus der Eucharistie (projiziert als Hostienschändung und Ritualmord). Daher kam es zu Kreuzzugspogromen und Karfreitagspogromen, Pogrome in Folge von jüdischen oder islamischen Beschneidungsfesten sind jedoch nicht bekannt. Mit dem Hinzutreten des islamischen Antisemitismus wird die Beschneidungsthese Freuds noch unwahrscheinlicher, seine Taufthese ließe sich allerdings problemlos auf den Islam übertragen.

Während also die Freud’sche These zweifelhaft ist, dass der Antisemit seinen zweifellos gegebenen Kastrationskomplex an der Beschneidung bildet (wohingegen nachgewiesen werden kann, dass er ihn daran gelegentlich auflädt), besteht die wahrscheinliche Möglichkeit, dass für jüdische Individuen durchaus eine Abwertung der Beschneidung intrapsychisch Selbsthass und unbewusste Identifikation mit den Antisemiten auslöst, die wiederum abgewehrt werden muss.

Dahingehend ist den Beschneidungsgegnern anzuraten, angesichts der Drastik der hier formulierten Spannung ein Verständnis für diese Überreaktion einzuüben, auch wenn es schwer auszuhalten sein mag, sich nun selbst als Antisemit bezeichnet zu sehen. Weil man den modernen Antisemiten die Klage darüber, zu Unrecht als Antisemit diffamiert worden zu sein, leicht als Verdrängung nachweisen kann und die analytischen Begriffe zur Bestimmung des spezifischen Antisemitismus‘ parat hat, ist es nun umso bedeutender, sich nun selbst nicht analog idiosynkratisch zu verhalten, sondern diesen Verdacht und Vorwurf ernst zu nehmen, zu reflektieren, zu kontextualisieren und die zugrunde liegenden, möglichen Verdrängungsmechanismen ins Bewusstsein zu überführen. In keinem Fall wäre aber dem überkommenen Anspruch der Religionen, nach Belieben mit den Körpern ihrer Kinder zu verfahren, nachzugeben. Das religiöse und noch so orthodoxe Judentum gegen jeden Antisemitismus zu verteidigen ist der kategorische Imperativ. Er bedeutet nicht, eine Religion, und sei es die jüdische, vor zwangsläufigen Konflikten mit dem Realitätsprinzip zu bewahren.

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Die gesamte Trilogie zur Beschneidung auf Nichtidentisches ist über folgende Links abrufbar:

Ein Beitrag zur Beschneidungsdebatte

„Die latente Unehrlichkeit ihres positiven Israel-Knacks“ – Eine Diskussion der Gegner der Gegner der Beschneidung

Schuld und Vorhaut

34 thoughts on “Schuld und Vorhaut

  1. Ich habe leider nichts beizutragen, möchte mich aber für alle drei Texte bedanken, inklusive der mühsamen Arbeit mit und am eigenen Denken, die diese illustrieren. Dafür ein emphatisches: Respekt.

  2. Original von hm? Es war üblich, Kinder noch nicht als Personen in diesem Sinne zu betrachten. Meiner Meinung nach müsste es also möglich sein, die Beschneidung als freie Entscheidung des Betroffenen beim Erreichen der Volljährigkeit vorzunehmen. Dies hätte weiter den Vorteil, dass sich die bei der Beschneidung Beteiligten nicht der Körperverletzung strafbar machen würden, eine rechtliche Interpretation, welche ich mir bei Kindsbeschneidungen durchaus vorstellen könnte. dieser meinung bin ich auch. schliesslich ist das ein recht krasser eingriff in die intimsphäre. beide geschlechter sollen also bei volljährigkeit selber entscheiden können, auch wenn ich nicht beides als gleich schlimm betrachte. es gibt durchaus beschnittene männer (s. habibi), die ihre beschneidung als vorteil sehen und somit befürworten. ich habe jedoch noch nie von einer frau gehört, die ihre beschneidung als positiv empfand. darum mache ich da schon einen unterschied.

    • Sehr durchwachsen der Artikel, auch widerspricht er sich, wenn er sagt, wir würden heute auch niemanden mehr steinigen. Natürlich nicht, denn das ist Sache eines Sanhedrins, den es seit der Zerstörung des 2. Tempels nicht mehr gibt. So wird das nix mit den Argumenten. 🙄

  3. Es scheint nun einiges klarer, dank deines dritten artikel.
    Die individuelle Ebene scheint mir noch um viele Variationen ausdifferenzierbar zu sein. Es sind zum Beispiel nicht alle Eltern, die Beschneidung verharmlosen, selbst beschnitten oder haben beschneiden lassen.
    Vielleicht ist auch denkbar, dass Eltern sich schuldig fühlen, aufgrund der (wie auch immer gelebten) Gewaltbeziehung zu ihrem Kind und hadern deshalb damit, einem im (jüdischen) Kollektiv abgesicherten Ritual diese Schuld zu zuweisen.
    Also die „konkrete Beschneidung “ ist harmlos zu dem, was sich sonst in Eltern-Kind-(Psycho)Dynamiken abspielt. Wahrscheinlich hast du diesen Punkt in deiner Überlegung mit eingeschlossen, fällt mir gerade auf.
    Interessant finde, dass sich die Ebenen miteinander vermischen, das bereitet mir echt Knoten im Kopf.

  4. Eine Nachfrage nur, wo du schreibst „…so bedeutet doch die Anerkennung der Beschneidung als Kastration nicht zwangsläufig die Legitimation der antisemitischen Kastrationsängste.“ Ist das so gemeint, dass du Beschneidung als Kastration bezeichnen würdest, oder ist das nur irgendwie konjuktivistisch gemeint und ich lese das falsch?

  5. „In einem psychoanalytischen Sinn ist das Kastration, ebenso wie das gewaltsame Entfernen eines jeden Körperteils.“

    Herrlich. Ist eigentlich Haareschneiden „im psychoanalytischen Sinne“ eine Enthauptung?

    Ich frag mich bei diesem psychoanalytischen Geschwätz ja immer, warum nicht mal eine_r ruft: „Er hat ja gar nichts an!“ Ich meine, wie viele Jungen und Männer hatten jemals tatsächlich Angst, der Vater könnte sie kastrieren? Also ohne sich das psychoanalytisch eingeredet zu haben und ohne den Begriff „Kastrationsangst“ auf alle möglichen Ängste zu übertragen? Oder Mädchen, die tatsächlich Penisneid empfinden? Ich kenne jedenfalls keine_n einzige_n. Ok, anekdotische Evidenz. Wobei der Psychoanalyse wohl eher die Evidenz ein Gräuel wäre als deren anekdotischer Charakter…

    Kein Wunder, dass diese Pseudowissenschaft bei antideutschen Ideologen hoch im Kurs steht. Damit kann man so wunderbar befreit von Logik und Empirie sich der Kunst der freien Assoziation hingeben und andere Leute pathologisieren, ohne sich die Mühe machen zu müssen, sie erst noch zu widerlegen.

    Jaja, das war jetzt „ressentimentgeladen“ und ohne großen Bezug zum eigentlichen Thema. Dummerweise entzieht sich psychoanalytisches Geschwurbel halt nach Kräften einer rationalen Kritik. Aber zumindest noch ein konkreter Punkt:

    „Die Gesetzesinitiative antizipiert in der Formulierung vom “jüdischen und muslimischen Leben” den Dammbruch des eigenen Ressentiments und den Umschlag von mühsam aufrechterhaltenem, begriffslosem Staatsantirassismus (dem die Realpolitik ohnehin Hohn spricht) in vernichtenden Antisemitismus.“

    Der wohl abgedrehteste Satz dieses ganzen, ohnehin über weite Strecken irren Textes. Die genannte Formulierung greift bekanntlich einen Satz von Graumann auf. Dabei geht es nicht darum, dass mit einem Beschneidungsverbot jüdisches LEBEN in Deutschland nicht mehr möglich wäre, sondern JÜDISCHES Leben. Natürlich bedroht ein Beschneidungsverbot nicht das physische Leben irgendeines Juden oder einer Jüdin, aber ALS Jude bzw. Jüdin hier zu leben würde unmöglich.

    Die Jungenbeschneidung im Säuglingsalter wird von den allermeisten Jüdinnen und Juden als essentiell für das Judentum betrachtet. Das ist eine Tatsache, die man zumindest mal realisieren könnte. Und daran ändert weder eine kleine Minderheit jüdischer Beschneidungsgegner_innen noch die Möglichkeit einer zukünftigen Entwicklung in eine andere Richtung etwas. Vielleicht kommt der innerjüdische Diskussionsprozess irgendwann dahin, Praxis und Bedeutung der Beschneidung zu modifizieren. Vielleicht. Aber hier und heute ist eine Haltung wie „Juden ja, Beschneidung nein“ eine contradictio in adjecto, und geradezu unverschämt ignorant.

    • Geradezu unverschämt ignorant kann es halt ebenso scheinen, die Risiken, die Operationen stets haben, stellvertretend für andere inkaufzunehmen, obwohl der Eingriff medizinisch nicht sinnvoll ist.

      Ein Verbot ist da allerdings auch nicht hilfreich. Die Debatte ist halt notwendig. Dass das die Leute aber „nur unter sich“ klären können sollen, hat schon was von Rassismus. Auf jeden Fall ist es Quatsch.

    • „Oder Mädchen, die tatsächlich Penisneid empfinden? Ich kenne jedenfalls keine_n einzige_n. Ok, anekdotische Evidenz. “

      Gähn!

      Beobachten Sie einmal kleine Kinder, wenn diese feststellen, dass ein anderes Kind etwas hat und sie dies nicht haben: Lolli, Spielzeug etc. Egal was es ist: Will Haben! Will Haben! Kinder nehmen so ziemlich alles zum Anlaß für Neid, auch den Penis.

      • Das meint aber Penisneid nicht. Penisneid ist ein weitaus gravierender Komplex, der weibliche Misogynie wie auch Kinderwunsch ohne Biologismen erklären hilft. Kurz: Das idealtypische Mädchen sieht die Geschlechterdifferenz, fühlt sich bestraft, wirft der Mutter vor, ihr keinen Penis gegeben zu haben, will daher stets etwas von der Mutter (was diese nie erfüllen kann) – Regression gepaart mit Wut, u.U. ödipale Gegenidentifikation mit dem Vater und Wunsch, von diesem/dem Mann einen neuen Penis zu erhalten, oder zumindest ein Kind, das einen Penis trägt, also einen Sohn.

      • Doppel-Gähn

        Herr Riedel

        Penisneid meint genau das. „Er“ hat etwas, was „Ich“ nicht habe. An diesem Punkt ist es nur ein physisches Ding, ganz genau so wie ein anderes Spielzeug-geeignetes Ding. Darauf kann(!) mit einer entsprechenden Form mit Neid reagiert werden. Daraus entsteht die verfeinerte Erkenntnis, dass „Er“ etwas permanentes, körpereigenes hat, was „Ich“ auch unmöglich in gleicher Form haben kann. Darauf kann mit einer modifizierten Form mit Neid reagiert werden, usw. was Sie ja ausbuchstabiert haben. Ödipale Strukturen haben ihr Fundament in ganz einfachen und insb. unhintergehbaren Fakten: Da ist ein Ding bei ihm. Ich habe dieses Ding nicht. Und Penisneid ist im Kern genau das: Neid, dass man ein Ding nicht hat, wobei dieses Ding der männliche Penis ist.

        Diese Verankerung in solchen Fakten macht jeden Angriff wie den von earendil auf entsprechende Theorien logisch unmöglich – natürlich nicht faktisch unmöglich, denn sie fußen ja auf dem Abwehrwunsch gegen gefürchtete Erkenntnisse.

        Jeder Vater und jede Mutter könnte wissen, dass das Konzept des Penisneids nicht zerstörbare empirische Evidenz hat, aus der Erfahrung heraus, dass Kinder tatsächlich ihren Neid auf so ziemlich alles richten, was andere Kinder haben. Es gibt keinen plausiblen Grund für die Annahme, dass dies für den Penis nicht gelten könnte – nur erkenntnisleitendes Interesse. Der Rest sind plausible Folgerungen für mögliche Ausdeutungsmodifizierungen durch das Mädchen.

      • Nein, sie reduzieren den Penisneid auf den Neid an sich. Das ist Unfug und versucht, die kritische Schärfe Freuds zu einem Allgemeinplatz zu verwursten. Der Penisneid ist nicht nur das „ich will auch haben“, gerade dies nicht. Er ist die tiefe Enttäuschung darüber, scheinbar defizitär zu sein, nicht das Objekt Penis, sondern das Objekt „Ich“ ist gefährdet, es handelt sich um den Konflikt zwischen Narzissmus und Realität. Nach Freud ist der Penisneid ein Missverständnis des kleinen Mädchens, das seiner eigenen unsichtbaren Vaginalität noch keinen Wert zuspricht. Dieses Missverständnis aber hat die fatale Sympathie mit dem misogynen Prinzip zur Folge, die Abwertung der Mutter und das Eintreten in die Konkurrenz mit ihr, die aber nicht nur das Objekt „erlangen“ will, sondern vielmehr eine imaginäre Trennung von dem Objekt widerrufen, dahinter zurück schreiten möchte – ein notwendig zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Der Konflikt mit der Realität und günstige Bedingungen zur positiven Besetzung der Vaginalität können den Komplex also aufheben, mitunter zum (fanatischen) Kinderwunsch sublimieren, aber im schädlichen Fall auch verschärfen zur analen Aggression gegen die Mutter oder zur Autoaggression beim Auftreten phallischer Mütterlichkeit. Der Penisneidkomplex nach Freud ist Grundlage für zahlreiche weitere narzisstische oder neurotische Störungen. Das kann von anderen „Neid“situationen nicht gesagt werden – hier sind die Objekte nicht ontologisch, sie haben nicht die „Ich“-Wertigkeit, sie sind nicht in einer Vorzeit abgetrennt worden, sondern aktuell als temporär besetzte Objekte verfügbar und real zu erkämpfen. Der normale Neid kann in Echtzeit zerstören oder aneignen oder sich aufheben unter dem Druck anderer Instanzen. Das kann dem Penisneid nur sehr vermittelt und unter langer Dauer gelingen.

      • „Nein, sie reduzieren den Penisneid auf den Neid an sich.“

        Nö! Ich sage, er ist gleichursprünglich wie der Neid auf den Schaufelradbagger des Spielkameraden. Dass er im Fall des Penis resultierend aus dessen Spezifik, beginnend bei der Eigenschaft als lustverschaffender integraler Teil des Körpers dramatisch andere Verlaufsformen hat: Selbstverständlich – hatte ich aber auch angedeutet. Was bedeutet denn „Geschlechterdifferenz“, wenn Sie vom Wahrnehmen der Geschlechterdifferenz sprechen? Am Anfang bedeutet es eben: Der andere hat ein Objekt, das ich nicht habe (Und umgekehrt). Was sich daran anschließt, war nicht mein Thema. Insofern widersprechen Sie mir garnicht.

      • Hm, so ganz schlau werde ich noch nicht daraus. Meine These: Der Penisneid hat nicht den Penis als Objekt, sondern das Ich.
        Grunberger/Dessuant benennen den oralen Neid interessanter als „gegen“ die Mutter, nicht auf die Mutter. Da würde ich eine vorsichtige Trennung vornehmen, die sich real dann in destruktivem Neid (zerstörung des Objekts – Konservation des narzisstischen Ichs) und konstruktivem Neid (Aneignung des Objekts – Erweiterung des narzisstischen Ichs) wiederfindet.

  6. Ja, was soll ich dazu sagen? Es schwelt, nicht wahr. Vielleicht wäre im empirischen Irrtum am ehesten anzusetzen:

    „Ist eigentlich Haareschneiden “im psychoanalytischen Sinne” eine Enthauptung?“

    http://de.wikipedia.org/wiki/Samson

    Haare als Phallus kennt man auch aus dem chinesischen Raum in schöner Ambivalenz: Zopfzwang und Zopffetisch. http://de.wikipedia.org/wiki/Chinesischer_Zopf

    Wie symptomatisch es war, dass Antisemiten den Juden die Haare schoren. In Ghana wird alten Frauen der Kopf geschoren, weil dies der Sitz ihrer Hexenkraft sei. Das geschorene Haupt ist dann Zeichen der Schande wie auch Zeichen des erfolgten Exorzismus, der Machtberaubung.

    Das ist natürlich nur „anekdotisch“. Weitere 10.999 Anekdoten aus 1001 Therapiesitzungen können sie von Analytiker_Innen erfragen, insbesondere zu Penisneid, Kastrationsneurosen und -phantasien, etc. Es ist ja alles SO überholt.

    Erzählen sie doch unbeschnittenen Juden etwas davon, wie jüdisch oder nichtjüdisch sie sind. Und dann erzählen sie mir vielleicht was neues.

  7. „wie viele Jungen und Männer hatten jemals tatsächlich Angst, der Vater könnte sie kastrieren? “ Wenn sie etwas bewanderter in Geschichte und insbesondere Religionsgeschichte wären, könnten sie sich die Frage selbst beantworten. Man könnte mit Uranos, dem kastrierten Vater beginnen. http://de.wikipedia.org/wiki/Uranos und weiter durch die indigenen Mythologien schweifen und immer wieder auf Kastrationen treffen. Bei den Eunuchen und den Kastratenchören verweilend könnte man weiter zu den modernen Kastrationsorgien schreiten, in denen der KuKluxKlan den Penis der schwarzen Opfer abschnitt, in denen Soldaten jeglicher Couleur immer wieder den Penis entfernten, etc.
    Freud bezieht sich konkret auf die onaniefeindliche Kastrationsdrohung, die nur noch in sublimierter Form häufig sein dürfte: Als irgend drohungsbelastete Anweisung an das Kind, seinen Exhibitionismus zu zügeln.
    Aber davon wollen sie ja nichts hören oder lesen.

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  10. Matthias Matussek läutet im Spiegel 30/12 den Kulturkampf ein: Nicht nur soll Beschneidung irgendwie okay sein, sondern gleich deshalb die Blasphemie verboten werden. Mehr Respekt für Religionen würde die Gesellschaft einen Schritt weiter bringen und der titanic entledigen.

    Auf der nächsten Seite findet sich ein lesenswerter Text von Maximilian Stehr, der die medizinische Dimension diskutiert. Er leitet mit einer Narkosekomplikation bei Beschneidung ein, die zu Atemstillstand und Hirnschaden führte. Weiter zusammengefasst:
    0,19-11% Komplikationsrate, je nach Alter, v.a. Nachblutungen, Entzündungen, aber auch Harnröhrenverletzungen und Amputationen bei weniger als 1%.
    Sehr häufig: Verengung der Harnröhrenöffnung, bis zu 30 % im Säuglingsalter, operative Nachsorge.
    Keine Prävention nachweisbar, bzw. in keinerlei Verhältnis zum Risiko. Aus medizinischer Sicht keinerlei evidenzbasierten Vorteile für den Knaben – damit auch Unterschied zur Impfung (Wirksamkeit mitunter über 99% nachgewiesen) und zur Zahnspange (bei Abrieb, Kaubeschwerden und Sprachfehlern klare Linderung).

  11. Danke für die weiteren Vorführungen der Kunst der freien Assoziation. Sie sind ein wahrer Meister darin. Zum Haareschneiden vermisse ich allerdings die Bojaren, das Skalpieren, den Suebenknoten… noch was? Mal ein Brainstorming machen, da kommt bestimmt noch einiges dazu.

    Haareschneiden ist also auch irgendwie eine Variante der Kastration. Danke für diese Information. Beim nächsten Friseurbesuch werde ich vorsichtshalber ein Suspensorium anlegen.

    „Weitere 10.999 Anekdoten aus 1001 Therapiesitzungen können sie von Analytiker_Innen erfragen“

    Ich wiederhole mich:
    „Also ohne sich das psychoanalytisch eingeredet zu haben…“

    Dass Freud – in Ermangelung realer Kastrationsängste bei lebenden Jungen und Männern – alle ihm erreichbaren Mythologien diesbezüglich ausgeweidet hat, ist mir bekannt. Wenn man danach sucht, findet man natürlich in allen möglichen Mythologien Geschichten über Kastrationen. Und? Geschichten über Enthauptungen, von Vätern durch Söhne oder umgekehrt, oder wo Kinder durch Väter gefressen werden (Kronos), lassen sich sicher noch leichter finden. Daraus ein mehr oder weniger universelles Prinzip der Enthauptungs- oder Verspeisungsangst zu konstruieren wäre aber, gelinde gesagt, verwegen.

    Die zu Freuds Zeiten tatsächlich prävalenten väterlichen (bzw. elterlichen) Onanieverbote waren üblicherweise auch keine Kastrationsdrohungen, sondern halt Onanieverbote. Vielleicht haben manche Eltern oder Erzieher auch mal wirklich so eine Drohkulisse aufgebaut, aber meistens hatten die Jungen vor 100 Jahren keine Angst, dass ihnen der Vater den Schwanz abschneidet, wenn er sie beim Wichsen erwischt, sondern vor Prügel oder sonstigen Strafen.

    „Bei den Eunuchen und den Kastratenchören verweilend könnte man weiter zu den modernen Kastrationsorgien schreiten…“

    … und bei japanischen Guro-Comics ankommen, oder wo eine_n die Assoziationskette auch immer hinführen mag.

    Manchmal denke ich ja, die Psychoanalyse sei der Wahn, für dessen Heilung sie sich hält. Allerdings wäre das selbst schon wieder psychoanalytisch gedacht. Man muss nicht jeden Unsinn gleich zum Wahn erklären. Meistens ist Unsinn ganz schlicht eben nur falsch.

    „Erzählen sie doch unbeschnittenen Juden etwas davon, wie jüdisch oder nichtjüdisch sie sind.“

    Warum sollte ich? Stehe ich etwa auf dem Standpunkt „wer Jude ist, bestimme ich“?

    Erzählen Sie nur weiter den beschnittenen Juden, sie hätten alle einen Knax weg und könnten außerdem auf die Brit Mila getrost verzichten.

    • „Die zu Freuds Zeiten tatsächlich prävalenten väterlichen (bzw. elterlichen) Onanieverbote waren üblicherweise auch keine Kastrationsdrohungen, sondern halt Onanieverbote. Vielleicht haben manche Eltern oder Erzieher auch mal wirklich so eine Drohkulisse aufgebaut, aber meistens hatten die Jungen vor 100 Jahren keine Angst, dass ihnen der Vater den Schwanz abschneidet, wenn er sie beim Wichsen erwischt, sondern vor Prügel oder sonstigen Strafen.“

      Es gab (gibt) also Onanieverbote. Onanieverbot ist das Verbot, mit dem Spielzeug Penis zu spielen und erotischen Spass zu haben. Wie setzt man bei einem Kind ein Verbot, mit einem bestimmten Spielzeug zu spielen durch? Man nimmt es dem Kind weg. Es spielt keine Rolle, ob der Vater eine explizite Kastrationsdrohung ausspricht. Sobald er ein Onanieverbot errichtet, droht er implizit mit der Wegnahme des Spielzeugs Penis, was faktisch nur in der Form der Kastration erfolgen kann. Das Kind weiß irgendwann, wie ein Spielzeugverbot durchgesetzt wird, also ahnt es auch, was ein kosequentes Onanieverbot bedeutete. Dazu kommt der Eindruck vom penislosen Mädchen (und der Mutter), was ein Kind bei entsprechendem fehlenden Wissen als Wegnahme ausdeuten kann. Selbst ein Onanieverbot ist nicht notwendig. Das Kind weiß, dass es nicht immer spielen darf, dass es sich disziplinieren muss, was es auf das Spielzeug Penis übertragen wird. Daraus folgt die Ahnung von der Kastrationsdrohung.

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  15. @ earendil
    Triebenergie kommt doch überhaupt nicht ohne entsprechende Repräsentanzen fürs Bewusstsein aus. Ich weiß ja nicht, was sie sich für Vorstellungen über das Triebleben machen, oder ob sie dergleichen gleich ganz leugnen. Jedenfalls wäre es doch irgendwieweit aberwitzig, anzunehmen, dass Kinder/Jugendliche, bzw. Gesellschaftsformen mit unzureichenderen Möglichkeiten zu vollem Selbstbewußtsein zu gelangen (also bis heute alle) aus dem Nichts anfangen würde, ihr Triebschicksal als das zu artikulieren, was es ist, sofern dies denn überhaupt möglich erscheint. Spekulative Deutung wird demnach vom Grade der Undurchsichtigkeit der Sache vorgegeben, was sie zweifelsohne fragil und fehlbar macht, doch nicht entbehrlich. Schließlich ist auch die Kastrationsdrohung nichts unbedingtes, was seit jeher ans männliche Genital gebunden gewesen wäre und sozusagen immerschon den Urgrund all jener Ausdeutungen bildete, die das Verhältnis zwischen Libido und zensierender Instanz anders symbolisiert haben. Im schlechtesten Sinne naiv ist es da, zu unterstellen, das schlechte Verhältnis zwischen Libido und Gesellschaft ließe sich voraussetzungslos adäquat ausdrücken. Außerdem: es ist doch nicht so, als hätte sich die Psychoanalyse die Technik freier Assoziation aus Jux und Dollerei aus der Nase gezogen. Sie stellt nichts anderes als den Versuch dar, sich der Logik ihres Gegenstandes, von Libido anzuähneln, um etwas über sie in Erfahrung zu bringen. Um darauf in angemessener Weise zu antworten, müssten Sie selbst sich jedoch in den Bereich des Gegenstandes ihrer Angriffe begeben. So aber lassen sie sich nur vom eigenen Hausknecht, ihren Vorurteilen, vor die Tür setzen, um auch einmal Karl Kraus zu bemühen.

  16. Die Kastrationsdrohung ist zudem nur als symbolisches Phänomen zu erfassen: Sie entsteht nicht notwendig empirisch nachzuweisen, sondern primär logischer und über die psychoanalytische Arbeit mit Individuen und Mythologien nachgewiesener „Irrtum“ des Kindes über das andere Geschlecht. Die Abwesenheit des männlichen Genitals bei der Mutter interpretiert der Junge als erfolgte Kastration, die sich gegen ihn richten könne, und die Tochter als bereits an ihr erfolgte, wofür sie allerdings die Mutter als schuldhaft verantwortlich macht. In dieser Kürze und Reinheit.

  17. „an dem wohl ausgestorbenen Ritual entstanden, in dem der Mohel die Beschneidungswunde aussaugte um die Wundreinigung zu fördern und Blutungen zu stillen.“ Wie mir mehrfach nachgewiesen wurde, ist dieses Ritual in der Orthodoxie noch durchaus üblich. Oft wird es durch eine Pumpe ersetzt. In Israel wurde auch jüngst ein Mohel verurteilt, der dadurch ein Kind mit Herpes infizierte. Es ändert nichts am Argument.

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