Seit ich ihn gesehn… Iggy Pop und die Emanzipation

Die Inszenierung präsentiert Iggy Pop in einem einteiligen, edlen Kleid. Seine gekonnten Posen ahmen den dynamischen Tanz einer Frau nach, die sich aus irgendeinem, von der Archetypen-Psychologie der Werbeagenturen erdachten Grund stets in Bewegung befinden muss. Das Zitat: „I’m not ashamed to dress ‚like a woman‘ because I don’t think it’s shameful to be a woman.“

Adorno hat seinen tiefen Skeptizismus gegenüber der Verherrlichung des weiblichen Charakters wie kaum ein anderes Thema für die „Minima Moralia“ reserviert. Sein emanzipatorischer, Nietzsche aufhebender Befund gipfelt in dem Satz: ‎“Die Glorifizierung des weiblichen Charakters schließt die Demütigung aller ein, die ihn tragen.“ Exaltierte Männlichkeit, das „tough baby„-Syndrom, ist ihm so suspekt wie die damit kommunizierende Weiblichkeit.

Iggy Pop subvertiert dieses dialektische Verhältnis nicht, er invertiert. Im Westen ist die Abkehr von der klassischen Misogynie heute billig zu haben und auf sie bezogenes avantgardistisches Brimborium lässt wirkt verspätet, naiv und altbacken. Die normative Botschaft des Pop-Künstlers liegt eher in der Propaganda für die Kleidung der Frau, die artifizielle, überelastische Haltung ihres Körpers und letztlich für ihre Unterwerfung. Die kunstfasergehärtete Seidenrüstung wird mit der Existenz, der biologischen Geschlechtlichkeit assoziiert als wäre sie von Natur entstanden.

Die Angleichung der Männer an die Frauenbilder, die sie selbst sich einst in Angst vor der Aggression der Frau zurichteten, zeugt davon, was sie mit sich selbst vorhaben. Es ist zum geringeren Teil Beweis für die Befreiung von Homophobie, der Pazifismus befreit auch nicht von Gewalt. Vielmehr spricht hier die fortschreitende, auch die Männer erfassende Unterwerfung. Die ist nicht mehr durch Vaterfiguren verkörpert, denen man in Kraft und Intellekt mindestens gleich werden kann und muss, sondern durch ein übermächtiges, anonymes, namenloses Prinzip, vor dem nur Inversion und Vermeidung ratsam sind. Ausbrüche gewährt dann allein die fortschreitende Apotheose des aufgeblähten Heros, der überkontrollierte, unverwundbaren Mann, wie ihn auch der von Drogen und Exzessen gestählte Iggy Pop, vor allem aber James Bond und der Dark Knight (1, 2) repräsentieren – anders als die Proletarier Jackie Chan oder John Rambo riskieren sie nichts, reagieren nicht, haben nicht nur bloß unfassbares Glück: Die sterilisierten bourgeoisen Action-Helden sind keine Menschen sondern Götter, die dumm ihrem Schicksal in einer durchgeplanten Folge von wahnsinnigen, unmöglichen Aktionen folgen und dabei gewiss keine Geldsorgen haben. Das Gegengift zum Heros, die zu solidarischen Bindungen auch jenseits des sexuellen Interesses fähige Assoziation von verwundbaren Individuen bleibt mit gutem Grund selten in der Filmlandschaft – am Ende läuft heute noch fast jeder erfolgreiche Film auf den eisenharten Kerl heraus, der seine Kleinfamilie rettet während tausende andere sterben. Wenn es einen Fortschritt in der Bildersprache Hollywoods gegeben hat, dann nicht den Umschlag dieser Figuren in den verweiblichten Mann, der noch immer auf tolerierte homosexuelle oder pubertäre Rollen sich zurückziehen muss und in der Konkurrenz um Frauen allenfalls gegen den prügelnden Blödian Erfolg hat. Die Emanzipation der Frau muss die Emanzipation der Frauen sein. Die Gönnerei jener Männer, die aus der einst zwanghaften Travestie einen gesellschaftlich honorierten Faschingsball machen, verspricht ihnen keine Freiheiten sondern schreibt ihren Status fest. Die Aktivität der Frauen als körperlicher und intellektueller Widerstand gegen die gesellschaftlichen Zumutungen ist allemal wünschenswerter als der Regress der Männer auf die anal strukturierte Manipulation, die passive Aggressivität, die der euphemistisch zur Schönheit geschundenen körperlichen Schwäche zum Habitus wird.

Nicht zufällig ist das konforme Accessoire Iggy Pops die Handtasche, jenes Lacan’sche Schächtelchen, in dem männlicherseits wunder was Geheimnisse und Waffen vermutet werden, in dem sich aber zumeist nichts befindet, was wert gewesen wäre, es vom Körper abzuspalten und dann dennoch bei sich zu tragen. In dieser Handtasche wie auch im Ausgezehrten der doch sehr vogue gewordenen hohlwangigen anorektischen Männermodels, artikulieren sich sado-masochistische Wartestände auf Ruinen einstiger Wünsche. Androgynität ist erlaubt, solange sie dieses Zeichen der Schwäche und Entsagung von Lust, die Magerkeit, trägt. Ungleich verpöhnter als die modischen metrosexuellen Männer sind Frauen, die sich Bodybuilding jenseits von sanktionierten Ästhetisierungen erlauben. Androgynität, die als vereinzelte in das Zelebrieren von Schwäche mündet, das durch Beherrschbarkeit des eigenen schwächlichen Beutekörpers lockt, ist keine Fortschrittliche. Unter der gesellschaftlichen Kastrationsdrohung ist sie Regression hinter das ödipale Stadium. Vom Widerstand abgelöste Geschlechtlichkeit wirbt nur Ästhetisierungen ein. Wünschenswert wäre ein Zustand, der der Stärke nicht mehr bedürfte und körperliche wie intellektuelle Schwäche erlaubte. In der gewaltförmigen bürgerlichen Gesellschaft bedeutet dieselbe Projektion eine Idealisierung, ein Ausweichen vor dem Konflikt. Der richtet sich gegen die Subjekte selbst, die aus der freien Wahl ihrer Kleider schon ihre eigene Freiheit, und insbesondere jene zur Wahl der Wahl selbst, ableiten wollen.

„Die Gegensätze des starken Mannes und des folgsamen Jünglings verflieβen in einer Ordnung, die das männliche Prinzip der Herrschaft rein durchsetzt. Indem es alle ohne Ausnahme, auch die vermeintlichen Subjekte, zu seinen Objekten macht, schlägt es in die totale Passivität, virtuell ins Weibliche um.“ (Adorno, Minima Moralia, „Tough Baby“)

Vielleicht hat Iggy Pops Zitat aber auch recht. Scham empfindet das Opfer für das, was ihm angetan wird, weil die Trennung zu jenem misslingt, was man sich antun lässt. Wenn Iggy Pop mit dem Spott auf diese weibliche Scham über das, was aus der Frau gemacht wurde, kokettierte und diese Frauen als Ziel der Kritik einer ungleich feinsinnigeren Travestie hätte, so wäre er weitaus fortschrittlicher als er von den Fans des Bildes verstanden wird und sehr wahrscheinlich doch werden will.

Fragment Ende.

5 thoughts on “Seit ich ihn gesehn… Iggy Pop und die Emanzipation

  1. Darf man einmal erfahren, worauf Deine ja offenkundig nach wie vor vorhandene Hoffnung, dass die Transformation hin zu einer emanzipierten Gesellschaft gelingen kann, basiert, wenn nicht auf reinem Zweckoptimismus? Das frage ich mich auch bei Adorno und all den anderen, die sich der kritischen Theorie zugehörig fühlen, immer, und ich kann mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen.

  2. Was meinst du noch mal „reiner Zweckoptimismus“. Die Aufklärung schreitet fort, das ist relativ messbar. Aber eben dialektisch und scheiternd, zuvörderst an der Reflexion auf das Scheitern.

    Die Aussage ist normativ und das ist legitim: Emanzipation vorzustellen heißt sie einzufordern. Sich über das derzeitige wegzuwünschen schließt ein, es für möglich zu halten. Wo man es nicht für möglich hält, wartet der Zynismus, der die Opfer gegen sich selbst treibt und zur endlosen Reproduktion beiträgt oder der eitle Suizid, der im wohlgenährten doch recht freien Deutschland narzisstisch endlos überfrachtet bleibt und der Faulheit des Gedankens in der Zwangspraxis sich annähert.

    Worauf der „optimismus“ sich gründet: Daran, dass du hier diese skeptische Frage stellst und mich nicht gleich vollpöbelst, zum Beispiel. Ich bin da vielleicht romantisch, aber solange es noch einen anderen Menschen außer mir gibt, mit dem ich mir prinzipiell die Assoziation freier Menschen vorstellen kann, gebe ich auch nicht auf, nach mehr zu suchen. Und so wenige sind es gar nicht. Die meisten sind nur an dieser medialisierten Stummheit und Angst voreinander erkrankt, die alles erfasst.

  3. … um das hier rein analytisch intellektuell vorgetragene auf eine pragmatisch konsumorientierte und direkt verwertbare ebene zu bringen: hat jemand ein tipp, wo ich dat foto in einer druckbaren qualität herbekomme bzw. als poster.

    tnx,
    oli.

  4. Ich finde Deine Antwort wenig überzeugend. Der Satz: “Sich über das derzeitige wegzuwünschen schließt ein, es für möglich zu halten” entspricht in etwa dem, was ich mit „reiner Zweckoptimismus“ meinte. Ursprünglich wollte ich “Wunschdenken” schreiben, aber es schien mir respektlos. Das ganze sieht für mich aus wie ein einziges argumentum ad consequentiam, und das wäre mir zu wenig, denn aus einem Wunsch allein folgt noch lange nicht die Möglichkeit seiner Verwirklichung.

    Ob die Aufklärung voranschreitet, sei einmal dahingestellt, aber selbst wenn dem so wäre, werde ich das Gefühl nicht los, dass alljene ihrer Elemente, die für den Fortbestand des Systems potenziell bedrohlich sind, unbemerkt in eine Art Quarantäne geschoben wurden, wo sie zwar weiterexistieren, jedoch ohne Aussicht, jemals irgendetwas ausrichten zu können.

    Was ich aus Deiner Antwort (und früheren Blogeinträgen) noch herauslese, ist etwas, was ich auch bei Adorno und anderen Marxisten bemerkt habe: Mir scheint, Du unterschätzt, wogegen Du arbeitest. Mir kommt es stets so vor, als modellierten die Marxisten das bestehende System als ein stupides, mechanisches, welches wie ein Uhrwerk sich nicht darum kümmert, dass jemand es analysiert, um es irgendwann zu stürzen. Mir erscheint es aber eher wie ein hochintelligentes, lernendes System (und was ist das System anderes als die aggregierte Intelligenzleistung alljener, die es erzeugen und erhalten? Darin ähnelt es einem Markt.), das sich gegen Emanzipationsbestrebungen zur Wehr setzt, indem es ihnen durch Anpassung und Verwandlung ausweicht, Erfolge von Pseudoemanzipation zugesteht, und damit das Falsche immer schwerer als solches erkennbar werden lässt. Der Versuch der Marxisten, eine kritische Theorie der Gesellschaft zu erstellen, um daraus den Weg zur emanzipierten Gesellschaft herzuleiten, ähnelt für mich daher dem Versuch von Häftlingen, einen Ausbruch oder Häftlingsaufstand über die Lautsprecheranlage ihres eigenen Gefängnisses zu organisieren. Das System hat so das Kunststück vollbracht, sich bei der Perfektionierung seiner Herrschaft von seinen Gegnern, den Gesellschaftskritikern durch ihre Kritik helfen zu lassen, und zwar umso stärker, je besser ihre Kritik ist. Deswegen erscheint mir die Kontrastierung zum Zynismus und zum Suizid als Gegensatz, der keiner ist. Vielleicht überschätze ich ja das System, aber seine Fähigkeit, Bestrebungen zu strukturellen, bleibenden Verbesserungen zu widerstehen oder an sich abperlen zu lassen, lässt in mir den Verdacht aufkommen, dass irgendetwas Wichtiges übersehen wurde. Mein Vertrauen in die Korrektheit marxistischer Theoriegebilde und alles, was darauf aufbaut, ist denn auch nicht besonders hoch.

    Mein Pessimismus hat aber noch andere Ursachen. Es mag sein, dass Aufklärung die wichtigste Vorbedingung für die emanziperte Gesellschaft ist, aber letztendlich ist es auch ein logistisches Projekt. Der Hauptgrund dafür, dass ich seit Jahren Dein Blog lese, ist, dass Du einmal im AD-Forum sinngemäß geschrieben hast, dass Volksbildung zu betreiben zwecklos sei, weil es nicht ohne flächendeckende Psychoanalysen ginge. Dafür bräuchte man Psychoanalytiker, aber wenn ich den Aussagen eines Psychotherapeuten, mit dem ich vor einiger Zeit über das Thema sprach, Glauben schenken darf, dann sind die im Begriff, regelrecht auszusterben. Adorno bemängelte schon nach dem Krieg, dass die Psychoanalyse in den Dienst des Systems gestellt wurde, statt zur Befreiung der Menschen beizutragen, aber diese Tendenz hat sich meiner Erfahrung nach heute insb. in den der Psychoanalyse nachfolgenden Verfahren geradezu potenziert. Nennenswerte Fortschritte in der Therapie der Volksseele hat es denn auch nicht gegeben, weder in Deutschland, noch anderswo. Wo es aber gewaltige Fortschritte gegeben hat, ist die Technologie der verwalteten Welt: Moderne Informationstechnik hat Möglichkeiten der Bevölkerungsüberwachung und -kontrolle geschaffen, dass die Stasi daneben wie die reinste Montessorischule wirkt. Von dem, was in zehn oder 20 Jahren möglich sein wird, wollen wir gar nicht reden (Stichwort “Quantified Self”). Die Bevölkerung, aber vor allem die Intelligentia steht dieser Entwicklung beinahe vollkommen gleichgültig gegenüber, sieht das Unheil nicht kommen. Auch sonst hat der Fortschritt die Anforderungen, die zur Erlangung von Mündigkeit erfüllt werden müssen, stark erhöht. Gleichzeitig sind die Schulsysteme soweit auf die ökonomische Nutzbarmachung von Schülern ausgerichtet, dass sie Bildung im Keim ersticken. Und Zeit zur Muße lässt das System auch immer weniger Menschen.

    Dann ist da noch das Problem, dass aus den fehlgeschlagenen Emanzipationsbestrebungen des 19. und 20. Jahrhunderts eine Familie von äußerst populären Pseudoemanzipations-Cargo-Kulten erwachsen ist, deren Anhänger mehr und mehr zu einer ernsthaften Bedrohung für den Erfolg der Emanzipation selbst werden, weil sie, da sie sich bereits für vollständig aufgeklärt halten, gegen Reflexion ebenso vollständig immunisiert haben. Dies alles zusammen (und anderes, was ich hier einmal der Kürze halber weglasse) stimmt mich wenig hoffnungsvoll, dass die emanzipierte Gesellschaft sich noch einmal verwirklichen lässt, auch auf die Gefahr hin, mich dem Vorwurf des Defätismus auszusetzen, obgleich ich diese Unmöglichkeit nicht mit letzter Sicherheit beweisen kann. Für Gegenargumente, die über Defätismusvorwürfe und „Bange machen gilt nicht“ hinausgehen, bin ich selbstverständlich offen ─ allein, ich sehe sie nirgends.

  5. Viel. Ich nehme es eher als Ergänzung auf und integriere die Kritik in meinen Betrieb.
    Ach vielleicht noch: Der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Eigentlich die Mutter. Darüber müsste ich weiter denken.

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