Das Ende der Propaganda

Die finale Grenze der Aufklärung ist wieder einmal erreicht. Was auch immer an Material vorgelegt wird, um den Charakter der Hamas sichtbar zu machen, wie voluminös oder präzise man auch immer die Verwerflichkeit und Bigottrie der sogenannten palästinensischen Position belegt, man stößt immer auf die europäische Mauer: Das haben die Israelis verursacht. Das haben die Israelis ja so gewollt und erzeugt.

Wenn endlich erkannt ist, dass die Hamas Nazis sind, was beileibe schon ein Fortschritt ist, selbst dann wird noch die Schuld der Juden an diese Erkenntnis geheftet. Die Israelis haben ja die elenden Zustände erzeugt, aus denen Nazis hervorgehen müssen. Je negativer die Hamas erscheint, desto negativer müssen dann die Juden sein, die als Ursache, als störender Fremdkörper unverrückbar feststehen. Daher wird den Antisemiten das heutige Attentat auf einen Bus in Tel Aviv auch wieder nur als Aufforderung gelten, den Israelis wohlweisliche Friedenswünsche, Ratschläge und Weisheiten zu unterbereiten, die allesamt herunterzubrechen sind auf den christlichen Irrationalismus von der hinzuhaltenden Wange. Weil die Juden sich weigern, sich für das europäische Friedensverständnis ans Kreuz nageln zu lassen, sind sie schuld.

An diese Grenze führen alle Diskussionen, und es besteht wenig Aussicht, daran etwas zu ändern. Nicht einmal mehr zu wissen, was man NICHT tun sollte, ist aber der Postleninismus kritischer Theorie. Verzweiflung führt bei Adorno nicht zur Aufgabe von Praxis, sondern zum trotzdem Tun, zum Stören. Die Medienparty stören, das Zusammenrotten stören, und sei es durch Propaganda, durch Bilder, die sie reizen, das bleibt ein Stachel und vielleicht irritiert es manchen doch bis zur Erkenntnis.

Der Psychologie der Massen folgt das Racket der Medien nicht nur nach – es ist ganz selbstständig dumm und zynisch, verlogen und brutal. Die IHT inszeniert perfekt ausgeleuchtete Bilder, deren Komposition jede bekannte Ästhetisierung des Elends in den Schatten stellen will. Da ist eine palästinensische Mater dolorosa, die auf ihr totes Baby nach links unten herabblickt – ein originalgetreues Zitat der Rennaisance-Madonnen. Da sind die ins Bild gestikulierenden palästinensischen Trümmermänner, ihre Beine im goldenen Schnitt, die Arme eine perfekte kommunizierende Linie, kunstakademische Professionalität, kühl kalkuliert von den Dutzenden für den Betrachter unsichtbaren Kameras, für die das Bild inszeniert wird, in mehreren Abläufen geprobt, nachselektiert, bezahlt von den Millionen Klicks auf die Werbeanzeigen daneben und von der journalistischen Lust am Mitmachen, am getrieben sein, an der konformistischen Revolte. Und in Deutschland immer wieder Schutthaufen – Wiedererkennungseffekte, die jedes Denken abtöten zum Aggress.

Nervenkitzel, den sie auf die vermeintlich „kriegsgeile“ IDF projizieren, Wahlkampfinteressen, die sie auf Netanjahu projizieren, das sind die Antriebskräfte europäischer Vulgarität. Was nützt es, zu verweisen auf die lange Linie von israelischen Potentaten, die in immer riskanten Kriegen Ansehen in Israel verloren: Golda Meir, Ariel Sharon, Ehud Olmert, die Wut über die tödlichen strategischen Fehler im Libanonkrieg 2006, über die vermeidbaren israelischen Opfer in der Operation „Cast Lead“. Israels Armee zog jetzt tausende Reservisten ein, Menschen im mittleren Alter, die aus ihren Berufen und Familien geholt wurden, aber man denkt, diese Menschen würden zum Dank dann das Empfohlene wählen, anstatt um ihr Leben zu fürchten. Man phantasiert, es gebe ernstzunehmende israelische Parteien, die nicht schon längst den Raketenterror als völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber der eigenen bedrohten Gesellschaft angegriffen hätten, Parteien, die länger still gehalten hätten als die aktuellen Regierungsparteien. Der Wahlkampf der anderen Seite verläuft tatsächlich gemäß der Projektion der Europäer: Hier wird gewählt, wer die meisten Juden in die Luft sprengt und einige Raketen fliegen nur, um vor der Konkurrenz nicht allzu blass auszusehen.

Europäer, die Wahlen als nutzlose und instrumentelle Wiederholungen des immergleichen Klassenkampfes von oben erfahren und wünschen, die selbst keinerlei Konzept gegen den aufwogenden Faschismus haben oder an ihm noch partizipieren, die doch selbst zehntausende Flüchtlinge ins Meer oder durch verschneite Berge trieben und treiben durch ihren Isolationismus, diese gleichen Europäer fantasieren und projizieren jetzt munter von verelendeten Flüchtlingslagern, von Mauern, von Abschottung. Mit Gaza trinken sie sich ihre Flüchtlingsbaracken schön, in denen man von den chinesischen Mopeds und Smartphones nur träumen kann, mit denen die wohlgenährte Hamas-Junta ihre Opfer durch die Straßen schleift und filmt. Die dauernden Abschiebungen von Zigeunern in die antiziganistischen Hexenkessel Südosteuropas sind vergessen, wenn man von Mord und Massakern an Palästinensern fantasiert, die bislang nur die Hamas verübt. Ihr eigener Wunsch zum Zerstören, zum Alles-Kaputt-Schlagen, den artikulieren sie in ihrer Projektion einer tollwütigen IAF, als gäbe es keine Flugblattwarnungen, keine Massen-SMS an Palästinenser, keine abgebrochenen Luftschläge auf bedrohliche Ziele – zugunsten palästinensischer Kinder und in potentieller Gefährdung israelischer Kinder, auf die die Raketen zielen.

Und von Landraub faseln die Europäer, von Imperialismus. Die Europäer, die in Afrika ganze Regionen durch korrupte Chiefs enteigneten für ihren Traum vom (natürlich bezahlbaren) Bio-Sprit, die in ganz Südamerika Millionen von Kleinbauern ins Elend treiben mit ihren Soja-, Palmöl und Zuckerfarmen, die für ihre Tropenholz-Kollektion aus dem Baumarkt südostasiatische Wälder mittels der jeweiligen Mafiosi plündern lassen.

Diese Europäer wollen trauern um ein paar Hektar entmilitarisierte Zonen, um ein paar hundert Meter Sicherheitsabstand für ein neun Kilometer dünnes Land im ewigen Kriegszustand, um ein paar israelische Siedlungen in Westjordanien, in denen ohnehin nur noch alle paar Jahre ein Haus gebaut werden darf. Und nicht nur trauern, sie wollen draufschlagen, und weil sie nicht selbst draufschlagen dürfen, soll wenigstens die Hamas „zurückschlagen“ dürfen, denn sie schlägt ja immer nur zurück, das ist ihr europäisches Wesen, dagegen kann sie noch so oft auf ihr ehrliches Bekenntnis zur ehrbaren Aggression, zum ewigen Djihad gegen die Juden pochen. Und wo die Europäer und Russland durch die fortschreitende Faschisierung den Atomkrieg wahrscheinlicher machen, fürchten sie, dass Israel die Welt in einen Atomkrieg treiben würde, dass alle sterben müssten, wenn Israel seine Interessen verfolgt – und welcher vernünftige Mensch würde nicht dem Tod von Milliarden Menschen durch angebliche 200 israelische Nuklearwaffen den Tod von ein paar Millionen Juden vorziehen. Dieser Rationalität folgten die deutschen Hitleristen, dieser Rationalität folgen heute die pazifistischen Verschwörungstheoretiker von rechts bis links. Sie alle arbeiten daran, die Vorstellung einer Welt ohne Juden, ohne Israel bewohnbar, akzeptabel, ja vernünftig zu machen. Der erste Weg dahin ist die penetrante Zensur der israelischen Position, das Ignorieren oder Verhöhnen israelischer Opfer durch das Racket der Medien.