Die Hagiographie für Oevermann aus der Hand Hans-Josef Wagners feiert den Begründer der „Objektiven Hermeneutik“ als neuen Adorno:
„Keine andere Position als die Oevermanns ist näher an dem, was Adorno als Ziel seiner »Negativen Dialektik« ansah und als »Utopie der Erkenntnis« bezeichnete, nämlich: »das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen«.“
Es stellt sich allerdings die Frage, warum eben jener neue Adorno sich auf einer Methodentagung strikt von der Kritischen Theorie abgrenzte. Mehr noch warf er dieser vor, die Wertfreiheit der Wissenschaft zu überstrapazieren. Ein Wissenschaftler solle im Dienste des Steuerzahlers keine Ideologiekritik betreiben. Das nimmt nicht weiter Wunder, folgt die objektive Hermeneutik doch allzu offen einer Angleichung an naturwissenschaftliche Methodik.
„Die objektive Hermeneutik ist nicht eine Methode des Verstehens im Sinne eines Nachvollzugs subjektiver Dispositionen oder der Übernahme von subjektiven Perspektiven des Untersuchungsgegenstandes, erst recht nicht eine Methode des Sich-Einfühlens, sondern eine strikt analytische, in sich objektive Methode der lückenlosen Erschließung und Rekonstruktion von objektiven Sinn- und Bedeutungsstrukturen.“ (Oevermann)
Die Sequenzanalyse in der Gruppe mag unterhaltsam sein und durchaus Aufschlüsse bringen. Interessant auch die These, dass Rupturen in den Protokollen durch Krisen ausgelöst werden. Wie allerdings die Objektivität zum Fetisch gerinnt und in positivistische Ideologie umschlägt, wird in der Trennung von Erfahrungswissen und objektivem Wissen offenbar. Das geht erfahrungsgemäß schief, denn wo Verhaltensforschung und Gehirnforschung zitiert wird, ist man von Biologismus und Strukturalismus nie weit entfernt. So kommt es auch zu strapaziösen Verlautbarungen von Seiten Oevermanns wie jene, dass Burschenschaften einmal progressiv gewesen seien. Zumindest Adorno hätte gewusst, dass eben jene Studenten, die 1817 auf dem Wartburgfest gegen die Kleinstaatlerei ein geeintes Deutschland proklamierten, gleichzeitig den „Code Napoleon“ und die „Germanomanie“ des Saul Aschers verbrannten – auch ein affirmativer Begriff von Progressivität würde sich der Anwendung auf diese Autodafés schämen.